„Bundesregierung plant die digitale Revolution“, meldet Florian Harms, Chefredakteur von t-online.de. Merkel habe „eines der wichtigsten Zukunftsthemen verschlafen“, setzt er fort. Nun haben Industrie-Lobbyisten für ein Umdenken gesorgt. „Nach vielen Gesprächen mit deutschen CEOs und Gründern, aber auch auf Reisen in Amerika und China ist sie zu der Erkenntnis gelangt, dass Deutschland einen digitalen Entwicklungsschub braucht“.
Dies lässt wenig Positives für die Beschäftigten erwarten, wenn man sich mit Merkels Einflüsterern in Fragen der Digitalisierung näher beschäftigt.
Die Digitalisierung „leitet einen epochalen Wandel unserer wirtschaftlichen Systeme ein“ sagt Wilhelm Bauer. „Jenseits aller Unsicherheit und Zukunftsfragen bieten die transformativen Entwicklungen auch viele Chancen – aber nur für diejenigen, die sich dem Wandel proaktiv stellen und selbst vorangehen wollen“. Bauer ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (Fraunhofer IAO). Das Fraunhofer-IAO ist für viele Unternehmenführungen erster Ansprechpartner bei Fragen der Digitalisierung, es hat für die Bundesregierung die Studie „Produktionsarbeit der Zukunft – Industrie 4.0“ erstellt.
„In vielen Branchen und Bereichen der Wirtschaft schlummern erhebliche Rationalisierungspotenziale“ – die Arbeitswelt werde sich „drastisch verändern“, so Bauer. In seiner Blogreihe schreibt er über„digitale Disruption“. Disruptive Technologien verdrängen bisher übliche Technik innerhalb kurzer Zeit. Übersetzt werden kann das englische „disrupt“ mit „unterbrechen“ oder besser: „zerstören“. Dieses „disruptiven Veränderungen entstehen, wenn existierende Strukturen nicht mehr fähig sind, neue Entwicklungen zu verarbeiten. Der klassische Versandhandels wurde zum „Opfer der neuen digitalen Herausforderer“: Quelle und Neckermann sind heute weitgehend Geschichte, Amazon und Google sind Mega-Plattformen, die eine Branche nach der anderen digital erschließen. „Die systemverändernde Kraft des Internets wurde in diesen Branchen viel zu spät erkannt“.
„Digitale Disruption ist kein Schicksal, sondern ein Gestaltungsraum“, betont Bauer für das Fraunhofer IAO, um gleichzeitig zu verdeutlichen: „Doch die Disruption, die uns bevorsteht, ist nicht nur eine technologische, sondern vor allem auch eine strukturelle und substanzielle Systemveränderung für unsere Wirtschaft und Gesellschaft: Sozio-ökonomische Veränderungen gehen Hand in Hand mit technologischen“. Das klingt noch recht abstrakt – im Positionspapier „Arbeit in der digitalen Transformation“ verdeutlicht die „Deutsche Akademie der Technikwissenschaften“ (Acatech), auf welche Veränderungen Unternehmen mit der Digitalisierung hinauswollen. „Die heutigen Arbeitszeitregelungen stammen größtenteils noch aus dem Industriezeitalter“ und dürfen so nicht weiter bestehen. „Neue, dem gesellschaftlichen Wandel angepasste Regelungen zu Höchstarbeitszeit, Mindestpausen, Ruhezeiten sowie Arbeit an Sonn- und Feiertagen“.
Acatech hat die „Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0“ im Auftrag der Bundesregierung erarbeitet, ihre Veröffentlichungen finden bei Regierungspolitikern Gehör. Auch in Merkels Digitalisierungsstrategie werden die Acatech-Forderungen einfliessen. Die „disruptiven“, also „zerstörerischen“ Veränderungen sollen sich auch stark aufs Arbeitsrecht beziehen.