Mit Winfried Wolf, bekannt als Verkehrsexperte, Autor einer größeren Zahl von Büchern zu Weltwirtschaft und Globalisierung sowie zu den Themen Auto, Verkehr und Bahn und aktiv Engagierter an den Protestaktionen gegen das Großprojekt Stuttgart 21 startete das isw eine bundesweite Veranstaltungsreihe zur komplexen Materie der Reformen in der Automobilindustrie und den sich abzeichnenden Notwendigkeiten einer Verkehrswende.

Wenn es um das Thema Autofahren geht, haben alle etwas zu sagen. Allein, wenn sich jemand entschließt, ein neues oder überhaupt ein Auto zu kaufen, geht es beim Abendessen mit der Familie oder mit Freunden rund: Welche Marke? Wieviel PS, welches Drehmoment, wie schnell beschleunigt der Wagen auf 100? Was kostet so ein neues Auto mit allen Schikanen, modernste Kommunikationssysteme, Entertainment, Navigation?

Aber es gibt auch andere Diskussions-Themen, gerade unter Jüngeren, wie z.B. ob man denn auch ohne Auto leben könne, ob das eigene Auto unbedingt erforderlich sei, es gäbe doch schon Car-Sharing? Zudem gäbe es doch genügend Beispiele von Städten, in denen die zurückgelegten Wege überwiegend mit dem Fahrrad funktionieren.

Hinzu kommen noch die aufgedeckten Abgastäuschungen der Autokonzerne, welche zu der Frage führen, ob man beim Diesel bleiben solle oder jetzt besser auf einen Benzin-Antrieb umsteigen sollte?

So mancher wird sich fragen: steige ich vielleicht um auf ein Elektro-Auto; aber sie würden doch nix bringen, oder? Wie weit kann ich denn damit fahren? Wie sieht die Ladeinfrastruktur in Zukunft aus? Wo bekomme ich den Strom für das E-Auto her? Rentiert sich eine Photovoltaik-Anlage? Wie hoch ist heute der Anteil an erneuerbarer Energie am Ladestrom? Trage ich mit einem Elektro-Pkw zum Umdenken in der Verkehrspolitik bei?

So führte Winfried Wolf in beiden Veranstaltungen aus, dass gerade durch die aufgedeckten Abgastäuschungen, der Manipulation des gesundheitsschädlichen Ausstoßes von Stickoxid die öffentliche Diskussion um die Umstellung der PKW auf Elektro eine wahre Euphorie ausgelöst habe. Befürworter und Skeptiker der Elektromobilität, schenken sich in der Debatte nichts, wenn es um die Umstellung der Antriebsart von Verbrennungsmotoren auf Elektro-Antrieb sowohl bei Pkw als auch bei anderen Kraftfahrzeugen und auch des öffentlichen Nahverkehrs geht. Auch die schon seit 110 Jahren vorhandene Elektromobilität im Schienenverkehr rückt wieder stärker in den Blick der Öffentlichkeit.

Drei seiner zentralen Thesen lauteten:

  1. “Das Elektro-Auto in seiner jetzigen Auslegung trägt nicht zur Entschärfung der Klimakrise bei.”
  2. “Die Elektromobilisierung des Autoverkehrs ist keine geeignete Maßnahme, um die lebensbedrohlichen Luftverunreinigungen in den Städten zurückzudrängen.”
  3. “Benötigt wird eine neue Verkehrsmarktordnung für Luftverkehr, Straßenverkehr und Schifffahrt. Das Ziel ist eine grundsätzliche Wende in der Verkehrspolitik.”

Der Krisenzyklus der Weltautobranche

Die weltweite Autobranche bewege sich ebenso wie das Weltkapital selbst in einer zyklischen Form, führte Wolf zu Beginn seines Vortrages aus. Dieser Zyklus stellte sich für die gesamte internationale Autoindustrie erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Mitte der 1970er Jahre ein. Seitdem seien fünf weltweite Branchenkrisen feststellbar gewesen; aktuell befänden wir uns am Ende des fünften Zyklus. Bei der Autoindustrie handle es sich um die wichtigste industrielle Branche im globalen kapitalistischen System. Die enorme Kapitalkonzentration und der einmalige Charakter der Kraftfahrzeugbranche, mit der das gesamte kapitalistische System durchdrungen sei, mache sie zur Leitbranche im industriellen Bereich des Weltkapitals.

Von besonderem Interesse sei für die aktuelle Debatte um das Elektro-Auto dabei, dass ebenso zyklisch wie in der Autobranche die Krisen auftreten, auch wiederkehrende Debatten über eine immanente Reform der Automobilität aufträten. Nach Wolf habe es bereits vor ca. 28 Jahren die aktuellen Debatten und Vorgaben in nahezu identischer Form gegeben.

Sehr aufwendige Projekte, getragen von der Automobilindustrie und staatlichen Forschungseinrichtungen testeten in aufwendigen Versuchsreihen den Bau von Elektroautos.

Als ein stellvertretendes Beispiel zitierte Wolf die Ergebnisse von 1996 des Instituts für Energie – und Umweltforschung (IFEU), Heidelberg, dass die Bilanz des Versuchs mit 60 Elektro-Pkw nur im lokalen Bereich positiv ausgefallen war, weil keine Beeinträchtigung durch eine direkte Schadstoffeinwirkung für den Mensch vorläge. Zwiespältig war damals hingegen die Situation bei der regionalen Schadstoffbelastung, weil beim damaligen Energiemix der Kraftwerke, aus denen der Batteriestrom für E-Mobile stammte, die Elektromobile weniger als konventionelle Autos mit Verbrennungsmotoren zum Sommersmog und zur Stickstoffbelastung der Böden beitrugen. Aber eindeutig negativ fiel die die Bewertung beim Thema Klima aus. Elektroautos verbrauchten pro Kilometer zwischen 50 Prozent und 400 Prozent mehr Primärenergie als vergleichbare Autos mit Verbrennungsmotoren. Der Ausstoß des Treibhausgases CO2 lag auch im günstigsten Fall deutlich über dem der Konkurrenz, da über zwei Drittel des Stroms aus fossilen Kraftwerken stammten.

Globale Automobilmarktentwicklung und der Anteil an E-Autos

Ungehindert der derzeit kontrovers geführten Debatte nehme das ungezügelte Wachstum an produzierten PKW und Kraftfahrzeugen weiter zu. „Wir haben es heute mit einem weltweiten Fahrzeugbestand von etwa 1.1 Mrd. Fahrzeugen zu tun, der sich bis im Jahr 2025 bis auf 1,5 Mrd. Fahrzeugen erhöhen wird. Dennoch wird auch im Jahr 2025 der Anteil der Elektro-Auto am Gesamtbestand „nur“ bei 10 Prozent liegen – auch wenn in diesem Jahr 2025 – dann, wenn die Rechnung der E-Auto-Propagandisten in Gänze aufgegangen sein sollte – der Anteil der Elektroautos an der Gesamtproduktion und an den weltweiten Neuzulassungen bei 35 Prozent liegen könnte.“

Basis der Angaben: OICA-Statistik. The Eletrica Vehicles Worlsales Database EV.

Die global vereinbarten Klimaziele von maximal 2 Grad Erwärmung insbesondere auch zur Reduktion des Ausstoßes von klimaschädlichen CO2 Gasen, vor allem auch ausgelöst durch den Automobilverkehr, so konstatierte Wolf, scheinen mehr und mehr nicht einlösbar zu sein:

Um es nochmals ganz deutlich zu sagen: Bei einem solchen Szenario wird die Belastung des Klimas und der Umwelt nochmals enorm viel größer sein als heute. Eine gewisse Schadstoffreduzierung unterstellt, wird das eine Drittel mehr konventioneller Autos für mindestens 25 Prozent mehr Schadstoffbelastungen sorgen.

Im Zusammenhang mit den Bemühungen einer Umstellung des Automobilmarktes von fossilen Verbrennungsmotoren auf Elektro-Antreiben sei auch eine Zunahme die Diskussion um eine erforderliche Energiewende, die Bereitstellung von Ladestrom, die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien zu beobachten. Zweifelsfrei seien hektische Aktivitäten rund um das Elektro-Auto festzustellen, viele Start Up Firmen entstünden, die sich mit technischen Detail-lösungen beschäftigen, ebenso würden die Autokonzerne ihr Produktangebot um Elektrovarianten erhöhen, Batteriezellen-Produktions-kooperationen eingehen und Aktivitäten starten zur Sicherung der Ressourcen erforderlicher Rohstoffe.

Auch nehme die Diskussion um eine erforderliche Energiewende, die Bereitstellung von Ladestrom, die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien zu. Dennoch werde es die beschriebenen Belastungen geben, die mit den Elektro-Autos verbunden sind, unter anderem aufgrund der deutlich erhöhten Stromproduktion bei einem Strommix mit weltweit sehr hohem Anteil an Kraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.“ Die derzeit extreme Abhängigkeit von Steinkohlestrom werde zu einem Teil durch Strom aus Sonnenenergie ersetzt. Und hier fühlten sich die „reinen“ Befürworter der Elektrifizierung des Automobilverkehrs unter den Zuhörern der Teilnehmer sichtlich bestätigt.

In seiner Analyse der Entwicklung des globalen Automobilmarktes und der anteiligen Entwicklung von Elektro-Autos führte Wolf weiter aus, dass China der global wichtigste Automarkt und zugleich der führende Treiber von Elektro-Pkw sei. Er führte allerdings auch an, dass China zusätzlich zu den heute bestehenden 35 Atomkraftwerken weitere 70 neue plane und man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen könne, dass es nach Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima in dem neuen Führungsland mit der dann höchsten Atomkraftwerksdichte zu einer atomaren Katastrophe kommen werde.

Für ihn sei klar, dass ein Elektro-PKW-Bestand von 150 Mio. Autos im Jahr 2025 (10 Prozent am Gesamt-Fahrzeug-Bestand) mit keinem positiven Beitrag für die Klimabelastung verbunden sein werde. Das zusätzliche Plus an CO2-Emissionen werde aus einer erheblich vergrößerten Stromproduktion resultieren, die in starkem Maße, auch in Deutschland auf Kohlekraftwerken basiere.
Der Aufbau der Stromerzeugung aus Wind-, Sonnen- und Wasserenergie werde infolge des beschlossenen Ausstiegs aus der Atomenergie wie u.a. auch in Deutschland nur den Rückgang des Atomstroms ersetzen können. 

Änderung der Verwendung der Verkehrsmittel vor und nach dem Kauf eines E-Autos

Eine Verbesserung der Lebensqualität in den Städten sei nicht zu erwarten, weil E-Autos vorhersehbar in sehr großem Maße Zweit-, wenn nicht gar Drittwagen sein werden. Die Zahlen in Norwegen, dem Land mit den anteilig meisten E-Autos, würden belegen, dass die Zunahme der E-Autozulassungen zu einem Rückgang der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel führe.

CO2 Emissionen von E-Autos im Vergleich

Es bleibe festzuhalten, dass der Elektro-PKW aktuell keinen allzu großen Beitrag leiste zur Reduktion der CO2- Emissionen. In vielen deutschen Städten droht ein Fahrverbot infolge der lebensbedrohlichen Luftverunreinigungen und verkehrstechnisch bedingten Lebenseinschränkungen. Nach den von Wolf zitierten Studien leiste aber auch das Elektroauto in seiner Gesamtbilanz (Rohstoffgewinnung, Herstellung von Elektrobatterien, Produktion und Fahrbetrieb) nicht den positiven Beitrag zur CO2-Reduktion, wie viele Befürworter des Elektro-Autos vorgeben.

Der Fahrbetrieb sei zwar weitgehend frei von CO-2 Emissionen, allerdings würde sich der Ausstoß der Schadstoffe insbesondere bei der Rohstoffgewinnung dramatisch erhöhen.

Es bleibt anzumerken, dass die angedrohten Strafzahlungen der europäischen Kommission vom 17. Mai. d. J. wegen Überschreitung der vorgegebenen Schadstoffbegrenzungen in den Städten (u. a. auch gegen Deutschland) politische Maßnahmen hervorbringen werden, die eine Abkehr vom Verkehr mit Verbrennungsmotoren durch drastische Auflagen für die Automobilindustrie einleiten werden.

Die Notwendigkeit einer umfassenden Verkehrswende

Nach den Worten von Wolf weise trotz allem die in Deutschland zementierte Verkehrsorganisation, die in erster Linie auf Diesel-, Benzin und ergänzend auf Elektro-Autos setze, keine nachhaltige Perspektive auf.

„Benötigt wird eine neue Verkehrsmarktordnung für Luftverkehr, Straßenverkehr und Schifffahrt. Das Ziel ist eine grundsätzliche Wende in der Verkehrspolitik.“ Grundsätzlich müssten die drei grünen Verkehrsarten – öffentlicher Verkehr mit Bus, Tram, S-Bahn und Bahn, Rad Fahren und auch zu Fuß Gehen – begünstigt und die „roten“ Verkehrsarten – Autofahren, Schiffsverkehr (Containerschiffstransporte mit hohen Subventionen, Kreuzfahrtschiffe) und Luftfahrt – verteuert und eingeschränkt werden.

Priorisierung von Nähe, Dezentralisierung von Strukturen seien zu fördern, um vor allem Städte, die mehr und mehr den zentralen Lebensschwerpunkt bilden, wieder lebenswerter zu gestalten.

Ein vehementes Plädoyer hielt Wolf für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs sowie für den Ausbau der Eisenbahn zu einer Flächenbahn und Bürgerbahn. In den sehr engagierten Diskussionen mit den Teilnehmern in beiden Veranstaltungen belegte er mit vielen Beispielen die gestarteten sozial-ökologischen Aktionen und Programmen, die eine Art Anschauungsunterricht zur Nachahmung und kontinuierlichem sozialen Engagement bildeten (Beispiel Schweiz: bundesweite Flächenbahn, Beispiel Österreich: Nachtzug-Fahrtsystem, Beispiel Kopenhagen: 45 % Anteil Fahrrad an der Gesamtmobilität, Beispiel Tallin, Estland: ÖPNV zum Nulltarif). Die Teilnehmer äußerten sich zustimmend zu den Chancen für mehrheitsfähige Projekte, die beitragen könnten, eine Wende in der Verkehrspolitik zu initiieren.

Selbstredend bleibt festzuhalten, dass trotz der generellen Zustimmung zu seinen vorgetragenen Thesen zur Einleitung einer Verkehrswende, einer Abkehr vom individuellen Autoverkehr und hin zu den „Grünen Verkehrsarten“ in den Diskussionsbeiträgen auch Gegenbeispiele aufgezeigt wurden. Vor allem ging es dabei um die positiven Ansätze hinsichtlich der Gewinnung von erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarstrom, weil sie eine Abkehr vom fossilistischen Autoverkehr und hin zur Elektromobilität bedeuten würden, ganz nach dem Motto: Wenn schon individueller Autoverkehr, dann bitte im Elektrobetrieb mit nachhaltiger Energie.

Alles weitere im isw report 112/113.