Beschäftigte in deutschen Vorzeige-Unternehmen spüren die Krise. „Bayer, VW, SAP – diese drei Konzerne stehen für den starken Wirtschaftsstandort Deutschland und wollen massiv Arbeitsplätze abbauen“, meldet der Focus.

 

SAP will nach eigenen Angaben weltweit 8000 Stellen streichen. Konzernchef Christian Klein begründet dies mit verstärkten Investitionen in künstliche Intelligenz. Dies erfordere andere Konzernstrukturen. Der Softwarekonzern will Mitarbeiter entweder in neue Tätigkeitsfelder umschulen oder entlassen und neue Fachkräfte einstellen.

Auch eine neue Präsenzpflicht hat Klein angekündigt: „Wir wissen, wie wichtig und bereichernd es ist, persönlich zusammenzuarbeiten“, so Klein Anfang dieses Jahres. „Künftig sind drei Tage pro Woche im Büro und bei Kunden/Partnern vorgesehen.“ Regelmäßige Büropräsenz trüge entscheidend dazu bei, neue Ideen zu generieren und so den Wettbewerbsvorteil zu sichern, Wirtschaftswoche.

Für Kritik bei den Beschäftigten sorgt auch ein „neu geschaffenen Leistungssystem:  “...Dabei werden die Beschäftigten in Gruppen eingeteilt, etwa in Leistungsträger und Mitarbeiter mit Verbesserungsbedarf“, meldet Focus.de. Die Veränderungen sind weitgehend.

Die „Herausforderungen für den einstigen IT-Vorzeigearbeitgeber“ kommentiert der Softwarehersteller mind-verse auf seinem Blog (https://www.mind-verse.de/news/sap-wandel-herausforderungen-it-vorzeigearbeitgeber). „Die Belegschaft, die einst von der Unternehmensführung umsorgt wurde, fühlt sich nun zunehmend unter Druck gesetzt.“. Die Zeiten des „Kuschelns“ seien vorbei, heißt es. Auch andere Medien berichten in diesem Stil. „Schluss mit Kuscheln“ kommentiert die Wirtschaftswoche Planungen beim Softwareriesen. (www.wiwo.de/my/unternehmen/it/sap-schluss-mit-kuscheln/29618480.html). „Müssen wir mehr leisten?“ fragt Reiner Straub, Herausgeber des Personalmagazin (www.haufe.de/personal/hr-management/debatte-muessen-wir-mehr-leisten_80_613604.html)..

Völlig außen vor bleiben bei dieser Berichterstattung die Arbeitsbedingungen. Denn SAP ist eines der Paradebeispiele für die heutige Arbeitswelt. Die Arbeitsprozesse in der Softwarebranche sind heute nicht mehr mit einer zentral durchdachten Steuerung regelbar. Genehmigungsverfahren beim direkten Vorgesetzten werden durch das Prinzip der „indirekten Steuerung“ abgelöst. Diese Steuerung erfolgt, in dem sich Gruppen von Beschäftigten oder einzelne Angestellte in eigener Verantwortung innerhalb der Vorgaben direkt dem Kunden gegenüber am Markt orientieren müssen. Das Arbeitsverhältnis wird zum Verhältnis „Dienstleister gegenüber Kunde“, um so scheinbar aus dem Arbeitnehmer einen „Unternehmer im Unternehmen“ zu machen. Wo die Arbeit erbracht wird, spielt keine Rolle. Deshalb kann speziell bei diesem Ansatz der Arbeitsteuerung oftmals ohne Probleme auf Präsenz im Betrieb verzichtet werden, Homeoffice ist häufig Standard.

Die Leistungsdynamik eines Selbständigen soll so für das Arbeitsverhältnis genutzt werden. Der Beschäftigte nimmt es zunächst als Befreiung vom bisherigen Prinzip „Befehl und Gehorsam“ wahr, da er eigenverantwortlich Entscheidungen treffen kann. Können die Ziele jedoch nicht erreicht werden, gibt es Druck. Es drohen der Entzug von Finanzmitteln, die Versetzung auf eine schlechter bezahlte Stelle, Verlagerung von Aufgaben an andere Standorte oder sogar Entlassungen. Auf den ersten Blick bringt die indirekte Steuerung Positives für die Beschäftigten Sie können eigenverantwortlich arbeiten und eigene Ideen entwickeln. Das Konzept ist jedoch problematisch, wenn die Ziele – wie zu häufig – zu hoch angesetzt werden. Ein Beispiel hierfür können Zielvereinbarungen sein. Bei diesen ist nicht „der Weg“ das Entscheidende, vielmehr entscheidet der Arbeitnehmer eigenständig, wie das Ziel zu erreichen ist.

Aktuelle Zahlen verdeutlichen die Folgen der heutigen Arbeitsbedingungen. Die psychischen Belastungen steigen. Den „Anstieg der Arbeitsausfälle wegen psychischer Erkrankungen um 48 Prozent im Zehn-Jahres-Vergleich“, meldet die Krankenkasse DAK (www.dak.de/dak/unternehmen/reporte-forschung/psychreport-2023_32618). Depressionen, chronische Erschöpfung, Ängste: Mit 301 Fehltagen je 100 Versicherte lagen die Fehlzeiten erschreckend hoch, so der „DAK Psychreport 2023“.

Für Verärgerung der Belegschaft sorgten im letzten Jahr die Lohnerhöhungen. SAP hatte angekündigt, „den Mitarbeitern in Deutschland rückwirkend zum 1. Januar durchschnittlich 3,7 Prozent mehr Gehalt zu zahlen. Fest einplanen können diese indes nur knapp 1,5 Prozent“. „Das hat nichts mit Wertschätzung zu tun“, kommentierte Betriebsrat Eberhard Schick https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/sap-in-der-kritik-die-gehaltserhoehung-fuer-die-belegschaft-ist-enttaeuschend/28950638.html). Neben der Illusion, dass in der IT-Branche die Arbeitsbedingungen per se human sind, offenbart die  Gehaltsanhebungeinen Irrglauben vieler hochqualifizierter Angestellten, die davon ausgehen, Erhöhungen des Gehaltes individuell durchsetzen zu können.
Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der IT-Branche ist gering. Viele Beschäftigte in anderen Branchen sehen dies demgegenüber anders. „Die Gewerkschaften erleben einen kleinen Mitglieder-Boom“, meldet Capital. Verdi und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sind 2023 gegen den langjährigen Trend wieder gewachsen, auch bei der IG Metall gab es fast 130.000 Neueintritt. „Sich in einer Gewerkschaft zu organisieren, scheint gerade bei jungen Leuten wieder eher im Trend zu liegen als in früheren Jahren, als die Mitgliedzahlen mit wenigen Ausnahmen nur den Weg nach unten kannten“, so Capital.

Geld ist da. Der Gewinn von SAP betrug im vierten Quartal des Jahres 2023 rund 1,2 Milliarden Euro. Im Vorjahresquartal beliefen sich die Gewinne auf rund 326 Millionen Euro (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1065101/umfrage/ergebnis-des-unternehmens-sap-nach-quartalen/). Das reicht den neuen Vorstand aber nicht. „Um die Aktionäre bei Laune zu halten, steigt der Druck auf die Beschäftigten“, beschreibt der Focus. An wen sich anstehende Änderungen aus Managementsicht auch richten, gegen diese Managementstrategien lässt sich nur kollektiv ankämpfen.