Vorveröffentlichung aus dem neuen Buch des Autors, Deutschland im Wirtschaftskrieg, Papyrossa Verlag, März 2023

1. Der totalitäre Anspruch der US-Regierung

Präsident Biden formuliert in seiner Einleitung zur „Nationalen Sicherheits-Strategie“ deren Hauptpunkte folgendermaßen (National Security Strategy. www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2022/11/8-November-Combindes-PDF-for-Upload/pdf):

  • Die Welt steht an einem Wendepunkt. Wie die USA auf die enormen Herausforderungen und die beispiellosen Möglichkeiten von heute reagieren, wird die Richtung der Welt und Sicherheit und Wohlstand des amerikanischen Volkes auf Jahrzehnte hinaus bestimmen.
  • Wir sind inmitten einer strategischen Auseinandersetzung um die Zukunft der internationalen Ordnung. Wir werden im engsten Zusammenwirken mit unseren Partnern und allen, die unsere Interessen teilen, darum kämpfen, dass unsere Werte siegen – wir werden unsere Zukunft nicht denen überlassen, die unsere Vision einer freien, offenen und sicheren Welt nicht teilen.
  • Diesen Kampf werden die USA anführen. „Die Notwendigkeit für amerikanische Führung ist so groß, wie sie jemals gewesen ist… Keine Nation ist besser in der Lage, mit Stärke und klarem Ziel zu führen als die Vereinigten Staaten von Amerika.“
  • Gegner Nr. 1 ist die Volksrepublik China, die „die Absicht hegt und in wachsendem Maß die Fähigkeit hat, die internationale Ordnung so umzuformen, dass sie das globale Spielfeld zu ihren Gunsten gestaltet“. Gegner Nr. 2 ist Russland, das mit seinem Angriff auf die Ukraine den Frieden in Europa zerstört habe und überall Instabilität verbreite. „Die Autokraten machen Überstunden, um die Demokratie unterminieren und ein Regierungsmodell zu exportieren, dessen Kennzeichen Unterdrückung nach innen und Zwang nach außen sind.“
  • Die USA haben um den Globus ein beispielloses Netzwerk von Allianzen und Partnerschaften gelegt, um diese Auseinandersetzung zu gewinnen. Als „Kernallianzen“ werden für Europa die Nato – „ist stärker und einiger als jemals“ – und für den Indopazifik AUKUS (Australien, Vereinigtes Königreich, USA) genannt. Weiter aufgezählt werden EU, der Indo-Pacific Quad, das Indo-Pacific Economic Framework und die „Americas Partnership for Economic Prosperity“ für Lateinamerika.
  • Die Autokraten irren, wenn sie glauben, Demokratien seien schwächer als Autokratien. Die Innenpolitik ist ein Teil dieses Kampfes. Wir werden weiter in Amerikas globales Wettbewerbsfähigkeit und Anziehungskraft investieren und „die Träumer und Strebsamen aus aller Welt zu uns ziehen“. Und „wir werden weiter zeigen, wie Amerikas dauerhafte Führung sich den Herausforderungen von heute und morgen stellt“.

Bidens Einleitung schließt mit dem Satz: „Ich bin mehr denn je überzeugt, dass die USA alles haben, was nötig ist, um den Wettbewerb um das 21. Jahrhundert zu gewinnen. Es gibt nichts, was jenseits unserer Fähigkeiten ist.“

Russland „ruinieren“, dann alle Rohre auf China

Diese größenwahnsinnige Einschätzung des „auserwählten Volkes“, als das die politische Elite der USA seit den Gründertagen die US-Amerikaner sehen, zieht sich durch das gesamte Dokument. Interessant und bestürzend sind die Präzisierungen der weihevoll formulierten Imperative des Präsidenten. Für das internationale System habe zu gelten, „die Länder müssen ihre eigene auswärtige Politik frei bestimmen“. Letzten Endes gehe es darum, „dass die globale Wirtschaft auf einem gleichen Spielfeld (level playing field) stattfindet und Möglichkeiten für alle vorsieht“. (S.6) Die Staaten müssen nicht selbst demokratisch sein oder werden, sie müssen aber im Lager der „Demokratien“ stehen.

Dass es neben der Blockrivalität noch andere grundlegende Probleme wie „Klimawandel, Nahrungsmittelunsicherheit, Infektionskrankheiten, Terrorismus, Energieknappheiten oder Inflation“ gibt, wird ohne weiteres konstatiert, um es sofort in die militante Block-Strategie einzubetten: „Wir müssen klaren Auges sehen, dass diese Herausforderungen innerhalb der internationalen Wettbewerbsumgebung angegangen werden müssen“. Der „geopolitische Wettbewerb…macht die Kooperation immer schwieriger und fordert von uns, über neue Wege nachzudenken und zu handeln“. Auch die Menschheitsprobleme stellen das „Sicherheits-Konzept“ unter das Ziel, „unsere Rivalen zu besiegen“. Russland stelle „eine unmittelbare Gefahr für das freie und offene internationale System dar, wie der brutale Angriffskrieg gegen die Ukraine“ gezeigt habe. „Im Gegensatz dazu ist die Volksrepublik China der einzige Wettbewerber, der sowohl die Absicht hat, die internationale Ordnung umzuformen wie zunehmend die ökonomische, diplomatische, militärische und technologische Macht, diesem Ziel näherzukommen.“ (S. 8) Die ausführliche Bekräftigung der Worte des Präsidenten - das ist das Mantra dieses „Sicherheitskonzepts“: Russland „ruinieren“, wie Frau Baerbock brav nachplappert, dann alle Rohre auf die Volksrepublik China, die das Zeug dazu hat, die Dominanz der westlichen Welt über das internationale System zu brechen.

Das Konzept drückt Verständnis aus für die Sorgen „in einigen Teilen der Welt, die sich unbehaglich fühlen mit dem Wettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten und den größten Autokratien der Welt“. Auch die USA wollten keine „Welt rigider Blöcke“. Es ginge nur darum, dass alle Länder eine freie Entscheidung in ihrem eigenen Interesse treffen können. Natürlich eine freie Entscheidung für eine „freie Welt“, als deren Anführer sich die USA sehen. „Das ist der entscheidende Unterschied zwischen unserer Vision, die darauf abzielt, die Autonomie und die Rechte der weniger mächtigen Staaten zu wahren, und der unserer Rivalen, die das nicht tut.“ (S.9). Das muss den Völkern noch mal genauer erklärt werden, denen von Kuba, Vietnam, Chile, Nicaragua, Jugoslawien, Aghanistan, Irak, Libyen, Jemen – damit sie wissen, wie die US-Bomben auf ihr Land in Wirklichkeit gemeint waren.

„Linien“ und „Pfeiler“ der neuen US-Strategie

Um diese Welt zu erreichen, „die frei ist von Aggression, Zwang und Einschüchterung“, verfolgen die USA „drei Linien der Anstrengung:

  1. in die Quellen und Instrumente amerikanischer Macht und Einflusses zu investieren;
  2. die stärkstmögliche Koalition von Nationen zu bilden, die unseren gemeinsamen Einfluss auf die globale strategische Umgebung stärkt und gemeinsame Herausforderungen bewältigt und
  3. unser Militär zu modernisieren und zu stärken, sodass es ausgerüstet ist für die Ära des strategischen Wettbewerbs mit größeren Mächten.

Die Totalmobilmachung aller Kräfte für die globale Auseinandersetzung
„ baut auf mehreren Pfeilern“:

  1. Die USA heben die Trennungslinie zwischen Außen- und Innenpolitik auf. Der gemeinsame Wohlstand im Inland muss Hand in Hand gehen mit der Formung der internationalen Ordnung „in Übereinstimmung mit unseren Interessen und Werten“.  Die Innovationskraft des privaten Sektors muss deshalb verbunden werden mit einer modernen Industriestrategie, die besonderes Gewicht legt auf die modernsten Technologien wie „Mikroelektronik, hochentwickelte Computertechnik, Biotechnologie, Technologien sauberer Energie und modernste Telekommunikation“ (S.11),
  2. Die Allianzen und Partnerschaften rund um die Welt „sind unser wichtigstes strategisches Asset und ein nicht wegzudenkendes Element des Beitrags zu internationalem Frieden und Stabilität“. Besonders wichtig ist die wachsende Zusammenarbeit zwischen den Partnern im Indo-Pazifik und in Europa. „Wir erkennen, dass sie sich gegenseitig bestärken und dass die Schicksale der beiden Regionen eng  miteinander verwoben sind … Wenn eine Region ins Chaos abgleitet oder von einer feindlichen Macht dominiert wird, wird dies unsere Interessen in den anderen fundamental treffen.“ (S. 11)
  3. Es wird unterstrichen, dass die Volksrepublik China „Amerikas konsequenteste geopolitische Herausforderung ist“. Russland ist eine unmittelbare und andauernde Gefahr für die Stabilität, „aber ihm fehlen die umfassenden Fähigkeiten der Volksrepublik China“. Es gibt andere „kleinere autokratische Mächte, die ebenfalls auf Aggression und Destabilisierung hinwirken“. Genannt werden der Iran und Nord-Korea. (S.11f.)
  4. Die USA wollen die Welt aber nicht „nur durch die Brille  des strategischen Wettbewerbs sehen“, sondern sich auch für regionale Zonen von Frieden und Wohlstand einsetzen. Herausgehoben werden der Mittlere Osten, Afrika und Lateinamerika. Vor allem in der letzteren Region wollen die USA „wirtschaftliche Widerstandskraft, demokratische Stabilität und Sicherheit der Bürger voranbringen“ (S.12).
  5. Die Globalisierung hat immense Vorteile für die USA und die Welt gebracht, „aber jetzt ist eine Justierung nötig, um es mit den dramatischen globalen Wandlungen aufzunehmen wie der sich ausweitenden Ungleichheit innerhalb der Länder und zwischen ihnen, der Herausbildung Chinas als sowohl unserem logischen Wettbewerber als auch einem unserer größten Handelspartner, und den aufkommenden modernen Technologien außerhalb der jetzt bestehenden Regelwerke“. Deshalb wollen die USA jenseits der traditionellen Freihandelsabkommen neue wirtschaftliche Arrangements bilden, engere Verbindungen der jeweiligen nationalen Wirtschaft mit der US-Wirtschaft wie im Indo-Pacific Economic Framework (IPEF); eine globale Mindeststeuer soll eingeführt werden, sodass alle Unternehmen ihren fairen Anteil an Steuern zahlen, wo auch immer in der Welt sie ihre Basis haben; die Partnership for Global Investment and Infrastructure (PGII – das späte und kleinere US-Gegenstück zur Belt & Road-Initiative Chinas), das auf Niedrig- und Mitteleinkommen-Länder zielt; die Regeln für die modernen Technologien, für Handel und Wirtschaft generell sollen modernisiert werden; und es soll abgesichert werden, dass „der Übergang zu sauberer Energie wirtschaftliche Gelegenheiten eröffnet und gute Jobs in aller Welt schafft“ (S. 12)

Abschließend: „Die Welt ist an einem Wendepunkt. Dieses Jahrzehnt wird entscheidend sein.“         

Fassen wir den Kern dieses Konzepts zusammen:

  • Die USA sind die eine unverzichtbare Nation an der Spitze des Blocks von „Demokratien“. Diesem stehen gegenüber die „Autokratien“, an deren Spitze China steht, dahinter Russland.
  • In diesem Jahrzehnt wird ausgefochten, wer das internationale System bestimmt. Es kann nur einen Sieger geben, der USA-Block.
  • Dieser Sieg ist nicht leicht zu erringen. Alle Kräfte müssen mobilisiert werden, wirtschaftlich, politisch, militärisch. Die Wirtschaft muss im wirtschaftlichen Wettbewerb siegen, sie muss eingerichtet werden unter dem Gesichtspunkt der globalen Rivalität. Bündnisse müssen unter eben dieser Orientierung organisiert werden. Das Militär muss ausgebaut werden, Krieg ist keineswegs ausgeschlossen, er gehört zur Planung. Einschließlich des Atomkrieges, den die USA in Europa auch die Bundeswehr üben lässt.
  • Die Menschheitsprobleme wie Klimaerwärmung, Pandemien, Atomunfälle oder -kriege müssen ebenfalls unter der Maßgabe des globalen Kampf der System angegangen werden.
  • Es kommt in letzter Instanz nicht auf „unsere Werte“ an, sondern darauf, ob ein Land sich zur „regelbasierten Ordnung“ des Westens bekennt. Dann ist es im US-Block willkommen.
  • Eigentlich aber, sagen die USA, wollen sie gar keine Blockbildung. Sie bilden ein System rund um den Globus, in dem sie in jedem einzelnen regionalen Bündnis die unbestrittene Vormacht sind. Ziel ist ausdrücklich, die Teilelemente zu einer festeren, geschlossen vorgehenden Formation zu fügen. In Wahrheit bemühen sich die USA kaum, die Tatsache zu verhüllen, einen Block des Westens zu bilden, dessen unbestrittene Vormacht sie sind, die strikte Disziplin von „Partnern“ und Abhängigen verlangt.

2. Die neoliberale Globalisierung ist am Ende

Die offizielle Strategie der USA geht von der Erkenntnis aus, dass das bisherige Konzept der neoliberalen Globalisierung gescheitert ist. Die Unipolarität der Welt, die Dominanz der USA würde dafür sorgen, dass der „Freihandel“ die „westlichen Werte“ überall hin exportieren würde und die nachholenden Schwellenländer die arbeitsintensiven Produktionsabschnitte komplementär zu den fortgeschrittenen westlichen Ländern übernehmen würden, die sich auf die modernsten, hochproduktiven Teile der globalen Produktionsketten konzentrieren würden. Im Zuge der Industrialisierung würden die Schwellenländer zu westlichen Demokratien (Thomas Friedman, The World is Flat, New York 2007). Beides schien zunächst auch am zentralen Beispiel China aufzugehen. Millionen Arbeitsplätze verschwanden aus den USA und erstanden neu vor allem im kostengünstigeren China. Dort wurde der Anteil des privaten Kapitals immer größer. Doch änderte sich dies mit der Übernahme der Führung von Kommunistischer Partei und Staat durch die Xi-Mannschaft. In den letzten Jahren wuchs wieder der Anteil des staatlichen Eigentums und vor allem wurde der Zugriff des Staates auf die kapitalistischen Unternehmen immer enger. Das politische System entwickelte sich keineswegs hin zu den „westlichen Werten“, sondern ganz im Gegenteil, 15mal Marx und nur 3mal Markt, wie der aufmerksame Beobachter im Dienst des deutschen Kapitals bei Xi´s Rede auf dem letzten Parteitag der KP beobachten konnte. Aber nicht nur auf dem politischen, auch auf dem wirtschaftlichen Feld erfüllten sich die Erwartungen der westlichen Globalisierungsstrategen nicht. China blieb nämlich nicht bei seiner Rolle als billiger Arbeitslieferant für die weniger produktiven Teile der Produktion, sondern wurde schnell zu einem internationalen Wettbewerber auch für manche der modernsten Produkte. China hat mehr internationale Patenanmeldungen als die sechs größten europäischen Länder zusammen und sein Innovationstempo ist zehnmal schneller als das der USA. (Conrad Schuhler, Die USA, China, die EU und der Weltfrieden. Wie weit noch bis zum Krieg. Köln 2020, S. 64) Arbeitsplätze, die von Multis jetzt verlagert werden, gehören auch zu modernsten Produktionsverfahren. Apple, der Gigant der Kommunikationsindustrie, hat in China nicht nur seinen größten Markt, sondern auch seinen größten Produktionsstandort. (Thomas Fazi, Die Deglobalisisierung, die wir brauchen. Makroskop 11.1.2023. https://www.makroskop.eu/02-2023) Dasselbe gilt auch für Volkswagen, das von Produktion und Absatz eher ein chinesisches als ein deutsches Unternehmen darstellt.       

Die Biden-Regierung zielt auf diese Verlagerung, wenn sie versucht, die protektionistische Politik des Vorgängers Trump noch zu übertreffen. 

Wenn sich heute viele der fortgeschrittenen Länder auf „ortsgebundene Wirtschaft“, auf ein Entkoppeln von globalen Lieferketten einstellen, geschieht dies nicht nur in Folge internationaler Spannungen und Unsicherheiten, sondern auch weil sich die Qualifikationsniveaus zwischen „Norden“ und „Süden“ bei einigen wichtigen Ländern annähern. Und weil sich infolgedessen die Machtverhältnisse im internationalen System geändert haben und weiter ändern. Die USA und der Westen können die „terms of trade“, die Handels- und Austauschbedingungen nicht mehr diktieren, sie müssten sich auf internationale Kooperation, auf Multilateralismus einstellen. Dann müssten sie   internationale Kooperation akzeptieren oder selbst anstreben, in der es um den gemeinschaftlichen Vorteil für alle geht und nicht um das Übertrumpfen und „Ausstechen“ des anderen.

Doch in einem historischen Moment, der eine Wende hin zur engen und entschlossenen Kooperation aller Nationen zur gemeinsamen Bewältigung der universalen Probleme der Menschheit verlangt, wollen die USA alle menschlichen und natürlichen Ressourcen unter dem Gesichtspunkt eines antagonistischen globalen Wettbewerbs nutzen. Sie kalkulieren die Möglichkeit eines Atomkrieges ein, Präsident Biden sagte jüngst, wir stünden vor einem Armageddon, der letzten irdischen Schlacht gegen die Kräfte des Bösen. Selbst wenn es nicht zur Atom-Katastrophe käme, würde die Realisierung dieses Konzepts – alle Kräfte auf den globalen Rivalenkampf auszurichten – das Ende der menschlichen Zivilisation bedeuten. „Der Verlust der biologischen Vielfalt, die Versauerung der Ozeane, die Störung des Stickstoff- und Phosphorkreislaufs, der Verlust der Bodenbedeckung, das Schwinden der Süßwasserressourcen und die chemische und radioaktive Verschmutzung sind Beispiel für Prozesse, die das Potential haben, eine unaufhaltsame Kette von Ereignissen in Gang zu setzen, die die Welt, wie wir sie kennen, radikal verändern werden.“ (Anders Sorensen, Die einzige Antwort auf die Krisen der Menschheit. Junge Welt, 14.1.2023)    Ob es der Klimawandel ist oder aufeinanderfolgende Pandemien, Vergiftung der Umwelt oder Überwindung von Hunger und Armut, alles sind Probleme, die von der Menschheit nur kooperativ und nicht im antagonistischen Wettbewerb gelöst werden können. Die entwickelten westlichen Länder in Hochrüstung und Militarisierung hineinzutreiben, bedroht deren Zukunft, denn ihre Politik müsste sich richten auf sozialen Ausgleich und fairen Austausch mit anderen statt auf weitere Trennung in wenige Reiche und viele Arme, müsste zielen auf die Transformation in solidarische, nachhaltige, zivilwissenschaftsintensive Gesellschaften und Zusammenarbeit in einer gemeinsam zu bewirtschaftenden und zu pflegenden Welt. Innenpolitisch wie international ist dies das Gebot der Stunde. Die Strategie der USA will Partner und Rivalen in genau die andere Richtung zwingen.  

3. Die Übernahme des Konzepts durch Deutschland, EU und Nato

Das strategische Konzept der Biden-Regierung war von Biden und seiner Mannschaft schon vor dem Ukrainekrieg festgelegt worden. Die „Guidances“, die im Grunde dieselben Ziele ausdrücken, waren eine Woche vor der russischen Invasion in die Ukraine veröffentlicht worden. Schon im Wahlkampf 2020 hatte Biden die Auseinandersetzung „Demokratien gegen Autokratien“ zu seiner außenpolitischen Grundformel gemacht. Es konnte deshalb nicht überraschen, dass die neue deutsche Regierung in ihrem Koalitionsvertrag die Hauptlinien des US-Konzeptes geradezu beflissen wiederholte. (https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitonsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf)

Der zentrale Absatz im Abschnitt „Außen, Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung, Menschenrechte“ lautet: „Die strategische Souveränität Europas wollen wir erhöhen. Ziel ist eine multilaterale Kooperation in der Welt, insbesondere in enger Verbindung mit denjenigen Staaten, die unsere demokratischen Werte teilen. Dabei geht es auch um den Systemwettbewerb mit autoritär regierten Staaten und eine strategische Solidarität mit unseren demokratischen Partnern.“ (S. 113) Die deutschen Koalitionsparteien bekräftigen die Teilung der internationalen Ordnung in zwei Blöcke; unter „multinationaler Kooperation“ verstehen sie ein größeres Gewicht Europas gegenüber den USA in der „regelbasierten internationalen Ordnung“ (S,114). Damit der Große Bruder USA das aber bitte nicht missversteht, schiebt man hinterher: „Wir streben eine enge transatlantische Abstimmung in der China-Politik an und suchen die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern, um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren.“ Die Beziehungen mit China müsse man nämlich „in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität gestalten“ (S,124). Deutschland warnt China, dass „eine Veränderung des Status Quo in der Straße von Taiwan nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen (darf)“. Hier wird Taiwan zu einem gleichgewichtigen Gegenüber der Volksrepublik China hochgedeutet, während die „Ein-China-Politik“, die völkerrechtlich vorgegeben ist, genau das Gegenteil besagt: Taipeh/Formosa/Taiwan ist Teil der Volksrepublik , die autonom im Rahmen des Völkerrechts die Beziehung zur abtrünnigen Insel praktiziert. Provokant setzen die Koalitionsparteien noch einen drauf und verlangen die „Teilnahme des demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen“ (S,124). Auch wollen sie, dass „dem Prinzip ´Ein Land – zwei Systeme´ in Hongkong wieder Geltung verschafft werden (muss)“. Nur ist dieses Prinzip eben aufgehoben worden durch den Vertrag von Großbritannien mit China zur Überführung Hongkongs in die Unabhängigkeit und Rückkehr in die Volksrepublik. Hongkong ist jetzt Teil dieser Volksrepublik China, wo keine zwei Systeme stattfinden, sondern zum Kummer der westlichen Beobachter vor Ort nur eines, mit „mehr Marx als Markt“ (siehe Kapitel 7).

Von der zaghaft vorgebrachten „strategischen Souveränität“ Europas ist seit dem Ukrainekrieg in keinem der westlichen Dokumente mehr die Rede. Im neuen „2022 Strategischen Konzept“ der NATO wird die ganze Welt zum potentiellen Einsatzgebiet erklärt. „Der strategische Wettbewerb, die andauernde Instabilität und wiederkehrende Schocks definieren unsere breitere Sicherheitsumgebung. Die Drohungen, denen wir uns gegenübersehen, sind global und miteinander verknüpft.“ (Nato 2022 – Strategic Concept. Nato-Gipfel in Madrid, 29.6.2022. https://nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/2022/6/pdf/290622-strategic-concept.pdf, S. 3) Die Zweiteilung der Welt nach Vorgabe der US-Strategie wird nahtlos übernommen.  „Autoritäre Akteure fordern unsere Interessen, unsere Werte und die demokratische Lebensweise heraus… Diese Akteure stehen auch an vorderster Front einer überlegten Anstrengung, unsere multilateralen Normen und Einrichtungen zu unterminieren und autoritäre Regierungsmodelle zu fördern.“ (S. 3) Auch in Sachen Hauptfeind sieht es die Nato haargenau so wie der Taktvorgeber aus Washington: „Der Volksrepublik Chinas erklärte Ziele und ihre Zwangspolitiken fordern unsere Interessen, Sicherheit und Werte heraus. Die Volksrepublik unterhält ein breites Spektrum politischer, wirtschaftlicher und militärischer Werkzeuge, um ihren globalen Fußabdruck zu vergrößern und ihre Macht auszuweiten, während ihre Strategie, ihre Absichten und ihr militärischer Aufbau undurchsichtig bleiben. Ihre bösartigen hybriden und Cyper-Operationen und ihre konfrontative Rhetorik zielen auf Alliierte und verletzen die Sicherheit der Allianz …Die sich vertiefende strategische Partnerschaft zwischen der Volksrepublik China und der Russischen Föderation und ihre sich gegenseitig verstärkenden Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu unterlaufen, richten sich gegen unsere Werte und Interessen.“  (S. 5)

Die beiden „Schurkenstaaten erster Ordnung“ sind benannt, fehlt noch der Gute im globalen Wettstreit: „Die Nato ist das einzigartige, wesentliche und nicht wegzudenkende Forum, um einander zu konsultieren, um zu koordinieren und zu handeln in allen Angelegenheiten, die mit unserer individuellen und kollektiven Sicherheit zu tun haben.“ (S. 3) Das ist das Gegenteil vom „Hirntod“ der Nato, wie ihn Frankreichs Präsident Macron drei Jahre zuvor festgestellt hat. Die Nato ist einiger denn je, die Führung der USA so unbestritten wie zu Zeiten des ersten Kalten Krieges.

Da dieser neue Kalte Krieg auf allen Ebenen geführt wird, Krieg und Wirtschaftskrieg stets zusammengehören und zusammenwirken, hat die Nato mit der EU eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, worin das Mantra der neuen „Sicherheitsstrategien“ wortgenau wieder holt wird: „Autoritäre Akteure stehen unseren Interessen, Werten und demokratischen Prinzipien entgegen, indem sie verschiedene Mittel benutzen – politische, wirtschaftliche, technologische und militärische. Wir leben in einer Ära wachsenden strategischen Wettbewerbs. Chinas wachsende Durchsetzungskraft und Politik stellen uns vor Herausforderungen, die wir angehen müssen.“
(Joint Declaration on EU-NATO Cooperation, 10.1.2023)

Die deutsche Regierung, die EU, die Nato folgen bisher der von Washington vorgegebenen großen Linie. Wie lange diese Gefolgschaftstreue zur US-Führungsmacht anhält, wird abhängen von den weiteren Kosten, die Kriege und Wirtschaftskriege den Menschen und Volkswirtschaften der „Alliierten und Partner“ der USA noch zumuten; und vom Widerstand der Betroffenen – klar zeigt sich der enge Zusammenhang der sozialen, der Umwelt- und der Friedensfrage. Höchste Zeit, dass die Kräfte, die Bewegungen, die sich auf diesen Feldern für die humane Seite einsetzen, endlich zueinander finden.