Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2022 ist eindeutig:
Unternehmen sind in der Pflicht, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu dokumentieren.
Das ignoriert jedoch ein großer Teil der Unternehmen.
Die Umfrage von SD Worx unter 18.000 Beschäftigten und unter 5.118 Unternehmensvertretern in 18 europäischen Ländern ergibt, dass in Deutschland nur bei 41 Prozent der Beschäftigten Zeiterfassung erfolgt.
Die Hälfte der deutschen Befragten gibt in der Studie an, regelmäßig Überstunden zu machen.
Das ist deutlich mehr als der europäische Durchschnitt mit 40 Prozent. (1) Das Bundesarbeitsgericht sieht die Erfassung der Zeiten als wichtiges Instrument des Arbeitsschutzes.
Fehltage wegen psychischer Belastungen
Deshalb überraschen Meldungen über hohe Krankentage kaum: „Die Zahl der Fehltage wegen psychischer Krankheiten ist im ersten Halbjahr 2024 stark gestiegen“, meldet das Ärzteblatt. Im Vergleich zum Vorjahr gab es 14,3 Prozent mehr Arbeitsausfälle durch Depressionen oder Anpassungsstörungen (2). „Der weitere Anstieg der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen ist besorgniserregend“, sagte DAK-Vorstandschef Andreas Storm. Er forderte Unternehmen dazu auf, sich verstärkt mit der psychischen Gesundheit ihrer Belegschaft zu beschäftigen (3).
Job-Crafting als neues Modell
Um die Motivation zu erhöhen, wird zunehmend auf das Konzept des „Job Crafting“ verwiesen.
Der Begriff stammt aus dem Englischen und bedeutet sinngemäß „Arbeit gestalten“.
Beschäftigte sollen unternehmerisch denken und in die Lage versetzt werden, das Arbeitsumfeld und „die Abläufe im Job aktiv neu und für sie selbst möglichst optimal zu gestalten“, betont die Personalberatung Personio. „Job Crafting soll Mitarbeitenden weniger Frust und mehr Freude vermitteln“ (4).
Die ersten Methoden entwickelten die US-amerikanischen Organisationspsychologinnen Amy Wrzesniewski und Jane Dutton von der Yale University. Am Anfang steht dabei die Analyse der Aufgaben, der sozialen Beziehungen im Unternehmen und der eigenen Einstellung zum Job.
Job Crafting ist ein Konzept der positiven Organisationspsychologie. Bedeutsam ist „Cognitive Crafting“, das sich auf die Veränderung der Wahrnehmung der eigenen Arbeit bezieht.
„Individuellen Stärken und Vorstellungen stehen die Ziele auf Team- und Unternehmensebene gegenüber. Aufgabe des Unternehmens, der Führungskräfte oder der Präventionsberatung ist es, eine Balance zwischen diesen beiden Polen zu finden“, beschreibt iga, die „Initiative Gesundheit und Arbeit“ der gesetzlichen Unfallversicherung. (5).
Auch die Ludwig-Maximilians-Universität München berichtet von Job Crafting und beschreibt, wie Beschäftigten geholfen wird, „ihre Arbeit zu lieben“ (6).
Job Crafting sollte „unbedingt als methodischer Lösungsansatz“ genutzt werden, empfehlen die Berater von Personion. Dies fördere die Gesundheit, nach dem Motto: Mehr Freude an der Arbeit bedeutet bessere Gesundheit. Ein Vorgesetzter gab im Betrieb das Motto aus: „Man muss seine Arbeit aus dem Holz schnitzen, das man zur Verfügung hat“.
Arbeitsschutz wird vernachlässigt
Unberücksichtigt bleibt dabei, dass über Personalausstattung und Arbeitsmenge die Unternehmensleitung entscheidet. Dazu passen Untersuchungen der Gewerkschaften. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben des Dienstleistungssektors wird trotz hoher Belastungen der Beschäftigten sträflich vernachlässigt. Das zeigt etwa die Untersuchung „Arbeitsbelastung hoch, Arbeitsschutz mangelhaft" von Ver.di. Als „eine echte Katastrophe für die Arbeitswelt“ bezeichnet Ver.di-Vorstand Rebecca Liebig die Ergebnisse (7).
Nur knapp über die Hälfte der befragten Beschäftigten sagt, dass sie unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen bis zur Rente durchhalte.
„Wir brauchen gerade im wachsenden Dienstleistungssektor dringend gut qualifizierte, motivierte und vor allem gesunde Fachkräfte, um die anstehenden Transformationsprozesse zu meistern“, so Liebig und ergänzt: „Wir fordern die Arbeitgeber auf, ihren gesetzlichen Arbeitsschutz-Pflichten endlich nachzukommen.“
Zentral für das Erreichen von gesunden und guten Arbeitsplätzen ist die Durchführung einer sogenannten Gefährdungsbeurteilung, betont Ver.di (8).
Dies ist im Arbeitsschutzgesetz festgeschrieben und soll Gefahren aus Sicht der Beschäftigten ermitteln.
Der Betrieb muss dabei aufzeigen, welche Gefahren für die Gesundheit der Beschäftigten bestehen. Und dann ist festzulegen, welche Maßnahmen zum Gesundheitsschutz erforderlich sind, also was gegen die Gefährdungen unternommen wird. Das kann auch Stress am Arbeitsplatz betreffen. Viele Unternehmen ignorieren diese Vorgabe.
Quellen:
(2) www.aerzteblatt.de/nachrichten/153033/Fehltage-durch-psychische-Krankheiten-stark-gestiegen
(4) www.personio.de/hr-lexikon/job-crafting
(5) www.iga-info.de/veroeffentlichungen/igawegweiser-co/wegweiser-job-crafting
(6) www.psy.lmu.de/evidenzbasiertesmanagement/dokumente/ebm_dossiers/ebm_27_job_crafting.pdf