Die Forderung, auch den Rentner*innen eine Inflationsausgleichszahlung zu gewähren – entsprechend der Inflationsausgleichszahlung für Beamte und Pensionäre – wurde zuerst von der Vorsitzenden des VdK Verena Bentele erhoben. Inzwischen hat sich daraus insbesondere in Norddeutschland ein breites Bündnis aus Sozialverbänden und Gliederungen der Gewerkschaften, vor allem aus der IG Metall, gebildet. Unterschriftensammlungen erhielten bisher weit über 200.000 Zustimmungen. Das Bündnis hat Politiker*innen angeschrieben. Sie werden aufgefordert, die Forderung zu unterstützen.
Die Krokodilstränen einer Nichtbetroffenen
Die Abgeordnete der SPD für den Wahlkreis Eutin, Bettina Hagedorn, hat auf das Schreiben der Senioreninitiative zur Forderung eines Inflationsausgleichs von 3.000 Euro für Rentnerinnen und Rentner ausführlich geantwortet. Kern ihrer Stellungnahme: Die Forderung, mag sie auch noch so berechtigt sein, ist aufgrund der aktuellen Haushaltslage des Bundes absolut unerfüllbar. Sie lobt die Initiative nahezu überschwänglich: “Natürlich habe ich auch intensiv verfolgt, dass Ihre Forderung nach dem Inflationsausgleich vom Oktober 2023 inzwischen massiv von den Gewerkschaften des DGB und dem Sozialverband SoVD unterstützt und mit einer starken Petition vorangetrieben wird, und ich schätze es sehr, wie es Ihnen gelungen ist, dieses kraftvolle Bündnis zu „schmieden“ und damit die Öffentlichkeit für die Situation der Rentnerinnen und Rentner in unserem Land zu Recht zu sensibilisieren“.
Die SPD-Abgeordnete Hagedorn stellt die Forderung nicht infrage. Das wäre auch seltsam. Die Inflationsausgleichszahlungen in der Höhe von 3.000€ netto wurden ja vom Kanzler und damit von höchster Stelle den Tarifparteien empfohlen und dann als Ergebnis der Tarifabschlüsse für den Öffentlichen Dienst auf die Beamten und die Pensionäre übertragen. Das hat den Bundeshaushalt mit ca. 8 Milliarden Euro belastet. Dass dadurch der Haushalt des Bundes überstrapaziert würde, hat man nicht gehört. Aber: 21 Millionen Rentner*innen sind zu viel. Und irgendjemand muss Opfer bringen.
Frau Hagedorn weiß, dass die große Mehrheit der Rentnerinnen und Rentner sozial weit schlechter gestellt ist als die Bezieher*innen des Inflationsausgleichs von 3.000 Euro. Und sie weiß auch, dass die unteren Einkommensbezieher*innen stärker als der Durchschnitt von der Inflation betroffen sind, weil sie einen größeren Teil ihres Einkommens auf Nahrung und Energie verwenden müssen, die im Preis weit stärker gestiegen sind als der Durchschnitt der Waren. Damit liegt auch ihre Inflationsrate über dem Durchschnitt und insofern kann man behaupten, dass, verglichen mit besser Verdienenden, die Forderung nach dem Inflationsausgleich von 3000 Euro für drei Jahre nicht unbescheiden ist.
Frau Hagedorn rühmt ihre Partei, die mit Rentenanpassungen, Sonderzahlungen und Gesetzen zur Grundrente, zur verminderten Erwerbsfähigkeit und zum Wohngeld die Lage der Rentnerinnen und Rentner verbessert habe. Sie schreibt, die Standardrente habe sich im Westen von 2010 um 32 Prozent und im Osten um 47 Prozent erhöht. Mit all dem will sie tröstend darauf hinweisen, dass für die Rentner doch so viel geschehen sei, dass sie nun auf den Inflationsausgleich verzichten könnten. Naiv dabei ist jedoch, dass sie die Erhöhung der Standardrente isoliert betrachtet, obwohl gleichzeitig auch die Nominalzahlen anderer Größen wie z.B. der Löhne und Pensionen ebenfalls erhöht haben. Die Ungleichheit, die die Sonderzahlungen nur für einen Teil der Gesellschaft ausmacht, hebt sich dadurch nicht auf.
Aber auch unabhängig davon beschönigt Frau Hagedorn die Rentenzahlen. Sie nennt nur Nominalzahlen der Steigerung der Standardrenten.
Ein richtiges Bild ergibt sich aber nur, wenn man die Rente ins Verhältnis zur Preisentwicklung und zum Volkseinkommen setzt.
Wenn man die Entwicklung von 2000 bis 2022 betrachtet, hat sich in den alten Bundesländern die Standardrente nominal um 40,1Prozent erhöht.
Dem steht entgegen, dass das Preisniveau um 34,7 gestiegen ist.
Real ist die Standardrente also in 22 Jahren nur um 5,4 Prozent gestiegen.
Im gleichen Zeitraum ist aber das Volkseinkommen je Einwohner preisbereinigt um 45 Prozent gestiegen.[1]
Von einer angemessenen Beteiligung der Rentner*innen am gesellschaftlichen Gesamteinkommen kann keine Rede sein.
Deswegen die dürftige Zahl von 1007 Euro als durchschnittlicher Zahlbetrag aller Renten wegen Alters im Jahr 2022 in den alten Bundesländern (RiZr. S.191).
Im Verhältnis zum durchschnittlichen Nettolohn desselben Jahres von 2.244 Euro monatlich sind das 44,9 Prozent.
Da ca. 60 Prozent aller RentnerInnen eine Rente unterhalb der Standardrente beziehen, gehören sie zu der Bevölkerungsschicht, die Inflationsausgleichszahlungen am Nötigsten hätte.
Dass Frau Hagedorn den Betrachtungszeitraum erst ab 2010 beginnt, hat die Absicht, die Reformen der SPD/Grüne Koalition von 2004 und 2005 vergessen zu machen. Eine durchschaubare politische Trickserei.
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, sagt Artikel 3 des Grundgesetzes. Es versteht sich, warum die RentnerInnen sich ungleich behandelt fühlen. Was nützt die Gleichheit, wenn das Soziale keine Rolle spielt?
Aber die Ungleichbehandlung ist gesetzlich gewollt und juristisch abgesichert. Die Logik der Inflationsausgleichszahlung ergibt sich aus dem Beamtenrecht. Pension ist eine Gehaltsfortzahlung im Ruhestand, Rente ist eine durch eigene Beiträge finanzierte Versicherungsleistung. Die Gehaltsfortzahlung (Pension) läuft nach Tarifrecht, die Rente nach Versicherungsrecht mit staatlichen Eingriffen. Beamte sind nicht einfach abhängig Beschäftigte, sondern haben hoheitliche Aufgaben und werden dafür alimentiert. Sie müssen keine Vorsorge für das Alter treffen. Die Arbeit von Arbeitern/Angestellten und Beamten mag die Gleiche sein, aber der Status macht den Unterschied. So schafft man systematisch Ungleichheit in der Gesellschaft und sichert „Eliten“ von der Masse ab. Ärzte, Juristen, Beamte – sie alle schaffen sich ihre eigenen Systeme und sichern sich Privilegien. Dass das zutiefst anachronistisch ist, interessiert nicht. „Teile und herrsche“ – das liegt der Sache zu Grunde. Juristisch ist gegen die Beschränkung der Ausgleichszahlung also nicht anzukommen. Politisch ist die richtige Antwort: Ein Rentenversicherungssystem muss geschaffen werden, das alle Berufe einschließt.
Mit dieser Frage beschäftigt sich Frau Hagedorn nicht. Sie ist Haushaltsexpertin. Der Zustand des Haushalts allein schließt für sie die Erfüllung der Inflationsausgleichsforderung aus. 60 Milliarden für RentnerInnen sind nicht zu mobilisieren. Aber auch für eine modifizierte Gestaltung der Forderung ist Frau Hagedorn nicht zu haben. Hier geht einfach nichts.
Für Rüstung und Krieg schmeißt der Bund gegenwärtig das Geld nur so raus. Und auch in der Wirtschaftsförderung werden große Beträge mobilisiert.
Und das sagt uns: Wirtschaftskrieg, Aufrüstung und offener militärischer Krieg gehen immer auf Kosten des Sozialen. Die Erwerbstätigen in Arbeit und Ruhestand, die Erwerbslosen, Behinderten und Kranken – sie alle zahlen die Zeche für Konkurrenzvorteil und Großmachtpläne.
Weiterführende Informationen, Möglichkeit zur Unterschrift
https://weact.campact.de/petitions/3-000-euro-inflationsausgleich-auch-fur-rentner-innen-jetzt
Glossar
Nominalzahlen sind reine Nennwerte. Sie sagen nichts über die Kaufkraft des Geldes aus.
Standardrente ist die Rente einer Person die 45 Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt hat und während des Arbeitslebens den Durchschnitt der rentenversicherungspflichtigen Löhne ( = 100 %) verdient hat. Die Standardrente wird meist nominal als Bruttowert angegeben. Davon gehen die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab und dann noch Steuern. Die nominelle Brutto= Standardrente beträgt 1.692 Euro. Die Reale 1.490 Euro.
Die Durchschnittsrente liegt weit darunter, weil die Mehrheit der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten unterdurchschnittlich verdienen und auch nicht 45 Jahre lang in die Rentenversicherung einzahlen konnten.
Die Durchschnittsrente wegen Alters beträgt deswegen in Deutschland nur 1.054 Euro.
Das Preisniveau gibt an, wie sich die Preise durchschnittlich über einen längeren Zeitraum entwickelt haben. Erst wenn man von der Steigerung der Nominalzahlen die Steigerung des Preisniveaus abzieht, kann man die Entwicklung der Kaufkraft beurteilen. Von 2000 bis2022 hat sich das Preisniveau um 134,7 Prozent verändert.
Die Kaufkraft der Standardrente ist damit um 5,58 gestiegen. Die hohe Inflation der letzten Jahre hat das vollständig aufgezehrt. Die Kaufkraft der Standardrente 2024 liegt damit unter der Kaufkraft der Standardrente von 2000.
Volkseinkommen – ist die Summe aller privater Einkommen, Gehälter, Löhne, Renten und Transferzahlungen. Es wird jährlich erfasst. Es ist von 2000 bis 2022 preisbereinigt um 143,85 Prozent gestiegen. Welchen Anteil daran Löhne und Renten haben, ist nicht ausgewiesen.
[1] Alle Daten aus: Rentenversicherung in Zeitreihen 2023, S. 270 Verbrauchspreisindex; S. 283 Volkseinkommen je Einwohner S.283)