Der US-amerikanische Präsident hat in dieser Woche die Entscheidung einer Vervierfachung der Schutzzölle auf chinesische Importe von Elektrofahrzeugen (EV) und die Einführung hoher Zölle auf Schlüsselindustrien wie Solarzellen, Halbleiter, Lithium-Ionen-Batterien, Hafenkräne und Medizinartikel verkündet.

Bei dieser Strafmaßnahme übertrumpft Joe Biden mit seiner 100%-Zollanhebung auf chinesische Automobile im laufenden US-Wahlkampf die Ankündigung von Donald Trump einer Zollerhöhung auf 60%. Joe Biden will damit offensichtlich signalisieren, gegenüber Asiens größter Volkswirtschaft nicht nachsichtig zu sein und nationale Industrieinteressen im US-Wahlkampf hervorzuheben. Ob ihm das die Wähler, die amerikanischen Verbraucher, lange danken werden, ist zumindest in der Frage der individuellen Produktentscheidung `ich kaufe, was ich mir leisten kann und was ich will` und in der Frage der anteiligen Begrenzung der Erderwärmung mehr als zweifelhaft. Für den US-amerikanischen Verbraucher, für den sich das Angebot an erschwinglichen Elektro-Fahrzeugen dadurch zunächst nicht erhöhen wird und überwiegend auf heimische TESLA-Produkte begrenzt bleibt, bekommt von Seiten der Regierung vorgeführt, was er für die individuelle Mobilität zu konsumieren hat.

Protektionismus

Der Protektionismus war im Zeitalter der Industriellen Revolution und Industrialisierung im 19. Jahrhundert weit verbreitet und zeigte in dieser Zeit durchaus positive Wirkungen. Viele Industriestaaten und Nationalstaaten ergriffen protektionistische, defensive Maßnahmen wie Schutzzölle und Einfuhrkontingente, um ihre heimischen Industrien vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Diese Schutzmaßnahmen sind ein umstrittenes Instrument der Handelspolitik. Einerseits ist ihre Intention, die heimische Wirtschaft vor unlauterem Wettbewerb wie Dumping oder Subventionen aus dem Ausland schützen, andererseits führen sie zu höheren Preisen für Verbraucher und Unternehmen und sind die Ausgangssituation für Handelskonflikte.

Karl Marx kritisierte den Protektionismus als eine Maßnahme zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeiterklasse. Er sah den Protektionismus als Instrument der herrschenden Klasse, um ihre Profite auf Kosten der Arbeiter zu sichern. Indem ausländische Konkurrenz durch Zölle und Handelsbeschränkungen ferngehalten wird, können die Kapitalisten höhere Preise verlangen und die Löhne niedrig halten. Gleichzeitig erkannte Marx, dass der Protektionismus dem Kapitalismus innewohnt und eine Folge des Konzentrations- und Zentralisationsprozesses des Kapitals ist. Insgesamt betrachtete Marx den Protektionismus als Ausdruck der Widersprüche und Krisen des Kapitalismus.[1]

Selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), weit entfernt von einer Zustimmung zu Marx, betont, dass Protektionismus der nationalen Wirtschaft schadet:

Protektionismus ist auf dem Vormarsch. Dazu gehören neben Import- und Exportzöllen auch Zusatzabgaben, quantitative Einfuhrbeschränkungen, unnötig komplizierte technische Standards und Subventionen.
Dies gefährdet Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze weltweit. Gerade die deutsche exportorientierte Wirtschaft leidet unter dem weltweiten Abschottungstrend.

Die Politik greift zu solchen Mitteln, um einheimische Unternehmen besser zu stellen, Produktion und Weiterverarbeitung im eigenen Land zu fördern sowie Arbeitsplätze zu schaffen.
Für lokale Unternehmen und Konsumenten endet Marktabschottung aber oftmals in einer sinkenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit, in einer geringeren Angebotsvielfalt und in überteuerten Preisen.[2]

In jüngster Zeit sind es insbesondere rechts-populistische Bewegungen, die sich auf den Protektionismus besinnen: sie fordern verstärkt Handelsbeschränkungen zum Schutz heimischer Industrien. Und auch in die Zeit der zurückliegenden Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident fallen beispielsweise die Schutzzölle etwa auf Stahl und Aluminium.[3] Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, und das ist jetzt nichts erschreckend Neues, dass auch in den USA Autos subventioniert werden. Der Neukauf von E-Autos wird in den USA mit 7.500 US-Dollar gefördert, solange es ein US-amerikanisches Modell ist oder zumindest Teile im Inland produziert wurden. [4] Weil die Autos dennoch nicht konkurrenzfähig sind, setzt die Regierung von Joseph Biden auf Protektionismus.

Historische Erfahrungen zeigen, dass Protektionismus langfristig der eigenen Wirtschaft schadet durch Vergeltungsmaßnahmen, Preisanstiege und Fehlallokation von Ressourcen. Allerdings ist im aktuellen Fall der „100 % -Strafzoll-Maßnahme“ unklar, ob diese Regierungs-Entscheidung überhaupt etwas bewirken wird.

Zunächst ist davon auszugehen, daß die Zahl der derzeit angebotenen chinesischen Automobile in den USA gegen Null geht.[5], d.h.  die aktuellen Zulassungen chinesischer Fahrzeuge auf dem US-Markt bewegen sich noch bei äußerst geringen Stückzahlen.
Somit deutet sich aber an, dass die beschlossenen Strafzölle aufgrund der extrem geringen Durchdringung des US-Marktes mit chinesischen Elektroautos nur minimale kurzfristige wirtschaftliche Auswirkungen haben werden.

Der amtierende US-Präsident scheint ein Wirtschaftssystem schützen zu wollen, das aufgrund der internationalen Verknüpfung über Lieferketten und bilateralen Wirtschaftsvereinbarungen eigentlich gar nicht mehr existiert. Ökonomen sprechen von "wirtschaftlicher Symbolik", die einzelne Repräsentanten der US-amerikanischen Automobil-Gilde wie Elon Musk besänftigen sollen, als dass Chinas Wirtschaftswachstum insbesondere in international wettbewerbsfähigen Wirtschaftsbereichen wirkungsvoll einschränkbar wäre. Seine eigenen Profitziele im Hinterkopf hat Tesla-Boss Elon Musk vermutlich zu der Aussage veranlasst, dass chinesische Autohersteller ohne hohe Zölle die globale Konkurrenz "demolieren" werden.[6

Konkurrenzfähigkeit

Die lehrbuchhafte Betonung der Aufrechterhaltung der Konkurrenzfähigkeit im freien Spiel der Marktkräfte ist im Falle dieser, dem US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf geschuldeten Zoll-Entscheidung mehr als grenzwertig anzusehen, zumal in diesem Fall die chinesischen Konkurrenzfähigkeit von Elektro-Automobilen die weitaus besseren Parameter vorweisen kann.

In Sachen Konkurrenzfähigkeit chinesischer Elektro-Automobile sei an dieser Stelle auf einen Artikel verwiesen, der die grundsätzlich anders ausgelegte Automobil-Produktions-Politik in China beschreibt und ihre Konkurrenzfähigkeit nachvollziehbar darstellt: Ein-chinesischer-Traum , der sich längst realisiert.

Auch US-amerikanische Wirtschaftsexperten gehen bei der Einschätzung der Biden-Zoll-Entscheidung davon aus, daß die Auswirkungen der höheren Zölle auf das Bruttoinlandsprodukt wahrscheinlich negativ sein werden, da die Auswirkungen auf das Realeinkommen und die Verbraucherausgaben aufgrund höherer Preise höher sein werden als der Rückgang des Handelsdefizits.
Nach zahlreichen Studien werden die Zölle die ohnehin schon hohen Verbraucherpreise in den USA noch weiter in die Höhe treiben. Somit dürfte klar sein, dass die US-Konsumenten die US-Konsumenten die Zeche für den Wirtschaftskrieg zahlen.[7]
Hinzu kämen auch ungewisse indirekte Auswirkungen, wie z. B. eine Verschlechterung der Stimmung in der Wirtschaft und Störungen in der Lieferkette, die den negativen Effekt noch verstärken dürften.

Chinas Reaktion

Die Regierungsstellen der Volksrepublik China kündigten nach Handelsblatt-Recherchen Gegenmaßnahmen auf die Zoll-Entscheidung an. Das chinesische Handelsministerium warf den USA „falsche Praktiken“ vor und forderte, die Zölle wieder aufzuheben. China werde „entschlossene Maßnahmen ergreifen, um seine eigenen Rechte und Interessen zu verteidigen“. [8]
Die chinesische Regierung hat in den vergangenen Jahren mit ihrer planerisch- systematischen Wirtschaftspolitik in den Bereichen 5G, Elektrofahrzeuge, Halbleiter, künstliche Intelligenz, erneuerbare Energien und anderen dominanten "Zukunftsindustrien" investiert und in vielen dieser Bereiche zu vormals weltmarktführenden Ökonomien, so auch zu den USA, zumindest aufgeschlossen.

Das Land verfügt heute über genügend Kapazitäten, um die Hälfte der weltweit 80 Millionen Fahrzeuge herzustellen. Bis 2030 könnte Chinas Kapazität laut Global Data auf 75 % des weltweiten Volumens ansteigen.[9] In diesem Jahr wird China 6 Millionen Fahrzeuge in mehr als 140 Länder weltweit exportieren und damit Japan als Weltmarktführer ablösen. Dabei ist die Umstellung auf Elektro-Automobile zur Erreichung der nationalen Ziele zur Begrenzung der Erderwärmung Programm.

Die USA sind weit von ihrem Ziel entfernt, dass bis 2030 jeder zweite verkaufte Neuwagen emissionsfrei sein soll.[10] Eine Vervierfachung der Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge, Batterien, Solarpaneele oder andere Technologien wird vermutlich den Biden-Wahlkämpfern in die Hände spielen und für entsprechende Schlagzeilen im Wahljahr sorgen.  Es scheint u. a. ein wichtiges Signal an relevante Swing-Staaten (Staaten, die nicht entschieden sind zwischen Biden oder Trump), die über den Wahlausgang im November entscheiden. Laut Handelsblatt liegt der Herausforderer Trump In Staaten wie Pennsylvania und Michigan, in denen es viele Fertigungsfabriken gibt, in Umfragen vorne. Teile der US-Wirtschaft hatten auf neue Zölle gegen China gedrängt. So warne etwa die Alliance for American Manufacturing vor einer größeren Schädigung der US-Autoindustrie durch chinesische Import-Fahrzeuge,[11] zumal diese ein ernstzunehmendes nationales Sicherheitsrisiko darstellten.

Der Umgang mit der zweitmächtigsten Wirtschaft durch die Anwendung antiquierter Regelungen wie Vervierfachung von Schutzzöllen auf verfügbare und zukunftsweisende Fahrzeugtechnologie oder Lastkräne wird der größten Volkswirtschaft der Welt eher nicht helfen, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und von sich aus den Abstand durch den Aufbau wirtschaftlicher und innovativer Kräfte im eigenen Land zu verringern. Zielführender als protektionistische Maßnahmen wären demgegenüber Investitionen zur Steigerung von Produktivität, Innovation, Forschung und internationale Kooperation.

EU und chinesische EV-Zölle

Die Biden-Entscheidung der Erhebung von 100%-Einfuhrzöllen auf chinesische Elektro-Automobile (EV) könnte aus Sicht der Europäischen Union als eine Entscheidungsvorgabe zur Erhebung von gleichgerichteten Schutzzöllen auf chinesische Elektro-Fahrzeuge für den europäischen Markt angesehen werden. Seit geraumer Zeit sind EU-Stellen damit beschäftigt, einem Nachweis der Wettbewerbsverzerrung durch unzulässige Subventionierung chinesischer Elektro-Fahrzeuge zu belegen. In den zurückliegenden acht Monaten, seit diese Untersuchung eingeleitet wurde, haben die verantwortlichen Stellen Chinas mehrere "politische" Angebote an Brüssel gemacht, um den Streit zu beenden. Die Kommission hat stets geantwortet, dass die Untersuchung technischer Natur sei, ausgelöst durch Chinas eigene Subventionen, und daher eine politische Lösung nicht zur Debatte stehe.

Eine Entscheidung darüber, ob vorläufige Zölle auf in China hergestellte Elektrofahrzeuge eingeführt werden sollen, wird kurz vor Ablauf der Frist am 5. Juni erwartet. Experten sehen Brüssel mittlerweile durchaus im Zugzwang, der Entscheidung der USA für den europäischen Markt der US-Vorgehensweise nachzueifern.[12] Einige EU-Mitgliedsstaaten mit engen Beziehungen zu China im Automobilsektor wehren sich gegen eine Angleichung an die US-Importzölle bzw. gegen die Einführung von Zöllen überhaupt. Auch in diesem Fall warnen kritische Ökonomen davor, dass eine Verteuerung von E-Fahrzeugen die Klimaziele der EU zurückwerfen und sie wirtschaftlich nicht mehr wettbewerbsfähig machen könnte. Denkbar wäre allerdings, dass bei einer geplanten Realisierung von chinesischen Produktions-Stätten in europäischen Märkten die Zollbeschränkungen für chinesische Fahrzeuge, produziert in Europa, eine ganz andere Bewertung nach sich ziehen würde.

[1] Marx-Engels-Werke (1972) Vol. 4, 457 f.

[2] https://bdi.eu/themenfelder/aussenwirtschaft/welthandel

[3] https://asiatimes.com/2024/05/biden-trump-china-tariffs-draw-on-old-losing-playbook/?mc_cid=3b4eed1b5d&mc_eid=3d59e5fbff

[4] isw-wirtschaftsinfo 64, Industriestandort Deutschland, Investitionsanreize des Standortes USA, S. 19

[5] https://asiatimes.com/2024/05/biden-trump-china-tariffs-draw-on-old-losing-playbook/?mc_cid=3b4eed1b5d&mc_eid=3d59e5fbff

[6] Ebd.

[7] https://www.jungewelt.de/artikel/475380.joe-the-donald.html  

[8] https://www.handelsblatt.com/politik/international/handelsstreit-biden-erhoeht-us-zoelle-fuer-elektroautos-aus-china-auf-100-prozent/100037587.html

[9] https://www.just-auto.com/analyst-comment/the-polarisation-of-chinas-automobile-production-capacity

[10] A.a.O. https://www.handelsblatt.com/politik/international/handelsstreit-biden-erhoeht-us-zoelle-fuer-elektroautos-aus-china-auf-100-prozent/100037587.html

[11] Ebd.

[12] https://www.scmp.com/news/china/article/3262731/eu-feels-heat-all-sides-decision-chinese-ev-duties-looms

 

Weiterführende Literatur
Chinas "unfaire Überkapazitäten" : https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5226-chinas-unfaire-ueberkapazitaeten