Am 18. Juni hat Papst Franziskus seine Enzyklika „Laudato si´ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ veröffentlicht. Der Papst stellt ins Zentrum seiner neuen Enzyklika die Erkenntnisse der Naturwissenschaften.

Eine Enzyklika ist eine Art Rundschreiben, das der Papst als Oberhaupt der stark hierarchisch strukturierten katholischen Kirche an seine Glaubensanhänger zu einem bestimmten Thema herausgibt. Darin wird, unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen und des Zeitgeistes, ein Thema vom Standpunkt der katholischen Kirche aus behandelt und eine Orientierung in der katholischen Kirche vorgegeben. Allein schon dadurch, dass die katholische Kirche nach eigenen Angaben ca. 1,2 Milliarden Menschen weltanschaulich/ religiös vertritt, ist eine solche Veröffentlichung auch für die Allgemeinheit ein politisch bedeutsamer Vorgang, insbesondere auch dann, wenn das Thema gesellschaftlich relevant ist. Dies ist hier durchaus der Fall, denn es ist die erste Enzyklika, die sich ausschließlich mit der Umweltkrise auf diesem Globus („Unser Haus“) befasst. Dabei stützt sich der Vatikan auf neueste Erkenntnisse der Naturwissenschaft, was keineswegs selbstverständlich ist, wie wir alle schmerzlich am Beispiel von Galileo Galilei wissen. Denn da dauerte es fast 400 Jahre (!), bis zum Jahre 1992, bis Galilei endlich rehabilitiert und die kirchliche Verurteilung seiner wissenschaftlichen Erkenntnis aufgehoben wurde (Galilei hatte die kopernikanische Lehre belegt und verteidigt, die die Sonne im Zentrum des Universums sah und in der Erde einen um sie kreisenden Trabanten). Allein schon dieser Umstand, dass Wissenschaften nicht mehr automatisch durch die katholische Kirche bevormundet werden, ist ein Fortschritt.

Die Bedeutung dieses Schriftstücks ist aber auch dadurch gegeben, daß grundsätzliche Positionen zum Mensch-Natur-Verhältnis angesprochen und zum Teil revidiert werden. Was z.B. der Linkskatholik Carl Amery schon in den 70-er Jahren bissig angemerkt und gefordert hat, nämlich eine deutliche Abkehr des Christentums von einer Kulturtradition, die mit dem Bibelspruch im Alten Testament „Macht Euch die Erde untertan“ verbunden ist, ist nun zum Teil geschehen. So heißt es bei Franziskus: „Wenn ein falsches Verständnis unserer eigenen Grundsätze uns auch manchmal dazu geführt hat, die schlechte Behandlung der Natur oder die despotische Herrschaft des Menschen über die Schöpfung … zu rechtfertigen, können wir Glaubenden erkennen, dass wir auf diese Weise dem Schatz an Weisheit, den wir hätten hüten müssen, untreu gewesen sind.“

An einer weiteren Stelle wird das Verhältnis des Menschen zu anderen Lebewesen neu definiert: „Doch es wäre auch irrig zu denken, dass die anderen Lebewesen als bloße Objekte angesehen werden müssen, die der willkürlichen Herrschaft des Menschen unterworfen sind.“ Damit distanziert sich der Vatikan in gewisser Weise von der christlichen Tradition des Anthropozentrismus („Herrschaft über die Erde“), jenes Selbstverständnis vieler Menschen auch heute noch, dass die gesamte Erde inklusive ihrer biologischen und nicht-biologischen Ressourcen dem Menschen zur Verfügung stehen muss, was faktisch eine Ausbeutung der Natur ohne Grenzen unter der Maxime der Profitmaximierung rechtfertigt.

Dass der Papst natürlich nicht so weit geht wie Carl Amery, der dann philosophisch einen “ökologischen Materialismus“ propagierte, liegt auf der Hand. Das wäre wohl auch von einem Papst Franziskus, als Oberhaupt der katholischen Kirche, zu viel verlangt. Trotzdem ist der Schritt, den Franziskus in diese Richtung geht, indem er die Ergebnisse der Naturwissenschaft, die Vernunft und weite Teile der heutigen Realität anerkennt, schon ein bedeutsamer Fortschritt.

Auch die allgemein gesellschaftlichen und menschlichen Aussagen sind bedeutsam, wenn in dem Schreiben die Umweltkrise in den verschiedenen Bereichen – Klimawandel, Wasser, biologische Vielfalt, Landwirtschaft u.ä. – gut beschrieben und mit den Fragen der Lebensqualität und der sozialen Ungerechtigkeit verknüpft werden.

Auch wenn das Wort Kapitalismus in der ganzen Enzyklika nicht auftaucht, so kann man doch positiv feststellen, dass in der Enzyklika das Wirtschaftssystem und gesellschaftliche Strukturen z.T. deutlich beim Namen genannt werden und eine Bewertung der Strukturen in klarer Sprache als „pervers“ beschrieben und nicht geschont wird. So heißt es z.B. bei Franziskus: „Der Erdboden der Armen im Süden ist fruchtbar und wenig umweltgeschädigt, doch in den Besitz dieser Güter und Ressourcen zu gelangen, um ihre Lebensbedürfnisse zu befriedigen, ist ihnen verwehrt durch ein strukturell perverses System von kommerziellen Beziehungen und Eigentumsverhältnissen.“ Die Kritik an einer rein marktorientierten Wirtschaft klingt an verschiedenen Stellen an: Es „muss immer daran erinnert werden , dass der Umweltschutz nicht nur auf der Grundlage einer finanziellen Kostennutzenrechnung gewährleistet werden kann. Die Umwelt ist eines jener Güter, die die Mechanismen des Markts nicht in der angemessenen Form schützen oder fördern können. Wieder einmal ist es gut, eine magische Auffassung des Marktes zu vermeiden, die zu der Vorstellung neigt, dass sich die Probleme allein mit dem Anstieg der Gewinne der Betriebe oder der Einzelpersonen lösen.“

Eine zumindest qualitativ eindeutige Position bezieht Franziskus in der Frage der Gerechtigkeit – sowohl in der Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen als auch der Umwelt- (Klima-)Gerechtigkeit zwischen den reichen und armen Ländern auf der Erde. So heißt es: „Der Begriff des Gemeinwohls bezieht auch die zukünftigen Generationen mit ein…. Ohne eine Solidarität zwischen den Generationen kann von nachhaltiger Entwicklung keine Rede mehr sein.“ Oder an anderer Stelle wird sogar der Begriff der „ökologischen Schuld“ gebraucht: „Die soziale Ungerechtigkeit geht nicht nur Einzelne an, sondern ganze Länder, und zwingt dazu, an eine Ethik der internationalen Beziehungen zu denken. Denn es gibt eine wirkliche „ökologische Schuld“ – besonders zwischen dem Norden und dem Süden – im Zusammenhang mit Ungleichgewichten im Handel und deren Konsequenzen im ökologischen Bereich wie auch mit dem im Laufe der Geschichte von einigen Ländern praktizierten unproportionierten Verbrauch der natürlichen Ressourcen.“ Oder: „Die Auslandsverschuldung der armen Länder ist zu einem Kontrollinstrument geworden, das Gleiche gilt aber nicht für die ökologische Schuld. Auf verschiedene Weise versorgen die weniger entwickelten Völker, wo sich die bedeutendsten Reserven der Biosphäre befinden, weiter die Entwicklung der reichsten Länder, auf Kosten ihrer eigenen Gegenwart und Zukunft.

Es bleibt zu hoffen, dass die vielen vernünftigen Aspekte und Gedankengänge der Enzyklika eine positive Wirkung in der katholischen Kirche haben, insbesondere auch bei heute noch reaktionären und schlimm rückwärts gewandten Kreisen der katholischen Kirche, die z.B. immer noch, wie etliche kirchliche Gruppen in den USA, vehement den anthropogenen Klimawandel leugnen und Naturzerstörung im großen Stil durch Fracking, Ölgeschäfte, Massentierhaltung bis zur Urwaldzerstörung verharmlosen, rechtfertigen und betreiben (s. Naomi Klein in ihrem neuen Buch „Kapitalismus vs. Klima“).

Da Franziskus die katholische Kirche vertritt, gibt es natürlich auch weite Passagen, die für Anhänger anderer Religionen und nicht-religiöse Menschen bis hin zu Atheisten schwer verdaulich sind und insofern auch weniger Relevanz besitzen.

Immerhin wendet er sich ausdrücklich „an alle Menschen, die guten Willens sind“. Insofern ist diese Enzyklika eine bemerkenswert gute Grundlage für tragfähige Bündnisse zwischen der breiten nichtkirchlichen und säkularen globalen Umweltbewegung mit christlich orientierten Umweltgruppen in aller Welt – im Kampf gegen den globalen Klimawandel und die allgemeine Umweltzerstörung auf unserer gemeinsamen Erde.