Die globale Dimension muss im Kampf gegen den Klimawandel stärker berücksichtigt werden. Dazu ist die Anerkennung von konkreten Klimaschulden der Industrieländer im globalen Norden unabdingbar. In der Corona-Pandemie mussten Gesellschaften weltweit lernen, einigermaßen ernsthaft mit einer neuen Herausforderung durch die Natur umzugehen. Der Klimawandel jedoch stellt heute schon, aber noch mehr mittel- und langfristig eine um viele Dimensionen schlimmere Herausforderung bzw. Gefahr für erträgliche Lebensbedingungen der ganzen Menschheit durch die uns umgebende Natur dar als ein Virus. Aber wie geht die Gesellschaft bei uns und weltweit mit dieser Herausforderung durch die von uns langfristig und im großen Stil veränderte Natur, also mit dem Klimawandel und mit anderen Umweltveränderungen wie etwa mit dem Artensterben um? Man muß leider konstatieren, daß - trotz einer gewissen oberflächlichen Klima-"Getriebsamkeit" im lokalen und regionalen Rahmen - eben nicht die notwendige globale Ernsthaftigkeit im Umgang mit den schon sicher feststellbaren und noch schlimmer für die Zukunft vorhersehbaren Herausforderungen durch die klimatisch aufgeheizte Natur stattfindet.

Verschiebung der COP26 in Glasgow um 1 Jahr wegen Corona – nur halb so schimm? – Internationale Klimafinanzierung?

Eigentlich sollte in diesem November 2020 der 26. UN-Klimagipfel in Glasgow stattfinden (COP26). Wegen Corona fällt er jedoch aus und wird um 1 Jahr verschoben. Manche sagen vielleicht, das sei gar nicht so schlecht, so würde weniger CO2 für die Reisen von Zehntausenden aus aller Welt dorthin anfallen, ein wirklich positives Ergebnis sei sowieso eher minimal zu erwarten ... Das stimmt, zumindest teilweise. Trotzdem ist der komplette Ausfall der diesjährigen UNO-Klimakonferenz und der fehlende Protest dagegen auch ein Symptom für das z.Zt. viel zu geringe globale Engagement gegen den Klimawandel. Auch wenn die Methodik dieser Klimaverhandlungen kritisiert werden muss, sollten doch die Anstrengungen der UN, die Thematik des Klimawandel auf der internationalen politischen Agenda zu halten, unterstützt werden. Außerdem paßt dies einigen wohlhabenden Regierungen im globalen Norden (plus Australien u. Saudi-Arabien) sicher auch ganz gut. Denn 2020 ist das Jahr, ab dem von den reichen Industriestaaten der Welt (sog Annex 1 – Staaten im Kyoto-Protokoll) jährlich 100 Milliarden US-Dollar bereitgestellt werden sollten, um die Entwicklungsländer sowohl bei der Minderung von Treibhausgas (=THG) - Emissionen als auch bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Diese Klima-Ausgleichsfinanzierung in Höhe von 100 Mrd $ wurde immerhin vor 11 Jahren, d.h. 2009 beim ansonsten grandios gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen (COP15) versprochen und zwar damals für das Jahr 2020 – und das ist nun genau dieses Jahr... Die konkrete Situation ist aber nun so, dass diese 100 Mrd. $ noch keineswegs auch nur annähernd und verbindlich zusammen sind. Das wäre sicher ein interessanter Tagesordnungspunkt in Glasgow geworden, bei dem viele Regierungen aus dem globalen Norden unangenehm und peinlich hätten lavieren müssen, mit schon bekannten Tricks und Umdefinitionen, welche Gelder sie aus der bisher üblichen Entwicklungszusammenarbeit einfach umetikettieren, oder, indem private Gelder und sogar private Projekt-Kredite zu den versprochenen „Zuschüssen“ dazugezählt werden. Durch den Wegfall der Klimakonferenz hat man wieder mindestens ein Jahr „gewonnen“, konnte man unangenehmen Fragen entgehen und seine Verpflichtungen verschieben.

Aktueller Stand des Klimawandels – globale CO2 - Emissionen in Zeiten der Corona-Krise

Es gibt z.Zt. sogar ein Minus! – Ist das wenigstens ein Zeichen der Hoffnung? Der Klimawandel schreitet ungebremst voran. Die globale mittlere Oberflächen-Temperatur ist schon über 1° C höher als in der vorindustriellen Zeit vor ca. 150-200 Jahren, und die mittlere CO2 -Konzentration in der Atmosphäre ist von damals 280 auf über 400ppm heute gestiegen. Die schlimmen Auswirkungen wie verheerende Tropen-Stürme, sintflutartige Überschwemmungen, immer größere Dürreregionen, immer größere und längere Brandperioden und Hitzewellen, gravierende Abnahme der geografischen Verbreitung vieler Pflanzen, Insekten und Wirbeltiere, generell Biodiversitätsverluste und Schäden an Ökosystemen, noch nie beobachtete Polareisschmelzen, zunehmende Versauerung der Ozeane mit negativen Folgen für die marine Biodiversität, Meerespiegelanstieg usw. nehmen weiter zu. Ursächlich dafür steigen die globalen Treibhausgasemissionen nun schon seit der Industrialisierung, aber zunehmend in den letzten Jahrzehnten, kontinuierlich immer weiter an. So stiegen auch 2019 die globalen fossilen CO2 - Emissionen um fast 1% weiter, auf nun ca. 38 Milliarden Tonnen. Neueste Daten für die Zeit der Corona-Pandemie belegen leicht sinkende THG-Emissionen. Aber dieser Rückgang wird wohl leider sofort wieder „aufgeholt“, wenn die Corona-Zeit vorbei ist und keine gravierende strukturelle Änderung der kapitalistischen Weltwirtschaft zur Eindämmung des Klimawandels eingeleitet wurde. D.h. diese kurzfristige Delle im langfristig ansteigenden Trend der Treibhausgas-Emissionen wird sich leider kaum positiv auf den kontinuierlichen Trend der weiteren weltweiten Klimaüberhitzung auswirken.

Ist die 1,5°C-Grenze noch erreichbar?

Es wird ja immer wieder vom Pariser Klimaabkommen und dem dort vereinbarten Ziel gesprochen und geschrieben, die Erderwärmung in Zukunft auf deutlich unter 2°C zu begrenzen Dieses Ziel ist absolut wichtig und sollte die Richtschnur jeglicher ernsthafter Klima-Diskussion sein. Allerdings wird dieses Ziel viel zu oft mit völlig unzureichenden Klima-Programmen und Maßnahmen verknüpft und verkommt so zu einem völlig unangebrachten schmückenden Beiwerk für oft lächerliche Diskusiionen, Maßnahmen und Aktivitäten. Eine angemessene und ernsthafte Orientierung an der 1,5°C-Grenze vom Pariser Klimaabkommen erfordert einen Blick auf das globale THG-Budget, das noch ausgestoßen werden darf. Laut des IPCC-Sonderberichts über 1,5 Grad wird das CO2-Budget, das ab Anfang 2018 gerechnet noch in die Atmosphäre ausgestoßen werden darf, mit nur noch ca. 420 Gigatonnen CO2 angegeben (bei 66% Wahrscheinlichkeit, das Ziel zu erreichen). Dieses Budget wäre bei gleichbleibendem CO2 - Ausstoß rein rechnerisch Ende 2028 schon komplett ausgeschöpft. Danach dürfte also überhaupt kein CO2 mehr ausgestoßen werden. Mit dem Prozess der freiwilligen Selbstverpflichtungen wurde bei den Pariser Verhandlungen leider ein völlig inakzeptabler Pfad in Richtung auf eine globale Temperaturerhöhung von mindestens + 3°C beschritten und damit das selbst proklamierte Ziel von 1,5°C konterkariert. Um die 1,5°C-Grenze einzuhalten, muss sofort in allen Ländern auf der Erde begonnen werden, die CO2 - Emissionen drastisch zu reduzieren, - in unseren reichen Ländern mit den viel zu hohen Pro- Kopf-Emissionen sowieso - und zwar besonders drastisch, was wir schon lange wissen. Die absoluten Emissionen müssen aber auch in allen Schwellen- und Entwicklungs-Ländern deutlich reduziert werden, sonst haben wir keinerlei Chance mehr, das Paris-Ziel einzuhalten. Die Entwicklungsländer können jedoch diese notwendige radikale Wende nicht aus eigener Kraft erreichen. Aufgrund der historisch besonderen Klimaschuld vieler reichen Industrie-Länder haben diese eine besondere Verantwortung auch für die Länder des globalen Südens. D.h. neben den Maßnahmen im eigenen Land muß in der internationalen Klimapolitik ein Mechanismus durchgesetzt werden, der die reichen Klimaschuldner-Länder verpflichtet, jeweils nach ihrer historischen Schuld – z.B ab 1990 gerechnet – einen relevanten finanziellen Ausgleich (mindestens 40 $ /t CO2 )in einen UN-Klimafonds einzuzahlen, mit dem dann in Ländern des globalen Südens Maßnahmen zur Verhinderung des Klimawandels und der Anpassung an den Klimawandel finanziert werden können. Ein solcher Klimafonds hätte eine andere Verbindlichkeit und Größenordnung – mindestens 600 Mrd. $ / a , zuzüglich der bisher schon akkumulierten Klimaschulden i.H. von global ca. 10 Billionen $ - als die o.g. „freiwillig“ versprochenen Finanzmittel. Eine einfache, gerechte und transparente Methode, um die jeweiligen Beiträge der Schuldner-Länder zu berechnen, gibt es. Die Methodik und der grundsätzlich einfache, transparente und gerechte Ansatz ist schon vor 10 Jahren beschrieben worden. Die Situation und die Daten haben sich natürlich seit dieser Zeit drastisch verschlimmert, und die Notwendigkeit eines solchen „Lastenausgleichs“ zwischen dem globalen Norden und Süden hat sich enorm verstärkt. Um dies durchzusetzen, bedarf es allerdings eines sehr viel stärkeren und radikaleren Drucks durch die weltweite Klimabewegung, und das gemeinsam mit der internationalen Klimapolitik durch die ärmeren Entwicklungs- und Schwellen-Länder der Welt. Was die Klimabewegung in Deutschland und Europa betrifft, sollte diese Forderung neben all den anderen wichtigen Themen, die eine eigene ambitionierte Klimapolitik in unserem Land und in Europa betreffen, unbedingt an eine vordere Stelle im Kampf für eine andere, konsequente Klimapolitik gerückt werden. Der gute Slogan „global climate justice“ muss endlich in der o.g. Weise eine handlungsorientierte und bezifferbare Konkretisierung erfahren. So sollte keine Kundgebung und Demonstration mehr veranstaltet werden, ohne die konkrete Forderung an die Bundesregierung, ihre bezifferbaren Klimaschulden in Höhe von mindestens 30 Mrd €/Jahr plus die akkumulierte Klimaschuld von 480 Mrd. $ anzuerkennen und sich für eine entsprechende Änderung der Berechnungs- und Verhandlungs-Methode in der internationalen Klimapolitik einzusetzen.

USA unter Biden – klimapolitisch nun alles gut?

Der von Trump angekündigte Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen ist vor wenigen Tagen in Kraft getreten. Der wahrscheinlich neue US-Präsident Joe Biden hat angekündigt, diesen Austritt umgehend wieder rückgängig zu machen. Ist damit klimapolitisch in den USA nun alles gut? Es wird sich innenpolitisch sicher ein wenig verbessern, hoffentlich weniger starke Förderung der Kohle, Öl und Fracking-Industrie und z.B. eine bessere Besetzung der EPA (US-Umweltagentur). Trotzdem müssen wir konstatieren, dass auch in der Ära Obama/Biden durchaus keine wirklich konsequente Klimapolitik im Land und schon gar nicht international betrieben wurde. So wurden kleinste Vorstöße und Wünsche von armen Ländern oder Ländergruppen in Richtung der o.g. Veränderung der Methodik der internationalen Klimaverhandlungen auch von der Obama- Regierung akribisch und massiv verhindert. Die USA ist die Nation mit der historisch bei weitem größten Klimaschuld (selbst wenn erst ab 1990 gerechnet wird!). Akkumuliert schuldet sie auch bei moderater Rechnung ca. 4,4 Billionen US-Dollar und jährlich mehr als 200 Mrd $. Auch ein Präsident Biden wird alles daransetzen, dieses Faktum zu unterlaufen und sich den daraus folgenden Verpflichtungen zu entziehen. Allerdings wird wohl das Wording nach außen verbindlicher und weniger drastisch sein, als dies unter Trump der Fall war. Dies zu entlarven, wird jedoch für die Klimabewegung verstärkt notwendig sein.

China der größte Klimasünder? Nun auch Indien zu Recht am Pranger? Europa ein Vorbild?

Es wird immer wieder gesagt, dass China weltweit der größte Klimasünder sei. Der richtige Teil der Aussage besteht darin, dass China seit einigen Jahren – genau seit 2005 - die USA bei den absoluten CO2 - Emissionen überholt hat. China emittierte in 2019 11,5 Gt CO2 (aus fossilen Quellen). Allerdings hat China eine über 4,3 Mal so große Bevölkerung als die USA. Dadurch bleibt bei einer Gerechtigkeitsbetrachtung (ab 1990) China entgegen der weitverbreiteten Meinung z.Zt noch völlig frei von Klimaschulden, während die USA bereits bei moderaten Annahmen einen Schuldenberg von > 4 Billionen US-Dollar angehäuft haben. Indien hat inzwischen mit 2,6 Gt CO2 zwar absolut die drittgrößte CO2 - Emission pro Jahr aller Länder, aber noch mehr als China, aufgrund seiner riesigen Bevölkerung absehbar, auf viele Jahrzehnte hinaus keine Klimaschulden. Und wie steht es mit der europäischen Union? Die EU27+UK steht mit seiner absoluten jährlichen CO2-Emission z.Zt. hinter China und den USA an 3.Stelle in der Welt. Und bei einer Gerechtigkeits­betrachtung ab 1990 sogar an zweiter Stelle – nach den USA – mit einem akkumulierten Schuldenberg von mehr als 1,3 Billionen US-Dollar. Insofern ist Europa also keineswegs ein klimapolitisches Vorbild und müsste neben noch weit ambitionierteren Klimazielen in Europa selbst – also auch weit ambitioniertere Ziele und Maßnahmen als der vielgepriesene „green deal“ der EU-Kommision - einen wesentlich größeren Beitrag mit Klimaausgleichszahlungen i.H. von ca. 130 Mrd $ / a für die Länder des globalen Südens leisten, um eine weltweite Wende zur Verhinderung von THG-Emissionen zu ermöglichen und zu unterstützen, und um die drohende globale Temperaturerhöhung unter der 1,5C-Grenze zu halten. Film “Ökozid“ im Fernsehen zur besten Sendezeit und die Dokumentation “Expedition Arktis - Ein Jahr. Ein Schiff im Eis“. Eine gewisse Hoffnung ist derzeit im medialen Bereich zu sehen. So wurde am 18.11.2020 in der ARD zur besten Fernsehzeit der Film „Ökozid“ gesendet und durch Diskussionen danach und im Internet vertieft. In dieser fiktiven Dokumentation, die im Jahr 2034 spielt, klagen 31 Länder des globalen Südens gegen die Bundesregierung Deutschland wegen ihrer Verantwortung für die Menschenrechte auf eine unversehrte Natur und das Lebensrecht. Und sie fordern Schadenersatz i.H. von 60 Mrd €, um ihr eigenes Überleben zu sichern. Das Gericht muss entscheiden, ob die deutsche Politik in den Jahren vor 2020 für ihr Versagen beim Klimaschutz zur Verantwortung gezogen wird. Zwei Tage vorher kam ebenfalls in der ARD die beeindruckende Dokumentation über die Arktis-Expedition des Forschungsschiffs “Polarstern“, in der überzeugend und unzweifelhaft die enorme Veränderung der polaren Natur und damit des globalen Klimasystems beschrieben wurde. Leider haben die Talk-Runden im Anschluss an die Filme das gute Potential an Aufklärung durch die vorherigen Filme nicht wirklich genutzt. Dass Klimafragen zunehmend auch zu juristischen Verfahren auf den verschiedensten Ebenen[1] bis hin zu internationalen Gerichten führen, zeigt, dass der Klimawandel generell, aber auch als globale Menschenrechts- und Verantwortungsfrage ernster genommen werden muss. Es ist zu hoffen, dass die Fridays for Future - Bewegung und generell die globale Klimabewegung nach der Corona-Krise wieder stark die öffentliche Diskussion bestimmen und dabei die Frage internationale Klimaschulden im Rahmen der globalen Klimagerechtigkeit stärker in den Vordergrund rücken, ohne konsequente regionale und nationale Forderungen zu vernachlässigen.


[1] z.Zt. sind ca. 1.600 „anhängige Klimaklagen“ vom Sabin Center for Climate Change Law der Columbia University in New York dokumentiert, siehe dazu auch: Alexandra Kemmerer (Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg) ab 6:40min