Worte, die die Welt anzünden
Der 01.12.1966 war in Montgomery, Alabama, ein Tag wie jeder andere. Rosa Parks hatte ihre Arbeit im Haushalt einer weißen Familie beendet und wollte mit dem Bus nach Hause fahren. Da tauchte ein weißer Gentleman vor ihrem Sitz auf und wollte sie vom Stuhl wedeln. In Montgomery, Alabama, hatten in Bussen alle Schwarzen vor Weißen aufzustehen. Mrs. Parks war müde und sagte: No. Die Polizei führte sie in Handschellen ab. Montgomery und das ganze Land kamen für Wochen nicht zur Ruhe. In Montgomery setzte sich ein junger Geistlicher an die Spitze der Bewegung. Martin Luther King jr., der drei Jahre zuvor beim Marsch der 250.000 auf Washington ausgerufen hatte: I have a dream, um das Gelobte Land auszumalen, wo alle Rassen zusammen gerecht ihren Reichtum teilen, sagte diesmal kaum mehr als Rosa Parks: We are tired, wir haben es satt.
Manchmal sind ein paar Worte der Zündstoff für das schon lange herum liegende soziale Dynamit. In Minneapolis sind es im Mai 2020 die Worte: I can’t breathe, ich bekomme keine Luft mehr. Der junge Schwarze, George Floyd, hat sie fünf-, sechsmal zu seinem Peiniger gesagt, geschrien, geflüstert zu einem weißen Polizisten, der auf ihm kniet und sein Knie, wie tausendmal geübt, in die Kehle presst. Seit diesem Tag jagt wieder die schreckliche Flammenschrift durch die schwarzen Ghettos Amerikas: Burn, baby, burn. Damals, nach dem „No“ von Mrs. Parks, fanden 164 sogenannte „race riots“ (Rassenunruhen) statt. Der US-Präsident setzte eine Untersuchungs-kommission ein, die feststellte, „burn, baby, burn“ habe den „lokalen Symbolen weißer amerikanischer Gesellschaft, der weißen Herrschaftsagenturen und des weißen Eigentums in Negernachbarschaften“ und nicht „weißen Personen“ gegolten[1]. Fast alle der 83 in den untersuchten Riots Getöteten waren schwarz. In den Städten explodierten die Aufstände in wilden Plünderungen. Die Verzweiflung der Schwarzen führte dazu, dass sie die eigenen Nachbarschaften vollends ruinierten. Die Aktivisten der Black Panther Party versuchten, die Wut der Ghettos in politische Stoßkraft zu überführen. Bobby Seale, der Vorsitzende der Partei, appellierte an alle fortschrittlichen Organisationen, „zu begreifen, dass sie solidarisch zusammenstehen müssen, welche Hautfarbe sie auch immer haben – wir kümmern uns nicht um die Hautfarbe, wir haben begriffen und lehren es weiter, dass es sich um einen Klassenkampf handelt gegen die Unterdrückungs- und Ausbeutungsklasse der Kapitalisten und Imperialisten“[2]. Im Herbst 1969 wurden 20 Parteibüros der Panthers von der Polizei gestürmt, fast 20 ihrer führenden Aktivisten wurden erschossen, der Spiritus Rector der Partei, Eldridge Cleaver, musste nach Kuba fliehen, um dem Polizeiapparat zu entgehen[3]. Die staatliche Todesmaschine machte tabula rasa. Der Rassismus hatte wieder einmal auf ganzer Linie gesiegt.
Plünderer – sucht sie bei den Vermietern, den Spekulanten, den Milliardären!
Auch diesmal waren Trump und die reaktionären Medien sofort zur Hand, um die Schuldfrage umzukehren. Die Plünderer sollten das Problem sein, nicht die wahren Verursacher des Elends in den Ghettos. In der täglichen Presseinformation des Weißen Hauses wurden Geschichten erzählt, wie Polizisten von Plünderern der Geschäfte erschossen wurden. Der Bruder des erschossenen George Floyd wurde zitiert, der den Aufständischen entgegengetreten war: „Zerstört nicht Eure Gemeinde. Das alles ist nicht notwendig, weshalb seine eigene Familie es auch nicht tut, warum tut Ihr es dann?“ Diesen Kritikern der Plünderer gab Peter Gowan im sozialistischen Magazin Jacobin die Antwort:
Trump, „ein irrer Größenwahnsinniger, der nichts kennt als seinen Machterhalt“
Für Trump kommt das neue „burn, baby, burn“ wie gerufen. Seit Wochen fallen seine Zustimmungsraten im Wahlkampf mit dem Demokraten Joe Biden um das Präsidentenamt (Wahltag: 3. November dieses Jahres). Nur bei den weißen Evangelikalen, den weißen Non-college-Arbeitern (also den „einfachen“ Arbeitern) und der Landbevölkerung im Süden hat Trump noch klare Mehrheiten.
US-Rassismus in Zahlen
Weiß Schwarz Anteil an US-Erwachsenen-Bevölkerung 63% 12% Anteil an Gefängnisinsassen 30% 33% Arbeitslose 12,4% 16,8% Vermögen 95 Billionen $
(zu 63)5 Billionen $
(zu 12)Vermögen an Eigenheim 74% 44% Ausbildung – ohne Highschool-Abschluss 8% 15% Ausbildung – mit Universitätsabschluss 35% 21% Lebenserwartung 78,5 Jahre 74,9 Quellen: PEW, Washington Post, Bloomberg, CDC
Fazit: Bist Du schwarz, hat die Polizei Dich stets im Auge und deren Finger sitzt beim Zusammentreffen lockerer. Du bist eher arbeitslos und hast weniger Vermögen – wenn überhaupt. Jeder fünfte Schwarze lebt unterhalb der Armutsgrenze von 28.000 $ für eine vierköpfige Familie. Deine Ausbildung ist schlechter und Deine Lebenserwartung vier Jahre geringer als die weißer US-BürgerInnen. Deine „Chance“, von einer Polizeikugel tödlich getroffen zu werden, ist dreimal so hoch wie die der Weißen.
Ihre Ohren sind nach Meinung der Trump-Strategen offen für weißen Rassismus, für weiße Staatsgewalt und für Propaganda gegen links. So machte Trumps Justizminister Barr „anarchistische Linksextremisten“ für die Aufstände verantwortlich, „inländischen Terrorismus“. Trump erwog mehrfach den Einsatz militärischer Truppen, erst der öffentliche Widerspruch seines Verteidigungsministers nahm diese verfassungswidrige Option aus dem Spiel. Das kann Trump umso leichter, als er die Polizeiarbeit schon weitgehend militarisiert hat. Der damalige Präsident Obama hat im 1033-Programm verfügt, dass Waffen aus dem Irakkrieg – vor allem Granatwerfer und Granaten – nicht zur Ausrüstung der Polizei gehören dürfen. Schon im August 2017 hat Trump diese Verfügung aufgehoben und die militärische Ausrüstung der Polizei angeschoben. Selbst der Vizepräsident des Charles-Koch-Instituts, finanziert von einem rechtsextremen Milliardär, muss feststellen: “Das 1033-Programm behandelt die Gemeinde ungebührlich wie Gefechtszonen, und nicht als geschätzte Nachbarschaften, und produziert damit Furcht und Verdacht zwischen der Öffentlichkeit und der Polizei.“
So wie die schwarzen Gemeinden zu Gefechtszonen erklärt werden, so wird die schwarze Bevölkerung als „Feind“ behandelt. Die Schwarzen (so die offizielle Bezeichnung der amtlichen Bevölkerungsstatistik) stellen 12% der Gesamtbevölkerung, die Inhaftierten in US-Gefängnissen werden zu 33% von Schwarzen gestellt.
Die Schwarzen werden fast fünffach öfter zu Haftstrafen verurteilt als Weiße, doppelt so häufig wie „Hispanics“. Trump wird weitermachen auf seinem Weg zur Kriminalisierung des politischen Gegners und zur Militarisierung der politischen Arena. Ein „irrer Größenwahnsinniger“, der nichts kennt als seine Wiederwahl, so hat Noam Chomsky den Mann im Weißen Haus gekennzeichnet. Wenn man weiß, dass Trump als einziger den Zugang hat zum größten Atomwaffenarsenal der Welt, ist ein globales Frösteln sicher angebracht, aber ebenso sicher nicht ausreichend.
Wie weit wird der schwarze Furor und die weiße Betroffenheit diesmal reichen?
In den 1960ern rast die Wut der Schwarzen und vieler kämpferischer Weißer bis hin zu der Ermordung Kings 1969. Mit ihm mag für viele der Traum vom solidarischen Leben aller mit allen gestorben sein. Das „we are tired“ Kings’ gilt offenbar heute für viele mehr denn je. Sie erkennen, dass die USA die größte jemals Staat gewordene Lüge überhaupt sind. Als sich die USA 1776 von England lossagten und die „Bill of Rights“ verkündeten, wonach alle Menschen gleich und in ihrer Suche nach Glück zu unterstützen zu unterstützen seien, da bestand ein Fünftel der US-Bevölkerung aus schwarzen Sklaven. Von denen ist in der Erklärung der Menschenrechte überhaupt nicht die Rede. Die Hauptfiguren der Revolte gegen Großbritannien waren selbst Eigentümer mächtiger Sklavenherden, wie George Washington oder Thomas Jefferson.
In Wahrheit wurde die Sklaverei in den USA erst zu einem guten Teil abgeschafft in den Schützengräben der beiden Weltkriege (obwohl schon im sogenannten Sezessionskrieg zwischen Nord und Süd 1861-1865 Hunderttausende in der Uniform des Nordens gekämpft hatten, was ihnen von der Politik des Nordens nie gedankt wurde). Vor allem nach dem letzten Weltkrieg warfen die Schwarzen die Frage auf: Wieso sind wir vor den Kugeln des Feindes gleich, aber nicht beim Aufbau des Landes?
Die USA sind heute ein zerrissenes Land. Fast zu gleichen Teilen steht sich eine radikalisierte Rechte und eine in sich nicht geeinte Anti-Rechte gegenüber. In dieser Anti-Rechten finden sich nach den Begriffen der Wahlforscher die Nicht-Religiösen, die Urbanen im Nordosten und – schwarze Frauen. Sie sind die entschlossenste Gruppe gegen Trump. Dass George Floyd in seinem Todesflehen nach seiner Mutter rief, hat die schwarzen Frauen in ihrer Rolle als Rückgrat der schwarzen Gemeinde noch bestärkt. Trump verschwendet denn auch keinen Gedanken an eine Ansprache der Schwarzen, er zielt auf die genannten Gruppen, die Evangelikalen, die Farmer im Süden und die weniger Qualifizierten unter den weißen Arbeitern. Er wird die Gegensätze weiter anheizen, je näher hin zum Bürgerkrieg, zum Aufflammen der Rassengegensätze, desto mehr sind seine Anhänger motiviert. Desto mehr gelten Vorurteile, Hass und Ressentiments und umso weniger Vernunft und Sachargumente.
Gegen Trump steht eine in sich zergliederte Anti-Rechte. Da findet sich die kosmopolitische, urbane, liberale Gruppe, die von den Superreichen und ihren hochbezahlten Gehilfen im Silicon Valley bis zu den Anwälten der WallStreet und den Ihren in den Agenturen der globalen Kapitalverwertung reicht; neben ihr das Heer des liberalen Mittelstands – Lehrer, Programmierer, Journalisten, Marketing-Experten – mit deren humanistischen Prinzipien sich der barbarische Kapitalismus eines Trump nicht verträgt; dazu kommen die Reste der organisierten Arbeiterschaft und – vor allem – die politischen Elemente der ethnischen Minderheiten. Dass sich mit Bernie Sanders als Kandidat der Demokraten zum US-Präsidenten der Vertreter des linken Flügels beinahe durchsetzen konnte, war kein Fast-Sieg des linken Flügels, er war vielmehr dem Abscheu an eine Parteiführung geschuldet, die seit den schmutzigen Tricks bei der Kür von Hillary Clinton zur Kandidatin der Partei 2016 fast jeden Kredit an Glaubwürdigkeit verspielt hat. Doch es gelang dieser korrupten Parteiführung auch diesmal wieder, mit Joe Biden einen der Ihren ins Amt zu bringen.
Gegen den irren Größenwahnsinnigen im Weißen Haus, muss auch ein demokratisch äußerst defekter Biden die bessere Wahl sein. Für die Schwarzen ist das eine Frage auf Leben und Tod. Die hochgerüstete US-Polizei bringt in Verfolg von Recht und Ordnung dreimal mehr Schwarze um als Weiße.
[1] Conrad Schuhler (1968): The Black Panther, S. 42f
[2] ebd., S. 59
[3] ebd., S. 69ff