Die westlichen Staaten und ihre Verbündeten – ein Siebtel der Weltbevölkerung – tätigen rund zwei Drittel der globalen Militärausgaben. Rüstungsindustrie gewinnt in Deutschland an Gewicht; Ökonomen sagen „Kanonen ohne Butter“ voraus.
Der Anteil der westlichen Staaten und ihrer Verbündeten an den globalen Militärausgaben liegt mit rund zwei Dritteln doppelt so hoch wie der Anteil der nichtwestlichen Welt und wächst weiter. Dies geht aus einer neuen Studie hervor, die das Stockholmer Forschungsinstitut SIPRI am gestrigen Montag öffentlich präsentiert hat. Demnach sind die globalen Militärausgaben im vergangenen Jahr auf einen Rekordwert von rund 2,443 Billionen US-Dollar angestiegen. 37 Prozent davon wurden von den USA getätigt, 24 Prozent von den Ländern Europas; hinzu kamen die Ausgaben enger Verbündeter, darunter Japans. Deutschland liegt auf der SIPRI-Rangliste der Staaten mit den größten Militärausgaben weltweit auf Platz sieben; es könnte in diesem Jahr wegen seiner massiven Aufrüstung auf Platz fünf aufsteigen. Die forcierte Militarisierung im Westen geschieht in einer Zeit, in der der ökonomische und mittlerweile auch der politische Einfluss der transatlantischen Mächte schrumpft – eine Entwicklung, die womöglich nur mit Gewalt aufgehalten werden kann. Zugleich wachsen in Deutschland die politische Bedeutung der Rüstungsindustrie und der Wehretat – auf Kosten ziviler Haushaltsposten.
Kosten der Militarisierung
Die große Mehrheit der immer mehr anschwellenden weltweiten Militärausgaben wird von den westlichen Staaten getätigt. Dies geht aus einer am gestrigen Montag publizierten Studie des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI hervor. Demnach gingen im Jahr 2023 rund 37 Prozent der globalen Militärausgaben von 2,443 Billionen US-Dollar – 916 Milliarden US-Dollar – allein auf die USA zurück. Die NATO-Mitglieder kamen zusammengenommen laut SIPRI-Berechnungen auf 1,341 Billionen US-Dollar – gut 55 Prozent aller Militärausgaben weltweit.[1] Europa wiederum wendete 24 Prozent aller Mittel auf, die im vergangenen Jahr auf dem gesamten Globus in die jeweiligen nationalen Streitkräfte investiert wurden. Allein West- und Mitteleuropa steckten 407 Milliarden US-Dollar ins Militär – ein gutes Drittel mehr als etwa die Volksrepublik China, deren Militärausgaben SIPRI unter Einschluss von Mitteln abseits des offiziellen Streitkräfteetats für 2023 auf gut 296 Milliarden US-Dollar beziffert. Hinzu kommen eng mit dem Westen verbündete Länder: Japan und Südkorea, die mit Militärausgaben in Höhe von 50,2 respektive 47,9 Milliarden US-Dollar die Plätze 10 und 11 auf der Weltrangliste einnehmen, oder Australien, das mit 32,3 Milliarden US-Dollar auf Platz 13 rangiert.
Im Aufstieg
Deutschland steht in der aktuellen SIPRI-Rangliste auf Platz sieben – hinter den USA, China, Russland (109 Milliarden US-Dollar), Indien (83,6 Milliarden US-Dollar), Saudi-Arabien (75,8 Milliarden US-Dollar) und Großbritannien (74,9 Milliarden US-Dollar). Die deutschen Militärausgaben beziffert SIPRI auf rund 66,8 Milliarden US-Dollar – mehr als diejenigen Frankreichs (61,3 Milliarden US-Dollar). Dabei steigen sie künftig weiter. Laut Angaben des Bundesverteidigungsministeriums kommen in diesem Jahr zum offiziellen Militärhaushalt von 51,9 Milliarden Euro noch 19,8 Milliarden Euro aus dem sogenannten Sondervermögen hinzu, das nach Auffassung des Bundesrechnungshofs „Sonderschulden“ genannt werden muss.[2] Damit erreichen die deutschen Militärausgaben dieses Jahr offiziell 71,7 Milliarden Euro, wobei dies noch nicht den tatsächlichen Militärausgaben entspricht: Der Betrag, den Berlin jedes Jahr an die NATO meldet, bezieht Ausgaben jenseits des Militärbudgets ein und liegt deshalb regelmäßig über dem offiziellen Militärhaushalt. Allein dieser beläuft sich in diesem Jahr laut derzeitigem Wechselkurs auf 76,4 Milliarden US-Dollar; damit käme Deutschland auf der aktuellen Weltrangliste vor Saudi-Arabien auf Platz fünf.
Rüstungstreiber Europa
Die treibende Rolle des Westens und insbesondere Europas bei der globalen Aufrüstung ist seit geraumer Zeit deutlich erkennbar. So nahmen die Militärausgaben der USA von 2014 bis 2023 um 9,9 Prozent zu, diejenigen Deutschlands im selben Zeitraum um rund 48 Prozent, diejenigen Europas SIPRI zufolge sogar um 62 Prozent. Auch im globalen Waffenhandel nehmen die europäischen Staaten eine bedeutende Stellung ein. Frankreich war in den fünf Jahren von 2019 bis 2023 zweitgrößter Waffenexporteur weltweit; Deutschland, Italien, Großbritannien sowie Spanien folgten auf den Plätzen fünf bis acht. Europa war zudem im Fünfjahreszeitraum von 2019 bis 2023 die einzige Großregion, deren Waffenimporte stiegen, und dies massiv – um bemerkenswerte 94 Prozent gegenüber dem Fünfjahreszeitraum von 2014 bis 2018.[3] Darüber hinaus stockten in den Jahren von 2019 bis 2023 vor allem wichtige Verbündete des Westens die Einfuhr von Kriegsgerät deutlich auf – Südkorea (plus 6,5 Prozent), die Philippinen (plus 105 Prozent) und Japan (plus 155 Prozent). SIPRI-Angaben zufolge liegen US-amerikanische und europäische Waffenschmieden zudem beim Auftragsbestand, der faktisch die Aufrüstung der nächsten Jahre beziffert, klar vorn.[4]
Der Abstieg des Westens
Die westlichen Staaten forcieren ihre Aufrüstung in einer Zeit, in der ihr wirtschaftlicher Einfluss längst schrumpft und in politischen Einflussverlust zu münden beginnt. Hielten sie im Jahr 2000 noch einen Anteil von 56,36 Prozent an der globalen Wirtschaftsleistung – berechnet nach Kaufkraftparität –, so ist dieser auf aktuell nur noch 40,62 Prozent gesunken und wird nach Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) kontinuierlich weiter zurückgehen, während der Anteil des Globalen Südens mittlerweile schon bei 59,38 Prozent liegt und weiter steigt. Die G7, die sich als „Lenkungsausschuss der Weltpolitik“ begreifen, erarbeiteten 2021 erstmals eine schwächereWirtschaftsleistung – ebenfalls berechnet nach Kaufkraftparität – als die BRICS (30,7 Prozent vs. 31,5 Prozent) und fallen seitdem mit großer Kontinuität immer weiter zurück, zumal die BRICS sich am 1. Januar 2024 erweitert haben. Die Banque de France sieht die BRICS+ im Jahr 2027 bei rund 37,6 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, die G7 bei nur noch 28,2 Prozent.[5] Der Verlust des Westens an politischem Einfluss wiederum zeigt sich etwa darin, dass es ihm bis heute nicht gelingt, die Länder des Globalen Südens zur Beteiligung an den Russland-Sanktionen zu nötigen. Den Einflussverlust stoppen könnte womöglich nur der Rückgriff auf das Militär.
Das Gewicht der Waffenindustrie
Die massive Aufrüstung, die dazu erforderlich ist und ausweislich der SIPRI-Zahlen auch entschlossen vorangetrieben wird, hat freilich Auswirkungen auch im Innern der westlichen Staaten. In der Bundesrepublik etwa gehörte die Rüstungsindustrie jahrzehntelang nicht zu den Sektoren mit einer herausragenden Stellung in der nationalen Wirtschaft. Das beginnt sich mittlerweile zu ändern. Im März vergangenen Jahres zog mit Rheinmetall ein erster Rüstungskonzern in den Leitindex DAX ein – ein Symbol für den wachsenden Einfluss der deutschen Waffenhersteller.[6] Rheinmetall konnte seinen Umsatz im Jahr 2023 auf 7,2 Milliarden Euro steigern und geht davon aus, bis 2026 einen Umsatz von bereits 13 bis 14 Milliarden Euro erreichen zu können. Das ist immer noch Lichtjahre von Spitzenkonzernen wie Volkswagen mit einem Jahresumsatz von zuletzt 322 Milliarden Euro entfernt, nähert sich aber perspektivisch der ersten Liga der deutschen Industrie an. Schrittweise wächst mit dem ökonomischen auch das politische Gewicht der deutschen Rüstungsindustrie.
Kanonen ohne Butter
Parallel drängen die Militärausgaben andere Posten im deutschen Staatshaushalt zurück. So ist der Wehretat mit einem Anteil von 10,9 Prozent am gesamten Bundeshaushalt zur Zeit der zweitgrößte Etatposten nach dem Budget für Arbeit und Soziales.[7] Dabei sind jedoch die Ausgaben nicht eingerechnet, die aus dem „Sondervermögen“ getätigt werden sollen. Bezieht man sie ein, liegt der Militäranteil bereits bei rund 15 Prozent. Dies wird auf Dauer auf Kosten ziviler Etatposten gehen. Kürzlich konstatierte der Präsident des Ifo-Instituts, Clement Fuest: „Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht.“ Fuest sagte „Kanonen ohne Butter“ voraus.[8], [9]
Anmerkungen:
[1] Angaben hier und im Folgenden: Nan Tian, Diego Lopes da Silva, Xiao Liang, Lorenzo Scarazzato: Trends in World Military Expenditure, 2023. SIPRI Fact Sheet. Solna, April 2024.
[2] Pistorius im Bundestag: „Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif“. bmvg.de 01.02.2024. S. auch „Deutschland kriegstauglich machen“.
[3], [4] S. dazu Rüstungstreiber Europa.
[5] Expansion of BRICS: what are the potential consequences for the global economy? banque-france.fr 13.02.2024.
[6] Rheinmetall steigt in den DAX auf. tagesschau.de 04.03.2023. S. auch Kampfpanzer statt Dialyse.
[7] Bundeshaushalt digital. bundeshaushalt.de.
[8] Raphaël Schmeller: Ampel zerlegt Sozialstaat. junge Welt 24.02.2024. S. auch Der Wille zum Weltkrieg.
[9] Fred Schmid: Kanonen und Butter: Das ist Schraraffenland