Nicht nur der Ukrainekrieg militarisiert die deutsche Sprache.
Verbale Aufrüstung ist nicht neu, sondern Teil deutscher und internationaler Kriegsgeschichte.
Wir sollten Wörter nicht nur nachplappern, wir sollten über sie nachdenken.



„Der Krieg ist auch ein Kampf um Worte.“
Das sagte der Rhetorik-Professor Joachim Knape im Mai 2022, Monate nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Damals hatte die Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht im „heute journal“ gemeint: „Der Feind hört mit!“ Eine Nazi-Parole aus dem Zweiten Weltkrieg (indirekt) bezogen auf Russlands Präsidenten Putin. „Da ist mir echt die Kinnlade runtergefallen“, meinte Knape im Tagesspiegel-Interview. Nazi-Sprache im Bundesverteidigungsministerium, das ginge nun wirklich nicht.

Heute wissen wir: Nicht nur der Ukrainekrieg militarisiert die deutsche Sprache. Die Tagesschau zeigt die Kriegsmanöver Israels in Gaza und nutzt allabendlich die Sprache der Kriegstreiber. Gleichzeitig diskutieren Talkshowgäste die Unterschiede zwischen den Panzertypen Gepard, Leopard und Puma. Das klingt wie ein Raubtier-Zoo, stammt aber (auch) aus der NS-Zeit. Damals thronte der Königstiger auf dem Schlachtfeld und sollte Nazi-Panzer populärer machen. Heute verdecken Panzernamen weiter ihren Daseinszweck, also Zerstörung, Gewalt und Tod.

Verbale Aufrüstung ist demnach nicht neu, sondern Teil deutscher und internationaler Kriegsgeschichte. Schon in den 1930ern schrieb beispielsweise Oskar Stillich, damals Dozent der Humboldt-Akademie, „Die Militarisierung der Sprache und des Volkes“. Stillich kritisierte die NSDAP und die völkische Bewegung. Er schrieb über die Umdeutung von Begriffen, über Hitlers Appelle an niedere Instinkte und über die religiöse Überhöhung völkischer Ideologie. Diese Kritik bezahlte der Pazifist mit Arbeits- und Publikationsverbot, Anfeindungen und Isolation. Er starb 1945 an den Folgen von Unterernährung.

Die Militarisierung der Sprache ist überall

Heute ist Stillich fast vergessen, auch dank westdeutscher Nachkriegspolitik. Er wurde Opfer jener „interessierten Kreise in Wissenschaft, Bürokratie und Gesellschaft [...], die selbst (Mit-)Schuld am Nationalsozialismus trugen“, schrieb ein Rezensent kürzlich. Das heißt, sein Werk wurde verschwiegen; seine Kritik bleibt aber aktuell. Denn Stillichs Erbe ähnelt dem, was der Rhetoriker Knape heute „Sprachwachheit“ nennt.
Das bedeutet, wir sollten Wörter nicht nur nachplappern, wir sollten über sie nachdenken.

Das gilt auch für unseren Alltag. Denn die Militarisierung der Sprache finden wir in vielen Situationen, beispielsweise, wenn die Wohnung aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen, wenn wir an allen Fronten kämpfen oder schweres Geschütz auffahren. „Ein Wortschatz wie ein Waffenschrank“ nannte es die Süddeutsche Zeitung im März 2022.
Dieser Waffenschrank wird uns in die Wiege gelegt, wir geben ihn an unsere Kinder weiter und verfestigen so Krieg und Gewalt in unserer Sprache.

Das Problem wird konkret, wenn uns militärische Rüstung – auch dank des Raubtier-Zoos – leichter über die Lippen kommt. 100 Milliarden Euro Extra-Militärausgaben? Kein Problem! Hießen die Panzer Todesmaschine oder Kindermörder, gerieten Talkshowgäste wohl eher ins Stocken.

Denn Namen sind Ideologiekeulen:
Sie verschleiern, normalisieren oder verherrlichen die Maschinerie des Krieges. Gleichzeitig verklausuliert der Militärjargon der Tagesschau menschliches Leid, und ihre Statistiken verbergen die politischen Interessen hinter dem Grauen.
Sprachwachheit ist deshalb politische Wachheit, und um die sollten wir uns alle bemühen.

 

 

Erstveröffentlichung, 15.10.2024: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/vom-koenigstiger-bis-zum-puma-im-zoo-des-krieges