Die aktuelle Veröffentlichung des Vatikan-Dokuments „Oeconomicae et pecuniariae Quaestiones“, das vom Oberhaupt der Katholischen Kirche, Papst Franziskus zum Jahresbeginn 2018 approbiert und ihre Veröffentlichung angeordnet wurde, beinhaltet im Kern „Erwägungen zu einer ethischen Unterscheidung bezüglich einiger Aspekte des gegenwärtigen Finanzwirtschaftssystems“.

Der Papst sieht sich in seiner bekennenden Rolle als Gläubiger, als ein herausragender Repräsentant des Christentums und als Vorsitzender einer Kirchenorganisation von derzeit nach eigenen Angaben 2.100.000.000 Mitgliedern, seinem christlichen Glauben verpflichtet dazu aufgerufen, die sich zuspitzende soziale Ungerechtigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich zu kommentieren, zu analysieren und mit Bezug auf seinen religiösen Glaubensgrundsätzen basierend zu bewerten.

Die in seinem ersten apostolischen Lehrbrief „Evangelii Gaudium“ vom November 2013 getroffenen Aussagen, dass diese Wirtschaft tötet, wird bekräftigt im jüngsten Lehrbrief durch die Aussage, dass diese Wirtschaft eine „Tyrannei des vergötterten Marktes“ bewirke. Heute spiele sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit ab, wo der Mächtigere den Schwächeren zunichtemache. Als Folge dieser Situation sähen sich große Massen der Bevölkerung ausgeschlossen und an den Rand gedrängt: ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg. Der Mensch an sich werde als ein Konsumgut betrachtet, den man gebrauchen und dann wegwerfen könne.

Franziskus betätigt sich in seiner Funktion als Erneuerer und Reformer und vertieft seine deutliche Kritik an den Zuständen der weltweit ungleich verteilten Reichtümer, der polarisierenden Lebensqualität in den reichen und armen Ländern und den herrschenden sozialen Missständen. In vielen seinen Predigten, Interviews und Missionen ergänzt er seine Kritik am verbreiteten Konsumdenken, der Wohlstandskultur und der dominierenden Rolle des Geldes – er bekräftigt und er erweitert sie im Lehrschreiben „Oeconomicae et pecuniariae Quaestiones“ zu einer Art Brandrede, in der er das dominierende Wirtschafts- und Finanzsystem grundlegend infrage stellt.

Grund dafür ist der wachsende Einfluss, den die Märkte auf den materiellen Wohlstand eines großen Teils der Menschheit ausüben. Das macht einerseits eine entsprechende Regulierung ihrer Dynamiken erforderlich. Andererseits bedarf es einer klaren ethischen Grundlage, die dem erreichten Wohlstand jene Qualität an menschlichen Beziehungen gewährt, welche die wirtschaftlichen Mechanismen allein nicht hervorbringen können“.

In seinen Ausführungen finden sich Formulierungen wie etwa

  • „obwohl der wirtschaftliche Wohlstand in der 2. Hälfte des 20. Jhs. überall in der Welt in einem nie gekannten Ausmaß und Tempo zugenommen hat, ist … im selben Zeitraum die Ungleichheit zwischen Ländern und innerhalb der Länder größer geworden“
  •  „Kein wirtschaftliches System kann als Fortschritt verstanden werden, wenn allein quantitatives Wachstum und Profit das Ziel sind”
  •  „Heute dominiert die Finanzindustrie die Realwirtschaft”
  • „Es ist unethisch, beträchtliche Profite zum Schaden anderer anzuhäufen“
  • „Großen Schaden für die Volkswirtschaften richtet die Verlagerung der Gewinne in Steueroasen an“
  • „Das Offshore-System habe vor allem in weniger entwickelten Ländern die Staatsverschuldung vergrößert”

Franziskus’ ethisch-moralische Botschaft an die Hauptakteure der „Marktwirtschaft“

Um diesen Missstand zu bekämpfen müssen – laut Vatikan – die politischen Machthaber unabhängig von den finanzwirtschaftlichen Akteuren handeln. Deshalb sei eine klare ethische Grundlage nötig: „Um alle Bereiche des Lebens von dieser moralischen Unordnung zu befreien, die das menschliche Tun so oft in Mitleidenschaft zieht, betrachtet die Kirche es als eine ihrer vorrangigen Aufgaben, alle Menschen mit demütiger Gewissheit an einige klare ethische Prinzipien zu erinnern“.

Es ist ihm ein Anliegen, seinen Erneuerungswillen und sein Sendungsbewusstsein mit einer ethisch-moralischen Botschaft über das Unrechtsbewusstsein der heutigen Hauptakteure dieses Wirtschaftssystems zu verbinden und den Mitgliedern seiner Religionsgemeinschaft und weiteren Teilen der globalen Gesellschaft mitzuteilen.

Er prangert die Unmoral des dominierenden Finanzkapitalismus an, der in seinem Wirkungsmechanismus die Welt zerstört, den Hunger der Welt vergrößert und verschlimmert, „denn einige wenige beuten wertvolle Ressourcen und Reichtümer aus und beanspruchen diese für sich selbst, ohne auf das Wohl des Großteils ihrer Mitmenschen Rücksicht zu nehmen.“ Es sei daher an der Zeit, das Augenmerk wieder auf die wahre Menschlichkeit zu richten, um in Redlichkeit die Erfordernisse der Wahrheit und des Gemeinwohls zu erkennen, ohne die jedes soziale, politische und wirtschaftliche System am Ende zum Scheitern, zur Implosion verurteilt sei.

Nach seinem Bekenntnis wären die kompetenten Führungskräfte moralisch-ethisch dazu verpflichtet, neue Wirtschafts- und Finanzsysteme einzuführen, deren Methoden und Regeln die Entwicklung des Gemeinwohls anstreben und auf dem sicheren Pfad der kirchlichen Soziallehre die Menschenwürde achten.

Die politischen Machtverhältnisse einer auf Kapitalakkumulation ausgelegten Wirtschaftsweise werden namentlich als moralisch verwerflich angesprochen. So habe die Erfahrung der letzten Jahrzehnte deutlich gezeigt, wie „naiv“ das Vertrauen in eine vermeintliche funktionelle Unabhängigkeit der Märkte sei, die keiner Ethik unterlägen. Andererseits sei klar, wie notwendig eine angemessene Regelung der Märkte sei, welche die Freiheit und zugleich den Schutz aller gewährleistet, die darin in gesunder und korrekter Weise agieren.

Der päpstliche Brandbrief „Oeconomicae et pecuniariae Quaestiones“ ruft zum moralisch-ethischen Handeln der politischen Machthaber auf. Er will der politischen Elite, die ihre politische Tätigkeit den herrschenden Verhältnissen und den Interessen der bestimmenden Finanzinstitutionen und den wirtschaftlich mächtigen Konzernen unterordnen, moralisch ins Gewissen reden. Dort, wo der reine Profit in der Unternehmenskultur einer Finanzgesellschaft an oberster Stelle stehe und das Erfordernis des Gemeinwohls missachtet werde, werde jedes ethische Anliegen unweigerlich als etwas Äußerliches empfunden, das der unternehmerischen Tätigkeit fremd ist. 

Herz-Jesu Sozialismus und die Kritiker

Seine sozialkritischen Ausführungen und sein sehr direktes Adressieren von Missständen und Auswirkungen kapitalistischer Wirtschaftsweise bescheren Franziskus nicht nur die Gegnerschaft der erzkonservativen Teile des Vatikans und der katholischen Kirche, sondern auch jener, die sich der konservativen Verteidigung der existierenden Macht- und Einflussverhältnisse des Finanzkapitalismus verschrieben haben. Sie werfen ihm Naivität, mangelndes Verstehen wirtschaftlicher Abläufe und zu wenig Einblicke in die Gesetzmäßigkeiten eines „funktionierenden Marktes“ vor.

In den Ausführungen von Franziskus finden sich Passagen wie etwa „der Papst liebt alle, Reiche und Arme“, gekoppelt mit einer Ermahnung an die Reichen, zu einer Rückkehr von Wirtschaft und Finanzleben zu einer Ethik zugunsten des Menschen. Seiner Erklärung nach sei die Ungleichverteilung der Einkünfte die Wurzel der sozialen Übel.

Es bleibt festzuhalten, dass er sich selbst als Gläubiger versteht, nicht als Revolutionär. Er bezieht sein kritisches Gedankengut nicht aus den gesammelten Marx/Engels-Werken, sondern nach eigenen Worten aus der Bibel. So zitiert er beispielhaft das Lukasevangelium, das Gleichnis vom armen Mann und Lazarus: „Menschen zu einem Hungerlohn arbeiten zu lassen, um selbst Profit daraus zu ziehen. Vom Blut dieser Menschen leben. Das ist Todsünde.“

Ungeachtet dessen hält sich seine Kritik am privaten Eigentum an den Produktionsmitteln, an Grund und Ländereien, an Bodenreichtümern, ja sogar an Wasservorkommen mit offen reaktionären Handlungen nach innen und mit militärischer Aggression Drittländern gegenüber in Grenzen.

Die Kooperationschancen unterschiedlicher Weltanschauungen

Der fortschreitende Kurs des Kapitalismus in seiner finanzmarktgetriebenen, neoliberalen Ausprägung folgt den inneren Gesetzen der Funktionslogik des Kapitalismus – gekennzeichnet durch die Krise der Realwirtschaft, des Finanzsektors, der sozialen Unsicherheit, der Armut, des Hungers, der Umweltzerstörung, der Zerstörung der Demokratie der zunehmenden Kriegsgefahr.

Will man sie überwinden, genügt es aus gesellschaftskritischer Sicht bei weitem nicht, der kapitalistischen Wirtschaft eine moderierende Regulationsweise, angereichert mit einer ethischen Kultur überstülpen zu wollen. Hier verbleibt ein weites Argumentationsfeld einer gesellschaftskritischen Durchleuchtung und Aufklärung noch unerschlossen.

Aber nicht die Religion und insbesondere nicht die der Allgemeinheit vorgeschlagenen moralischen Grundsätze der Franziskus-Befürworter sind als Widerpart anzusehen. Es ist das jeweilige Selbstverständnis der religiös motivierten Gemeinschaft, der sozialen Bewegung in ihren gesellschaftskritischen Ausprägungen und Zielsetzungen nebeneinander im fairen Bündnis zu betrachten. Nicht die Gegensätze von Texten und Analysen, von Handlungsorientierungen unterschiedlicher Weltanschauungen und Religionen sollten im Vordergrund stehen; es geht um die Bereitschaft der solidarischen, kooperativen Zusammenarbeit im Bündnis mit fortschrittlichen Gruppen und links-christlichen Religions-Angehörigen, um existierende Herrschaftsverhältnisse zu überwinden.

Die Gesellschaft selbst, ihre Eigentums- und Machtverhältnisse sind zu reformieren und einer wirtschaftsdemokratischen Veränderung zuzuführen. Es muss der Anspruch und die kategorische Herangehensweise linker Kräfte sein, in die Funktionsmechanismen der kapitalistischen Wirtschaft selbst einzugreifen zu wollen: demokratisch legitimiertes Einbringen von gesellschaftlich relevanten Bedürfnissen, Teilhabe an den Steuerungen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gestaltungs-Abläufe durch entsprechende Gremien.

Und dabei nützt es, die vorhandenen Progressivitäts- und Humanitäts-Potenzen u. a. auch unter den aufrichtigen, den ethischen Werten der Religion moderner Prägung vertrauenden Gesellschaftsmitglieder einzubeziehen. Aktionsformen für wirtschaftsdemokratische Alternativen sind zu entwickeln auf der Basis eines gemeinsamen Handlungsraumes, um die Stellung der antikapitalistischen Kräfte auszubauen.

Quellen/Literatur