Die nachhaltige Bewirtschaftung der städtischen Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. 

„Der ungleiche Zugang zu sauberem Wasser in Städten rund um den Globus kann zu einem großen Teil auf den ´nicht nachhaltigen Verbrauch´ von Bewohnern mit hohem Einkommen zurückgeführt werden“  lautet das Ergebnis einer von Nature Sustainability veröffentlichten Forschungs-Studie.[1]
Nature Sustainability ist eine monatlich erscheinende Online-Zeitschrift, die Forschungsergebnisse zum Thema Nachhaltigkeit aus den Natur- und Sozialwissenschaften sowie aus den Bereichen Technik und Politik veröffentlicht.  

Allein in den ersten beiden Jahrzehnten des einundzwanzigsten Jahrhunderts waren weltweit mehr als 80 große Ballungsgebiete von extremer Trockenheit und Wasserknappheit betroffen.[2] 

Es ist zu erwarten, dass städtische Wasserkrisen immer häufiger auftreten und über eine Milliarde Stadtbewohner in naher Zukunft von Wasserknappheit betroffen sein werden.[3] 
Sowohl in der nördlichen als auch in der südlichen Hemisphäre sind die Ballungsräume von extremen Dürren und einem nicht nachhaltigen Wasserverbrauch betroffen.[4]

Ausgehend von einem gesellschaftskritischen Standpunkt interpretieren die fünf ForscherInnen urbane Wasserkrisen als Folge asymmetrischer Machtverhältnisse. Ihre Forschungsergebnisse  belegen und bestätigen eine nicht originär neue Erkenntnis, dass die wachsende Kluft zwischen Wasserangebot und -nachfrage sowie die sich ergebende Wasserknappheit und ein eingeschränkter Zugang zu Wasser auf die vorherrschenden Machtverhältnissen einer Stadt zurückzuführen sind.[5] 

Ein speziell für die Untersuchung entwickeltes "systemdynamisches Simulationsmodell" sowie die beispielhaft ausgewählte Großstadtstruktur von Kapstadt dienten der Forschungsgruppe dazu, die Annahme von ungleichen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Wasser in einer Stadt als urbane Wasserkrisen auf der Basis von verfügbaren Daten modellhaft zu simulieren, abzubilden und zu verallgemeinern.

Das Modell verlagert den Schwerpunkt von den Durchschnittswerten des städtischen Wasserverbrauchs weg, indem der häusliche Wasserverbrauch der verschiedenen sozialen Gruppen der Stadt als objektive Daten einbezogen werden.  Somit ermöglicht der gewählte Forschungsansatz Aussagen zu wirtschaftlichen Ungleichheiten, die städtische Wasserkrisen beeinflussen. Das Modell simuliert den ungleichen Wasserverbrauch der verschiedenen sozialen Gruppen Kapstadts vor, während und nach dem Auftreten der Dürre und untersucht und bewertet so die Auswirkungen, die der Verbrauch der Eliten auf die Nachhaltigkeit des städtischen Wassersystems hat.

Das Beispiel Kapstadt:  Wasserzugang und -verbrauch in ungleichen städtischen Räumen 

Die Wahl für das zu untersuchende Stadtgebiet fiel auf das Stadtgebiet von Kapstadt. Dafür sprachen im Wesentlichen zwei Gründen: 

  • Die Stadt ist gekennzeichnet durch starke sozioökonomische Ungleichheiten und einen stark segregierten städtischen Raum;
  • Kapstadt erlebte zwischen 2015 und 2017 eine schwere Dürre, die sich zu einer noch nie dagewesenen Wasserkrise entwickelte. die allgemein als Day Zero bekannt ist. 

Die soziale Macht der in Gruppen eingeteilten städtischen Haushalte wird durch verschiedene Parameter und Koeffizienten ausgedrückt, die den Wasserzugang und die Verbrauchsmuster der sozialen Gruppe in der Stadt differenzieren. 
Für die Fallstudie Kapstadt ergeben sich in Anwendung des systemdynamischen Modells unterschiedliche Verbrauchsmuster in einem ungleichen städtischen Raum. Das sehr ungleiche Stadtgebiet von Kapstadt dient als Beispiel dafür, wie eine nicht nachhaltige Wassernutzung durch die Elite urbane Wasserkrisen mindestens ebenso stark verschärfen kann wie der Klimawandel oder das Bevölkerungswachstum. 

Tab. 1:  Soziale Gruppen der Stadtbevölkerung Kapstadt

Quelle: https://www.nature.com/articles/s41893-023-01100-0

Die sozialen Gruppen „Elite“ und  „ oberes mittleres Einkommen werden in der Studie zu "privilegierten Gruppen" zusammengefasst. Diese Gruppen leben in der Regel in geräumigen Häusern mit Gärten und Swimmingpools und verbrauchen einen nicht nachhaltigen Wasserverbrauch, während im Gegensatz dazu die informellen Bewohner keine Grundwasserversorgung inkl. Toiletten mit Wasserspülung in ihren Häusern haben [6].

Globale Wasserkrisen

Der folgenden Grafik sind die Orte einiger der schlimmsten städtischen Wasserkrisen der letzten zwei Jahrzehnte zu entnehmen.


 
Quelle: https://www.nature.com/articles/s41893-023-01100-0


In den vergangenen zwei Jahrzehnten hatten mehr als 80 Großstädte in der ganzen Welt mit schwerem Wassermangel zu kämpfen, der auf Dürreperioden und nicht nachhaltige Wassernutzung zurückzuführen ist. Die Prognosen für die Zukunft sind sogar noch alarmierender: Es wird erwartet, dass die Wasserkrisen in den Städten eskalieren und diejenigen am stärksten treffen werden, die sozial, wirtschaftlich und politisch benachteiligt sind.  Soziale Ungleichheiten zwischen verschiedenen Gruppen oder Individuen spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Manifestation solcher Krisen.  Insbesondere können städtische Eliten aufgrund starker sozioökonomischer Ungleichheiten einen übermäßigen Wasserkonsum betreiben, während sie weniger privilegierte Bevölkerungsgruppen vom grundlegenden Zugang ausschließen. Angesichts der schwankenden Versorgungslage wird es immer schwieriger, den wachsenden städtischen Wasserbedarf zu decken und ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen der Stadt, ihrem ländlichen Umland und den Anforderungen der Umwelt zu finden.[7]

Wissenschaftliche Studien erklären die steigende Wassernachfrage in der Regel als Folge der Ausdehnung verstädterter Gebiete und des Bevölkerungswachstums[8]. 
Der Klimawandel wird in den meisten Fällen als die Kraft angesehen, die die Verfügbarkeit von Süßwasserressourcen gefährdet, da er die räumlich-zeitlichen Merkmale von Temperatur und Niederschlag verändert.
Diese Analysen lassen nach Auffassung der AutorInnen der Studie jedoch außer Acht, wie soziale Macht und Heterogenität in der Gesellschaft sowohl die Art und Weise beeinflussen, wie sich urbane Wasserkrisen entwickeln, als auch wer ihnen ausgesetzt ist. Das Problem mit entpolitisierten Analysen  ist ihrer Ansicht nach, dass sie oft zu technokratischen Lösungen führen, die wahrscheinlich dieselbe Logik fortschreiben und wiederum die ungleichen und nicht nachhaltigen Wassermuster reproduzieren, die überhaupt erst zur Wasserkrise beigetragen haben. [9]

Übermäßiger Wasserverbrauch privilegierter sozialer Gruppen

Die 5 ForscherInnen ermitteln mit ihrem Ansatz von klassenbasierten Wasserverbrauchsmuster für Kapstadt, dass der häusliche Wasserverbrauch in ungleichen städtischen Gebieten wie Kapstadt vor allem durch den übermäßigen Verbrauch privilegierter sozialer Gruppen entsteht. Die Haushalte der Elite und der oberen Mittelschicht verbrauchen im Durchschnitt 2.161 Liter bzw. 988 Liter pro Tag. Obwohl sie nur 13,7 % der Gesamtbevölkerung Kapstadts ausmachen, verbrauchen diese „privilegierten Gruppen“ zusammen mehr als die Hälfte (51,4 %) der Wasserressourcen der Stadt. Den größten Teil des verbrauchten Wassers verwenden die "privilegierten Gruppen" für nicht-grundlegende Wasserbedürfnisse, etwa für die Bewässerung von Hausgärten, Swimmingpools und zusätzlichen Wasserarmaturen im Innen- und Außenbereich. [10].
Zudem haben diese "privilegierte Gruppen" neben dem Zugang zur öffentlichen Wasserversorgung Zugang zu privaten Wasserquellen.

Im Gegensatz dazu stellen Haushalte mit niedrigem Einkommen und informelle Haushalte 61,5 % der Gesamtbevölkerung der Stadt. Dieser große Teil der Stadtbevölkerung, verbraucht zusammen aber nur 27,3 % des Wassers. Haushalte dieser sozialen Gruppen (unteres mittleres Einkommen, unteres Einkommen und informelle Bewohner) verbrauchen im Durchschnitt 178 bzw. 41 Liter pro Tag. Das von diesen sozialen Gruppen verbrauchte Wasser wird überwiegend zur Befriedigung grundlegender Wasserbedürfnisse wie Trinkwasser, Hygienemaßnahmen und Lebensunterhalt verwendet.

"Der privilegierte Wasserverbrauch ist insbesondere deshalb nicht nachhaltig, weil er kurzfristig das für die gesamte Stadtbevölkerung verfügbare Wasser in unverhältnismäßigem Maße verbraucht. Langfristig stellt der privilegierte Verbrauch eine Umweltbedrohung für den Zustand der lokalen Oberflächen- und Grundwasserquellen dar".[11]

Das Gesamteinkommensniveau, die Art und Größe des Hauses und die Ausstattung sind der Schlüssel zur Erklärung des relativ höheren Wasserverbrauchs der Elite und der oberen Mittelschicht. Die sich aus dieser Simulation ergebenden krassen Unterschiede in den Wasserverbrauchsmustern werden weitgehend durch die Literatur aus Kapstadt und anderen Städten bestätigt, aus der hervorgeht, dass das Einkommen ein wichtiger Faktor ist, der den Wasserverbrauch im Haushalt beeinflusst. [12] 

Kapstadts äußerst ungleiche Wassernutzungsmuster sind den Wissenschaftlern zufolge in den kapitalistischen sozialen Beziehungen "verwurzelt". Die gegebene  politisch-ökonomische Stadtstruktur  kommt zwar einer privilegierten Minderheit zugute, ist aber nach den Forschungsergebnissen nicht nachhaltig:  Die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen ist für die weniger privilegierte Bevölkerung einschränkt. Außerdem verursachen die sozial sehr ungleichen Verbrauchsmuster verschiedene Formen der Umweltzerstörung.

Die Forschungsgruppe betont, dass die städtische Form und die Merkmale von Kapstadt nicht nur für diese Stadt gelten, sondern für viele Metropolen auf der ganzen Welt. Daher sei  das Modell flexibel und ließe sich auch einsetzen,  um die städtische Wasserdynamik in anderen Städten zu analysieren, die durch sozioökonomische Ungleichheiten, ungleiche Muster des Wasserverbrauchs und unterschiedlichen Zugang zu privaten Wasserquellen und öffentlicher Wasserversorgung gekennzeichnet sind. Außerdem, so fügen sie hinzu, "….eröffnet dieses Modell Möglichkeiten für gerechtere und nachhaltigere Ansätze zur Verwaltung und Verteilung von Wasser in Städten".

Dürreperioden und die Privilegien bei der Wasserversorgung

Das Forschungsmodell simuliert, wie eine Stadt Dürreperioden in der Vergangenheit und daraus resultierende Wasserkrisen ungleich erlebt. Konkret reproduziert das Modell die Reaktionen der verschiedenen sozialen Gruppen auf die verschiedenen Dürren, die zwischen 2008 und 2019 sind im Großraum Kapstadt aufgetreten sind.  Neben der Dürre von 2011 war das wichtigste Ereignis zwischen 2015 und 2017, das zu einer der extremsten städtischen Wasserkrisen führte, die jemals aufgezeichnet wurden. 
Gegen Ende dieser meteorologischen Dürre hatten die Dämme des Kapstädter Wasserversorgungssystems den alarmierenden Stand von 12,3 % des nutzbaren Wassers erreicht.
Als Reaktion darauf verhängte die Stadtverwaltung strenge Wasserbeschränkungen und andere Maßnahmen, um den "Day Zero", den Tag, an dem in der gesamten Stadt kein Wasser mehr vorhanden gewesen wäre, zu verhindern. Die Beschränkungen waren u.a. Wasserrationierungen, erhöhte Wassertarife, Bußgelder für übermäßigen Verbrauch oder unerlaubte Wassernutzung, der Entzug der kostenlosen Wasserzuteilung für Haushalte, die als nicht bedürftig eingestuft wurden. 

Der ansteigende Blocktarif für den Wasserverbrauch zielte darauf ab, die Gebühren für Großverbraucher schrittweise zu erhöhen und die Kleinverbraucher durch Quersubventionen zu entlasten, was nur teilweise erfolgreich war, um den Bedürfnissen der ärmsten Bevölkerung gerecht zu werden. Sehr oft leben diese Bewohner in überfüllten Wohnungen, in denen sich mehr als acht Personen einen Wasserhahn teilen, und müssen schließlich unerschwingliche Wasserrechnungen und Bußgelder bezahlen. Tatsächlich konnten sich einkommensschwache Nutzer den neuen Tarif nicht leisten.

Mit dem Simulationsmodell gelingt es der Forschungsgruppe, die erfolgten  Wasserbeschränkungen abzubilden und die Trends des Wasserverbrauchs zu ermitteln.. Daraus ergibt sich, dass, dass einkommensschwache Bewohner deutlich stärker von den von der Stadt durchgesetzten Maßnahmen zur Nachfragesteuerung betroffen sind als wohlhabendere Einwohner, die sich Gebührenerhöhungen leisten und alternative Wasserquellen erschließen können.

"Während des gesamten Dürrezeitraums von Januar 2015 bis Juli 2017 musste die einkommensschwächere Gruppe ihren ohnehin begrenzten täglichen Verbrauch von [197 Liter pro Haushalt und Tag auf 101 Liter pro Haushalt und Tag] reduzieren, was einer Verringerung von 51 % entspricht", heißt es in der Studie. Umgekehrt zeigen die Verbrauchstrends der Elite und der oberen mittleren Einkommensgruppen, dass diese Haushalte auch während dürrebedingter Einschränkungen über ausreichend Wasser für ihre Grundbedürfnisse verfügen Letztlich seien einkommensschwache Bewohner wesentlich anfälliger für die von der Stadt durchgesetzten Maßnahmen zur Nachfragesteuerung als wohlhabendere Einwohner, die sich Tariferhöhungen leisten und alternative Wasserquellen erschließen können.

Fazit

Das sehr ungleiche Stadtgebiet von Kapstadt dient als Beispiel dafür, wie eine nicht nachhaltige Wassernutzung durch die Elite urbane Wasserkrisen ebenso stark verschärfen kann wie der Klimawandel[13] oder das Bevölkerungswachstum. Soziale Ungleichheiten zwischen verschiedenen Gruppen oder Individuen spielen sind ausschlaggebend bei der Entstehung  von Wasserkrisen. Die städtischen Eliten können aufgrund starker sozioökonomischer Ungleichheiten einen zu hohen Wasserverbrauch haben, was gleichzeitig ein Ausschließen weniger privilegierte Bevölkerungsgruppen vom grundlegenden Zugang zu Wasser zur Folge haben kann. Die ermittelten Verbrauchsmuster von Wasser werden durch bestimmte politisch-ökonomische Systeme hervorgerufen, die auf Kapitalakkumulation und ständiges Wachstum zum ausschließlichen Nutzen einer privilegierten Minderheit ausgerichtet sind.
Die einzige Möglichkeit, die verfügbaren Wasserressourcen zu erhalten, besteht  nach Auffassung der AutorInnen darin,  die privilegierten Lebensstile zu ändern, die Wassernutzung für Annehmlichkeiten einzuschränken und Einkommen und Wasserressourcen gerechter zu verteilen.

 
[1] https://www.nature.com/articles/s41893-023-01100-0

[2] Zhang, X. et al. Urban drought challenge to 2030 sustainable development goals. Sci. Total Environ. 2019.

[3] Flörke, M., Schneider, C. & McDonald, R. I. Water competition between cities and agriculture driven by climate change and urban growth. Nat. Sustain 1, 2018; Greve, P. et al. Global assessment of water challenges under uncertainty in water scarcity projections. Nat. Sustain. 1, 2018.

[4] UN Water United Nations World Water Development Report 2020: Water and Climate Change (UNESCO, 2020); https://unhabitat.org/world-water-development-report-2020-water-and-climate-change

[5] Swyngedouw, E. The political economy and political ecology of the hydro‐social cycle. J. Contemp. Water Res. Educ.2009.

[6] Savelli, E., Rusca, M., Cloke, H. & di Baldassarre, G. Don’t blame the rain: social power and the 2015–2017 drought in Cape Town. J. Hydrol. (Amst.), 2021.

[7] Flörke, M., Schneider, C. & McDonald, R. I. Water competition between cities and agriculture driven by climate change and urban growth. Nat. Sustain 1, 2018; di Baldassarre, G. et al. Water shortages worsened by reservoir effects. Nat. Sustain. 1, 2018

[8] Flörke, M., Schneider, ebd.

[9] Savelli, E., Rusca, M., Cloke, H. & di Baldassarre, G. Drought and society: scientific progress, blind spots, and future prospects. Wiley Interdiscip. Rev. Clim. Change, 2022.

[10] Savelli, E., Rusca, M., Cloke, H. & di Baldassarre, G. Don’t blame the rain: social power and the 2015–2017 drought in Cape Town. J. Hydrol.2021; Enqvist, J. et al. Informality and water justice: community perspectives on water issues in  Cape Town’s low-income neighbourhoods. Int. J. Water Resour. Dev.;

[11] https://www.nature.com/articles/s41893-023-01100-0#ref-CR2

[12] Ebd.

[13] isw-report 129: 30 Jahre in Etappen in die Klimakatastrophe;
Franz Garnreiter: Unaufhaltsame Klimazerstörung und Emissionsexzesse der Reichen