Etwa jeder elfte Beschäftigte hat eine überlange Arbeitszeit - so arbeiten 8,8 Prozent der Vollzeiterwerbstätigen gewöhnlich mehr als 48 Stunden pro Woche, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Dies gilt als überlange Arbeitszeit (www.jungewelt.de/artikel/441571.jeder-elfte-vollzeiterwerbstätige-mit-überlanger-arbeitszeit.html).

Wie gravierend diese Zahlen sind, verdeutlicht ein Blick in das Arbeitszeitgesetz, das einen Regelarbeitszeit von 8 Stunden und eine Höchstarbeitszeit von 10 Stunden vorsieht. Bei einer 5-Tage-Woche sind dies maximal 50 Stunden. Hierzu meldet  DIE WELT: „Arbeitgeber laufen Sturm gegen das Stechuhr-Urteil“ (www.welt.de/wirtschaft/article242499287/Arbeitszeit-Nervt-alle-Arbeitgeber-protestieren-gegen-Stechuhr-Urteil.html) Denn im Dezember veröffentlichte das Bundesarbeitsgericht die Begründung zur Entscheidung vom 13.09.2022 (www.isw-muenchen.de/2022/09/kampf-um-die-arbeitszeit-jetzt-per-zeiterfassung). Die Richter stellten klar: Die Arbeitszeiten der Arbeitenden sind zu erfassen. Die Zeiterfassung stellt im Kern eine Absicherung des Arbeitnehmers dem Unternehmen gegenüber dar. Gerade mobile Arbeit oder erweiterter Technikeinsatz infolge der Digitalisierung wird von Unternehmen gerne als Vorwand für die Abschaffung der Zeiterfassung genutzt (ebd.). „Die Stechuhr passt nicht ins Homeoffice – und sie läuft den Interessen vieler Unternehmen und ihrer Beschäftigten zuwider“, hält etwa Achim Berg, Präsident des Digitalverbandes Bitkom, entgegen.

Das Gerede vom „Stech-Uhr-Urteil“ in den Medien zeigt, wie stark der Einfluss der Unternehmensverbände auf die Berichterstattung ist. Davon abgesehen läuft die Erfassung von Projektzeiten, die Kunden in Rechnung gestellt werden, heute schon problemlos in den Betrieben. Auch Softwarelösungen sind leicht realisierbar. Angebote gibt es von den klassischen Software-Riesen oder einer Vielzahl von Start-ups wie zum Beispiel Clockin. Beschäftigte können mithilfe der gleichnamigen App ihre Arbeitszeiten und Pausen per Handy erfassen, meldet DIE WELT (www.welt.de/wirtschaft/article242499287/Arbeitszeit-Nervt-alle-Arbeitgeber-protestieren-gegen-Stechuhr-Urteil.html). Die Daten werden dem Unternehmen zur Abrechnung angezeigt, gleichzeitig behalten Mitarbeiter die Übersicht über das Überstundenkonto.

Den Feierabend zurückerobern

Das Forschungsprojekt „Den Feierabend zurückerobern“ weist mit Bezug  auf die praktizierte Zeiterfassung darauf hin, wie belastend die Arbeit mit dem Diensthandy in der Freizeit ist (https://news.rub.de/sites/default/files/rubin_02-2022_kern_digital_abschalten.pdf). Seit digitale Technik in der Arbeitswelt eingesetzt wird, hat sich der klassische Feierabend bei vielen Beschäftigten verabschiedet: Ein Anruf, ein Ton aus den Diensthandys oder ein Aufleuchten des Displays versetzt viele auch am späten Abend rasch zurück in den Arbeitsmodus und damit in den Berufsstress, berichten Forscher der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Kassel vom gemeinsamen Projekt. Das Ergebnis ihrer Befragung von 340 Beschäftigten aus verschiedenen Unternehmen war deutlich: Die Technik setzt unter Stress, da auch im Privatleben der „Berg an unerledigten Aufgaben“ präsent werde. Melde sich das digitale Mobilgerät, sei „der Kopf schon wieder bei der Arbeit“. Die Forschenden bemerken, dass nicht der eigentliche Griff zum Smartphone dafür sorgt, dass der Abschaltknopf im Gehirn nicht gefunden wird, sondern umgekehrt: Weil die Betreffenden eben nicht abschalten können, greifen sie zum Diensthandy, wenn es Locksignale sendet – egal zu welcher Tageszeit. Wie Abhilfe geschaffen werden kann, erforscht die Professoren Sandra Ohly und Marcel Kern. Die Wissenschaftler fordern, dass Diensthandy nach Feierabend auszuschalten. Er weiß, dass Gedanken rund um die Arbeit die Beschäftigten durchaus in den Feierabend begleiten. Doch blieben diese Gedanken unter der Oberfläche. Unterbrechungen vermeiden, Mailprogramm zwischendurch abschalten. Die Forschenden empfehlen für leichteres Abschalten, sich selbst tagsüber Zeiten ohne Unterbrechungen zu schaffen. Darunter verstehen sie, zwei Mal am Tag für rund eine Stunde das Mailprogramm zu schließen und das Smartphone auszuschalten. Von den Beschäftigten wünschen sich nach den Erhebungen der Kasseler und Bochumer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zwei Drittel eine klare Trennung von Beruf und Privatleben. Tatsächlich gelinge dies im Alltag nur einem Drittel. Das verbleibende Drittel müsse auch außerhalb der Arbeitszeiten für die Firma erreichbar sein oder empfinde dies jedenfalls so.

Handlungsbedarf für Gewerkschaften und Betriebsräte

„Deutschland braucht keine auf die Minute festgelegten Acht-Stunden-Schichten, sondern Freiräume für eine selbstbestimmte und flexible Einteilung der Arbeit“, meint Berg (Digitalverband). Viele Unternehmen wehren sich gegen die Zeiterfassung, weil ein Nachweis erbracht wird, wieviele Stunden die Belegschaften leisten. Betriebsräte und Gewerkschaften können gegen ein ‚Arbeiten ohne Ende‘ aktiv werden. Betriebsvereinbarungen können Beginn und Ende der Arbeitszeit Grenzen setzen. Meldungen wie „Ruhige Feiertage? Jeder dritte Büroangestellte ist zwischen den Jahren für den Job erreichbar“, (www.businessinsider.de/karriere/weihnachten-feiertage-jeder-dritte-ist-fuer-den-job-erreichbar/) machen klar: Es besteht erheblicher Handlungsbedarf.