Das Kapitel zur geplanten Verkehrspolitik im vorliegenden Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP liest sich wie ein wahlprogrammatisches in Aussicht stellen:

Wir wollen die 2020er Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen. Für die notwendigen Veränderungsprozesse werben wir um Akzeptanz und werden unsere Ziele dialogorientiert umsetzen und die Maßnahmen regelmäßig überprüfen.

Kluge Worte, die eine ernsthafte Absicht zur Einleitung einer Verkehrswende vermissen lassen. Der Verdacht liegt nahe, dass sich an der seit Jahrzehnten praktizierten Verkehrspolitik in Deutschland nichts grundlegend ändern wird: Kein Tempolimit, keine Vorgaben für die Fahrzeugindustrie zur endlichen Erfüllung der CO2-Einschränkung von PKW und LKW, kein exakter Verbrenner-Ausstieg, kein Abbau fossiler Subventionen, keine Nachhaltigkeits-Vorgaben zu Reparaturfähigkeit und Garantieverlängerung, keine Kerosinsteuer. Die im Vorfeld propagierte „Verkehrswende“ und ihre Bedeutung für eine drängende Klimaschutzpolitik, für die sich insbesondere die Grünen-Partei ausgesprochen hatte, wird im Koalitionsvertrag weitgehend ausgeblendet. Auch an dieser Stelle fehlt, wie in den anderen Kommentierungen der isw-Autoren zum Koalitionsvertrag aufgezeigt (link Charly, Franz) zumeist der Mut zu klaren politischen Aussagen. Im Falle dieser stilistisch benutzten „Spielraum“-Mentalität wird auf Gremien zur Erörterung zum späteren Zeitpunkt, ja und auch auf einen möglichen Dialog mit allen Beteiligten und Betroffenen, verwiesen. Die alte Förderung und Begünstigung des Straßenverkehrs bekräftigen alle Parteien. Die durch Straßenverkehr verursachten Treibhausgas-Emissionen bewegen sich weiterhin auf einem erschreckend hohen Niveau. Bis heute ist der Verkehr, trotz der verpflichtenden EU-Vereinbarungen, absolute Beiträge zum Klimaschutz und zum Erreichen der Energiewende-ziele schuldig geblieben. In anderen Branchen sind die Emissionen zwar auch nicht auffällig, aber immerhin zurückgegangen. Das lässt die Systemlogik der vorherrschenden kapitalistisch produzierende Gesellschaftsformation, der Profitausrichtung bei gleichzeitiger Kleinhaltung der Ausgaben, auch für Umweltschutz, nicht zu.

Autoverkehr

In Sachen Mobilität ist der vorliegende Koalitionsvertrag stark auf den motorisierten Individualverkehr ausgerichtet. Die Verkehrspolitik wird zukünftig von der Unternehmerpartei FDP betrieben. Es sind, wie eingangs angeführt, keinerlei politischen Ziele zur Einschränkung des Automobilverkehrs vorgesehen. Die Klimasprüche der Grünen-Partei enttarnen sich aus machtpolitischem Kalkül, zumindest bei der Behandlung der Mobilitätsfrage, in Phrasen auf. Zu einem möglichen Ausstieg aus der Produktion von Verbrenner-Autos heißt es: „Gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission werden im Verkehrsbereich in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen – entsprechend früher wirkt sich dies in Deutschland aus.“ Was will die Ampelkoalition aber in den nächsten vier Jahren als politische Entscheidungsträger spürbar tun, um den sektoralen Beitrag des Verkehrs zur Reduzierung der CO2-Emissionen zu erfüllen? Die im Koalitionsvertrag dazu enthaltende Formulierung lautet: „Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können“ Das bedeutet, dass der als Durchschnitt ermittelte Flottenverbrauch aller Fahrzeuge, Verbrenner und E-Autos, (letztgenannte gehen mit Null-Emissionen in die Berechnung mit ein) nicht angetastet wird und somit etwa große SUVs mit über dem Grenzwert liegende Fahrzeuge keinen größeren Restriktionen unterliegen. Ihr Absatz ist damit weiterhin ohne Einschränkung ermöglicht. Der Trend zu immer größer, schwerer und PS-protziger werdenden Fahrzeuge, namentlich die großen SUV, wird sich nach den Vorstellungen der Ampelkoalition fortsetzen. Die technisch wirksame CO2 Reduzierung moderner Motoren verpufft durch die schiere Größen-entwicklung der PKW. Daran ändert auch der angestrebte Anteil an E-Fahrzeugen nichts. Bis 2030 soll Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität werden. Mindestens 15 Millionen E-Autos sollen bis in zehn Jahren zugelassen sein. Wenn man bedenkt, dass der heutige Anteil an rein elektrisch betriebenen Fahrzeugen laut KBA 11 % beträgt, lässt der zu erwartende Gesamtbestand an PKW (heute 48,2 Mio., überwiegend Verbrenner) für eine Verkehrswende, eine Abkehr vom motorisierten Individualverkehr, Schlimmes vermuten. Die beanspruchten Quadratmeterzahlen des Individualverkehrs führen unabhängig vom Antriebsstrang weiterhin zu einer übermäßigen Platzbeanspruchung und Verkehrsüberfüllung in den Städten. Dazu steht im Prosastil im veröffentlichten Koalitionsvertrag: „Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen und die Technologie des Verbrennungsmotors hinter uns lassen.“ Richtig ist wohl, dass E-Autos unabhängig vom Gewicht im aktuellen Fahrbetrieb keine Abgase ausstoßen. Sie bewirken einen Ausstieg aus der fossil betriebenen Verbrennungstechnik. Sie verbrauchen aber mehr Strom als kleine Modelle. Und der wird derzeit vor allem aus Kohle gewonnen. Laut Koalitionsvertrag soll sich bis Ende 2022 auch am bestehenden Fördersystem bei Plug-in-Hybriden, eine doppelte Antriebstechnik mit E-Antrieb für 50 km, erst einmal nichts ändern. Ohne Vorgaben soll die Anschaffung von Plug-in-Hybriden noch bis Ende des kommenden Jahres subventioniert werden. Ab dem Zeitpunkt August 2023 liefert der Koalitionsvertrag eine Vorlage für die Automobilindustrie, technisch die E-Reichweite von 50 km auf 80 km zu ermöglichen, um damit weiterhin Subventionen, Abverkaufshilfen für Plug-in-Hybride, zu bekommen. Die sogenannten PHEV (Plug-in-Hybrid Electric Vehicle) sollen dann nur noch mit 0,5 Prozent versteuert werden können, wenn sie zu mehr als 50 Prozent elektrisch fahren. Ist das nicht der Fall, greift die Regelbesteuerung von einem Prozent. Diese Regelung ermächtigt die Automobilkonzerne, weiterhin große, schwere SUV als klimapolitische Mogelpackung zu produzieren und zu vertreiben.

Ladeinfrastruktur

Zur Betreibung des weiterhin geförderten E-fahrzeug-Anteils soll auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur vorangetrieben werden. Bis 2030 sollen eine Million öffentliche Ladesäulen in Form von Schnellladepunkte eingerichtet werden. „Wir setzen auf die Mobilisierung privater Investitionen. Wo wettbewerbliche Lösungen nicht greifen, werden wir mit Versorgungsauflagen, wo baulich möglich, die verlässliche Erreichbarkeit von Ladepunkten herstellen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Der marktwirtschaftliche Anreiz für private Investitionen hat Vorrang - die staatliche Aufrechterhaltung des konkurrenzgetriebenen Wirtschaftssystems charakterisiert die künftige Mobilitäts- und Verkehrspolitik. Politisch motivierte Abverkaufshilfen für Autokonzerne, d. h. auch steuerliche Vorteile für Plug-in-Hybride, sollten gänzlich gestrichen werden. Ob diese Vorgehensweise der neuen Koalitionäre einen beschriebenen „positiven Klimaschutzeffekt“ auslöst, geschweige denn eine zukunftsgerichtete Verkehrswendepolitik für eine solidarische Mobilität für alle Verkehrsteilnehmer auf den Weg bringt, ist aus heutiger Sicht mehr als zu bezweifeln. Günstige Profitkonditionen für Konzerne zu schaffen einerseits, und andererseits durch steuerliche Gelder der öffentlichen Hand die dafür erforderliche Infrastruktur zu fördern entspricht der vorherrschenden Kapitallogik. Eine sozial-ökologisch ausgerichtete Klimapolitikmit der gebotenen Einschränkung des Automobilverkehrs hin zu einer anderen Mobilität rückt damit auch unter einer Ampelregierung in weite Ferne.

Verkehrsinfrastruktur

Der Koalitionsvertrag enthält zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur die Erkenntnis, dass „die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur weiter erhöht und langfristig abgesichert werden“ müssen. um Projekte eines Deutschlandtaktes zu initiieren. Bundesfernstraßen sollen erhalten und saniert werden. Auf Basis neuer Kriterien, wie immer die auch aussehen mögen, soll ein neuer Bundesverkehrswege – und mobilitätsplan aufgesetzt werden. 

Bahnverkehr

Trotz der Ausrichtung auf den motorisierten Individualverkehr will die Ampel-Koalition mehr in die Schiene als in die Straße investieren. Wie das zusammenpasst, erschließt sich dem Leser des Vertragswerkes nicht auf Anhieb. Der existierende Masterplan Schienenverkehr soll weiterentwickelt und die Verkehrsleistung im Personenverkehr um 25 % verdoppelt werden. Zielsetzung ist dabei, die Wettbewerbsfähigkeit der Bahnen zu stärken. Bahnexperten gehen für dieses Vorhaben von einem Zeitraum von etwa zehn Jahren aus, bis durch die beabsichtigten Investitionen die Bahnattraktivität für Fahrgäste zu einer Verdoppelung der Zahlen führen dürfte. In der inneren Logik des Bahnkonzerns gibt es keine relevanten Stimuli für den Erhalt, die Pflege und den Ausbau des Netzes. Infrastrukturkosten sind Sand im Getriebe der Infrastrukturgesellschaften der DB Netz AG. Diese agieren mit ständig höheren Entgelten für Trassen und Bahnhofnutzung und mit überhöhten Energiepreisen für die Fahrgastbetreiber-gesellschaften wie eine Gewinnmaximierungsmaschine. Die erklärte Absicht der Koalition, die Infrastruktureinheiten DB Netz, DB Station und Service nach einer Zusammenführung der Infrastrukturgesellschaften und des Aufbaus einer gemeinnützigen Infrastrukturgesellschaft in öffentlichem Eigentum hört sich zunächst vernünftig an. In Verbindung mit den erklärten Konkretisierungen mag dies auch Chancen für einen Neuanfang im Bereich Schiene bieten. Und dennoch werden laut Vertrag „die Eisenbahn-Verkehrsunternehmen … markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb weitergeführt.“ Nach einer günstigen Fahrpreis-gestaltung hört es sich nicht an. 

ÖPNV

Es ist ein Ziel der Ampelkoalition, die Fahrgastzahlen auch im öffentlichen Personennahverkehr „deutlich zu steigern“. Mobilitätsanbieter sollen dazu verpflichtet werden, ihre Echtzeitdaten zu teilen. Neue Mobilitätsdienste und Carsharing sollen in eine langfristige Strategie für autonomes und vernetztes Fahren einbezogen werden. Im Gegensatz zur automobilen Determinierung des Vertrags wirken diese Aussage doch eher zaghaft und dünn, wenn man „Länder und Kommunen in die Lage versetzt werden sollen, die Attraktivität und Kapazitäten des ÖPNV zu verbessern. Für eine sozial-ökologisch begründete Verkehrswende, die das öffentliche Angebot an Mobilität für Stadt und Land umfasst, reichen diese Absichtserklärungen bei weitem nicht aus.

Rad- und Fußverkehr

Für diesen Bereich sieht der Koalitionsvertrag eine Fortschreibung des Radverkehrsplanes vor. Der Fußverkehrsplan soll mit einer „nationalen Strategie“ unterlegt werden. Die umweltfreundlichen Verkehrsmittel als integraler Bestandteil einer Verkehrswende scheinen den agierenden Parteien lästig zu sein.

Fazit

Das grundsätzliche Problem dieses Koalitionsvertrags ist darin zu sehen, dass die beteiligten Parteien vieles in einem vagen Schwebezustand belassen. Bisher nicht gelöste, strittige Fragen kommen auf Wiedervorlage, sollen „evaluiert oder „überprüft werden. Insgesamt scheinen die Koalitionäre zur Erreichung der Klimaziele von Paris darin übereinzustimmen, „die soziale Marktwirtschaft als eine sozial-ökologische Marktwirtschaft neu begründen zu wollen. Für eine staatliche Planung von Verkehr zur Schaffung von Mobilität für alle mit deutlich weniger Verkehr und gerechtere Verhältnisse auf den Straßen fehlt aber ganz offensichtlich der politische Wille. Das politische Kräfteverhältnis zur Durchsetzung eine ernsthaften Verkehrswende lässt sich nur mit einer mächtigen sozialen Bewegung erreichen.