Bolivien drückt das Menschheitsgewissen aus. Das Ergebnis von Cancun zeigt das Kräfteverhältnis heute in der Überlebensfrage des globalen Klimawandels.

Eines der ärmsten Länder der Welt, Bolivien – mit seinem Indio-Präsidenten Evo Morales – vertritt am Ende symbolisch alleine das Menschheitsgewissen. Es opponierte gegen einen unzulänglichen und zum Teil sogar direkt falschen und gefährlichen sogenannten “Kompromiss” zwischen den reichen und den armen Ländern. Hinter Bolivien standen inhaltlich zwar viele andere Staaten, aber am Ende des Marathon-Kongresses fügten sie sich der Macht der Verhältnisse und unterließen eine klare Ablehnung.

Ist das nun ein Fortschritt im Vergleich zu Kopenhagen, als dort die Vollversammlung der Länder mit überwiegender Mehrheit den sog. “Copenhagen Accord” – das Diktat der reichen Länder – ablehnte? Die reichen Industrieländer – angeführt von den USA, dann aber auch EU, Russland und Japan – vertreten die Interessen der noch dominanten globalen fossilistischen Energie-, Chemie-, Auto-, Flugzeug- und Militärindustrie und die damit verbundene global dominante kapitalistische Art der Produktion und Konsumption und die entsprechende Lebensweise.

Die Mehrzahl der armen Länder wollen sich zum einen noch wesentlich mehr entwickeln – dies sollte ihnen auf möglichst klimafreundliche Art ermöglicht werden – und sie wollen sich zum anderen gegen die Auswirkungen des Klimawandels schützen bzw. an die jetzt schon eingetretenen Klimaänderungen anpassen. Eine Reihe von ihnen sind heute schon im Besonderen Opfer von klimaverursachten Naturkatastrophen (s. Pakistan, Vietnam, karibische und pazifische Inselstaaten). Im Grunde hat auch Cancun gezeigt, allerdings wesentlich weniger drastisch und spektakulär als Kopenhagen, dass die heutige Welt auch in der Frage des Klimas von dem Mega-Konflikt gekennzeichnet ist zwischen den herrschenden Destruktivkräften, die weiter ihre rein profitorientierten Geschäfte machen wollen und den Lebensinteressen der Mehrheit der Völker.

Trotzdem sollte m.E. der Spott und die Kritik nicht den Prozess der internationalen Klimaverhandlungen treffen.

Der Prozess der Klimaverhandlungen ist etwas anderes als der G7-, G8- oder auch als der G20-Prozess. Die Klimakongresse sind keine derartige imperiale Veranstaltungen, wo sich die mächtigen Länder selbst als “Weltgemeinschaft” stilisieren. Dort sitzen wirklich Vertreter von fast allen Staaten der Erde zusammen und ringen um eine Antwort auf das existenzgefährdende globale Problem des Klimawandels, der inzwischen schon begonnen hat und der am Ende alle Staaten, allerdings in unterschiedlicher Härte und Dimension, betreffen wird. Jeder Staat, ob groß oder klein, arm oder reich hat eine Stimme, Beschlüsse können eigentlich nur im Konsensprinzip beschlossen werden.

Was wurde in Cancun beschlossen?

In der turbulenten, letzten Sitzung in der Nacht vom 10. auf den 11.12. hat die mexikanische Vorsitzende, die Außenministerin Patricia Espinosa, ein Paket von 26 Papieren – die sog. “Cancun Agreements”[1] – als Beschluss von 193 Ländern deklariert, obwohl Bolivien massiv dagegen argumentierte und seine Zustimmung verweigerte. Sie sagte lediglich, die Einwände Boliviens würde in einer Fußnote zu den Vereinbarungen vermerkt. Damit wurde zwar gegen das bei der UNO übliche und erforderliche Konsensprinzip verstoßen, aber vor allem bei den reichen Ländern und deren Mainstream-Medien werden diese “Beschlüsse” als “Erfolg” (Röttgen) und als Basis für die nächste UN-Klimaverhandlung in Durban positiv gewertet. Damit sei das Kopenhagen- Desaster überwunden und internationale Klimaverhandlungen wieder konstruktiv möglich. Es wurde u.a. folgendes vereinbart:

Zwei-Grad-Ziel:

In einer Präambel wird formuliert, dass sich die Erde auf lange Sicht um höchstens 2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmen darf. Immerhin soll 2015 geprüft werden, ob diese Ziel nicht auf 1,5 Grad verschärft werden muss. Konkrete Vereinbarungen oder Zeitpläne dazu wurden jedoch nicht formuliert. Die von den Ländern bisher vorgelegten Ziele reichen bei weitem nicht aus, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Nach wissenschaftlichen Berechnungen würden diese freiwilligen Verpflichtungen zu einer Erhöhung der mittleren globalen Durchschnittstemperatur um 3,6 bis 4 Grad Celsius führen.

Kyoto Protokoll

In diesem Papier, das nur für die Mitglieder des Kyoto Protokolls (die USA haben selbst das schon damals völlig unzureichende Kyoto Protokoll nie ratifiziert und boykottieren es seitdem sogar!) gilt, wird immerhin bekräftigt, dass die Unterzeichnerstaaten insgesamt bis 2020 ihre CO2-Emissionen um 25-40 % unter den
Stand von 1990 absenken sollen.

Eine zweite Verpflichtungsperiode des Protokolls wird zwar erwähnt, aber auch hier sind keine konkreten Vereinbarungen getroffen worden. Damit ist der wichtigste Punkt zur Bekämpfung des Klimawandels nämlich die ambitionierte Reduktion der Treibhausgase in den industrialisierten reichen Ländern in keiner Weise geregelt. Die Wissenschaft sagt, dass die reichen Industrieländer bis 2020 ihre Emissionen um 40 % reduzieren müssen, um das langfristige Zwei-Grad-Ziel mit einigermaßen großer Wahrscheinlichkeit zu erreichen.

Klimafonds

Die Aussagen in diesem Punkt sind im Wesentlichen eine Wiederholung der Absichtserklärungen von Kopenhagen. Für den Zeitraum von 2010 bis 2012 sagten die Industrieländer 30 Mrd. Dollar zu, wie aber inzwischen bekannt wurde, haben sie zum großen Teil kaum neue Gelder zugewiesen, sondern lediglich schon anderweitig zugesagte Entwicklungshilfe-Gelder umetikettiert. Das Cancun-Papier drängt in diesem Punkt die Industriestaaten immerhin auf mehr Transparenz. Die Zeit von 2013 bis 2019 wird mit keinem Wort erwähnt, ab 2020 soll dieser Klimafonds dann jährlich 100 Mrd. Dollar betragen. Zu diesem Punkt ist anzumerken, dass die vorgeschlagene Höhe eines derartigen Klimafonds in keiner Weise der Notwendigkeit und Dringlichkeit entspricht, damit Entwicklungsländer sich an die Folgen des Klimawandels anpassen und klimafreundlich entwickeln können.

Außerdem fehlt in diesem Punkt komplett der Gedanke der Klimagerechtigkeit und daraus abgeleitet die Tatsache einer Klimaschuld der Industrieländer und daraus resultierender Finanzvolumina. Wenn man einer derartigen einfachen, gerechten und nachvollziehbaren Denkweise folgen würde, dann müsste ein solcher Klimafonds heute schon ein Volumen von ca. 500 Mrd. Dollar haben[2]. Bolivien forderte, dass die Industrienationen genauso viel Geld zur Rettung des Klimas bereitstellen wie sie für die Rüstung ausgeben. Dieser Betrag hätte die avisierten 100 Milliarden US-Dollar um ein 15-faches überstiegen.

Im Cancun-Papier wird die Weltbank als Betreiber und Verwalter des Klimafonds benannt. Dies ist angesichts der problematischen Rolle, die die Weltbank im Rahmen des internationalen Finanzkapitals spielt und gespielt hat, äußerst kritisch zu sehen. Es sollte vielmehr eine nach den Prinzipien der UNO konstruierte, völlig transparente und wirksame Institution geschaffen werden.

Waldschutz

Die Zerstörung der Wälder trägt zu über 15 % zum globalen Treibhauseffekt bei. In diesem Zusammenhang ist schon seit Jahren von einem sog. Waldschutzprogramm REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation) die Rede. Doch damit ist man auch in Cancun nicht weitergekommen. Offen ist auch noch, ob der Wald in den Emissionshandel einbezogen wird. Ein Zertifikatehandel würde vor allem kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen und Spekulationen dienen und zusätzlich könnten sich emissionsintensive Unternehmen damit auf einfache Weise freikaufen. Industrieländer dürfen sich nicht durch den Handel mit waldbezogenen Zertifikaten von ihren Verpflichtungen zur Einsparung von Emissionen im Energiesektor freikaufen können.

Immerhin sollen Wälder im Allgemeinen auf nationaler Ebene betrachtet werden. Damit würde die Gefahr verringert werden, dass ein Wald zwar geschützt, der daneben liegende aber abgeholzt wird. Auch die Rechte der indigenen Bevölkerung sind nicht adäquat geschützt.

Marktmechanismen

An verschieden Stellen der Dokumente wird immer wieder positiv auf Marktmechanismen verwiesen, man kann sogar fast sagen, die Texte strahlen den Geist einer ungetrübten Marktgläubigkeit aus. So soll der Emissionshandel ausgeweitet werden. Andererseits wird die Kritik z.B. am CDM (clean development Mechanism) kaum berücksichtigt. CCS-Technologie (CO2 capture and storage = CO2 Abscheidung und Speicherung) Die von fossilistischen Konzernen der Kohle-, Öl- und Gasindustrie massiv propagierte CCS-Technologie wird in einem Dokument der Cancun-Beschlüsse nun explizit als “relevante Technologie und als potentielle Option” zur Vermeidung von Treibhausgasen deklariert. Da diese Technologie enorme Energie zusätzlich verschlingt und überdies extrem unsicher und nur mit großem Aufwand kontrollierbar ist (vgl. AtommüllEndlager-Diskussion) wird diese CCS-Technologie von den allermeisten unabhängigen Umweltverbänden als falsche Lösung des Klimaproblems abgelehnt. Im Cancun-Papier werden zwar einige hehre Ziele zur Eindämmung der Risiken formuliert, dies ist jedoch eher als Beschwichtigung und als Feigenblatt zu bewerten.

Die Rolle von Bolivien in Cancun

Die Rolle, die Bolivien in Cancun gespielt hat, wird in offiziellen Medien allgemein diffamiert und in eine Reihe mit den ausgesprochenen Bremsern wie USA, Russland und Japan gestellt, denen Egoismus und kein echtes Interesse an einem Fortschritt der Klimaverhandlungen nachgewiesen wurde. In Wirklichkeit ist jedoch Bolivien als markante Stimme für eine grundsätzlich andere Art einer Klimavereinbarung aufgetreten. Legitimiert ist Bolivien durch die historische “Welt-Konferenz der Völker zum Klimawandel”, die im April 2010 in Cochabamba mit ca. 35.000 Teilnehmern stattfand. Evo Morales und der Botschafter in Cancun, Pablo Solon, vertraten Positionen, die auf dieser Konferenz in Cochabamba erarbeitet wurden:

Bolivien vertrat die Ansicht, dass grundsätzlich andere Prinzipien und Positionen in einem Klimaschutz-Dokument enthalten sein sollten:

  • eine Erklärung zu Rechten der Natur mit Bezug zu Menschenrechten und den Rechten indigener Völker
  • Definition von Wäldern, die Baumplantagen und genetisch modifizierte Bäume ausschließt
  • Zurückweisung von Marktmechanismen
  • Zurückweisung des UN-Programms REDD
  • die Berücksichtigung von Krieg bei Treibhausgasemissionen
  • die Gründung eines Klima-Tribunals

Es gäbe einen relativ einfachen Lösungsansatz

Ein alternativer Ansatz würde bedeuten: Anerkennung der historischen und aktuellen Klimaschuld auf einer pro Kopf Basis. Daraus würde unmittelbar folgen:

  • die Notwendigkeit einer radikalen maximal möglichen Reduktion der Treibhausgas-Emissionen bei den reichen Industrieländern (ohne Ausweich- und Verlagerungsmöglichkeiten auf ärmere Länder) selbst, mit allen weiteren Konsequenzen bzgl. Produktions- und Konsummodell
  • die Vereinbarung eines angemessenen globalen Finanzausgleichs von reich zu arm – orientiert an der jeweiligen Klimaschuld…

Die heute global herrschenden Kräfte wollen diesen auf der Hand liegenden und gerechten, grundsätzlichen Ansatz jedoch auf keinen Fall, weil er eindeutig von ihnen die Hauptverantwortung und -aktivität fordert und weil dies bedeuten würde, dass das gesamte System der Weltherrschaft und das System der Zusammenarbeit der Staaten und Nationen verändert werden müsste und die reichen Länder viel Geld zu bezahlen hätten, um ihre Klimaschuld zu begleichen und damit den armen Ländern klimafreundliche Entwicklungsmöglichkeiten und Anpassung an den Klimawandel zu ermöglichen.

Zusammenfassend

… lässt sich sagen, dass auch Cancun keinen wirksamen, effektiven und gangbaren Weg zur Lösung der Klimaproblematik eröffnet hat. Wichtig und alternativlos bleibt der Kampf auf globaler aber auch auf regionaler und kommunaler Ebene, um falsche Lösungen zu verhindern und eine andere Weltordnung zu erreichen. Nach wie vor bleibt die Losung der globalen Klimabewegung von Kopenhagen richtig: Systemwechsel – nicht Klimawandel.

[1] S. https://unfccc.int/2860.php

[2] Ausführlichere Begründung siehe https://www.isw-muenchen.de/download/Cancun-hs-1010.pdf und transform europe, Journal 07/2010: https://www.transform-network.net/en/home/journal-transformeurope/display-journal-transform/article//The-Costs-of-Carbon-Dioxide-Emissions-A-Just-Basis-for-the-UN-Global-Climate-Summit-in-Cancun.html