Die aufgeheizte Stimmung bei der Mehrheit der Bauern und Bäuerinnen lässt sich mittlerweile auch in den Städten nicht mehr übersehen. Mit hunderten, ja tausenden von Traktoren sind sie im Herbst in die Städte gefahren. Eher bedrohlich wirkten sie, nicht gerade auf Kommunikation und Dialog ausgerichtet. Dabei ist das „miteinander reden und nicht übereinander“ eine der Hauptforderungen der angeblich neuen Bauernbewegung „Land schafft Verbindung“. Sie schaffen es in die Nachrichten, die Talkshows, die Münchener Runde, etc. Doch gefragt nach ihren Zielen, wofür sie denn auf die Straße gingen, enthält die Antwort zumeist an erster Stelle, wogegen sie sich wehren: gegen das Volksbegehren Rettet die Bienen, gegen die neue Düngeverordnung, gegen das Agrarpaket der Bundesregierung zum Insektenschutz. Ihr Vorwurf: sie als Bauern seien in der agrarpolitischen Entwicklung nie gehört worden.

Das geht ja auch nicht, sollte man meinen. Andere Wirtschaftsbereiche reden sehr wohl mit bei der Ausarbeitung von neuen Gesetzen. Der enorme Einfluss der Lobbyisten, die weder jemals gewählt wurden noch ihr Gesicht zeigen, noch sich in irgendeiner Weise dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen, ist kein Geheimnis mehr. Und, ist das im Bereich Landwirtschaft anders?

Als Nachfolgeorganisation des Reichsnährstandes verfügt der Deutsche Bauernverband von je her über brillante Kontakte zur Politik, machte so seinen Einfluss von Anfang geltend und ist mit den vor- und nachgelagerten Bereichen der Landwirtschaft (Agrarchemie, Verarbeiter, etc.) bestens vernetzt. Im Forum moderne Landwirtschaft (FML) sitzen sie zusammen: der Bauernverband und die Industrie. Hier werden die Bauern an die Industrie verkauft, das erscheint modern!

Erst kürzlich wurde eine Studie zu den Verflechtungen des Deutschen Bauernverbandes veröffentlicht, die im Auftrag des Nabu erstellt wurde. So ist es zu erklären, dass die gesamte Agrarpolitik der letzten 70 Jahre auf ein Ziel ausgerichtet war: Wachsen oder Weichen und damit verbunden die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion und die Spezialisierung der Betriebe. Aber nicht nur in der Politik, sondern auch in der landwirtschaftlichen Ausbildung und Beratung ist dies heute noch die Grundausrichtung.

Intensivierung der Landwirtschaft bedeutet beispielsweise Ertragssteigerungen auf dem Acker, die weit über das auf natürlichem Weg durch Humusaufbau Mögliche hinausgehen:  Einsatz von Pestiziden und künstlichem Dünger, Vergrößerung der Felder, um sie rationeller bewirtschaften zu können. Damit einher geht auch die Vergrößerung der Maschinen. Folgen dieser Entwicklung sind zudem die größeren Einheiten in der Vermarktung und im Handel. Dass dies nicht ohne Auswirkungen auf die Böden, das Bodenleben, das Grundwasser, die Artenvielfalt, das Klima, die Gesellschaftsstruktur und nicht zuletzt die Inhaltsstoffe der Lebensmittel bleibt, liegt auf der Hand.

Die Ausgestaltung der Agrargelder von der EU treiben diese Entwicklung noch weiter voran. Nachdem die Verteilung der Gelder nur nach Fläche geschieht, erhalten die größten Betriebe das meiste Geld. So werden 80% der Gelder auf 20% der Betriebe in Deutschland verteilt. Und für die Landwirte ist es wirtschaftlich, auf möglichst großen Flächen möglichst viel Ertrag zu ernten, da dies die Stückkosten pro Ertragseinheit senkt. Wie soll man auch sonst auf dem Weltmarkt bestehen können, der von Politik, den landwirtschaftlichen Medien, dem Bauernverband und auch von der neuen Protestbewegung von Bäuerinnen und Bauern als Allheilmittel angepriesen wird. Doch Weltmarkt ist nicht nur der Absatzmarkt für Agrarprodukte, sondern bedeutet zwangsläufig auch Weltmarkt-Preise.

In der Tierhaltung ist die Entwicklung ähnlich. Als Ziel werden Hochleistung bei der Kuh und maximale Tageszunahmen in der Tiermast gelehrt, beraten und über die Fachpresse an die Bäuerin und den Bauern gebracht. Je größer die Bestände, desto rentabler die Automatisierung, desto geringer die Stückkosten. Die Folge sind immer größere Bestände, in denen sich der Betreuungsschlüssel Mensch/Tier verschieben muss. Damit ein Betrieb wachsen kann, muss ein anderer aufhören. Gegenüber Kostenvorteilen im Bereich der Erzeugung, Geldvorteilen im Bereich der Agrarförderungen und im Anbetracht der schlechten Erzeugerpreise wird es für die kleinen und mittleren Betriebe immer schwieriger, sich dieser Konkurrenz zu stellen. In dieser Situation, in der die großen, intensiv geführten Betriebe sich permanent auf der Überholspur sehen und ja auch täglich die Bestätigung durch Politik, Industrie, Medien bekommen, soll sich plötzlich was ändern?

Plötzlich – nun, nicht wirklich so ganz plötzlich, aber darauf kommen wir noch, plötzlich will die Gesellschaft mitreden, wo sie doch billige Lebensmittel erwerben kann, aber von „nix eine Ahnung haben“. Plötzlich soll diese Entwicklung hinterfragt werden. Auf einmal wird behauptet, die riesengroßen Felder seien schlecht für die Artenvielfalt, zu viel Dünger würde das Grundwasser belasten, zu viele Pestizide würden den Insekten schaden, zu große Maschinen den Boden verdichten, plötzlich unterschreiben da fast zwei Millionen Menschen ein Volksbegehren und fordern die Politik zum Handeln.

Was der Bauernverband in den letzten Jahrzehnten gezielt zu verhindern wusste, schafft jetzt ein Volksbegehren. „Aber denen werden wir es zeigen – nicht mit uns.“ So oder ähnlich muss es in den Köpfen der Bauern und Bäuerinnen vor sich gehen, die jetzt dafür auf die Straße gehen bzw. fahren und dafür laut werden, dass sich nichts verändert. Aus Sicht der Intensiv- und Großbetriebe mag das durchaus stimmig sein, doch warum fahren denn so viele Bauern und Bäuerinnen mit, die eigentlich die Verlierer dieses Systems des immer größer, immer billiger, immer schneller sind?
Sie fühlen sich an den Pranger gestellt, obwohl sie bei der allzu berechtigten Systemkritik gar nicht gemeint sind.

Ein schlauer Zug der Agrar-Eliten: wenn es um Fördergelder geht, sind die kleineren nur noch Hobby-Bauern, für die es sowieso keine Zukunft gibt, aber für die Bilder und die Demos kann man sie gut gebrauchen – sie werden vorgespannt und sie lassen es mit sich machen.

Ein weiter wie bisher darf es nicht geben

Schon vor 40 Jahren haben kritische Bäuerinnen und Bauern angefangen, Widerstand gegen dieses System zu leisten. Daraus entstanden die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), der Bund deutscher Milchviehhalter und die ersten Bio-Verbände. Sie klagten die Futtermittelimporte schon damals an, die auf der einen Seite den Bäuerinnen und Bauern in Südamerika die Existenzgrundlage raubten und auf der anderen Seite mit den damit produzierten Überschüssen den Milch- und Rindfleischmarkt nicht nur in Europa, sondern auch auf dem afrikanischen Kontinent Druck auf die bäuerlichen Erzeuger ausübten. Die Auswirkungen reichten von Überweidung bis zur Aufgabe der bäuerlichen Existenzen, weil es unmöglich wurde, mit den Billigimporten zu konkurrieren. An diesem System hat sich bis heute nichts verändert – nur die Ausmaße werden immer unvorstellbarer.

Langsam pressierts

Schon der Weltagrarbericht aus dem Jahr 2008 formuliert den Artenschwund und die Nitratbelastung unseres Grundwassers als mindestens so bedrohlich für unser Ökosystem wie der Klimawandel. Die Fakten kennt man schon lange: von der bayerischen Staatsregierung über die Bundesregierung bis nach Brüssel. Aber immer noch ist der Einfluss der Industrie und des Bauernverbandes so immens, dass sich die Politik nur ganz zaghaft an dringend notwendige Veränderungen wagt und dabei auch noch den Fehler begeht, zu glauben, man könnte die große Richtung der Agrarpolitik weiter verfolgen und an ein paar kleinen Schrauben drehen.

Im Januar wird wieder eine Demo sein in Berlin, die 10. in Folge. „Wir haben Agrarindustrie satt – Demo“. Es werden vermutlich weniger Bauern und Bäuerinnen kommen als im Oktober, aber es ist ein Miteinander mit der Gesellschaft. Über 100 Organisationen rufen mit auf und fordern eine Kehrtwende der Agrarpolitik, für den Erhalt von Bauernhöfen, den Schutz der Artenvielfalt, mehr Tierwohl, ressourcenschonende Produktion von gesunden Lebensmitteln, Erzeugerpreise, die eine angemessene Wirtschaftsweise überhaupt erst ermöglichen, etc.

Solange die externen Kosten der intensiven Landwirtschaft nicht in wahre Preise internalisiert werden, muss der Staat eingreifen. Der Markt wird es nicht richten, denn nach dessen ökonomischer Betrachtungslogik werden unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wir brauchen eine andere Verteilung der Fördergelder, in der kleine Schlaggrößen, Fruchtfolge, Grünlanderhalt und eine artgerechte Nutztierhaltung belohnt werden, eine Kehrtwende in der Ausbildung mit Grundkenntnissen zu ökologischen Zusammenhängen. Wir brauchen unbedingt mehr Öko-Landbau und selbstverständlich auch mehr Nachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln. Wir brauchen außerdem eine ehrliche Kennzeichnung von Lebensmitteln, damit VerbraucherInnen beim Einkaufen alternativ entscheiden können. Und wir brauchen den unbedingten Schutz vor Agrogentechnik. Sie mag bei der EU-Kommission als schnelles Allheilmittel angesehen werden, aber in Wirklichkeit erzeugt sie nur Verlierer – außer der Industrie!

Deswegen: Es gibt nichts Gutes – außer man tut es! (Erich Kästner)