Das Thema unseres online-Treffens „Demokratien gegen Autokratien“ gibt die Strategie der USA wieder, die unter dieser Fanfare die Welt in zwei Blöcke aufteilen wollen, die sich antagonistisch gegenüberstehen. 

Die USA wollen den von ihnen geführten „Demokratien“-Block in diesem Jahrzehnt zum endgültigen Sieg über den von China und Russland angeführten Block der Autokratien.

Diese offizielle Strategie der USA wird im Mittelpunkt meiner Ausführungen stehen. Einen Schnitt will ich vornehmen im Mittelteil und werde mich speziell beschäftigen mit den Aussichten der BRD, wenn sie sich in dieses Konzept einfügt. Zum Schluss will ich darauf eingehen, wie es um die Chancen einer alternativen internationalen Ordnung aussieht, einer Entwicklung hin zu globalen Zuständen von Frieden und wirklicher Demokratie.

Fangen wir also an mit dem Konzept der USA. Ich mute Ihnen jetzt Auszüge aus der National Security Strategy der USA zu.
Chart 1a

Und zwar aus dem Vorwort von Präsident Joe Biden, der das Konzept schlüssig zusammenfasst. Da heißt es also:
Chart 1b, Chart 1c

Hier ist schon alles ausgedrückt, was den US-Imperialismus so gefährlich macht: 1) Wir sind die Größten. Die Welt wartet auf die harte Hand der USA. 2) Wir haben die Kraft, global alles nach unserem Willen einzurichten. Der jubelnde Schlusssatz: Nichts liegt außerhalb unserer Möglichkeiten, zeigt diese Hybris des Selbstverständnisses der „auserwählten Nation“, des Exzeptionismus. 3) Es sind gefährliche Feinde unserer „wertebasierten Ordnung“ aufgetaucht: die Autokratien. Im Text der Strategie werden China und Russland mehrfach ausdrücklich als die großen globalen Ungeheuer genannt, die zu entmachten sind, wobei der Hauptgegner die Volksrepublik China ist, die aber gegen die USA und ihre Alliierten natürlich keine Chancen hat.

Bei Fragen des Ukrainekrieges, die in den UN und ihren Organisationen beraten und beschlossen wurden, zeigte sich die von den USA ins Visier genommene Zweiteilung der Welt. Der UN-Menschenrechtsrat stimmte vor wenigen Wochen über Wirtschaftssanktionen ab.

Chart 2

Der Antrag war von der Bewegung der Blockfreien Staaten eingebracht worden, die „alarmiert (sind) über die unverhältnismäßigen und unterschiedslosen menschlichen Kosten einseitiger Sanktionen und ihre negativen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung“. Solche „Maßnahmen durch bestimmte Mächte“ werden auf das Schärfste verurteilt. 

Die USA und die EU hatten bis zu diesem Zeitpunkt über 16.000 Sanktionsmaßnahmen gegen Russland verhängt. Der Rat stimmte mit großer Mehrheit – mit 33 Ja-Stimmen, 13mal Nein und eine Enthaltung – für den Antrag. Die Länder des „Südens“ hatten alle dafür gestimmt – bei einer Enthaltung: Mexico, der direkte Anrainer an die USA; die Staaten des „Westens“, darunter Deutschland, und die Staaten aus der früheren Sowjetunion und des Warschauer Paktes – allesamt dagegen. 

Dieselbe Anordnung zeigte sich bei allen Abstimmungen in der Generalversammlung der UN. 35 bis 45 Staaten verweigerten jeweils ihre Zustimmung zu Beschlussvorlagen, die den Angriffskrieg Russlands verurteilen wollten, verweigerten sich, obwohl dieser Krieg klar gegen die Grundsätze der UN verstößt, deren Charta Angriffskriege ausdrücklich verbieten. Dazu gehören stets China, Indien, Pakistan, Vietnam. 

Bei der letzten Abstimmung am 23.2.2023 stimmten die Vertreter von 61,3 % der Weltbevölkerung dem Antrag auf Verurteilung Russlands und der Aufforderung, die Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen, nicht zu. Immer mehr Länder erfahren die „regelbasierte internationale Ordnung“ als Instrument ihrer weiteren Hinderung an schneller sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung ihrer Länder. Und sie wagen es mit der Verschiebung der internationalen Machtverhältnisse immer öfter, dieser Erfahrung öffentlich Ausdruck zu verleihen. 

Länder wie Brasilien, Indien, Pakistan, Indonesien oder Argentinien treiben weit weniger Handel mit dem Westen als mit China, Russland oder anderen Drittstaaten. Indien wird gerne als die „größte Demokratie“ Asiens beschworen – und Brasilien nach Bolsonaros Verschwinden als „größte Demokratie“ Lateinamerikas. Tatsächlich befinden sich beide Länder bei diesen Abstimmungen stets im Anti-Westen-Lager, bilden eine, wie Gabor Steingart schreibt, „im wörtlichen Sinne Dritte Welt“.

So geht denn auch die Zweiteilung der Erde weiter, wenn wir die größten Volkswirtschaften der Erde betrachten.

Chart 3

Von den 10 größten haben sich fünf enthalten oder dagegen gestimmt: nämlich China, Indien, Russland, Indonesien und Brasilien. Die fünf Ja-Stimmen kommen vom harten Kern des „Westens“: USA, Japan, Deutschland, Frankreich und England.

Dies ist eine Unterscheidung der Staaten nicht in „Demokratien“ oder „Autokratien“, sondern

Chart 4

In Arm und Reich. Wir haben hier die Rangfolge nach BIP verglichen mit der Länder-Reihenfolge BIP pro Einwohner. Die UN reihen die Türkei, ein Nato-Land, noch als Schwellenland ein. Die Türkei ist die Nr. 67 in der Rangfolge BIP/Kopf. Wir nehmen dies als Grenzwert zwischen globalem Arm und Reich. Die Länder des Westens haben die Nummern 15 (USA), 26 (Deutschland), 35 (Frankreich), 36 (England) und 46 (Japan). Alles reiche Länder. Dass die USA nur die Nr. 15 aufweisen, liegt daran, dass vor ihnen Finanzoasen wie Luxemburg, Liechtenstein oder Hongkong und Barbados rangieren.

Die armen Länder sind Indien (159), Indonesien (131), Brasilien (110), China (99) und Russland (74). Bei dem mit HDI – Human Development Index – gemessenen Entwicklungsstand, sehen wir dasselbe Bild. Hier wird zusätzlich zum BIP/Kopf der medizinische Entwicklungs- und der Bildungsstand bewertet. Hier liegen Deutschland, England, Japan, USA und Frankreich mit Listenplätzen von 9 bis 28 vorne. Die fünf Armen stehen auf den Plätzen 52 (Russland) bis 132 (Indien).

Beim Gini-Index, der die Ungleichheit der Haushaltseinkommen misst, finden wir eine interessante Besonderheit. Je höher die Zahl ist, umso weniger groß ist die Einkommensungleichheit. (Die im Chart gezeigte Angabe ist falsch – es ist eine Version noch vor der Endkorrektur des Buches). Die fortgeschrittenen Industrieländer des Westens haben allesamt eine weniger ungleiche Einkommensverteilung – Deutschland, Frankreich, Japan, England. Nur die USA fallen aus dem Rahmen. Sie sind nach Brasilien das einkommensungleichste Land unter den Großen Zehn. Sie sind ungleicher als China, dann folgen Indonesien, Russland und Indien.     

Sind die USA das weitaus ungleichste Land unter den führenden Ländern des reichen „Westens“, so ist China das ungleichste Land unter den Armen Ländern, mit der Ausnahme des negativen Spitzenreiters Brasilien. Hier sieht man, wie wichtig die Absicht des letzten Parteitages der KPCH ist, den Wohlstand im Land zu verbreitern. Die Einkommensverteilung in China, das sich „sozialistisch“ nennt, ist heute ungleicher als im kapitalistischen Indien. Die KPCH erklärt das zu Recht mit der historisch einmaligen Behinderung Chinas beim Kampf Raus aus der Armut. Ebenso Recht hat sie, wenn sie den Zustand für unerträglich hält. China wird eine Phase der verstärkten Eingriffe in die Einkommens- und Vermögensverhältnisse erleben.

Kehren wir zurück zu unserem Thema. Wir sehen, dass ein Riss durch die internationale Ordnung geht entlang der Linie Arm und Reich. Die armen Länder sind nicht zufällig arm oder weil sie faul oder unfähig sind. Sie sind arm wegen der „regelbasierten internationalen Ordnung“, die der „Westen“ als Grundprinzip weiter unerbittlich aufrechterhalten will, der sie aber nicht mehr weiter folgen wollen. 

Die Glaubwürdigkeit des Westens ist dahin. Es sind die Wortführer des „Westens“, die ohne UN-Mandat Belgrad bombardiert haben und die das UN-Mandat in Libyen zur Zerstörung des Landes missbrauchten. Die ohne UN-Mandat in Afghanistan einmarschiert sind und erst nach der Ruinierung des Landes dieses den Taliban hinterlassen haben. Die den Irakkrieg mit einer bombastischen Lüge begonnen haben und mit diesem Krieg den Islamischen Staat erst groß gemacht haben. Die Waffen an Saudi-Arabien verkaufen, die im Krieg gegen die Huthi im Jemen eingesetzt werden mit bisher mehr als 300.000 Toten.

Gegen diese reichen Länder steht eine wachsende Gruppe von Armen Ländern, deren Erfahrung mit dem eben überwundenen Kolonialismus und dem aktuellen Imperialismus sie in den Widerstand, zumindest in die Äquidistanz zu den Blöcken, die um die Pole USA und China kreisen, bringt.

Es soll uns jetzt um das Verhältnis dieser armen Welt zur Arbeiterklasse im Westen, oder sagen wir zeitgemäßer: zur Masse der Lohnabhängigen in den reichen Ländern. Dies ist das Problem der Marxisten seit Beginn des letzten Jahrhunderts.

Chart 5 

Rosa Luxemburg spricht also von den zwei Seiten der kapitalistischen Akkumulation, einmal in den Metropolen, zum anderen in der „Peripherie“, also in den früheren Kolonien, in der heutigen „Dritten Welt“. Früher waren die Methoden, in ihren Worten, „Kolonialpolitik, internationales Anleihesystem, Politik der Interessensphären, Kriege“. Das ist heute nicht viel anders. IWF und Weltbank konnten lange ein strenges globales Regime im Auftrag und unter der Aufsicht vor allem der USA exerzieren, der Dollar als Weltwährung tat sein Übriges. Wo dies nicht hinreichte, schlug der Imperialismus mit Kriegen zu. Die USA schlugen seit 1945 mit mehr als hundert kriegerischen Interventionen zu.

In Anerkennung der globalen Lage schrieb die Kommunistische (Dritte) Internationale 1921 die neue Losung auf ihre Fahnen: „Arbeiter aller Länder, unterdrückte Völker - vereinigt euch“. Nach Lenins Tod verordnete die KPdSU, dass in dem Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion die Hauptaufgabe der Bewegung zu sehen sei, wobei Stalin gleichzeitig die Bedeutung der Armen Welt hervorhob.

Chart 6

Für Stalin war sie das „Hinterland es Imperialismus“, das zu revolutionieren sei, damit die Revolution in den Hauptländern, im Westen, stattfinden könne. Auch nach der „Entstalinisierung“ blieb der Schwerpunkt der kommunistischen Bewegung auf der Entwicklung in den sozialistischen Ländern.

Chart 7

Diesen Schwerpunkt akzeptierte die in China erfolgreiche KP vom ersten Tage an nicht. Lin Piao, einer der militärischen Führer des erfolgreichen Revolutionskrieges, schrieb 1965 in „Es lebe der Sieg im Volkskrieg“, der Bibel des globalen Maoismus jener Tage:

Chart 8

Lin Piao sieht den Schwerpunkt des globalen revolutionären Ringens nun in der Dritten Welt. Ich habe damals, zurückgekehrt aus dem Chile am Vorabend der Machtübernahme durch die Unidad Popular, ein Buch geschrieben mit dem Titel „Zur Politischen Ökonomie der Armen Welt“, worin ich die Strategie der KPCH für die überlegene hielt. Damit lag ich eher im Mainstream der linken 68er. Hans Magnus Enzensberger schrieb 1967:

Chart 9

Enzensberger will den Klassenkampf verlagern. Er findet nicht mehr in den kapitalistischen Ländern statt, sondern jetzt nur noch in der internationalen Arena zwischen Nord und Süd, wobei Enzensberger das sozialistische Weltsystem nicht als „proletarische Länder“ gelten lässt und die Führungen der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegungen im Westen für völlig vom Kapitalismus korrumpiert hält.  

Wir sind jetzt im Schweinsgalopp durch die Entwicklung der marxistischen Ideologien zum globalen Klassenkampf geprescht bis kurz vor der Implosion des „realen Sozialismus“. Die veränderte die Lage nun völlig. Der Kapitalismus verkündete „das Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) und der Triumphzug des Neoliberalismus nahm noch mehr Fahrt auf. Bis ihn seine menschenverachtende, bloß profitorientierte Logik in die Bredouille brachte und ihm mit der durch China verstärkten „Dritten Welt“ ein ebenbürtiger Rivale entgegentrat. Die Antwort des Neoliberalismus darauf ist der globale Kampf „Demokratien gegen Autokratien“. Was dieser Konflikt für Deutschland bedeuten kann, will ich jetzt kurz betrachten. Es geht nämlich nicht mehr und nicht weniger als um das Ende seines Wirtschaftsmodells, des Rückgrat seines immer ungleicher verteilten „Wohlstands“. Fast die Hälfte der deutschen Wertschöpfung geht in den Export. Die Exportabhängigkeit Deutschlands – Exporte und Importe zum BIP – ist die weitausgrößte unter den großen Volkswirtschaften.

Würde Deutschland dem Kommando aus Washington folgen und auch China den Wirtschaftskrieg erklären, indem man seine Investitionen zurückzieht und seine Handelsbeziehungen einschränkt, wäre Deutschland binnen kurzem in einer tiefen Rezession. Schon im letzten Jahr ist der Wert der Industrieproduktion erstmals unter 20% der Gesamtwertschöpfung des Landes gefallen. China ist der größte Handelspartner Deutschlands, der chinesische Markt ist für große Konzerne der Exportnation Deutschland aus kapitalistischer Perspektive lebenswichtig. Und diese Perspektive gilt für die Regierungsparteien und die größte Oppositionspartei im deutschen Bundestag. 

Chart 10a 

Die großen Konzerne der Automobilindustrie, der Halbleiterproduktion, der Chemie, der Pharmaindustrie, der modernen Energietechnologie sind auf das Chinageschäft angewiesen. Da immer mehr die Devise „local to local“ durchgesetzt wird, müssen die Konzerne dort produzieren, wo sie verkaufen wollen. VW ist längst eher ein chinesischer als ein deutscher Betrieb. In China arbeiten 90.000 Beschäftigte für den Konzern aus Wolfsburg. Mehr als jedes dritte VW-Auto wird in China verkauft. Ähnlich steht es mit Daimler und VW. Der BASF-Chef sagte: Wie können wir denn eine verantwortungsvolle Unternehmenspolitik machen, wenn wir auf die Hälfte des Weltmarkts verzichten sollen. Auf der Industriemesse in Shanghai sagt der BMW-Vertreter in dieser Woche: „Das Herz von BMW schlägt in China.“

Die deutsche Politik hat auf diese vollständige Blockade durch das chinainteressierte Kapital geantwortet, es ginge nicht um Decoupling, sondern um Derisking. Man wolle sich nicht abkoppeln, man wolle nur das Risiko einer zu starken Abhängigkeit vermeiden. Das ist aber bloß verbale Kosmetik, die Auslandsinvestitionen sollen gekürzt, der Handel mit China eingedämmt werden. Die betroffenen Konzerne haben auf ihre Weise geantwortet: Mit über 11 Milliarden Euro wurde im letzten Jahr ein Rekord der deutschen Direktinvestitionen in China erzielt, die deutschen Warenexporte nach China haben erstmals die Importe von dort übertroffen. Der chinesische Markt ist wie der US-Markt für die kapitalistische Wirtschaft der BRD lebenswichtig. 

Während sich große Teile des deutschen Kapitals gegen das Kommando aus Washington stellen, verfolgt die politische Elite klar diese Vorgaben. Der Koalitionsvertrag benutzt viermal die Phrase von der „regelbasierten internationalen Ordnung“, Kanzler Scholz hat ihre Durchsetzung jüngst in einem Beitrag für „Foreign Affairs“ als „besondere deutsche Verantwortung“ bezeichnet. Womit er zeigen wollte, dass er gut mithalten kann mit Friedrich Merz, der bis zum Antritt als CDU-Chef Boss der deutschen Filiale des US-Vermögensverwalters BlackRock war. Dennoch hat der SPD-Kanzler eine große Distanz zur Grünen-Außenministerin. Allerdings war Scholz auch nie ein Young Global Leader, wie die Nachwuchstruppe des Davoser Weltwirtschaftsforums heißt. Frau Baerbock ist dort prominentes Mitglied. Es stehen heftige Positionskämpfe innerhalb des globalen Kapitalismus bevor, die derzeit noch unterdrückt werden angesichts der Konfrontation mit den autoritären Staaten. 

Kommen wir wieder zur internationalen Ebene der Konfrontation zwischen Reich und Arm.

Chart 10

Diese Tabellen zeigen uns die militärischen Stärken der beiden Parteien, die härteste Währung im internationalen Kräftevergleich. Der US-Wehretat ist 273 % größer als der Chinas, mehr als zwölfmal größer als derRusslands. In jeder konventionellen Kriegführung wären die Länder der Armen Welt hoffnungslos unterlegen. Andererseits haben die imperialistischen Kriege der USA in Vietnam wie in Afghanistan jeweils mit einem Fiasko der Invasoren geendet. Hingegen haben sie in Jugoslawien, im Irak, in Libyen und in zahlreichen anderen Fällen „gewonnen“, wenn man die imperialistische Schlächterei so nennen will. 

Die entscheidende Aussagekraft kommt der Tabelle der Welt-Atommächte zu. Hier zeigt sich, dass die wirkliche Gegenkraft gegen die Atommächte des Westens und vor allem der USA Russland ist, dass sogar über ein Mehr an einsatzbereiten Atomwaffen als die USA verfügt. Dies ist ein entscheidender Punkt, was die nukleare Abschreckung und damit auch die atomare Erpressung angeht. Er zeigt auch die große Bedeutung, die Russland auf absehbare Zeit im Lager der Armen Welt und in der strategischen Partnerschaft mit China zukommt.       

Über die weitere Kräfteverteilung in der internationalen Ordnung wird der Ausgang des Ukrainekriegs eine sehr große Rolle spielen. Der Krieg hat seinen Charakter mehrfach gewechselt. Zu Beginn handelte es sich um einen Konflikt zwischen ethnischen Gruppen, die ukrainische Mehrheit gegen die russischstämmige Minderheit, die aber auf der Krim und in den Ostprovinzen nach der Volkszählung 2001 die zum Teil große Mehrheit stellte. Dieser Konflikt ging mit dem Angriff Russlands über in einen Krieg zwischen den beiden Staaten. Der entwickelte sich schnell zu einer globalen Auseinandersetzung. Für die USA wie die EU und vor allem Deutschland geht es um das letzte aller Dinge, nämlich um „unsere wertebasierte Ordnung“. Russland müsse „ruiniert“ werden, sagte die grüne deutsche Außenministerin bei mehreren Gelegenheiten.

Ich habe hier einmal in zwei Szenarien notiert, was die Folgen von Sieg oder Niederlage für die beiden Seiten der Kriegsparteien sein würden.

Chart 11

Chart 12

Wir haben das jetzt etwas ausführlicher vorgeführt, um klarzumachen, dass es nicht dazu kommen wird. Keine Seite kann eine eindeutige Niederlage hinnehmen. Die Taktik der USA und damit der Nato besteht ohnehin darin, den Abnützungskrieg so lange und so gründlich zu führen, bis Russlands Kraft empfindlich geschwächt ist und ein Regimewechsel näher rückt. Bis dahin sollen „unsere Werte“ bis zum letzten Ukrainer verteidigt werden. China hat einerseits seine „strategische Partnerschaft“ mit Russland bekräftigt, kann eine Niederlage Russlands nicht zulassen, drängt andererseits auf eine möglichst schnelle Beendigung des ebenso inhumanen wie kostspieligen Krieges. Es wird auf eine Lösung hinauslaufen, mit der beide Seiten ihr Gewicht wahren können. Für die russische Seite wäre dies die Sicherung eines prorussischen Korridors von Russland bis zur weiter prorussischen Krim, dem Schwarzmeerhafen der russischen Flotte und der Zugang zum Mittelmeer, wobei von der OSZE überwachte Abstimmungen in den Regionen in absehbarer Zeit über ihren Status entscheiden würden. Für die Ukraine wäre dies ihre Zugehörigkeit zur EU und zur Nato. Um zu diesem oder einem ähnlichen Resultat zu gelangen, wird es noch eine Weile dauern. Für die Friedensbewegung muss es darum gehen, das Blutvergießen möglichst schnell zu beenden.

Wie wird es weitergehen in dieser Phase der Zuspitzung der internationalen Widersprüche, konkret des Konflikts zweier Blöcke, die beide über genügend Atomwaffen verfügen, um das menschliche Leben auf der Erde zu beenden. Bundeswehrgenerale wie Vad oder Kujat geben nach ihrer Pensionierung zu Protokoll, dass Atomwaffenmächte nicht in die Niederlage gezwungen werden können, ohne zuvor ihr nukleares Potential einzusetzen. Ich will die Perspektive der „International Manifesto Group“ vorstellen, einer größeren internationalen Gruppe von Wissenschaftlern und Publizisten vor allem aus den USA und Kanada. Dazu gehören u.a. Radikha Desai, Alan Freeman, Keith Bennett und Carlos Martinez.

Chart 13a

Chart 13 b

Man kann diese Perspektiven so zusammenfassen und bewerten:

1)      Fortschritte zum Sozialismus verlangen internationalen und nationalen Klassenkampf. Ist aber wirklich der „Fortschritt zum Sozialismus“ jetzt angesagt? Geht es nicht vielmehr um die Verhinderung des Atomweltkriegs und um die Lösung der Menschheitsprobleme Frieden, Umwelt, Gesundung der Natur einschließlich des Menschen und Gleichberechtigung aller Völker und Nationen? Müssen diese Probleme nicht bewältigt werden, bevor der Sozialismus weltweit erreicht ist? Und wie soll die Koordination der nationalen Klassenkämpfe mit dem internationalen aussehen? Derzeit ist davon wenig bis nichts zu sehen.

2)      In der Tat werden die größer werdenden Mängel des Systems, die wachsende soziale Ungleichheit, wieder steigende Massenarbeitslosigkeit Armut, die um sich greifende Perspektivlosigkeit dieses System durcheinanderwirbeln, auch wenn keine starke Linke vorhanden ist. Doch wohin wird sich die Entwicklung dann wenden? Werden nicht die rechtsextremen Strömungen noch stärker, wenn die Linke nicht ihre Alternative überzeugend an die Menschen herantragen kann? Ist nicht die Stärkung der Linken eine wesentliche Voraussetzung für eine demokratische, solidarische Lösung der Krisen?

3)      Dass die Arme Welt sich rund um China zur entscheidenden Kraft gegen den globalen Kapitalismus entwickeln kann, ist eine wichtige Erkenntnis. Doch verlangt nicht die Einsicht, dass eine Atommacht, die vor der Niederlage steht, in der Versuchung ist, ihre Atomwaffen auch einzusetzen – verlangt diese Einsicht nicht, dass auch die Veränderung der Machtverhältnisse in den kapitalistischen Zentren eine entscheidende Voraussetzung für eine internationale „Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit“ ist?   

Aus diesen Fragen ergeben sich Konsequenzen für die Arbeit der Linken in unserem Land. 

1)      Dieses System stolpert von Krise zu Krise. Diese Krisen werden politische Folgen haben. Aber derzeit werden die Krisen im Westen eher zu rechtsextremen Zuwächsen führen. Die Stärkung der Linken ist die zentrale Aufgabe der Marxisten.

2)      In der jetzigen Lage werden politische Antworten auf Menschheitsfragen gefordert. Im Vordergrund steht daher die Arbeit an einem milieuübergreifenden Bündnis buchstäblich zum Überleben und zur Gesundung der Menschheit. Dies ist der wesentliche Schritt in Richtung Sozialismus. 

3)      Die Linke darf sich nicht beruhigen bei dem Gedanken, die Arme Welt, die Allianz rund um China wird´s schon richten. Weder ist die „Dritte Welt“ das Hinterland des Westens, noch ist der Westen in der Rangfolge der Revolutionen das Hinterland der „jungen Nationen“. Die Arme Welt muss ihre Transformation in die technologische Moderne schaffen, sie muss mit dem Schwerpunkt China ihre Position behaupten und ausbauen. Die Linke in den kapitalistischen Metropolen muss die Machtverhältnisse so weit umbauen, dass die weitere neoliberale Perversion des Kapitalismus und seine kriegerische Aggressivität aufgehalten werden. Die beiden Aufgaben in der Armen und in der Reichen Welt stehen nebeneinander.

Quellen:
Präsentationscharts Demokratien%20gegen%20Autokratien.pdf

Dieser Beitrag ist auch in Videoform verfügbar: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/video-radio/5087-demokratien-und-autokratien-video

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