Als der Königin Marie-Antoinette am Vorabend der französischen Revolution zugetragen wurde, die Massen würden aufbegehren, da sie kein Brot mehr hätten, sagte Madame: „Sollen Sie doch Kuchen essen.“ Auf diesem Niveau bewegt sich der Ratschlag von Friedrich Merz, wenn die gesetzliche Altersversorgung zu gering ist, dann sollen die Massen eben mehr in Aktien investieren und dabei steuerlich begünstigt werden.
Die Analogie mit Marie-Antoinette hat Heribert Prantl gezogen, der Chef der Abteilung Meinung der Süddeutschen Zeitung. Sein Wirtschaftsredakteur überschrieb im Tag darauf seinen Leitartikel in der SZ: Merz hat die richtige Idee. Aktien und Immobilien würden an Wert immens gewinnen, die Vorsorge-Euros bei Lebensversicherern und Banken würden versickern. Die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen im Alter sind also im Wesentlichen ein Problem der richtigen Kapitalanlage, die soziale Ungleichheit eine Folge dummer Investitionsentscheidungen der Bürger?
Richtig ist erstens, dass die Einkommenslage der Vielen im Alter verheerend ist. Mehr als 60% aller ArbeitnehmerInnen erhalten weniger als 1000 Euro Rente. 16% aller RentnerInnen sind offiziell von Armut gefährdet, erhalten weniger als 60% des Medianeinkommens. Und richtig ist zweitens, dass die Profite der Unternehmen weit über den Zuwächsen an Löhnen und Bankzinsen liegen. 2017 sind die Netto-Profite der 30-DAX-Konzerne um 68% gestiegen, die Netto-Löhne nur um 2,4%. Warum also gehen die dummen Lohnabhängigen nicht endlich in Unternehmensanlagen?
Aus demselben Grund, warum Marie-Antoinettes Mitbürger nicht von Brot auf Kuchen umgestiegen sind: Ihnen fehlen die finanziellen Mittel. In Deutschland haben die reichsten 10% 64% des gesamten Vermögens, die reichsten 0,1% Haushalte 17,4% des Vermögens. Die ärmsten 50% besitzen 2,3 % des Vermögens. Die ungleiche Vermögensverteilung ist auch eine Folge der ungleichen Einkommensverteilung. Im jüngsten „World Inequality Report“ von 2017 wird Deutschland bescheinigt, dass die Top 10% der Einkommensbezieher ihren Anteil in der Zeit von 1961 bis 2013 von 31% auf über 40% steigern konnten, während die unteren 50% einen Rückgang von 33% auf 17% erleben mussten.
Wenn Merz also nun Steuersubventionen für Aktienerwerb zugunsten einer „ergänzenden Altersvorsorge“ vorschlägt, geht es ihm nicht um die schwierige Lebenslage von RentnerInnen und ArbeitnehmerInnen. Es geht ihm um Steuervorteile für schwerreiche Aktionäre und um einen Schritt in die Privatisierung der Rente. Nichts anderes ist von Merz zu erwarten. Er ist neben vielen Mandaten in Aufsichtsräten und seiner Tätigkeit als internationaler Unternehmens-Anwalt Aufsichtsratsvorsitzender beim Vermögensverwalter Blackrock Deutschland. Der ist nicht nur der größte Vermögensverwalter der Welt mit einem Kapital von über 6 Billionen Dollar, er hält auch über 5% der Aktien aller 30 DAX-Firmen. Das ist doch gleich am Anfang der Rückkehr in die Politik eine ordentliche Leistung für Blackrock, wenn in Zukunft die Steuern auf Aktienerwerb sinken, die Profite der Kapitalbesitzer weiter steigern. Wall Street kann mit dem neuen CDU-Vorsitzenden-Kandidaten hoch zufrieden sein.
Merzens Aktien-Rententrick lässt aus dem Sack, was mit seiner groß gehypten Rückkehr in die Politik bevorsteht. Wenn Merz CDU-Vorsitzender und dann alsbald Kanzler würde, übernimmt die Finanzindustrie komplett die Regie der Berliner Politik. In diesem Fall die Finanzindustrie unter dem direkten Kommando der Wall Street. Die frühere „Deutschland AG“ ist schon längst eine Filiale des globalen Kapitalismus. So eng unter der Befehlsgewalt der Wall Street war sie aber noch nie.
US-Außenminister Pompeo hat eben in Brüssel bekannt gegeben, wohin die Reise gehen soll. Trump arbeite an einer neuen Weltordnung. Er werde die „noblen Nationen“ zusammenbringen. China, Russland und Iran seien für Instabilität verantwortlich. Institutionen wie die EU, die UNO und der Internationale Gerichtshof sollten nur überleben, wenn sie Werte und Interessen der „freien Welt“ verträten.
Die „noblen Nationen“ – so nobel wie die Top 0,1% der deutschen Haushalte, die im Durchschnitt ein Vermögen von rund 40 Millionen Euro aufweisen. Würde man diese mit einer mickrigen Vermögensteuer von 5 % belegen, würde man 82,7 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen spülen, fast 20% mehr als alle Bundeszuschüsse für die Rentenversicherung. Weniger nobel als vielmehr das schlimme Gegenteil: sozial.
Erstveröffentlichung im Neuen Deutschland.