Vom 24.6. bis 27.6. finden massenhafte Proteste gegen das G7-Treffen in Elmau statt – wie schon vor 5 Jahren. Die Polizei rechnet – nicht zu Unrecht – mit mehreren zehntausend Protestierenden. Die Kosten für die Sicherheit der Politiker werden mit 160 Millionen Euro angegeben, 30 Millionen mehr als vor 5 Jahren. Was treibt die Menschen gegen G7 auf die Straße?

Walter Listl: Es ist vor allem die Heuchelei der Herrschenden, wie sie schon in dem Motto des G7 Gipfels und in den Schwerpunkten der deutschen Präsidentschaft zum Ausdruck kommt. Das Motto des geplanten G7 Gipfel in Elmau lautet „Fortschritt für eine gerechte Welt - …für wirtschaftliche Erholung, finanzielle Stabilität, sowie ein nachhaltiges, soziales und gerechtes globales Wirtschaftssystem… einsetzen.“ Dagegen heißt es im Aufruf zur Demo für den 25. Juni in München und am 26. Juni in Garmisch: „Klimakrise, Artensterben, Ungleichheit – Gerecht geht anders“. Und Im Aufruf zu den Protesten heißt es: „Globale Gerechtigkeit statt G7 - Klima schützen statt aufrüsten.“

Gegen den Anspruch der Vertreter der G7 Staaten Deutschland, USA, GB., Fr., Can., Ital., und Japan, über die Geschicke der Welt zu entscheiden, wendet sich die Organisationsplattform Stopp G7 mit den geplanten Protesten in München und Garmisch. Tausende werden kommendes Wochenende dagegen protestieren, dass die G7-Staaten zwar nur knapp 10% der Weltbevölkerung repräsentieren, sich aber als Herren der Welt aufspielen und die Weltordnung nach ihren Regeln zurichten wollen. Zur Absicherung ihrer Anmaßung, die ganze Welt in ihrem Sinn zu regeln und zur Verbesserung der Kapitalverwertung ihrer, global operierender Konzerne, haben sich die G7 ein weltweites Spinnennetz von Institutionen und Abkommen geschaffen, das sie weitgehend dominieren: Welthandelsorganisation (WTO), Weltbank, IWF, Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die mächtigen Zentralbanken Fed und EZB, das internationale Zahlungssystem SWIFT, der Klub der Industriestaaten OECD und die NATO. Die Mächtigen der Industriestaaten des Westens kommen hier zusammen, um Auswege aus den krisenhaften politischen und ökonomischen Entwicklungen zu beraten. Dabei sind vor allem diese reichen Staaten Hauptverursacher globaler Probleme wie Klimakrise, Ressourcenknappheit und Ungleichheit oder Aufrüstungswahnsinn. Der globale Süden – das sind ärmere Länder Afrikas, Asiens und Süd- und Mittelamerikas – Regionen, in denen die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt, sind von den Beratungen ausgeschlossen.

Welche Rolle wird der Krieg in der Ukraine spielen und wie sieht die Bilanz dieses Krieges aus, soweit das zu überschauen ist?

Walter Listl: In diesem Jahr wird der Krieg in der Ukraine, und damit verbunden das Verhältnis zu Russland, den Gipfel in starkem Maße prägen. Und dies umso mehr, als immer deutlicher wird, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen Deutschland wohl mehr treffen als Russland. Im Aufruf zu den Protesten findet sich eine klare Position zum Überfall Russlands auf die Ukraine. Darin heißt es: „Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist ein Verbrechen und muss beendet werden. Historisch hat die NATO – dominiert von den G7-Staaten – den Konflikt befördert. Wir verurteilen alle Kriege und solidarisieren und mit allen, die gegen Krieg und Ausbeutung und für soziale Gerechtigkeit einstehen. Die Mehrheit des Anti-G7 Bündnisses ist in diesem Konflikt weder pro-russisch noch pro-ukrainisch. Wir sind pro Frieden, pro Abrüstung, gegen Waffenlieferungen und pro Abschaffung aller Atomwaffen. Im Fokus der Proteste steht aber nicht die Ukraine, sondern das Klimathema und entwicklungspolitische Probleme des globalen Südens. Bei den G7 Beratungen wird dagegen der Kampf um die Ukraine als geopolitisches Schlachtfeld zwischen westlichem Imperialismus und Russland zentral sein.“ Die politische Bilanz des Krieges um die Ukraine ist desaströs. Der Krieg erweist sich als Steilvorlage für die NATO und deren Führungsmacht USA. Mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg hat Russland nicht nur den Frieden in Europa torpediert, sondern auch der Friedensbewegung einen Bärendienst erwiesen. Ich will nur einige Punkte dieser Bilanz nennen:

  1. NATO und EU haben ihre internen Differenzen zurückgestellt. („Hirntod…“) Die NATO- Staaten versammeln sich hinter den USA, deren Führungsrolle in dem Maße wächst, wie politische Konflikte militärisch ausgetragen und entschieden werden.
  2. Statt einer Schwächung der NATO wird mit Schweden und Finnland eine Norderweiterung der NATO erfolgen. Weitere Staaten wollen unter den „Schutzschirm“ der NATO vermeintlich unangreifbar zu werden.
  3. Mit dem Stopp von Nordstream 2 fügt sich Deutschland unter das Energiediktat der USA. Die Folge davon ist teure und schmutzige Energie – Fracking – und die Rückkehr zu Kohle und Atomkraft wird jetzt favorisiert. Damit sind die Klimaziele passe´. Und es legt unwidersprochen ein 100 Milliarden Rüstungsprojekt auf – sehr zur Freude deutscher und US- Rüstungskonzernen.
  4. Große Teile der Infrastruktur der Ukraine sind zerstört und statt die Ukraine z u „entmilitarisieren“, wird das Land mit NATO-Waffen vollgepumpt.
  5. Die Kriegsverbrechen der USA/NATO sind in den Hintergrund getreten- Afghanistan, Irak, Jugoslawien, Irak und Libyen, um nur einige der 152 Auslandseinsätze zu nennen, die der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses aufzählt.
  6. Russland hat die Position all derer geschwächt, die für die kategorische Forderung einer friedlichen Koexistenz, für die nicht-militärische Lösung politischer Konflikte eintreten.

Ist Putin irre?

Walter Listl: Nein, sondern er hat sich geirrt was die Konsequenzen des Überfalls auf die Ukraine angeht. Sein Krieg ist eine Steilvorlage für den westlichen Imperialismus, hat diesen gestärkt. Russland ist dabei, sein weites Afghanistan zu erleben, sich in einen vermutlich jahrelangen militärischen Konflikt zu verwickeln. Hierzu bemerkt die SZ: „Dieser Krieg ist aus der Perspektive Washingtons der Testlauf für den weit brisanteren Weltkonflikt zwischen China und den USA“. Und darum geht es – um einen Testlauf für den Krieg gegen die VRCh, den namhafte Militärstrategen der NATO für unausweichlich halten. Man werde, versichert Berlin, „die Rolle der G7 als Brückenbauer und Vermittler für Frieden und Sicherheit stärken“. Eine dreiste Propagandalüge der G7. Die Nato hat ihren Status als Verteidigungsbündnis längst verloren. Sie ist eine aggressive globale Eingreiftruppe mit weltweiten Einsätzen geworden. Ihre stete Osterweiterung – alle Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes außerhalb der früheren Sowjetunion sind heute Mitglied der Nato – haben in Russland zu einer Einkreisungs-Bedrohung geführt, die Putin zur propagandistischen Begründung seiner kriminellen und für die gesamte Arme Welt schädlichen Invasion in die Ukraine verhalf. Es ist nicht zu sagen, wie und wann dieser Krieg endet. Nur ein Sieger steht schon fest: Rheinmetall, KM-Wegmann und die Konzerne des Militär-Industriekomplex in Europa und den USA.

Man liest – z.B. in den Publikationen des isw - das Gewicht der G7 in der Weltwirtschaft nehme ab. Trifft das wirklich zu und welche Konsequenzen hat das?

Walter Listl: Die G7-Länder verlieren Jahr für Jahr an wirtschaftlicher Kraft. 2006 standen die G7 für zwei Drittel der Weltwirtschaftsleistung, 2020 waren es nur noch 45%. Zum G7 - Löwenanteil am Welt-BIP: Die G7-Staaten, also knapp 10% der Menschheit erzeugen den Löwenanteil des Welt-Sozialprodukts. Trotz des Vorsprungs der führenden kapitalistischen Länder, holen die Schwellenländer mächtig auf. Ein Beispiel dafür sind die BRICS-Staaten, eine lockere Assoziation führender Schwellenländer mit Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika. Nach Kaufkraftparitäten lag deren Anteil im Jahr 2000, also vor 20 Jahren, bei 15,8% am Welt-BIP – 2020 bei 31,2%. Im gleichen Zeitraum ging der Anteil der G7 von 45,7% auf 31,0% zurück. Die Entwicklung spiegelt sich auch im Verhältnis der beiden Führungsmächte wider: Im Jahr 2000 hatten die USA einen Weltanteil der Wirtschaftskraft von 21,8%; China dagegen nur 6,9%. Im Jahr 2020: USA 15,8% China dagegen 18,3%. China ist also zur größten Welt-Wirtschaftsmacht aufgestiegen, eine ungeheure Herausforderung für die G7. Dafür, dass die G7 dennoch der große Faktor in der Weltarena bleiben, sorgen vor allem ihre militärischen Partner: NATO mit dreißig Mitgliedsstaaten aber auch andere, gegen China gerichtete Militärbündnisse wie Aukus wo Australien, Kanada, die USA oder die Vereinbarung mit Japan, US-Streitkräfte in und um Japan herum zu stationieren. Die Tendenz, an ökonomischer Dominanz zu verlieren geht einher mit einer uneinholbaren militärischen Hegemonie des westlichen Imperialismus und damit der Versuchung, im globalen Wettbewerb der Systeme auf die militärische Karte zu setzen. Die NATO ist das Schwert der G7. Alle größeren NATO-Staaten übertreffen sich seit Beginn des Ukrainekriegs im Wettrüsten und in der Entwicklung neuer Waffensysteme. Die Militärausgaben der NATO betrugen 2021 1.157 Milliarden Dollar, 55 Prozent der Weltmilitärausgaben von über zwei Billionen Dollar: 2.113 Mrd. $. Unter den Top 15-Ländern, geordnet nach der Höhe der Militärausgaben, sind alle G7-Länder. Einsam an der Spitze stehen die USA mit 801 Milliarden Dollar was einem Anteil von 38% der Weltausgaben für Militär und Waffen entspricht. Die NATO gibt im Vergleich zu Russland das 18-fache für Rüstung aus: 1.157 Mrd. Dollar zu 65,9 Mrd. Die NATO-Länder werden sich nicht sicherer fühlen, wenn sie demnächst das 20-fache ausgeben oder Deutschland seine 100 Mrd. Euro zusätzlich verpulvert. Addiert man nur die Rüstungsausgaben der G7-Länder, kommt man auf einen Betrag von 1.095 Mrd. Dollar: 52 Prozent der Welt-Rüstungsausgaben Die Aufgabe der G7 ist klar: Die schwindende Dominanz des Westens gegen den ökonomisch aufholenden globalen Süden mit China an der Spitze aufzuhalten. Der Anteil der USA am Welthandel geht zurück. In den USA im Jahr 2000 bis zum Jahr2020 von 15% auf 11%. Dagegen hat die VRCh ihren Anteil in dieser Zeit von 3,5% auf 13% erhöht und ist zur Nummer eins im Welthandel geworden. China ist für die USA zum globalen Rivalen geworden. Die G7 ist ein Instrument der reichen Welt, dem Planeten eine „regelbasierte Ordnung aufzuerlegen, aber eben die Regeln, die von den G7 bestimmt werden, die ihren Interessen entsprechen.

Sind China und die Entwicklungsländer auf der Überholspur, während die USA und der politische Westen auf der Standspur verbleiben?

Walter Listl: Nein, so einfach ist das nicht. Die schwindend wirtschaftliche Dominanz des Westens ist nur ein Entwicklungsmerkmal. In der Liste der weltweit größten Volkswirtschaften finden sich alle G7-Staaten unter den ersten fünfzehn. Unter den 8 weltweit größten Volkswirtschaften sind zwar 5 Länder des globalen Südens, nämlich China, Russland, Indonesien, Brasilien und Indien. Doch das sind vergleichsweise arme Länder. Teilt man die Wirtschaftskraft dieser Länder durch deren Bevölkerungszahl wird klar, dass diese Länder sich auf einem weit geringeren Wirtschaftsniveau als die G7-Staaten befinden. Das hängt auch damit zusammen, dass Teile der Produktion, die eine geringere Qualifizierte Arbeit erfordern und niedrigere Lohnkosten verursachen in die armen Länder des globalen Südens verlegt werden. So haben diese Länder Teile ihrer Industrieproduktion, insbesondere die energieintensivsten und umweltschädlichsten Grundstoffindustrien (Stahl, Aluminium, Zement, etc.) in die Schwellenländer verlagert. Und damit auch ihren CO2 -Ausstoß. Und dennoch sind die G7 mit einem Zehntel der Weltbevölkerung verantwortlich für fast ein Viertel der Treibhausgase.

Damit sind wir bei Stichwort Umwelt und Klimabilanz. Sich für einen nachhaltigen Planeten einzusetzen, steht im Programm der G7-Konferenz. Was ist davon zu halten?

Walter Listl: Tatsächlich gehören die G7-Länder zu den mit Abstand schlimmsten Umweltsündern. Bis auf Kanada gehören alle G7-Staaten zu den zehn Übelsten Umweltverschmutzern weltweit. Der durchschnittliche Ressourcenverbrauch pro Kopf ist in reichen Ländern zehnmal so hoch wie in Ländern mit geringem Einkommen. Vor allem vernutzen die reichen Industrieländer Rohstoffe und andere Ressourcen (Wasser, Energie, Boden, etc.) weiterhin so, als seien sie unendlich. Würde man den American Way of Life and Production auf die ganze Welt übertragen, bräuchte man drei bis vier Planeten. Die Propagandaformel der deutschen Regierung, es gelte „dem Klimawandel als Treiber für Armut, Hunger, Geschlechterungerechtigkeit, Konflikte und Vertreibung weltweit entgegenzuwirken“, ist ein Zynismus sondergleichen. Siehe die Entscheidung, schmutziges Fracking-Gas aus den USA zu importieren. Die G7-Länder sind die Hauptakteure der Umweltverschmutzung, und am Rio Grande wie im Mittelmeer haben sie Todesmaschinen gegen die Vertriebenen eingerichtet, die vor Armut und Umweltzerstörung fliehen. Die G7 lösen die anstehenden Probleme nicht - sie sind das Problem. Die Losung für den Kampf gegen das globale Kapital heute müsste heißen: Arbeiter und Frauen aller Länder, Völker der Schwellen- und Entwicklungsländer vereinigt Euch – für das Ende der Ausbeutung von Mensch und Natur, für die Schaffung solidarischer Beziehungen national wie international.