Bundeskanzlerin Merkel ruft dazu auf, Sozialkontakte zu vermeiden. Das ist schwer für ein Gremium, das ohne diese Kontakte gar nicht arbeiten kann: der Betriebsrat. Ein Betriebsrat muss Informationen von den Beschäftigten erhalten, muss auch mit der Belegschaft Themen diskutieren können. Er sollte auch durch einen Betriebsrundgang – vom Bundesarbeitsgericht „Betriebsbegehung“ genannt – vor Ort prüfen, wie die Arbeitsbedingen sind und ob gesetzliche Vorgaben, etwa zum Arbeitsschutz, eingehalten werden.

Der Kontakt zu den Beschäftigten kann heute dank neuer Technik auch anders organisiert werden, wenngleich eine Betriebsversammlung oder ein persönliches Gespräch niemals durch WhatsApp-Nachrichten ersetzt werden können. In schwierigen Zeiten der Kontaktvermeidung ist dies aber eine Notlösung, mit der viele Betriebsräte heute arbeiten.

Ein großes Problem hat ein Betriebsrat jedoch, wenn er Forderungen gegenüber dem Unternehmen durchsetzen will. Dazu benötigt er Beschlüsse. Denn auch wenn jedes Gremium einen Vorsitzenden hat, ist dieser nicht der Vorgesetzte der einzelnen Mitglieder, vielmehr hat er wichtige Koordinationsaufgaben, etwa die Sitzungsvorbereitung. Will er jedoch dem Unternehmen gegenüber aktiv werden, geht das nur mit einem Beschluss des Gremiums. Ein Beschluss kann nur in einer Sitzung gefasst werden, also müssen alle Betriebsratsmitglieder

  • eine Einladung erhalten,
  • sie müssen wissen, was auf sie zukommt, also eine Tagesordnung erhalten und
  • in einem Raum zusammen kommen.

Das klingt sehr formalistisch (und ist es auch!) – hat aber auch seine Vorteile: jeder weiß, um welche Themen es geht, kann sich vorbereiten, kann zu dem Thema Informationen sammeln, sich im Vorfeld mit anderen Betriebsratsmitgliedern austauschen oder mit Beschäftigten sprechen. Und in diesem Sinne kann Demokratie praktiziert werden, von daher ist das keine schlechte Regelung. Bisher bereitete das auch keine großen Probleme, sondern ermöglichte das gemeinsame Tagen.

Gerade in Corona-Zeiten hat der Betriebsrat wichtige Aufgaben.

Dies kann eine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit sein, mit der das Unternehmen dazu gebracht wird, die Zahlungen der Agentur für Arbeit aufzustocken. Dazu gehört der Gesundheitsschutz – welche Maßnahmen ergreift das Unternehmen, um vor Corona-Ansteckung zu schützen?

Es kann die Überwachung der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit sein. In vielen Betrieben soll derzeit das „unternehmerische Risiko“ auf die Belegschaften verlagert werden, etwa indem Beschäftigte aufgefordert werden, nach Hause zu gehen, Arbeitszeitkonto ins Minus laufen zu lassen, um später nachzuarbeiten.

Was das bedeuten kann, zeigt ein konkretes Beispiel: Das Unternehmen gibt durch „Aushang“ und per Intranet bekannt, dass die Arbeitszeitkonten jetzt unbegrenzt ins Minus gehen können. „Vorgesetzte werden das Vorgehen mit jedem einzelnen Mitarbeiter besprechen“, lautet die unverständliche Drohung. Um eine Einschüchterung der Belegschaft zu verhindern, wird der Betriebsrat aktiv. Führt die Aufforderung an das Management, diese Bekanntgabe zurückzunehmen, zu keinem Erfolg, muss der Betriebsrat schnell handeln. Über einen Antrag beim Arbeitsgericht ist ein Stopp durchzusetzen. Dieser Antrag auf „einstweilige Verfügung“ setzt aber einen Beschluss voraus. Unterbleibt eine „korrekte Beschlussfassung“, so das Bundesarbeitsgericht, läuft das Verfahren ins Leere! Die Beschlüsse haben also eine elementare Bedeutung für den Betriebsrat.

Den Raum für die Betriebsratssitzung hat das Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Sollte der Betriebsratsvorsitzende jedoch feststellen, dass der bisherige Raum zu klein ist, um ausreichenden Abstand der Sitzungsteilnehmer zueinander sicher zu stellen – ähnlich der Bundestagssitzung in dieser Woche -, muss das Unternehmen für Abhilfe sorgen, indem ein größerer Raum zur Verfügung gestellt wird. Auch darf das Management die Betriebsratssitzung aufgrund von Corona nicht verbieten!

Schwieriger wird die Situation, wenn der Betriebsrat eine Sitzung im klassischen Sinne für zu riskant, ja derzeit gesundheitsgefährdend hält. Telefonkonferenz oder Videokonferenz wäre die technische Lösung – das lehnt aber das Bundesarbeitsgericht ab. „Die Sitzungen des Betriebsrats sind nicht öffentlich“, sagt das Betriebsverfassungsgesetz, niemand kann sicherstellen, dass die Videokonferenz nicht „gehackt“ wird oder andere neben dem Laptop sitzen, über den sich ein Betriebsratsmitglied an der Veranstaltung beteiligt. Auch ein Umlaufverfahren, indem jeder Einzelne zu den Tagesordnungspunkten schriftlich befragt wird, ist rechtlich nicht erlaubt.

Das hat sich bis zum Bundesarbeitsministerium herumgesprochen. Jetzt erklärte Minister Hubertus Heil, derzeitige Regelungen beziehen sich auf den „Normalfall“ – dieser sei aber derzeit nicht gegeben: „denn wir haben es mit einer Ausnahmesituation zu tun“.

Deshalb seien jetzt „virtuelle Betriebsratssitzung“ möglich, wenn „beispielsweise die Teilnahme an einer Präsenzsitzung zu Gefahren für das Leben oder die Gesundheit der Betriebsratsmitglieder führt oder wegen behördlicher Anordnungen nicht möglich ist“. Video- oder Telefonkonferenz sei jetzt zulässig, so der Minister. „Die Beschlüsse, die in einer solchen Sitzung gefasst werden, sind nach unserer Auffassung wirksam“. Diese Mitteilung hat zu heftiger Kritik geführt – denn ein Minister kann nicht durch eine Erklärung ein Gesetz oder die Arbeit des Bundesarbeitsgerichtes außer Kraft setzen.

„Diese Erklärung gibt nur dessen Auffassung wieder, stellt aber keine gesetzliche Grundlage für die Durchführung von Telefon- und Videokonferenzen dar“, erklärt Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht in Frankfurt. Weddes Vorschlag, eine „rechtsverbindliche und unwiderrufliche Erklärung des Arbeitgebers“ einzufordern, dass er „Betriebsratsbeschlüsse, die in der Zeit des Corona-Notstandes gefasst wurden, nicht aus formalen Gründen anfechten“ wird, klingt pragmatisch und erscheint gleichzeitig wenig realistisch. In der Praxis wird es also Beschlüsse von Betriebsräten geben, die ohne Bedeutung sind, da rechtsunwirksam. Für Unternehmen ideal – gerade in diesen Ausnahmezeiten!

In den Gesetzesvorlagen zur Corona-Krise ist an vieles gedacht worden. Zum Beispiel an die Rettung von Großkonzernen, anscheinend unbegrenzte Kredite, Förderungen für Freiberufler, die nicht mehr in der Lage sind, die Mieten ihrer Arbeitsräume zu bezahlen. Auch wurde das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) geändert, damit Hausverwaltungen auch ohne Eigentümerversammlung während der Corona-Epidemie ihren Aufgaben nachkommen können.

Und bei den Betriebsräten wurde vergessen, eine Ausnahmeregelung zur virtuellen Sitzung, befristet für die Pandemie-Zeit, gesetzlich zu verankern? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…