Donald Trump hatte Pech. Ins letzte Jahr seiner Amtszeit hagelten zwei Krisen, wie sie seit hundert Jahren nicht mehr erlebt wurden. Im Februar 2020 brach die größte Wirtschaftskrise seit den 1930ern des letzten Jahrhunderts durch. Ab März 2020 schlug die Corona-Pandemie zu, die schlimmste Virenseuche seit der Spanischen Grippe nach dem Ersten Weltkrieg. Das kapitalistische Superland USA war nicht imstande, den Krisen wirksam zu begegnen. Die Wirtschaftsleistung sackte um 12% nach unten. Die Rate der Arbeitslosen stieg auf 15 %, die Armutsquote verdoppelte sich. Die Pandemie forderte über 300.000 Tote, hundertmal mehr als 9/11, der Überfall auf die Twin Towers in New York 2001, zehnmal mehr als US-Soldaten in den Kriegen in Afghanistan und im Irak umkamen. Das weithin private Gesundheitssytem – Hans Fallada hatte es hundert Jahre früher so zusammengefasst: Wer arm ist, muss früher sterben - entließ Hunderttausende in die Massengräber, die privaten Unternehmen entließen Millionen in die Arbeitslosigkeit. Alle zusammen – die rücksichtslose Privatwirtschaft, die privatisierten und zu teuren Systeme der Befriedigung fundamentaler gesellschaftlichen Bedürfnisse - versetzten das US- Volk in Unsicherheit und Angst. Ohne die beiden Jahrhundertkrisen hätte Trump die Wahlen gewonnen. Selbst inmitten der verheerenden Krisen hat er fünf Millionen Stimmen mehr erhalten als 2016. Doch Biden erhielt noch sechs Millionen Stimmen mehr. Nicht wegen Biden – die Mehrheit der WählerInnen wollte das vulgäre, rassistische Großmaul, das nicht fähig war, ihr Leben zu schützen, aus dem Weißen Haus entfernen. Sie wählten nicht Biden, sie wählten den Nicht-Trump.

Nicht-Trump heißt: Ein Politikwechsel hin zu Demokratie und sozialer Gerechtigkeit

Nicht-Trump meint aber auch ein Nein zur Politik Trumps und zu deren autoritärer und rassistischer Darbietung, hat auch eine eminent politische Bedeutung. Insofern ist die Kennzeichnung des Wahlergebnisses als „knapper Sieg der Demokraten für einen Politikwechsel“[1] auch zutreffend. Es ging nicht nur um einen personellen Austausch, es ging um die politische Substanz. Das ist der eine Punkt, der die jetzige Lage vergleichbar macht mit der, die Barack Obama bei seiner ersten Wahl zum US-Präsidenten 2008 antraf. Der zweite Punkt, warum das damalige Obama-Projekt jetzt in den Fokus rückt, ist die fast absurde Übereinstimmung des Personals des Biden-Teams mit demjenigen des ersten schwarzen US-Präsidenten. George W. Bush verließ 2008 das Weiße Haus als ein Versager historischer Dimension. In Afghanistan und im Irak hatten die USA zwei kriegerische Invasionen gestartet, die jeweils in Tragödien mündeten. Der Außenminister hatte vor den UN eine in jeder Beziehung miserable Fälschung der US-Geheimdienste über angebliche Waffen im Irak vorgetragen. Die US-Regierung stand da als inkompetente und ruchlose Vertretung einer absinkenden Weltmacht. Im Land selbst nahmen Arbeitslosigkeit und Armut zu, während „Gier“ zum Hauptwort einer superreichen Elite geworden war. System Obama: Phrasen der Gleichheit, Realität der Spaltung In diese Situation platzte Obama, der junge Schwarze, mit seiner perfekten Mischung aus pastoraler und juristischer Brillanz. Seine magischen Vokabeln waren „hope“ und „change“ – Hoffnung und Wandel und yes, we can. Zwar war die Begeisterung in den USA nie so groß wie in Deutschland, das über Erlöser jeder Art leicht in Verzückung gerät, doch waren Erwartungen und Hoffnungen auch dort groß. Die Klassen und Schichten wurden sehr unterschiedlich bedient. Obama konnte die große Show eines humanen und liberalen „transnationalen Kapitalismus“ hochziehen, doch hinter der Bühne kam es in der Innen- wie in der Außenpolitik zur Realität einer kriegerischen und plutokratischen Strategie. Nie gab es in der jüngeren Geschichte mehr militärische Interventionen und Drohnen-Tötungen als unter Obama. Und innenpolitisch forcierte Obama die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Trennung in Unten und Oben. Teilen wir die US-Gesellschaft in fünf Quintile – 1 – 20, 21 – 40 usw. – dann erlebten in den acht Jahren Obama-Präsidentschaft die unteren vier Quintile, also 80 % der Bevölkerung, einen Rückgang ihrer Anteile am Gesamtvolkseinkommen. Nur die obersten 20 % konnten ihren Anteil steigern – von 50,7 auf 52,2 %. Das „System Obama“ war mithin für die Masse der US-Bevölkerung eine herbe Enttäuschung. Das war auch der Grund, weswegen Obamas Außenministerin Hillary Clinton gegen Trump die Präsidentschaftswahlen verlor. Es erhebt sich nun die Frage, ob ein Obama-Team unter dem Präsidenten Biden eine bessere Vorstellung abgibt, oder ob 2024 ein neuer reaktionärer Rechtspopulist auf eine Biden-Harris-Enttäuschung folgt.

Biden-Harris: Die nächste Enttäuschung?

Dazu könnte es schon deshalb kommen, weil der neue Chef, Joe Biden, seine Wahl nicht als Sieg für einen demokratischen Politikwechsel sieht. Seine magische Vokabel lautet: nationale Versöhnung, Heilung. Dies bedeutet selbstverständlich und vor allem eine Absage an die linken Forderungen aus seiner eigenen Partei. Solche müssten abgewehrt werden, weil man die Verständigung mit den rechtsautoritären Sprechern der Republikaner suchen und finden muss. Schon im Wahlkampf hat Biden sich der berühmten „Mitte“ damit empfehlen wollen, dass er ja den linken Bernie Sanders bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei niedergerungen habe[2]. Die fast fünf Jahrzehnte währende politische Tätigkeit Bidens weist ihn aus als offen für die Belange der Banken und gegebenenfalls auch für politische Deals mit Rassisten. Dies warf ihm seine Vizin Kamala Harris in einer der Vorwahlen-Diskussionen vor, dass er sich mit rassistischen Republikanern in den Siebziger Jahren gegen das Busing, den Transport schwarzer Kinder in gleichrassige Schulen außerhalb des Wohnbezirks eingesetzt habe. Harris stand eng an der Seite von Biden, als es darum ging, Bernie Sanders und Elizabeth Warren auszubooten. Als Generalstaatsanwältin von Kalifornien weist sie eine Bilanz „tougher“ Maßnahmen gegen Schulschwänzer und -störer und später auch gegen Gewaltverbrecher vor, was sich aus den gegebenen sozialen Gründen vor allem gegen Schwarze richtet. Sie brachte es auch zur eigenständigen Multimillionärin (neben ihrem millionenschweren Ehemann), was für eine Staatsdienerin selbst in den USA eine Ausnahme ist. Die erste afroamerikanische und erste asienstämmige Vizepräsidentin der USA für eine „natürliche“ Vertreterin der Interessen ethnischer Minderheiten zu halten, wäre eine gewaltige Fehlannahme.

Nur Obama selbst fehlt im Team Biden

Dem Kabinett Biden werden rund 30 MinisterInnen und BeraterInnen des engsten Führungskreises angehören, von denen gut 25 bereits benannt worden sind. Dem „Transitionteam“, das den Übergang von President elect zum amtierenden Präsidenten organisiert, sitzt Anita Dunn vor, die nicht nur Kommunikationschefin des Präsidenten Obama war, sondern vor kurzem auch pro bono-Verteidigerin von Harvey Weinstein in dessen Prozess wegen Sex-Gewaltverbrechen. Frau Dunn ist keiner fortschrittlichen Tendenzen verdächtig. In der neuen Kabinettsriege finden wir mit wenigen Ausnahmen nur Menschen, die schon Obamas Politik fabrizierten und vollstreckten. Außenminister Blinken war schon damals stellvertretender Außenminister und stellvertretender nationaler Sicherheitsberater. Finanzministerin Yellen war Chef der Notenbank Fed. Verteidigungsminister Lloyd Austin war der kommandierende General der US-Invasion im Irak. Agrarminister Tom Vilsack bekleidete denselben Posten acht Jahre lang im Kabinett Obama. Verkehrsminister Pete Buttigieg ist zu jung, um Obama-Regierungserfahrungen zu haben, er hatte sich für das Kabinett qualifiziert mit seinen scharfen Attacken im Vorwahlkampf gegen Bernie Sanders. Besonders spannend ist die Riege der wichtigsten Berater. Dem Rat der Wirtschaftsberater sitzt Cecilia Rouse vor, eine ausgewiesene Fachfrau, die schon Obamas Rat der Ökonomie-Experten angehörte. Cecilia Munoz, im Transitionteam zuständig für Einwanderungsfragen, war schon Obamas zuständige Expertin, der damals beim Problem der von den Behörden auseinander gerissenen Familien die Einschätzung gelang: „Da wird es Eltern geben, die man von ihren Kindern trennt. Wir müssen das nicht mögen, aber es ist das Ergebnis eines Rechtssystems, das kaputt ist.“ Als Krönung des Biden-Beraterteams mag John Kerry als „US Special Presidential Envoy for Climate“ gelten. Als Außenminister Obamas war er vor allem zuständig für die Niederschlagung des „arabischen Frühlings“. In der langen Liste der Minister und Chefberater sucht man vergebens einen Vertreter des linken Flügels, weder den „demokratischen Sozialisten“ Sanders noch die zentristische Sozialdemokratin Elizabeth Warren, noch eine der vier Vertreterinnen der „squad“ kann man finden, obwohl diese sich selbst als demokratische Sozialistinnen bezeichnenden Politikerinnen ihre Sitze mit Ergebnissen zwischen 64 und 87 % wiedergewannen[3]. Die Rechte setzt sich mit der Kabinettsliste ebenso durch, wie ihnen dies schon mit dem Wahlprogramm gelang. Dort findet sich weder die Forderung eines Gesundheitswesens für alle – stattdessen eine staatliche Einrichtung neben den privaten Versicherungen – noch etwa Forderungen nach einer Demokratisierung der Wirtschaft. China wird gekennzeichnet als Feind Nr. 1, die USA sollen wieder die Führung der „freien Welt“ übernehmen. Das alte Obama-Team versucht es mit der alten Obama-Politik. Die Rechnung wird in vier Jahren präsentiert.


[1] Joachim Bischoff/Bernhard Müller: Knapper Sieg der Demokraten für einen Politikwechsel. Sozialismus.de, Heft 12-2020 [2] Ingar Solty: Imperialer Neoliberalismus, rechtsautoritärer Nationalismus. Sozialismus.de, Heft 12-2020, S. 13 [3] ebd., S. 15