Nach einer dreitägigen Marathonsitzung haben sich die führenden Köpfe von SPD, Grünen und FDP darauf verständigt, dass eine "eng begrenzte Zahl besonders wichtiger Projekte" im Autobahnbau beschleunigt geplant und umgesetzt werden. Diese "eng begrenzte Zahl" ist aber eine recht eindrucksvolle Liste von 144 Autobahnstellen, wie Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) über Twitter mitteilte. Die Grünen hatten das bislang vehement abgelehnt. Aber jetzt ist alles gut: auf den Grünstreifen neben den neuen Autobahnen müssen Solar- oder Windanlagen gebaut werden. Natürlich nur wenn es möglich ist. Und nur bei den neuen Autobahnen. 

"Wenn nun zudem 144 zusätzliche klimaschädliche Autobahnprojekte beschleunigt durchs Land asphaltiert werden sollen, wird das Klima weiter vor die Wand gefahren", empört sich Martin Kaiser, Vorstand von Greenpeace Deutschland.

Klimaschutzgesetz wird "entkernt"

Das ist aber noch nicht alles. Mit Zustimmung der Grünen wird sogar das Klimaschutzgesetz aus Merkels Zeiten in zentralen Punkten geändert – "entkernt", sagt Martin Kaiser. Im aktuellen Gesetz hat jeder Sektor wie Energie, Gebäude oder Verkehr pro Jahr CO2-Vorgaben, die erfüllt werden müssen. Besonders der Verkehr riss die Vorgaben bereits zweimal. Und der derzeitige Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) macht wenig, dass dies zukünftig anders sein wird. Nicht einmal Tempo 100 auf Autobahnen ist mit ihm zu machen. Dabei könnte man damit auf einen Schlag den Ausstoß von acht Millionen Tonnen CO2 vermeiden, sagt der Verkehrsprofessor Markus Friedrich.

Jetzt soll das Gesetz entschärft werden: "Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden", heißt es im Beschlusspapier. Übersetzt heißt das: Übt sich Wissing in Arbeitsverweigerung beim Klimaschutz, sollen mögliche Fortschritte in anderen Bereichen die Bilanz ausgleichen. Erst wenn alle Sektoren zusammen zwei Jahre hintereinander das vereinbarte Gesamtziel verfehlen, sieht die Koalition Handlungsbedarf. Dann müssen die Ministerien weitere Vorschläge erarbeiten, wie sie die CO2-Ziele bis 2030 doch noch erreichen können – und andere Sektoren müssen die Verfehlungen eines anderen ausgleichen, was vor allem Wissing helfen dürfte.

Für die Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour kein großes Problem. Über Twitter erklärt R. Lang, dass schon im Koalitionsvertrag vereinbart sei, dass sich Sektoren "gegenseitig helfen können". Einzelne Bereiche könnten sich aber "nicht verstecken". Die Sektorziele blieben "im Grundsatz erhalten". Ob sich die Anhänger:innen der Grünen so billig abspeisen lassen, wird sich erst zeigen. 

"Mit der Aufgabe der Verpflichtung zur Umsetzung jedes einzelnen Sektorziels heißt Kanzler Scholz (...) gut, dass der größte klimapolitische Erfolg seiner Partei, das Klimaschutzgesetz, entkernt wird". Das entlässt mit Verkehrsminister Wissing ausgerechnet das Schlusslicht beim Klimaschutz aus der Verantwortung." erklärte Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser. 

Einsatz klimafreundlicher Heizungen

Auch zum Streit um das Verbot neuer Gasheizungen steht etwas in dem Papier, allerdings wenig Konkretes. In dem Papier heißt es lediglich, "dass ab dem 1. Januar 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden soll". Allerdings, und das ist eine Neuerung, solle dabei auf "Technologieoffenheit" geachtet werden. Das dazugehörige Gesetz soll im April vom Kabinett beschlossen werden. Ausdrücklich heißt es, die Regelung solle "pragmatisch ausgestaltet" sein und "unbillige Härten" vermeiden.

Wie dieser "soziale Ausgleich" zum Vermeiden "unbilliger Härten" konkret ausgestaltet sein soll, ließen SPD, Grüne und FDP offen. Was das alles tatsächlich heißt, wird sich erst zeigen, wenn der finale Gesetzentwurf vorliegt. Jetzt wurde nur vereinbart, dass das Geld für den geplanten Sozialausgleich für den Austausch von Öl- und Gasheizungen nicht aus dem Haushalt kommen solle, sondern aus dem bereits bestehenden Klimafonds – der ursprünglich für die Finanzierung des Klimagelds vorgesehen war, mit dem die Transformation in die nichtfossile Welt sozial abgefedert werden sollte. Dieses zentrale Element eines echten sozialökologischen Umbaus haben die Grünen offenbar nebenbei zu den Akten gelegt.

Sozialpolitik. Fehlanzeige

Im Papierkorb landete auch die Kindergrundsicherung. Pochten die Grünen noch zu Monatsbeginn auf die zügige Einführung dieses zentralen sozialpolitischen Vorhaben von Grünen und SPD, so fällt jetzt auf, dass in dem Papier nichts dazu steht. Der Sozialverband VdK und der Kinderschutzbund prangern diese Leerstelle empört an.

Über den ebenfalls hart umkämpften Bundeshaushalt hat die Runde im Kanzleramt ebenfalls kein Wort verloren. Bei der anstehenden Festlegung der Haushaltseckwerte - und mehr noch beim im Frühsommer vorzulegenden Etatentwurf der Bundesregierung – werden sich die Konflikte in der Koalition wieder deutlich zeigen. Bundesfinanzminister Lindner (FDP) pocht auf die Einhaltung der Schuldenbremse. Bereits in diesem Jahr soll laut Haushaltsplanung die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse, also das Verbot einer Netto-Neuverschuldung, nach Corona- und Inflations-Entlastungspaketen erstmals wieder eingehalten werden. Da dies faktisch ein Ding der Unmöglichkeit ist, wurden mehrere Maßnahmenpakete in sogenannte "Sondervermögen" – in Realität "Sonderschulden" - ausgelagert, die nicht Teil des regulären Etats sind. 

„Wir waren in der Lage, auch der anderen Seite ihren Raum zu geben.“
Robert Habeck, Vizekanzler und Wirtschaftsminister (Grüne)

Rekordverschuldung

Vor einigen Tagen teilte das Statistische Bundesamt mit, dass die deutsche Staatsverschuldung zum Jahresende 2022 auf ein Rekordhoch von fast 2,4 Billionen Euro gestiegen ist. Ein Anstieg von zwei Prozent im Vergleich zum Jahresende 2021. Berücksichtigt werden in dieser Statistik nur Verbindlichkeiten gegenüber dem nichtöffentlichen Bereich, also etwa Banken sowie private Unternehmen im In- und Ausland. Die Vermögen der einen, sind die Schulden der anderen.

Zwölf Milliarden Euro für mehr Waffen für die Ukraine

Doch ungeachtet dieses Schuldenberges und der angeblich fehlenden Mittel für Kindersicherung und eine angemessen Erhöhung der Löhne im öffentlichen Dienst zum Inflationsausgleich, billigte der Haushaltsausschuss des Bundestages am Mittwoch Finanzmittel in Höhe von zwölf Milliarden Euro für die "Waffenhilfe" für die Ukraine. 
Wie Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erklärte, sollen rund acht Milliarden Euro für die direkte Beschaffung von Waffen für die Ukraine ausgegeben werden. Weitere vier Milliarden Euro seien vorgesehen, um Waffensysteme zu ersetzen, welche die Bundeswehr an die Ukraine abgegeben hat. Als Beispiele nannte Pistorius Panzerhaubitzen, Panzer und Munition.

In seiner Sitzung billigte der Ausschuss auch den Kauf von zehn neuen Panzerhaubitzen des Typs 2000 als sogenannte Wiederbeschaffung für Systeme, welche die Bundeswehr bereits an die Ukraine abgegeben hat. Der Beschluss sieht zudem eine Kauf-Option für 18 weitere derartige Panzerhaubitzen vor.

"Die Politik von SPD, Grünen und FDP treibt nicht nur die Erderhitzung voran, sondern auch die soziale Spaltung der Gesellschaft"
Anja Krüger, Wirtschaftsredakteurin der taz

"Mehr Geld für die Schiene, eine höhere Lkw-Maut und Solaranlagen an Autobahnen machen aus dem herben keineswegs ein bittersüßes Ergebnis. Was die Grünen erreicht haben mögen, fällt nicht ins Gewicht gegen die demonstrative Abkehr von einer Klimaschutzpolitik, die sich die Grünen einst auf die Fahnen geschrieben haben. Die Ampel setzt auf hohe CO2-Preise als wichtigstes Instrument gegen die Klimakrise.
Für Reiche ist das kein Problem, sie werden ihren Lebensstil nicht ändern müssen. Für Menschen mit wenig Geld ist das ein Desaster, viele wissen schon heute nicht, wie sie ihre hohen Energierechnungen zahlen sollen. Die Politik von SPD, Grünen und FDP treibt nicht nur die Erderhitzung voran, sondern auch die soziale Spaltung der Gesellschaft", kommentiert Anja Krüger, Wirtschaftsredakteurin der taz.