Donald Trump liebt Zölle – das sagt er selbst. Doch so simpel seine Wortwahl auch sein mag, das Thema dahinter ist komplex. Wer heute über Zölle spricht, muss auch über Freihandel, Globalisierung und die Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft reden. Denn die Frage ist nicht nur, ob Zölle gut oder schlecht sind – sondern: Für wen eigentlich?

Freihandel in der Theorie: ein Modell für alle?

Freihandel gehört zu den zentralen Vorstellungen der marktwirtschaftlich geprägten Ökonomie. Die Grundidee ist einfach und wirkt einleuchtend: Jeder soll das herstellen, was er oder sie am besten kann. So entsteht insgesamt die effizienteste Produktion – zum Wohl aller. Diese Theorie klingt einleuchtend, ist aber so simpel wie viele andere Glaubenssätze der Marktwirtschaft.

David Ricardo formulierte sie Anfang des 19. Jahrhunderts: Wenn Länder unterschiedliche Voraussetzungen und Fähigkeiten haben, dann sollten sie sich auf das konzentrieren, was sie am besten beherrschen. (isw-spezial 33, 2020) So ließen sich weltweit möglichst viele hochwertige Güter zu möglichst geringen Kosten herstellen und durch freien Handel optimal verteilen. Zölle gelten dabei als ineffizient, weil sie den Wettbewerb verzerren. Sogar moderne Ökonom*innen stimmen in diesem Punkt meist überein. Die Süddeutsche Zeitung etwa schrieb: „Freier Handel erhöht den Wohlstand … Werden Zölle gesenkt, steigt der Wohlstand in allen beteiligten Ländern“ (3.4.2025).

Freihandel in der Praxis: eine naive Annahme

Das Problem der Theorie liegt in einer stillschweigenden Grundannahme: dass alle Arbeitskräfte und Produktionsmittel weltweit vollständig ausgelastet sind. Dahinter steckt die Vorstellung, dass in einer Marktwirtschaft jede*r, der arbeiten will, auch Arbeit findet. Doch in der Realität gibt es in fast allen Ländern – besonders in ärmeren – strukturelle Arbeitslosigkeit.

Fällt diese Annahme weg, verliert auch Ricardos Modell seine Gültigkeit. Dann konzentriert sich Arbeitslosigkeit vor allem in den schwächeren Volkswirtschaften: Wer nicht konkurrenzfähig ist, verliert. Starke Länder bauen ihren Vorsprung weiter aus – durch überlegene Technologie, bessere Bildung, leistungsfähige Infrastruktur. Schwächere Länder geraten ins Hintertreffen, Produktion und Jobs wandern ab, Armut nimmt zu.

Zwar kann Freihandel zu günstigeren Produkten führen – doch für viele Menschen in schwächeren Ländern bedeutet das den Verlust ihrer Arbeitsplätze und damit ihres Einkommens. In der Folge hilft ihnen auch der Zugang zu billigeren Waren nichts. Aus ihrer Perspektive kann Protektionismus – also die gezielte Förderung der eigenen Industrie – sinnvoller sein, auch wenn er teurere Produkte bedeutet.

Ein bekanntes Beispiel: In vielen Entwicklungsländern wurden einfache, handwerklich produzierte Schuhe durch billige Plastiksandalen aus dem Ausland verdrängt. Die lokale Produktion brach ein, Arbeitsplätze verschwanden. Oder: Europäische Fleischkonzerne exportierten Abfallprodukte wie Hühnerflügel oder Innereien zu Spottpreisen nach Afrika – mit dem Effekt, dass lokale Kleinbetriebe in der Geflügelzucht aufgeben mussten. Die Folge: Mehr Arbeitslosigkeit, weniger Einkommen, mehr Armut.

Die zentrale Frage lautet daher: Wohin fließt das Geld in einer globalisierten Welt – in die Konzernzentralen der reichen Länder oder auch in die Regionen, die bislang wenig vom Handel profitiert haben?

Erziehungszölle: Schutz für aufstrebende Industrien

Für viele Länder mit schwacher Wirtschaft war schnell klar: Freihandel hilft vor allem den Starken. Die Idee der sogenannten Erziehungszölle entstand deshalb aus der Notwendigkeit, junge Industrien vor der übermächtigen Konkurrenz zu schützen. Ziel war es, Industrien in Ländern mit Rohstoffen zu fördern – etwa durch Zölle auf importierte Waren, die man auch selbst herstellen könnte: Schuhe, Lederprodukte, verarbeitete Lebensmittel, Textilien, später vielleicht sogar Stahl.

Die Einnahmen aus den Zöllen sollten dabei direkt in den Aufbau der Industrie fließen. Doch in der Praxis verhinderten die reichen Länder, oft unterstützt durch internationale Institutionen, dass dieses Modell konsequent umgesetzt werden konnte. Selbst Staaten mit großem wirtschaftlichem Einfluss, wie Saudi-Arabien, brauchten Jahrzehnte, um ihre Ölwirtschaft auf eine eigene Weiterverarbeitung umzustellen.

Einige Länder – zum Beispiel Indien – setzen dennoch bis heute auf hohe Zölle, etwa im Automobilbereich, um die eigene Produktion zu fördern. Auch im Gründungsvertrag der Welthandelsorganisation (WTO) sind Ausnahmeregeln für solche Schutzmaßnahmen vorgesehen. Doch der große Durchbruch dieses Modells blieb bisher aus – vor allem für die breite Masse ärmerer Länder.

Freihandel als Machtinstrument

Die reichen Länder, besonders exportstarke wie Deutschland, setzten sich nach dem Zweiten Weltkrieg massiv für den Abbau von Handelshemmnissen ein – Zölle, Mengenbeschränkungen, technische Normen oder Patentschutz sollten weltweit reduziert werden. Das Ziel: Zugang zu neuen Märkten, stärkere Marktanteile für die eigene Industrie, Verdrängung der Konkurrenz.

Nach jahrzehntelangen Verhandlungen wurde 1995 die WTO gegründet. Ihr Prinzip: Handelsbarrieren sollten nur noch abgebaut, nicht wieder aufgebaut werden. Doch der sogenannte Freihandel blieb ein komplexes Gefüge voller Sonderregeln und Ausnahmen. Besonders Kuba war – trotz aller Freihandelsrhetorik – weiterhin massiven Sanktionen ausgesetzt. Andere Länder kämpften regelmäßig mit Schuldenkrisen, verursacht durch eine zu schnelle Öffnung ihrer Märkte und den damit einhergehenden Verlust wirtschaftlicher Eigenständigkeit.

TTIP: Der Freihandel als strategische Waffe

Wer erinnert sich noch an TTIP? Das geplante Handelsabkommen zwischen den USA und der EU sollte nicht nur wirtschaftliche Vorteile bringen, sondern auch geopolitisch wirksam sein – vor allem gegenüber dem aufstrebenden China. Ziel war es, globale Standards zu setzen, die für China schwer zu erfüllen wären. (isw-report 97, 2014)

Doch TTIP scheiterte – an inneren Spannungen und am öffentlichen Widerstand. Das Ziel, China zu bremsen, blieb jedoch bestehen. Statt über Handelsabkommen setzt man heute auf Zölle, Exportverbote, Investitionsverbote und andere Maßnahmen, die dem Freihandelsgedanken widersprechen. China ist allerdings kein schwacher Akteur – anders als Kuba kann es Gegenmaßnahmen ergreifen.

Zölle out – Kapitalverkehr in

Während der freie Warenhandel heute weitgehend zur Normalität geworden ist (Zölle sind meist niedrig, innerhalb der EU sogar abgeschafft), hat ein anderer Bereich die Bühne betreten: der freie Kapitalverkehr.

Konzerne und ihre Regierungen fordern zunehmend ungehinderten Zugang zu globalen Investitionsmöglichkeiten – möglichst ohne staatliche Eingriffe. Kapital, Technik und Management sollen dorthin fließen, wo Arbeitslöhne niedrig sind. Für diese Investitionen erwarten die Unternehmen größtmögliche Sicherheit: Sie wollen ihr Kapital bei Bedarf schnell wieder abziehen können, ihre Gewinne ins Heimatland transferieren, ihre Standorte selbst wählen.

In den letzten Jahrzehnten wurde diese Form der Globalisierung stark vorangetrieben. Die Folge: Multinationale Konzerne profitieren, lokale Bevölkerung und Umwelt nicht unbedingt. Ein Beispiel ist Nigeria – reich an Rohstoffen, aber geplagt von Umweltzerstörung und Armut in den Förderregionen.

Weltwirtschaft bedeutet heute: ein globaler Markt mit möglichst einheitlichen Regeln – vor allem im Sinne der großen Unternehmen. Es geht längst nicht mehr nur um den Export von Waren, sondern um Standortkonkurrenz, Subventionen, Deregulierung und maximale Freiheit für Kapital und Konzerne. (siehe dazu: isw-report 109, 2017; isw-report 115, 2018)