Die Befehlsausgabe erfolgte beim Tag der deutschen Industrie“ im vergangenen September. BDI-Präsident Dieter Kempf forderte Steuererleichterungen für Unternehmen, denn Deutschland entwickle sich „vom Hoch- zum Höchststeuerland.“ Während andere Länder die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessern, schaue die Bundesregierung tatenlos zu. „Das grenze fast schon an unterlassene Hilfeleistung“ (zit. nach jW, 26.9.18). Die auf dem Industriellentag anwesende Bundeskanzlerin Merkel signalisierte: ‘Wir haben verstanden.’ Man könne sich natürlich „nicht einfach von der Welt abkoppeln“, deshalb müsse man eine Absenkung der Unternehmenssteuern prüfen.
Das war zu erwarten, nachdem Präsident Trump Ende 2017 die US-Gewinnsteuern um zwölf Prozentpunkte abgesenkt hatte und damit eine „Neue Runde im globalen Steuerdumping“ einläutete. McDermott, Chef des deutschen Softwareherstellers SAP dankte dem US-Präsidenten auf dem Weltwirtschaftsforum 2018 in Davos für dessen Steuerreform, für „das Momentum, das Sie in die Weltwirtschaft gebracht haben“; also den „Impuls“ oder „Schwung“ zu einem neuen „race to the bottom“, einen Wettlauf im internationalen Steuerdumping.
Neue Steuergeschenke für Unternehmen und Reiche
Nach dem BDI-Tag setzte ein wahres politisches Trommelfeuer von Unternehmerverbänden, CDU/CSU, FDP, neoliberalen Wirtschaftsjournalisten…, zur Begründung von Unternehmens-Steuersenkungen ein. „Existenzgefährdung der Unternehmen“ (Kempf), „dringender Handlungsbedarf“ (DIHK-Präsident), „Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit“ (Wirtschaftsminister Altmaier), „Entlastungsbedarf für die Wirtschaft“ (Kramp-Karrenbauer), usw., usf. Man konnte meinen, die deutsche Wirtschaft stehe kurz vor dem Kollaps. Und das in einer Zeit, wo die Wirtschaft die höchsten Export- und Kapitalbilanzüberschüsse einfährt, die höchsten Gewinne erzielt und Rekord-Dividenden ausschüttet. Keine Spur von mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland konkurriert andere Ökonomien nieder, insbesondere die von kleinen EU-Ländern.
„Die Masse füllt die Kasse“
Die Goldesel des Fiskus bleiben die Lohnsteuerzahler und Verbraucher. Die Lohnsteuer erbrachte, zusammen mit dem Soli im Jahr 2018 28% (219,2 Mrd. Euro) des Gesamtsteueraufkommens. Die Mehrwertsteuer samt anderen Verbrauchssteuern (Tabak-, Energie-, Strom- und Branntweinsteuer) erbrachten 38,5% (299 Mrd. Euro), zusammen also zwei Drittel des Steueraufkommens.
Die Körperschaftsteuer (Gewinnsteuer, der Aktiengesellschaften und GmbH) erbrachte – ebenfalls mit Soli – magere 4,5% (35,1 Mrd. Euro) der gesamten Steuern. Die Grundsteuer, als letzte verbliebene Vermögensteuer, steuerte gerade mal 3,7 Mrd. Euro (1,8%) bei.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Annegret Kramp-Karrenbauer wollen jetzt Spitzenverdienern und Konzernen weitere zig-Milliarden Euro schenken; den „Leistungsträgern“, wie sie formulieren und damit indirekt unterstellen, dass der Rest der Bevölkerung nichts leistet. Ein Entlastungspaket von 20 Milliarden Euro pro Jahr wollen sie für Unternehmer und Konzerne schnüren. Einmal durch völlige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, was Spitzenverdiener, Gesellschafter, Unternehmer und Konzerne um ca. zehn Milliarden Euro entlasten würde. Im Koalitionsvertrag ist eine Streichung nur für 90 Prozent der unteren Verdienstgruppen vorgesehen.
Weiter soll nach den Plänen der CDU die Steuerbelastung der Unternehmen von „derzeit über 30 Prozent“ (HB, 31.1.19) auf „maximal 25 Prozent“ gesenkt und auf diesem Niveau gedeckelt werden, wie es im Papier der CDU/CSU-Fraktion „Modernisierung des Unternehmenssteuerrechts in Deutschland“ heißt.
Hinzukommen sollen „bessere Abschreibungsbedingungen“ (Unions-Papier) und die im Koalitionsvertrag angekündigte großzügig ausgestaltete steuerliche Forschungsförderung. Anzumerken ist, dass die tatsächliche Steuerbelastung für Unternehmen in Deutschland nicht 31,0% beträgt (= tariflicher Steuersatz), sondern real lediglich 28,2% – gerade mal zwei Prozentpunkte über der US-amerikanischen.
Die Realität der Niedrigbesteuerung ist, zumindest bei multinationalen Konzernen, noch viel krasser. Nach einer Studie, die die Grünen im Europa-Parlament in Auftrag gegeben haben (Effektive Tax Rates of Multinational Enterprises in the EU“) – zahlen multinationale Konzerne weit geringere Steuern, als nach den gesetzlichen Erfordernissen und Steuersätzen. Der gesetzliche Steuersatz beträgt in der EU durchschnittlich 23 Prozent, doch die Firmen zahlen im Schnitt nur 15 Prozent. „In Deutschland zahlen multinationale Unternehmen im Durchschnitt etwa 20 Prozent Unternehmenssteuern“, heißt es in der Studie, „der gesetzliche Steuersatz liegt bei etwa 30 Prozent.“ Und: „Je größer das Unternehmen desto geringer der effektive Steuersatz.“ Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion kommentiert: „Es ist nicht mehr hinnehmbar, dass die größten grenzüberschreitend tätigen Unternehmen am stärksten vom Steuerdumping profitieren. … Steuerschlupflöcher kosten die EU jedes Jahr Milliarden.“ Das absolute Steuerparadies in der EU ist Luxemburg: Im Großherzogtum liegt der gesetzliche Steuersatz für Unternehmen bei 29 Prozent. Tatsächlich aber zahlen die Firmen nur zwei Prozent. Das lockt viele Unternehmen an.
Pfarrerin Silke Niemeyer nahm in der evangelischen Morgenandacht im Deutschlandfunk (25.1.19) die Studie zum Anlass, um die rhetorische Frage zu stellen: „Ist es Recht, dass man Steuern zahlt oder nicht?“ und antwortete: „Ja klar ist das recht! Und es ist unrechtes Recht, wenn Staaten sich zu Komplizen der Unternehmen machen, um sie möglichst zu vermeiden.“ Und sie stellte fest: „Und bei Unternehmen gibt’s die Einstellung, dass Steuern vor allem unlautere Wettbewerbs- und Renditehemmnisse sind, die man vernünftigerweise mit Chuzpe umgeht.“
Steuerhinterziehung kostet die EU-Staaten 825 Milliarden Euro pro Jahr
Wie hoch das Ausmaß der Steuerhinterziehung in Europa ist, zeigt eine Studie der University of London, die von der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im EU-Parlament in Auftrag gegeben und ebenfalls Ende Januar 2019 veröffentlicht wurde (spiegel-online, 25.1.19) – es ist EU-Wahlkampf! Danach entgehen konservativen Schätzungen zufolge den EU-Staaten jedes Jahr 825 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung. Die Steuerhinterziehung sei zwar gegenüber 2009 um 12 bis 16 Prozent niedriger – damals ging man von einer Billion aus – erklärte der britische Steuerprofessor Richard Murphy, der die damalige und jetzige Untersuchung durchgeführt hat. Der Schaden ist aber immer noch immens: er entspricht ungefähr dem Fünffachen des EU-Haushalts oder 1.650 Euro pro EU-Bürger. Hinzu komme noch die legale Steuervermeidung durch internationale Konzerne, die nach Murphy bei 50 bis 190 Milliarden Euro pro Jahr liege.
Die aggressivste Steuerhinterziehung wird in Italien praktiziert. Hier klafft eine Steuerlücke von 190 Milliarden. Auf Platz zwei steht Deutschland: Hier gehen dem Fiskus jährlich 125 Milliarden durch Steuerhinterziehung durch die Lappen. Notwendig wäre als erstes mehr Transparenz über die Steuerpraktiken multinationaler Unternehmen, um die Steuehinterziehungg wirkungsvoll zu bekämpfen. Aber bereits dabei hapert es beim Rat der EU-Finanzminister. Finanzminister Olaf Scholz lehnt eine Berichterstattungspflicht ab, bei der multinationale Konzerne angeben müssten, in welchem Land sie welchen Umsatz und Gewinn gemacht haben und wieviel Steuern sie jeweils gezahlt haben.
Ein „Arbeitspapier“ der Ökonomen Thomas R.Torslov und Ludvig S.Wier von der Copenhagener Business School und dem dänischen Finanzministerium, sowie Gabriel Zucman von der Universität Berkley, Kalifornien, bestätigt die vorgenannten Studien. Die Autoren kommen in ihrem Working Paper “The Missing Profits of Nations” vom Juni 2018 zu dem Ergebnis, dass multinationale Unternehmen rund 40 Prozent ihrer Gewinne künstlich in Steueroasen verlagern. So habe Apple nach eigenen Angaben 2016 19 Milliarden Gewinn auf der kleinen Karibikinsel Bermuda gemacht, wo das Unternehmen fast kein physisches Kapital und fast keine Beschäftigten hat. Aber der Steuersatz liegt bei null Prozent (vgl. HB, 9.7.18).
Zucman und seine Koautoren schätzen im Hinblick auf die EU, dass deren Mitgliedsstaaten etwa ein Fünftel ihrer Körperschaftssteuereinnahmen verlieren, weil Gewinne in Steueroasen verlagert werden. Dabei bezeichnen die Autoren ihre Schätzungen der Gewinnverlagerungen als sehr „konservativ“.
Cum-Ex, Cum-Cum, Cum-Fake – Cum-Gaunerei
Cum-Geschäfte (von cum-dividend (Papiere) mit Divende) funktionieren nur, weil Institutionelle Anleger (auch Banken) keine 25-prozentige Kapitalertragsteuer bezahlen müssen. Sie erhalten für die automatisch von den Banken einbehaltene Kapitalertragsteuer auf Dividendenausschüttungen eine Steuergutschrift. Der Trick besteht in blitzschnellen Käufen und Verkäufen ein und derselben Aktie rund um den Dividendenstichtag; teilweise auch Leerverkäufe. Durch dieses Hin- und Hergeschiebe zwischen Banken – Institutionellen (auch Banken untereinander) verschleierten diese die wahren Besitzverhältnisse, verwirrten den Fiskus und ließen sich für ein und dasselbe Papier mehrere Steuerbescheinigungen ausstellen und kassierten mehrere Steuergutschriften. Der Spiegel (26.5.18) schreibt: „Die Deutsche Bank fungierte vielfach auch als Depotbank und stellte Steuerbescheinigungen für Kunden aus, die sich damit Geld beim Fiskus zurückholten“ – das sie gar nicht bezahlt hatten bzw. nur einmal, wäre hinzuzufügen.
Der Schaden beläuft sich zwischen 2001 und 2016 allein für deutsche Finanzämter auf 31,8 Milliarden Euro (Spiegel, 18.10.18). Dieses Modell funktionierte bis 2012/2013, wurde dann per Gesetz unterbunden.
Der Gesetzgeber hatte aber ein Schlupfloch offengelassen: das Zusammenspiel bei Dividendenausschüttungen zwischen ausländischen Investoren und einheimischen Banken; die sog. Cum-Cum-Geschäfte. Auch bei Cum-Fake werden Steuerentlastungen ergaunert. Hierfür werden jedoch nicht die eigentlichen Wertpapiere genutzt, sondern sogenannte Pre-Release American Depository Receipts (ADRs), also vorläufige Aktienbesitzbescheinigungen (Fabio De Masi/Henning Lenz, Broschüre der Bundestagsfraktion Die Linke).
Oxfam: „Leere Staatskassen – tödliche Folgen“
Auch die Entwicklungsorganisation Oxfam prangert in ihrem Factsheet „Im öffentlichen Interesse“ die unsoziale Steuerpolitik an. „In einer Vielzahl von Staaten ist es reichen Interessengruppen und großen Konzernen gelungen, ihren Steuerbeitrag zu drücken“, heißt es da. In Industrieländern wurden die Spitzensteuersätze für Einkommens-, Unternehmens- und Erbschaftssteuern massiv gesenkt.
Die tatsächlich gezahlten Steuersätze sind zudem für all jene deutlich niedriger, die ihren Reichtum in Steueroasen verschieben. Dort liegen geschätzte 7,6 Billionen US-Dollar Privatvermögen – und damit entgehen Staaten und deren Bürger*innen weltweit ca. 200 Milliarden US-Dollar Steuereinnahmen pro Jahr. Es sei einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Reichen und Konzernen gelungen, die politischen Regeln zu ihren Gunsten zu gestalten und die Idee des ‘schlanken Staats’, der möglichst wenig Geld ausgibt, zu etablieren. „Doch marode Infrastruktur und mangelndes Fachpersonal im Gesundheits- und Bildungsbereich sind eine mindestens ebenso große Bürde für zukünftige Generationen wie Staatsschulden. Mangelnde Infrastruktur hat zudem bereits heute tödliche Folgen: Nachweislich sterben mehr Menschen an vermeidbaren Krankheiten, wenn mehr Gesundheitsdienstleistungen aus der eigenen Tasche bezahlt werden müssen.
Oxfam zitiert den Unternehmer und Risikokapitalgeber Nick Hanauer: „Würden unsere Regierungen Reichtum gerecht besteuern, (…) könnten wir sicherstellen, dass jedes Kind die Chance auf eine Zukunft hat. Wir könnten sicherstellen, dass niemand Angst haben muss, zu erkranken, weil er oder sie sich die Arztrechnungen nicht leisten kann. (…) Wir könnten und sollten – diesen Reichtum nutzen, um bessere und gleichere Wirtschaftssysteme und Gesellschaften aufzubauen.“
Superreichensteuer könnte 18 Milliarden Euro einbringen
In den USA setzt sich die linke Demokratin Elizabeth Warren (sie vertritt als Senatorin den Bundesstaat Massachusetts) für eine Superreichensteuer ein – betreffend Haushalte mit mehr als 50 Millionen Dollar Vermögen.
Stefan Bach, Steuerexperte des DIW hat auf den Annahmen der „Warren-Steuer“ (umgerechnet ab 40 Millionen Euro, bis 800 Millionen Vermögen 2% Steuer, ab 800 Millionen 3%) die Wirkungen für Deutschland errechnet. Ergebnis: Auf Grundlage der Daten für 2014, würde die Steuer 17,7 Milliarden Euro in die deutsche Staatskasse spülen.