In Deutschland gibt es keine eine eigene Reichtums- und Vermögensstatistik. Lediglich alle fünf Jahre führt das Statistische Bundesamt eine Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) durch, deren Auswertung knapp zwei Jahre später vorliegt. Sie gibt zumindest Anhaltspunkte über die Verteilung des Reichtums in Deutschland. Sie dient auch als Grundlage für die Armuts- und Reichtumsberichte („Lebenslagen in Deutschland“) der Bundesregierung, die seit 2000 alle fünf Jahre veröffentlicht werden. Befragt werden im Rahmen der EVS 0,2 % aller privaten Haushalte auf freiwilliger Basis. Die EVS und damit auch der Reichtumsbericht sind in Bezug auf die Verteilung des Vermögens von relativ geringer Aussagekraft.

Angaben über die Gesamtsumme des „Privaten Geldvermögens“ veröffentlicht die Bundesbank jährlich in ihren Monatsberichten; Mit dem Übergang zum „Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen“ im Jahr 2000 werden keine Angaben mehr über das Betriebsvermögen und das betriebliche Geldvermögen gemacht.

  • SOEP (Sozioökonomisches Panel): Seit 1984 lässt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) jährlich mehr als 11.000 Haushalte mit über 23.000 Menschen nach ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage befragen (u.a. Einkommen, Vermögen, Schulden).
  • Privates Geldvermögen: Setzt sich zusammen aus Bargeld (Sichteinlagen), Spareinlagen, Termingeldern, Wertpapieren, Investmentzertifikaten, Aktien, Bauspareinlagen, Anlagen bei Versicherungen.
  • Privates Netto-Geldvermögen: Geldvermögen minus Verschuldung der Privathaushalte
  • Privates Gesamtvermögen: Immobilienbesitz + Geldvermögen + Gebrauchsvermögen (hochwertige Gebrauchsgüter).
  • Privates Reinvermögen = Gesamtvermögen abzüglich Verpflichtungen (Kredite)

2020: Privates Geldvermögen in Deutschland: 7.100 Milliarden Euro (= +313 Milliarden Euro: +5,7 %)

„Das Ungleichheits-Virus“ (Oxfam)

Als Folge der Corona-Pandemie droht die Ungleichheit erstmals in fast allen Teilen der Welt gleichzeitig anzusteigen“, schreibt Oxfam in seinem Bericht im Januar 2021 zu den Covid- 19-Auswirkungen. „Diese Krise verschärft die vorher schon dramatischen Unterschiede zwischen Arm und Reich, zwischen den Geschlechtern und zwischen Weißen und Black. Indigenous and People of Color (BIPoC)“.

Superreiche werden in Corona-Krise noch reicherauch in Deutschland“, das ist die Quintessenz im Milliardärs-Report (Billionäres Insights) von UBS/PwC. Weltweit gibt es danach 2.189 Vermögens-Milliardäre, davon leben 119 in Deutschland. Nach der Studie der Schweizer Großbank (UBS) und der Beratungsfirma PwC sind die Vermögen der Ultrareichen weltweit bis Ende Juli 2020 auf ein neues Rekordhoch von 10,2 Billionen Dollar gestiegen. Bisheriger Rekordwert: 8,9 Billionen Dollar (Zuwachs: 15 %).

Dabei kommt es auch zu einer Polarisierung innerhalb der Klasse der Megareichen. Besonders stark stiegen die Vermögen der Milliardäre, die ihre Gelder aus der Technologie- und Gesundheitsbranche herausholen. UBS ordnet sie in die Kategorie Innovatoren und Disruptoren (disrupt = zerstören, wohl in Anlehnung an Schumpeters „schöpferische Zerstörung“) ein. Deren Vermögen machten von 2019 bis Mitte 2020 einen Sprung von 29,5 % (von 4.080 Mrd. auf 5.284 Mrd. Dollar) nach oben. Traditionelle Milliardärsvermögen wuchsen weltweit dagegen „nur“ um 18,7 %: Von 3.089 Mrd. auf 3.668 Mrd. Dollar). Dementsprechend wird die Weltrang-Liste der Ultrareichen von Personen angeführt, die in digitalen Technologien/Internetkonzernen, Versandhandel/Logistik unterwegs sind: Jeff Bezos (Amazon), mit einem Vermögen von 190 Mrd. Dollar der reichste Mensch der Welt, gefolgt von Elon Musk (Tesla) 171 Mrd.; Platz 4: Bill Gates (Microsoft) 129 Mrd. Dollar; Mark Zuckerberg 96 Mrd. (Platz 5); Larry Page (Google) 90 Mrd. (Platz 7) und Larry Ellison (Oracle) 89 Mrd. Dollar (Platz 8).

„Die Polarisierung in der Entwicklung der Milliardärsvermögen wird sich weiter verstärken“, folgert UBS-Anlagechef Kunkel. „Der technologische Fortschritt wird dazu führen, dass die Vermögen der Milliardäre weiterwachsen“. Auch in Deutschland schätzten Milliardäre und Multi-Millionäre weiterhin ihre Reichtümer auf. Wie die jüngsten Reichtumsberichte der Schweizer Großbanken Credit Suisse (Global Wealth Report 2020) und UBS Union Bank of Switzerland), zusammen mit der Beratungsfirma Pricewaterhoose Coopers (PwC) (Billionaires Insights 2020) offenbaren, sind die Superreichen in der Corona-Krise reicher und reicher geworden.

Zahl der Millionäre in Deutschland steigt trotz Coronakrise“, titelt Der Spiegel. Trotz und wegen der Corona-Krise ist in Deutschland im ersten Halbjahr die Zahl der Millionäre (in Dollar) um 58.000 gestiegen und beträgt jetzt 2,1 Millionen, stellt Credit Suisse in der Studie fest. Im Durchschnitt hat jeder Erwachsene in Deutschland ein Sachvermögen von 142.000 US-Dollar (ca. 120.000 Euro) und ein Geldvermögen von 107.000 USD (90.000 Euro). Im Durchschnitt! Denn die Schweizer Bank kommt auch zu dem Ergebnis: „Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland höher als in anderen großen westeuropäischen Nationen. Sein Reichtum-Gini-Koeffizient ist 78 % (= extreme Ungleichheit – F.S.), verglichen mit 66 % in Italien und 70 % in Frankreich“. Der Anteil des reichsten 1 % der deutschen Erwachsenen am Gesamtvermögen – 14,8 Billionen Dollar – beträgt 35 Prozent (DIW). Auch die deutschen Milliardärsvermögen stiegen im Corona-Jahr 2020 besonders stark an. Nach UBS/PwC nannten die 119 deutschen Milliardäre (das Managermagazin kommt auf eine höhere Zahl) Mitte 2020 insgesamt 594,9 Milliarden Dollar ihr eigen; im Durch- schnitt also 5 Milliarden Dollar pro Kopf.

Im Vorjahr betrugen die Milliardärsvermögen 500,9 Mrd. Dollar – ein Zuwachs von 19 %. „Den größten Zuwachs erzielten die deutschen Dollar-Milliardäre nach Ausbruch der Pandemie in den Bereichen Technologie (plus 46 %), Gesundheitswesen (plus 12 %) und Finanzwesen (plus 11 %)“, schreibt die Zeit. Noch größer ist der Zuwachs bei den Top 10 der deutschen Multi-Milliardäre. Sie brachten es zusammen im Februar 2021 auf 246,7 Milliarden Dollar, was einen Zuwachs von 67,5 Mrd. Dollar (+ 38 %) gegenüber Februar 2019 bedeutet:

Forbes-Reichen-Liste 2020 und 2019

Name Reichtumsquelle Vermögen Februar 2021 in Mrd. Dollar Vermögen Februar 2019 in Mrd. Dollar Zuwachs (in 2 Jahren) in Mrd. Dollar
Albrecht/Heister Aldi-Süd 39,4 36,1 3,3
Dieter Schwarz Lidl 37,6 22,6 15
Susanne Kladden BMW, Altana 27,3 21 6,3
Theo Albrecht jr. Aldi-Nord 18,8 17,4 1,4
Reinhold Würth Würth-Gruppe 20,4 11,2 9,2
Dietmar Hopp SAP, CureVac 23,2 13,4 9,8
Stefan Quandt BMW, Delton 21 17,5 3,5
Hasso Plattner SAP/Software 15,5 13,5 2
Klaus-M. Kühne Kühne+Nagel, Hapag Lloyd 25,6 12,9 12,7
Hermann Thiele Lufthansa, Knorr-Bremse 17,9 13,6 4,3
Summe 246,7 179,2 67,5 (+37,7 %)

 

Hasso Plattner, Dietmar Hopp, Stefan Quandt (Delton: biologische Heilmittel) und Klaus Kühne gehören zur Kategorie der von Corona profitierenden Technologie-, Medizin- und Logistik-Konzerne. Hermann Thiele, mit Abstand größter Einzelaktionär bei der Lufthansa, müsste eigentlich ein Corona-Loser sein, nachdem der Luftfahrtkonzern in der Pandemie abstürzte. Die staatliche 9-Milliarden-Stütze verhinderte, dass das vielzitierte „Unternehmer-Risiko“ bei einem Großkonzern mit privatem Großaktionär zum Tragen kam. So brachte es Thiele noch zu einer ansehnlichen Reichtumsvermehrung von 4.300 Millionen. Den viertgrößten Zugewinn binnen zweier Jahre erzielte Schraubendreher Reinhold Würth mit plus 9,2 Milliarden Dollar. In einem SZ-Interview erklärte Reinhold Würth einmal: „Ich schäme mich nicht für meinen Reichtum. Ich habe ihn mir selber erarbeitet“. Er allein?, möchte man mit Bert Brechts „lesendem Arbeiter“ fragen. Hatte er nicht wenigstens eine Sekretärin bei sich? Quandt-Erben: „Keiner will tauschen“: Bei dem Geschwisterpaar Susanne Klatten und Stefan Quandt ist es eindeutig: Ihnen wurde der Reichtum gewissermaßen in die Wiege gelegt. Ziemlich genau die Hälfte der BMW-Belegschaft mehrt ihn Jahr für Jahr weiter. Denn sie besitzen fast die Hälfte aller BMW-Aktien und kassieren daraus jedes Jahr ansehnliche Dividenden; im Corona-Jahr 2020 wurden Mitte Mai, ein Monat nach Aufhebung des Lockdowns, 769 Millionen Euro an die beiden überwiesen. Gewinne und Dividenden aus anderen Investments kommen noch dazu.

Ein Jahr davor offenbarte Stefan Quandt: „Für uns beide ist es sicherlich nicht das Geld, das uns antreibt. Es ist vor allem die Verantwortung, dass man in Deutschland Arbeitsplätze sichert“. Und im gleichen Gespräch verwies seine Schwester Susanne Klatten darauf, dass zu ihrem Leben trotz des Reichtums Arbeit gehöre. Einige Menschen glaubten „das Geld fliegt einem irgendwie zu“. Und sie klagt über ihr Los: „Man ist ständig sichtbar und gefährdet, muss sich schützen. Hinzu kommt der Neid, ein gerade in Deutschland verbreiteter Wesenszug. Deshalb fühle ich mich missverstanden, wenn es so lapidar heißt: Die streichen ihre Dividenden ein. Der Rest, der sich damit verbindet, wird ausgeblendet. Mein Bruder hat das mal in einem Interview treffend zugespitzt und gefragt: Wer würde denn mit uns tauschen wollen“?

„Der Schlüssel liegt in einer Demokratisierung der Wirtschaft“

Die Krise zeigt wie in einem Brennglas, wie sehr unser derzeitiges Wirtschaftssystem die Ungleichheit vertieft. Aufgrund fehlenden politischen Willens und einer chronischen Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte mangelt es an guten staatlichen Gesundheits-, Bildungs- und sozialen Sicherungssystemen. Kombiniert mit Arbeitslosigkeit trifft dies vor allem in Armut lebende Menschen. Dort, wo diese Systeme fehlen oder zu schwach sind, verarmen und sterben mehr Menschen als anderswo. Die Regierungen müssen jetzt handeln und extreme Ungleichheit und Armut bekämpfen. Damit die notwendigen Maßnahmen finanziert werden können, müssen Konzerne und Superreiche ihren fairen Anteil zur Bewältigung der Krise beitragen. Die Corona-Pandemie muss ein Weckruf sein, extreme Ungleichheit und Armut endlich bei der Wurzel zu packen. Dafür brauchen wir ein Wirtschaftssystem, das die Macht und den Einfluss sehr großer Konzerne reduziert, an dem Beschäftigte, Erzeuger, Verbraucher*innen und andere Akteursgruppen politisch und wirtschaftlich gleichberechtigt teilhaben und das Gewinne unter Beachtung der planetarischen Grenzen erwirtschaftet und von Anfang an gerecht verteilt. Der Schlüssel liegt in einer Demokratisierung der Wirtschaft, das heißt Entscheidungsmacht muss breit geteilt werden und darf sich nicht bei einigen wenigen konzentrieren. Wir brauchen allen in gleicher Weise zugängliche soziale Grunddienste, die nicht einer Gewinnlogik unterworfen werden. Unternehmen müssen demokratisch und gemeinwohlorientiert ausgerichtet sein, damit ihr Handeln allen dient. Und es gilt, vielfältige und durchlässige Marktstrukturen zu schaffen, so dass Macht nicht bei einzelnen Konzernen angehäuft wird. Es kann und darf nicht mehr so weitergehen, wie zuvor – weder in Deutschland oder Europa noch weltweit. Ohne demokratische Wirtschaft wird es keine gerechte und demokratische Gesellschaft geben.

Oxfam: Das Ungleichheitsvirus, 25. Januar 2021

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem isw-wirtschaftsinfo 58, Bilanz 2020