Der Paritätische Gesamtverband veröffentlicht jährlich den sogenannten Paritätischen Armutsbericht, der auf Daten des Mikrozensus des Statistischen Bundesamts basiert und die Armutsquoten in Deutschland analysiert. Der aktuelle Armutsbericht 2025 bezieht sich auf die Daten des Gesamtjahres 2024.
Für den umfassenden Armuts- und Reichtumsbericht auf Bundesebene ist die Bundesregierung zuständig, der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) verantwortet wird. Dieser wird in der Regel alle Legislaturperioden herausgegeben.
In Deutschland leben 13 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Das sind 15,5% der Bevölkerung, (1) Insgesamt sind rund 20,9% der Bevölkerung (ca. 17,6 Millionen) von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Armut wird für Deutschland laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband nach der europaweiten Definition als Einkommen unter 60% des Medianeinkommens verstanden, was 2024 für eine alleinlebende Person ein Nettoeinkommen von weniger als 1.381 Euro monatlich bedeutet.
Der Median ist der Wert, der genau in der Mitte einer Datenreihe liegt, die nach der Größe geordnet ist. Er halbiert eine Datenreihe, sodass eine Hälfte der Daten unterhalb und die andere Hälfte oberhalb des Medians in der geordneten Reihe liegt.
Wer weniger Einkommen unterhalb dieses aktuellen Armuts-Schwellenwertes zur Verfügung hat, gilt als einkommensarm. Dieses Einkommen gilt als unzureichend, um am gesellschaftlichen Leben angemessen teilzuhaben.
Die nominelle Armutsschwelle von 1.381 EUR für das Jahr 2024 hat einen realen Vergleichswert von 1.158 EUR und liegt damit deutlich unterhalb der Armutsschwelle von 1.300 EUR von vor vier Jahren. Die reelle, preisbereinigte Armutsschwelle liegt folglich im Jahr 2024 um 223 EUR unter der nominalen Armutsschwelle.
Der Armuts-Schwellenwert wird für die verschiedenen Gruppen regelmäßig angepasst und variiert je nach Haushaltstyp. Die wichtigsten aktuellen Werte sind:
In Deutschland ist die Armut in 2024 im Vergleich zum Vorjahr angestiegen (+1,1 Prozentpunkte), obwohl eine leicht gesunkene Erwerbsarmut zu vermelden ist.
Menschen, die zur einkommensarmen Bevölkerung gezählt werden, sind in den vergangenen Jahren noch ärmer geworden. 5,2 Millionen Menschen leben in erheblicher materieller Entbehrung, d.h. sie haben nicht genug Geld für eine warme Wohnung oder für Kleidung. Die Armutsgefährdung führt zu einer Einschränkung einer gesellschaftlichen Teilhabe. Die Betroffenen sind etwa nicht in der Lage, Rechnungen für Miete, Hypotheken oder Versorgungsleistungen rechtzeitig zu bezahlen, geschweige denn eine Urlaubsreise zu finanzieren, abgewohnte Möbel zu ersetzen oder sich in begrenztem Maße im Freundeskreis oder mit Verwandten zu treffen, gemeinsam etwas zu essen und zu trinken. (2)
Betroffenheit
Von Armut betroffen sind vor allem Bevölkerungsgruppen, die besonders verwundbar oder verletzlich sind, weil sie Herausforderungen und Krisen nicht aus eigener Kraft bewältigen können. Dazu zählen rund 60% der Arbeitslosen.
Unter den Erwerbstätigen liegt die Armutsquote bei 6,5 %. Es zeigt sich damit, dass auch viele Erwerbstätige nicht vor Armut gefeit sind. Besonders Teilzeitbeschäftigte sind mit einer Armutsquote von 9,6 % stärker betroffen als Vollzeitbeschäftigte. (3)
Zu den betroffenen Gruppen zählen insbesondere Frauen: Nach dem Armutsbericht 2025 galten im Jahr 2024 16,2 Prozent aller Frauen in Deutschland als armutsgefährdet. (4) Besonders hoch ist das Risiko einer Armutsgefährdung für junge Frauen (26,9 Prozent) und ältere Frauen ab 65 Jahren (21,6 Prozent). Gründe für die höhere Armutsgefährdung von Frauen erklären sich, weil sie häufiger in Teilzeit oder geringfügig beschäftigt sind und durchschnittlich immer noch weniger verdienen als Männer. Für die Armutsgefährdung älterer Frauen sind vor allem ihre geringeren Rentenansprüche ausschlaggebend. Diese sind im Durchschnitt rund 30 Prozent niedriger als die von Männern. (5)
Aktuell galten im Jahr 2024 in Deutschland auch 14,4 Prozent der Kinder unter 18 Jahren als armutsgefährdet. Das entspricht etwa 2,1 Millionen Kindern und Jugendlichen. Unter den Kindern und jungen Erwachsenen (der 18- bis 24-Jährigen) sind 24,8 % arm – die höchste Quote aller Altersgruppen.
1,2 Millionen Erwachsene sind trotz ihrer Vollzeiterwerbstätigkeit ebenso von Armut betroffen. Infolge einer Anhebung der Mindestlohngrenze sowie ein um Nuancen erhöhtes Wohngeld ist diese Gruppe geringfügig kleiner geworden.
Jede(r) vierte Alleinerziehende ist von Armut betroffen, und hier betrifft es vor allem Frauen. Unter den älteren Menschen lebt jeder Vierte über 65 Jahre in Armut. Fast jede dritte in Deutschland lebende Person ausländischer Herkunft lebt ebenfalls in Armut.
Über die Hälfte der erfassten Arbeitslosen lebt in Armut. Im Jahr 2024 bezogen in Deutschland rund 1,75 Millionen arbeitslose, aber erwerbsfähige Personen Bürgergeld. Damit stieg die Zahl der arbeitslosen Leistungsempfänger im zweiten Jahr in Folge auf den höchsten Stand seit 2016.
Nicht alle erwerbsfähigen Bürgergeld-Bezieher sind auch arbeitslos: Mehr als die Hälfte von ihnen kann aus Gründen wie der Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, dem Besuch einer Schule bzw. dem Absolvieren einer (Hochschul-)Ausbildung, familiären Verpflichtungen oder eigener Krankheit nicht unmittelbar eine Arbeit aufnehmen. Zudem gehen manche Leistungsempfänger bereits einer Erwerbstätigkeit nach, verfügen aber dennoch über ein so geringes Einkommen, dass sie als sog. "Aufstocker" zusätzlich Bürgergeld beziehen und stark armutsgefährdet sind. (6).
Ein niedriger Bildungsabschluss ist ebenfalls ein elementarer Indikator für eine Armutsbedrohung: 25 % der Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss leben derzeit unter Armutsbedingungen.
Zu erwähnen sind auch Menschen mit Behinderungen, Geflüchtete, ethnische und religiöse Minderheiten sowie chronisch Kranke und ältere Menschen mit besonderen Pflegebedarfen, die in Deutschland in Armut leben.
Verallgemeinernd ausgedrückt handelt es sich bei armutsgefährdeten Personen nach den vorliegenden Daten um solche Gruppen, die aufgrund ihrer physischen, psychischen, sozialen oder wirtschaftlichen Situation besonders schutzbedürftig sind und deren Teilhabe und Lebensqualität durch externe oder interne Belastungen stark gefährdet bzw. eingeschränkt ist. Diese Menschen befinden sich im Allgemeinen in einer besorgniserregenden Lage, wenn Risiko- und Schutzfaktoren in einem Ungleichgewicht stehen.
Ursachen der Armut
Im kapitalistischen Wirtschaftssystem in Deutschland ist Armut primär kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, weil der Zugang zu Ressourcen, Chancen und gesellschaftlicher Teilhabe ungleich verteilt ist.
Bertolt Brecht drückte das prägnant mit den Worten aus:
„Reicher Mann und armer Mann standen da und sahn sich an.
Und der Arme sagte bleich:
Wär’ ich nicht arm, wärst du nicht reich.“
Armut und Reichtum sind keine voneinander unabhängigen Zustände, sondern stehen in einem direkten gesellschaftlichen Zusammenhang. Die Ursachen für Armut liegen in den gesellschaftlichen Strukturen, Armut ist nicht auf ein individuelles Versagen zurückzuführen.
Die kapitalistische Produktionsweise und ihre Prinzipien führen dazu, dass einige wenige profitieren, während viele andere ausgeschlossen werden. Die Ausgestaltung des Systems durch die herbeigeführten sinkenden Lohnquoten und eine Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten des Kapitals verstärkt die soziale Ungleichheit. Armut erklärt sich demnach nicht nur als ein äußerer Mangel an Geld oder Besitz, sondern sie ist eine grundlegende gesellschaftliche Kategorie. Je mehr Reichtum sich auf der einen Seite anhäuft, desto mehr Elend, Arbeitsqual, Sklaverei und Unwissenheit entstehen auf der anderen Seite, bei den lohnabhängig Beschäftigten, den arbeitenden Menschen. Die Akkumulation von Kapital ist also untrennbar mit der Akkumulation von Armut verbunden.
Nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen von Karl Marx ist Armut als eine Verletzung der Menschenwürde und der Freiheit zu begreifen. Armut ist Ausdruck sozialer Herrschafts-verhältnisse, die die freie Selbstbestimmung des Menschen verhindern. Karl Marx spricht von Verhältnissen, „in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (7)
Der Einfluss von Arbeitsmarkt und Einkommen
Armut ist eng verknüpft mit der wirtschaftlichen Lage und den Arbeitsmarktbedingungen. Dafür sind zum einen die Arbeitslosigkeit, der direkte Einkommensverlust als Hauptursache verantwortlich. Zu einem weiteren ist die Niedriglohnbeschäftigung für viele Menschen trotz ihrer Anstellung mit einem hohen Risiko einer Verarmung verbunden. Die verfügbaren Einkommen reichen oft nicht aus, um die Lebenshaltungskosten zu decken, besonders in Städten mit hohen Lebenshaltungskosten. Prekäre Arbeitsverhältnisse wie die ausufernde Zeitarbeit, Werkverträge oder geringfügige Beschäftigung sind weitere Beschäftigtensituationen, die ein Abgleiten in die Armut auslösen können.
Im folgenden Schaubild sind die ermittelten Armutsquoten nach Gruppen ihres Erwerbsstatus dargestellt:
Regionale Unterschiede
Der Paritätische Armutsbericht zeigt im Vergleich der Bundesländer große regionale Unterschiede bei den Armutsquoten. Während in Bayern nur etwa jede achte Person von Armut betroffen ist (11,8 Prozent), ist es in Sachsen-Anhalt mehr als jede fünfte (22,3 Prozent) und in Bremen sogar jede vierte Person (25,9 Prozent).
Der Sozialstaat – Soziale Sicherungssysteme schlechter als dargestellt
Über 40 Prozent der Menschen in Deutschland haben ohne Sozialleistungen einschließlich der Rentenbezüge ein Einkommen unterhalb der Armutsschwelle.
Die sozialen Sicherungssysteme des deutschen Sozialstaates bieten keinen ausreichenden Schutz vor Armut, so der Paritätische Armutsbericht. Der Sozialstaat wäre zwar grundsätzlich in der Lage, Einkommensarmut zu reduzieren oder auch ganz abzuschaffen, aber: 2021 konnte die Armutsquote durch die staatlichen Sicherungssysteme noch um 27,7 Prozentpunkte reduziert werden, in 2024 dagegen nur noch um 25,1 Prozentpunkte.
Die Schutzwirkung staatlicher Leistungen eines wohlhabenden Landes wie Deutschland ist politisch und gewerkschaftlich nach allen verfügbaren Mitteln zu verteidigen und zu schützen. Trotz des Rückgangs der Schutzwirkung des Sozialstaates sind die politisch erreichten staatlichen Sozialleistungen zumindest ein Eckpfeiler, um die Armutsquote –entgegen der sich abzeichnenden Politik der sozialen Kälte der neu aufgestellten Bundesregierung – nicht zugunsten der Reichen und Besitzenden weiter ansteigen zu lassen.
Armut vermeiden
Der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes kommt zu dem Ergebnis, dass die Erwerbs-Arbeitseinkommen vieler Menschen viel zu niedrig sind. Das Risiko für abhängig Beschäftigte mit geringem Einkommen in die Armut abzurutschen, steigt und der Anteil der von Armut Betroffenen nimmt nicht ab.
Der gesetzliche Mindestlohn mit einer angemessenen Höhe von derzeit geforderten 15 Euro/Stunde wird als ein Instrument zur Verhinderung von weiteren Einkommensverlusten der abhängig Beschäftigten angesehen. Eine besondere Bedeutung spielt die Tariftreue bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen staatlicher Stellen, d.h. Aufträge sollten nach Auffassung des Paritätischen nur an Firmen erfolgen, die sich an die geltenden Branchen-Verträge halten.
Ergänzend zur unumgänglichen Verbesserung der finanziellen Lage der abhängig Beschäftigten stehen im Sozialstaat in Deutschland eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, um die Einkommen von RentnerInnen, Studierenden und Erwerbslosen zumindest nicht unter die Armutsschwelle rutschen zu lassen. Es ist nicht der Platz, die erforderlichen Maßnahmen ausführlich aufzuzeigen, die ein Sozialstaat zu erfüllen hat. Der Paritätische fordert: Eine Verbesserung der Einkommen von RentnerInnen, Studierenden, Auszubildenden und Erwerbslosen, erhöhte kinderbezogene Leistungen, eine Rentenversicherungs-Stabilisierung, einen Ausbau des Wohngelds sowie eine sozialere Wohnungspolitik (Entfristung der Mietspreisbremse, Absenkung der Kappungsgrenzen, Mietendeckel, Entfristung von Sozialbindungen, höhere Investitionen in den öffentlichen Wohnungsbau)
Die Investition in Bildung und Qualifikation ist ergänzend als ein Schlüssel zur Armutsprävention zu bewerten. Fehlende Zugänge zu qualitativer Bildung verhindern die persönliche und berufliche Entwicklung. Bildungszugang und Qualifikation für jüngere Generationen sind gerade im Zuge des sich ausbreitenden Einsatzes von künstlicher Intelligenz und deren Einflussnahme auf die zukünftige Entwicklung von außerordentlicher Bedeutung. Der Chancengleichheit bei Bildung und Qualifikation sollte im Kampf gegen Armut allerhöchste Priorität eingeräumt werden.
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Quellenangaben
(1) Der Paritätische, Paritätische Forschungsstelle, Verschärfung der Armut, Paritätischer Armutsbericht, April 2025
(2) https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/01/PD25_036_63.html
(3) https://www.bagarbeit.de/news/paritaetischer-armutsbericht-2025-armutsgefaehrdung-nimmt-weiter-zu/
(5) https://arbeitsmarkt-und-sozialpolitik.verdi.de
(6) https://www.statistik-bw.de/Service/Veroeff/Monatshefte/20230903
(7) Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 497; https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/wo-dem-jungen-karl-marx-die-armut-begegnete