Als der US-Präsident Donald Trump am 13. August 2020 die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) bekanntgab, der sich danach auch das kleine Golf-Königreich Bahrain in etwas modifizierter Form angeschlossen hat, würdigte er dieses Ereignis als einen Durchbruch zum Frieden in der Nah- und Mittelostregion. Auf seinen Wunsch hin hatte der israelische Premier Netanjahu sich dazu bereit erklärt, seine auf den 1. Juli 2020 datierten Annexionspläne von etwa einem Drittel der palästinensischen Westbank aufzuschieben.
Prinzipiell ist gar nichts dagegen einzuwenden, wenn es endlich auch zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und seinem gesamten arabischen Umfeld kommt. Jedoch wird schon an diesem in vielerlei Hinsicht speziellen Junktim deutlich, dass es um anderes geht, als diese so konfliktgeladene Nah- und Mittelostregion tatsächlich dauerhaft befrieden zu wollen.
Das spiegelt sich allein schon an den ambivalenten Reaktionen wider: Den einen genügt offensichtlich schon der zeitweilige israelische Annexionsverzicht, um darin, wie beispielsweise Markus Bickel in der taz vom 25. August 2020, in Trump einen „Dominostein zum Frieden“ zu erblicken; andere hingegen verlieren berechtigterweise die damit verbundenen zusätzlichen Risiken für die regionale Stabilität und Sicherheit nicht aus dem Auge. Hierzu ist die Knessetabgeordnete der oppositionellen jüdisch-arabischen Gemeinsamen Liste, Aida Touma-Sliman zu zählen, nach deren Ansicht dieses Abkommen mit den VAE darauf abzielt, „den Kampf gegen die Okkupation vom Gleis zu schieben und die Aussichten für die Gründung eines Palästina-Staates zu eliminieren.“ Oder auch die Reaktion von Alastair Crooke von der Online-Plattform Strategic Culture vom 14. September 2020, der den eigentlichen Zweck dieses Normalisierungsgeschehens darin sieht, eine militärische Allianz gegen Iran zu schmieden.
Das unter dem biblischen Titel „Abraham Accords“ (Abraham Vereinbarungserklärung) fixierte Bekenntnis, „gemeinsam der Realisierung einer verhandelten Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts verpflichtet zu sein, die den legitimen Bedürfnissen und Aspirationen beider Völker entspricht“, erweist sich schon dadurch als Schall und Rauch, weil es an die von der Trump-Administration am 28. Januar 2020 publik gemachte „Vision für Frieden“ gekoppelt ist.
Im Kern verlangt aber dieser so genannte „Jahrhundert-Deal“ von der palästinensischen Seite, sich einem Diktatfrieden zu beugen, da er ausschließlich israelischen Interessen Rechnung trägt und im Widerspruch zu den einschlägigen völkerrechtlichen Festlegungen in Bezug auf die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts steht. Das beginnt mit der Anerkennung von ganz Jerusalem als Hauptstadt Israels, also auch des arabischen Ost-Teils der Stadt, was durch die Verlegung der US-Botschaft dorthin bereits demonstrativ vollzogen worden ist, und reicht bis hin zur Ausdehnung der israelischen Staatssouveränität auf alle sich in der palästinensischen Westbank inzwischen befindlichen israelischen Siedlungen und auch auf das dortige Jordantal. Wenn bei diesem Deal von einem Palästina-Staat die Rede ist, dann bezieht sich dieser offenbar auf jenes Rest-Territorium, welches nicht nur flächenmäßig weiter reduziert wäre, sondern zudem einem Flickenteppich gleich käme ohne jegliche eigene Grenz- oder Luftraum-Kontrolle.
Dominanz des „Rechts des Stärkeren“
Natürlich hat die israelische politische Klasse allen Grund zum Jubel über diesen von der Trump-Administration eingefädelten Deal und der damit inhärenten Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Entspricht dieser doch genau ihren seit längerem verfolgten Bestrebungen: Eine – nach Ägypten 1979 und Jordanien 1996 – weitere Normalisierung ihrer staatlichen Beziehungen mit der arabischen Welt zu erreichen, ohne jedoch auf die „Arabische Initiative“ (AI) von 2002 eingehen zu müssen. Diese war von ihr schon deshalb nicht akzeptiert worden, weil es für Israel bedeutet hätte, als Gegenleistung dafür der Proklamierung eines Palästina-Staates in den völkerrechtlich determinierten Grenzen von 1967 und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt zuzustimmen. Stattdessen genügte jetzt allein die vage Zustimmung zum Aufschub zuvor angekündigter Annexionspläne.
Hinzu kommt noch das in dem „Abrahamitischen“ Dokument enthaltene Kalkül, im Verbund mit den USA eine „Strategische Agenda für den Nahen und Mittleren Osten“ zu entwickeln und zu implementieren.
Obwohl Hardlinern wie dem Vorsitzenden der rechten, religiös-zionistischen politischen Allianz Jamina, Naftali Bennet und anderen Siedlervertretern selbst dieser einstweilige Annexionsverzicht noch zu weitreichend war und sie deshalb Netanjahu des Bruchs seines im zurückliegenden Wahlkampf abgegebenen Annexions-Versprechens bezichtigten, sah sich dieser davon unbeeindruckt. Für ihn zählte erklärtermaßen vor allem, dass Israel im Unterschied zum 1979er Friedensschluss mit Ägypten dieses Mal kein Iota besetzten Territoriums habe aufgeben müssen und überdies noch keinerlei Zusage zu einem Palästina-Staat erforderlich gewesen sei. Es bliebt ohnehin fraglich, inwieweit die Ankündigung der de jure Annexion für Netanjahu nicht doch eher dem Wahlkampf zur Gewinnung der Siedlerstimmen geschuldet war, da ihm der international dagegen sich regende Widerstand keinesfalls verborgen geblieben ist. So hatten prominente britische Juden Anfang Juni 2020 in einem Brief an den Botschafter Israels in London eindringlich vor einer solchen Annexion gewarnt. Auch verschiedene EU-Vertreter, darunter Außenminister Maas, hatten inständig um einen Verzicht darauf erbeten. Interessanterweise richtete sich diese international zu vernehmende Protestwelle jedoch ausschließlich auf das Problem der Annexion; die bereits seit reichlich fünf Jahrzehnten andauernde Okkupation blieb dabei außen vor, obwohl doch diese die eigentliche Grundlage einer Annexion bildet.
De facto findet die Annexion in der Westbank bereits tagtäglich statt; auch die vor bereits 13 Jahren verhängte unmenschliche Blockade des Gaza-Streifens hält unvermindert an. Das israelische Siedlungsgeschehen auf der Westbank als strategischer Bestandteil der Palästina-Politik Israels, die Verhinderung eines lebensfähigen Palästina-Staates an seiner Seite, wird ebenso forciert wie die kolonialistische Eroberung weiteren Territoriums. So gab Benny Gantz, der alternierende Verteidigungsminister und Premierminister, wie zum Hohn auf die zuvor erfolgte diplomatische Anerkennung, Anfang Oktober 2020 die Errichtung von weiteren 4.430 neuen Siedler-Wohneinheiten bekannt. Damit lieferte er zugleich den Beweis, dass nicht nur Netanjahu und dessen Likud-Partei zu den Treibern im Siedlungsgeschehen gehören, sondern auch das neue bürgerliche und als moderat geltende Bündnis Kahol Lavan, das Netanjahu offensichtlich in nichts nachsteht. Die als NGO fungierende israelische Peace Now, die seit längerem das Siedlungsgeschehen verfolgt und auswertet, erwartet sogar für das laufende Jahr die bislang höchsten Zuwächse bei den Siedlungsbauten. Zu erwähnen sind an dieser Stelle auch die alltäglichen, unter dem Label „price tag (Preisschild)“ verübten Siedlerschikanen gegen palästinensische Westbankbewohner. Ein besonders aktuelles Beispiel ist die anstehende Olivenernte, die militante Siedlerhorden nicht davon abbringt, selbst ganze Olivenhaine zu vernichten und damit die palästinensischen Farmer ihrer lebenswichtigen Grundlagen zu berauben. Sie agieren offenbar in der Hoffnung, die palästinensischen Westbankbewohner so vielleicht gänzlich aus ihrem angestammten Lebensraum vertreiben zu können. Strafen dafür müssen sie kaum befürchten. Ganze neun Prozent von Siedlervergehen sind gemäß Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Yesh Din im Zeitraum zwischen 2005 und 2019 gerichtlich geahndet worden.
So gesehen ist es auch kein Zufall, dass nahezu zeitgleich mit den Anerkennungsprozeduren innerhalb der israelischen politischen Klasse Diskussionen darüber im Gange sind, die bislang unter ihrer alleinigen Kontrolle stehende sogenannte Zone C, die ungefähr 60 Prozent des palästinensischen Territoriums ausmacht, endgültig israelischer Souveränität zu unterstellen. Diese war Israel zeitweilig als Kontrollfunktion nach den Osloer Vereinbarungen von 1993 zugestanden worden. Unter dem provokatorischen Titel „Die palästinensische Übernahme der Zone C“ waren Mitte 2020 auf zwei Meetings, von den unter den Knesset-Ausschüssen für Äußeres und Verteidigung angesiedelten Unterkomitees organisiert , die anwesenden Teilnehmer von Likud, Yamina und anderen Protagonisten des Siedlungsgeschehens fest entschlossen, den endgültigen israelischen Machtanspruch auf diese 60 Prozent zu bestehen. Die restlichen 40 Prozent der Westbank – laut Osloer Abkommen die Zonen A (rund 17 Prozent) und B (rund 23 Prozent), wobei die Palästinensische Autonomieverwaltung bislang nur alleinige Kontrolle über die Zone A innehat und sich diese in der Zone B noch mit Israel teilen muss – seien erklärtermaßen für die Palästinenserinnen und Palästinenser genug. Übersetzt hieße dies, dass ihnen aus israelischer Sicht letztlich nicht mehr als etwa ein Zehntel des ehemaligen britischen Mandatsgebiets zugebilligt würde.
Wie im Editorial der israelischen Haaretz vom 16. September 2020 berechtigterweise festgestellt wird, „hat dies nichts mit der Zwei-Staaten-Lösung zu tun, die in den Abkommen mit den VAE Erwähnung findet. Es ist die Realisierung der Siedler-Vision, die Israel letztendlich offiziell in einen Apartheidstaat verwandelt“.
In dem Maße, wie sich nun für die israelische politische Klasse deren angestrebte Ziele und Intentionen erfüllen, verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für die palästinensische Seite im Ringen um die Wahrnehmung ihrer legitimen Rechte. Interessant in diesem Kontext ist zudem, dass sich Israel bei der Durchsetzung seiner eigenen Ziele stets der besonderen Unterstützung durch die USA bedient. Wie sich 2004 der damalige israelische Ministerpräsident Scharon vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush die Siedlungen entlang der 1967er Grenze als zu Israel zugehörig absegnen ließ, bestätigte der US-Präsident Trump mittels seines „Jahrhundert Deals“ jetzt die israelische Souveränität über sämtliche Siedlungen. Israel spricht demgegenüber der palästinensischen Seite jegliches Recht ab, sich an die UNO zu wenden, obwohl diese de facto mit ihrem Teilungsbeschluss 181 vom November 1947 die Existenz zweier Staaten, eines jüdischen und eines arabischen, begründet hat.
Veränderter Stellenwert der Palästina-Frage
Im Grunde genommen sind mit dem diplomatischen Ausscheren der betreffenden Staaten Entwicklungen in Gang gesetzt worden, die den israelischen Bestrebungen in die Hände spielen. Mit der Hinfälligkeit der „Arabischen Initiative“ hat sich zugleich auch der bisherige Stellenwert der Palästina-Frage im arabischen Staatenverbund verändert. Die ungelöste Palästina-Frage bildet nicht mehr einen Gegenstand gesamtarabischer Politik, sondern stellt für manche mehr oder weniger nur noch ein lästiges Randproblem dar. Als Beleg dafür mögen jene saudischen Stimmen gelten, die aktuell mit an Zynismus grenzender Kritik gegen die bisherigen palästinensischen Führungen aufwarten. Dazu zählt der saudische Ex-Geheimdienstchefs und Ex- Botschafter in den USA, Bandar bin Sultan bin Abdulaziz Al Saud, der diesen in einem mehrteiligen Interview für den staatlichen TV-Sender Al Arabiya generelles Versagen vorwirft. Diese Führungen hätten sich historisch stets auf der Verliererseite befunden, wofür eben jetzt der Preis zu zahlen sei. Sich über das Zustande-kommen der VAE/Bahrain-Israel-Vereinbarungen beklagen zu wollen, sei übergriffig wie sträflich. Gerade so, als ob ihnen die alleinige Verantwortung für das bisherige Scheitern anzulasten wäre.
Auch wenn der saudische König, Mohammed bin Salman, weiterhin sein Festhalten an der Unterstützung für die Palästina-Frage bekundet, ist davon auszugehen, dass sich innerhalb der Führungsriege Saudi-Arabiens ein Paradigmenwechsel vollzieht. Denn ohne das entsprechende „grüne Licht“ von saudischer Seite hätten sich die VAE – und schon ganz und gar nicht Bahrain – von der Trump-Administration für diesen Bruch mit der „Arabischen Initiative“ gewinnen lassen. Saudi-Arabien ist nach wie vor deren eigentlicher Spiritus Rector, angefangen von dem 1981 vom damaligen Kronprinzen Fahd bin Abdel Aziz unterbreiteten Plan bis hin zur 2002 verabschiedeten und 2007 in Riyad noch einmal bekräftigten „Arabischen Initiative“. Demgegenüber scheint die Palästina-Frage Kronprinz Mohammed bin Salman, wie anderen eben auch, eher gleichgültig zu sein. Er fordert stattdessen von der palästinensischen Seite, dass sie sich mit dem zufrieden geben solle, was man ihr noch anböte, und wenn nicht, so sollte sie wenigstens ihr Wehklagen beenden. Das muss aber nicht heißen, dass auch Saudi-Arabien dem US-Druck folgt und auch baldigst offizielle diplomatische Beziehungen zu Israel aufnimmt, auch wenn seit längerem enge Kontakte zwischen ihnen bestehen. Nicht zuletzt unter dem Eindruck des „Arabischen Frühlings“ 2011 werden die möglicherweise entstehenden Risiken für das eigene Herrscherhaus sorgfältig abgewogen. Innerhalb der VAE äußert das Scheichtum Ras Al-Khaimah auf Führungsebene Unzufriedenheit mit den getroffenen Vereinbarungen mit Israel, und zudem rebelliert in Bahrain die mehrheitlich schiitische Bevölkerung, wie schon zu Beginn des Jahrzehnts, erneut gegen das sunnitische und völlig von Saudi-Arabien abhängige Königshaus.
Die EU bekräftigt zwar beständig ihr Festhalten an der Zwei-Staaten-Lösung sowie ihre ablehnende Haltung gegenüber der als illegitim eingestuften israelischen Siedlungspolitik. Ihre verbalen Bekundungen erweisen sich letztlich als unverbindliche Lippenbekenntnisse. Ohne erkennbaren Widerspruch wird offenbar hingenommen, dass sich die Verhältnisse „vor Ort“ systematisch zu Lasten der Palästinenserinnen und Palästinenser verändern. Das völkerrechtswidrige Vorgehen Israels wird nolens volens noch belohnt, indem beispielsweise die finanzielle Unterstützung für palästinensische humanitäre Projekte in der Zone C auf israelischen Druck spürbar weiter zurückgefahren wird. Einen weiteren Beleg dafür liefert der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der quasi die israelische Interpretation der Westbank als umstrittenes („disputed“) Territorium übernimmt. Es handele sich nicht um Staatsterritorium, so dass es selbst im Falle einer israelischen Annexion keinerlei Handhabe für Sanktionen gegen Israel gäbe.
Wie weiter mit der Palästina-Frage?
Die Dramatik der Palästina-Frage, deren Ursprünge wie Spezifik auf die europäische Kolonialpolitik zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zurückgehen, stellt sich aktuell nunmehr so dar: Einerseits sind die Grundlagen für die UNO-seitig begründete Zwei-Staaten-Lösung im Prinzip nicht mehr hinreichend gegeben – obwohl eine solche Lösungsoption nach wie vor den legitimen Interessen beider Seiten am ehesten entspräche. Andererseits ist jedoch eine Ein-Staat-Lösung wenig verheißend. In diesem Fall wäre Israel als Apartheidstaat zusehen, weil ansonsten nur aus rein demografischen Erwägungen heraus ein mehrheitlich jüdischer Staat nicht aufrechtzuerhalten wäre.
Was also tun angesichts dieses wahrhaften Dilemmas und unter Berücksichtigung des nunmehr aufgebrochenen arabischen Konsenses in der Palästina-Frage? Die Antwort darauf wird keinesfalls leicht zu finden sein, und sie ist zudem abhängig von vielen Imponderabilien, auf die jedoch an dieser Stelle im einzeln nicht eingegangen werden kann. Eines scheint auf palästinensischer Seite festzustehen, dass es jetzt in erster Linie darum gehen muss, die seit Jahrzehnten bestehende und sich in der Trennung zwischen Gaza-Streifen und Westbank manifestierende Spaltung der palästinensischen Nationalbewegung dauerhaft zu überwinden. Das ist per se schon deshalb schwierig, weil darin eben auch unterschiedliche Mächte und Kräfte involviert waren und sind. Es geht um nicht weniger als um die notwendige Einigung auf einen tragfähigen gemeinsamen Grundkonsens – und darauf aufbauend – um die Erarbeitung einer realistischen Strategie für Palästina. Bei allen nach wie vor vorhandenen Gegensätzen scheinen die beiden politischen Hauptakteure und bisherigen Hauptgegenspieler, Fatah und Hamas, entschlossen zu sein, sich diesem Erfordernis zu stellen. Zumindest einigten sich beide Seiten auf dem am 24. September 2020 in Istanbul auf hoher Ebene stattgefundenen Treffen auf die gemeinsame Erarbeitung eines Mechanismus, um „dem ‚Jahrhundert-Deal’, den israelischen Annexionsplänen wie der Normalisierungswelle zu begegnen“. Orientiert wird auf „einen breiten nationalen Dialog bei Beteiligung aller palästinensischen Fraktionen“ sowie auf die Durchführung von Wahlen für die Präsidentschaft, für den Legislativrat und den Palästinensischen Nationalrat bis zum Frühjahr 2021. Die Legislativratswahlergebnisse sollen dann als Grundlage für die Bildung einer Einheitsregierung sein. Diese schon lange anstehenden Wahlen und der Umgang mit deren Ergebnissen werden sicherlich Nagelprobe und Gradmesser dafür sein, wie sich die palästinensische Nationalbewegung den gewaltigen neuen Herausforderungen um die Palästina-Frage anzunehmen vermag.
So vielversprechend diese Ankündigungen einerseits sein mögen, es dürfen andererseits die vorhandenen vielfältigen Hürden keinesfalls unterschätzt werden. Unter den Palästinensern handelt es sich nicht um den ersten Versuch einer Aussöhnung. Ähnliche Unterfangen sind in der Vergangenheit immer wieder gescheitert. Einschlägige Beobachter des Istanbuler Treffens bescheinigen dem jetzigen Versuch durchaus eine große Ernsthaftigkeit, auch im Hinblick auf den äußeren Einflussnahmen. Schon in der Vergangenheit war eine solche Aussöhnung von den verschiedensten äußeren Mächten und Kräften nicht gewünscht und konnte auch immer wieder torpediert werden. Man möge sich nur daran erinnern, als der von Hamas bei den Legislativratswahlen 2006 errungene Wahlsieg nicht zuletzt aufgrund massiven Drucks von außen hintertrieben worden war und entscheidend zu dieser tragischen Spaltung zwischen Gaza-Streifen und Westbank beigetragen hat. Es bleibt deshalb zu hoffen, dass die jetzt von der Türkei übernommene Vermittlerrolle nicht dazu genutzt wird, um mit anderen Vorzeichen den Spaltpilz innerhalb der palästinensischen Nationalbewegung erneut zu „kultivieren“. Frieden und Stabilität auf Dauer sind nur auf der Grundlage eines fairen Interessenausgleichs zwischen allen beteiligten Seiten erreichbar.