Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 hat sich nicht nur die weltpolitische Lage gewandelt, sondern auch das innere Gefüge unserer Gesellschaft. Eine der auffälligsten Entwicklungen ist die zunehmende Militarisierung – nicht nur in der Politik, sondern auch in der Sprache, in den Leitmedien und im gesellschaftlichen Selbstverständnis. Erst kürzlich verabschiedete die Bundesregierung ein 500-Milliarden-Euro-Schuldenpaket. Offiziell soll es „Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz“ ermöglichen – vor allem aber fließt es in Verteidigung, Zivilschutz, Nachrichtendienste und Militärhilfe für die Ukraine. (1) Denn seit US-Präsident Donald Trump die NATO-Mitgliedschaft der USA infrage stellt und die Militärhilfe für die Ukraine als Druckmittel nutzt oder zeitweise aussetzt, rüstet Deutschland auf. Der Krieg ist damit ins Zentrum unserer politischen Debatte zurückgekehrt – nicht mehr als Ausnahme, sondern zunehmend als neue Normalität. Symbolisch dafür steht das allgegenwärtige Schlagwort der „Zeitenwende“. Es markiert nicht nur einen außenpolitischen Kurswechsel, sondern auch ein kulturelles und sprachliches Signal: Krieg, Aufrüstung und militärisches Denken gelten wieder als akzeptabel – ja, als notwendig. Zumindest wird das so vermittelt.
Diese neue Normalität beginnt mit Sprache. Worte formen Wirklichkeit, und was zunächst nur Rhetorik ist, wird schließlich zu gesellschaftlichem Konsens. Wenn die Außenministerin davon spricht, man dürfe nicht „kriegsmüde“ werden, wenn der Verteidigungsminister Deutschland „kriegstüchtig“ sehen will, dann sind das keine bloßen Metaphern. (2) Es sind politische Leitbegriffe geworden, die den gesellschaftlichen Wandel markieren: Weg vom zivilgesellschaftlichen Pazifismus, hin zur mentalen Landesverteidigung. Begriffe wie „Heldentum“, „Feigheit“ oder „Ehre“ tauchen wieder auf, nicht nur in politischen Reden, sondern auch in Nachrichtensendungen, Kommentaren, Talkshows. In Wahlanalysen ist von „Bollwerken“ und „Fronten“ die Rede, der Begriff „Verhandlungen“ erscheint in Anführungszeichen, als wäre der Wille zur Diplomatie ein Fremdkörper inmitten kriegstauglicher Klarheit. Der sprachliche Diskursraum hat sich verschoben. Kritik an Waffenlieferungen wird nicht diskutiert, sondern diskreditiert – als naiv, weltfremd oder gar gefährlich.
Krieg in den Medien
Diese Diskursverschiebung wird von den Leitmedien nicht nur begleitet, sondern aktiv mitgestaltet. Die mediale Öffentlichkeit bewegt sich fast geschlossen innerhalb eines engen Informations- und Meinungskorridors, der alternative Perspektiven ausgrenzt. Der Philosoph Richard David Precht und der Sozialpsychologe Harald Welzer haben in ihrem Buch Die vierte Gewalt aufgezeigt, wie sehr sich veröffentlichte Meinung und öffentliche Meinung seit dem Kriegsbeginn auseinanderentwickelt haben. (3) Während eine Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen Waffenlieferungen skeptisch gegenübersteht, spiegeln die großen Medienhäuser diese Skepsis kaum wider. Stattdessen dominieren Narrative, in denen Pazifismus gleichgesetzt wird mit Realitätsverweigerung oder – schlimmer noch – mit mangelnder Solidarität gegenüber der Ukraine. Wer einen Waffenstillstand fordert, wird schnell als „Lumpenpazifist“ oder „Unterwerfungspazifist“ beschimpft. (4) Sprache wird hier zum Machtinstrument – zur Abgrenzung, zur Delegitimierung, zur Kontrolle des Diskurses.
Auch in der alltäglichen Medienpraxis zeigt sich diese neue militärische Normalität. In der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung über die Invictus Games, bei denen kriegsversehrte Soldaten im sportlichen Wettbewerb auftreten, wird deren Einsatz zwar heroisiert, die Ursache ihres Leids – der Krieg selbst – bleibt jedoch unerwähnt. Der Verteidigungsminister lobt die Veteranen, die für unser Land gekämpft hätten. Die Sponsoren der Veranstaltung sind Rüstungskonzerne. Kritik an dieser Verquickung aus Show, Krieg und Industrie wird höchstens am Rande erwähnt, meist gar nicht. (5)
Noch eindeutiger scheint der Einfluss auf Kinder: In der ZDF-Kindernachrichtensendung „Logo“ wird ein Marschflugkörper in einem Comic vermenschlicht, als armes Waffensystem, das nicht eingesetzt werden darf – eine groteske Verharmlosung militärischer Gewalt im Kontext kindlicher Informationsvermittlung. (6) Solche Beispiele zeigen: Die mediale Vermittlung von Krieg und Militär ist längst nicht mehr kritisch-distanziert, sondern affirmativ und oft emotionalisierend. Die Grenze zur Propaganda verschwimmt fast völlig.
Krieg in den Schulen
Parallel zu dieser sprachlichen und medialen Militarisierung vollzieht sich ein struktureller Umbau in Bildung und Gesellschaft. Die Bundeswehr erhält zunehmend Zugang zu Schulen, nicht mehr nur über Informationsmaterial, sondern mit offiziellen Kooperationsverträgen, wie sie etwa in Bayern inzwischen gesetzlich festgeschrieben sind. Der Staat habe die Aufgabe, „die Gesellschaft auf die veränderte sicherheitspolitische Lage vorzubereiten“, heißt es zur Begründung. (7) Der Begriff der Wehrhaftigkeit wird gesellschaftlich neu definiert – nicht nur militärisch, sondern zivil-militärisch. Minister werben für „Schnupperpraktika“, um Jugendliche für den Dienst an der Waffe zu begeistern. (8) Die Bundeswehr wird dabei nicht als letztes Mittel der Verteidigung dargestellt, sondern als ganz selbstverständlicher Teil des gesellschaftlichen Lebens.
Diese Entwicklung ist Teil einer größeren Strategie: die Herstellung einer „kriegstüchtigen Gesellschaft“. (9) In militärnahen Publikationen wie der Zeitschrift für Innere Führung wird offen formuliert, dass nur eine Gesellschaft, die „das notwendige Rüstzeug“ bereitstellt, im Kriegsfall überleben könne. (10) Kommunikation, Training und Sensibilisierung sollen bereits in Schulen beginnen, groß angelegte Übungen die Bevölkerung vorbereiten. Der sogenannte „Operationsplan Deutschland“ sieht vor, zivile Strukturen – von Polizei bis Katastrophenschutz – in militärische Abläufe zu integrieren. (11) Das alles geschieht bislang weitgehend unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung, ohne breite Debatte im Parlament oder in der Gesellschaft.
Die Einführung eines nationalen Veteranentags ist ein weiteres Puzzlestück in dieser Entwicklung. Erstmals wird der Begriff „Veteran“ in Deutschland etabliert – ein Begriff, der bislang mit gutem Grund gemieden wurde, weil er Heroisierung mit sich bringt. Dass gleichzeitig ehemalige Wehrmachtsoffiziere als Vorbilder diskutiert wurden, wenn auch nach Kritik wieder zurückgerudert wurde, zeigt, wie sehr sich historische Sensibilität zugunsten militärischer Traditionslinien verschiebt. (12)
Die Militarisierung unserer Gesellschaft vollzieht sich also auf mehreren Ebenen: in der Sprache, die das Kriegerische legitimiert; in den Leitmedien, die es unkritisch begleiten; in der Bildung, die Jugendliche frühzeitig an die Bundeswehr heranführt; und in der Politik, die durch symbolische Akte wie Veteranentage oder Rüstungsinvestitionen neue Leitbilder setzt. Wer diese Entwicklung kritisiert, wird nicht ernst genommen, sondern ausgegrenzt. Es braucht daher dringend eine wache, zivilgesellschaftliche Gegenbewegung, die diesen Trend hinterfragt, der Sprache auf den Grund geht, mediale Narrative dekonstruiert – und entmilitarisierte Räume für alternative Denkweisen offenhält.
Dieser Kommentar wurde durch Walter Listl vom Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus und durch die Rede „Schleichende Militarisierung: Beobachtungen zur Veränderung der Zivilgesellschaft“ inspiriert, die Dr. Margot Käßmann am 22. Februar 2025 in Bielefeld hielt.
---------------------
Fußnoten
(3) Richard David Precht und Harald Welzer (2022). Die vierte Gewalt. Frankfurt.
(5) https://taz.de/Invictus-Games-in-Duesseldorf/!5956342/
(7) https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2024/02/Entwurf-Gesetz-zur-Foerderung-der-Bundeswehr.pdf
(8) https://www.n-tv.de/politik/Pistorius-will-Schnupper-Praktika-statt-Wehrpflicht-article24198962.html
(9) https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2024-47-48_online_1.pdf
(12) https://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehr-wehrmacht-tradition-lux.VPCBxjaU6XQAYUsDva8g4o