Künstliche Intelligenz statt Redakteure – einmal wieder sorgt der Springer-Konzern für Schlagzeilen. Diesmal jedoch nicht mit menschenverachtenden Schlagzeilen und erfundenen Horrorgeschichten, sondern mit seinen Planungen zum Personalabbau.

„Döpfners künstliche Argumente“, meldet die Süddeutsche Zeitung: Springer baut „Bild“ in Richtung „digital only“ um und will mittelfristig keine gedruckten Zeitungen mehr herstellen. Bis 2025 will der Verlag hier rund 100 Millionen Euro sparen – durch geringere Kosten etwa beim Personal.  „Die strukturellen Veränderungen sind auch mit einem Stellenabbau verbunden", heißt es in einer Mail an die Belegschaft. „Wir trennen uns von Produkten, Projekten und Prozessen, die wirtschaftlich nie wieder erfolgreich werden können."  Dies betreffe auch Personal, deren Aufgabe in etwa durch Künstliche Intelligenz ersetzt werde.

„Der CEO Mathias Döpfner verabschiedet sich mit seinem finanziell gut aufgestellten Konzern in Deutschland immer mehr vom Journalismus. RedakteurInnen und Medienschaffende sollen die BILD-Redaktionen verlassen, damit die Rendite-Erwartung in zweistelliger Höhe gewährleisten wird“, kritisiert Christoph Schmitz vom ver.di Bundesvorstandes https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen. Diese Entscheidungen zeigten absolut keine verlegerische Perspektive, sondern die des reinen Finanzmarktes. Döpfner steuere immer mehr auf einen Konzern mit Profitcentern zu, die vorwiegend aus Digital-Plattformen bestehen.

Christoph Schmitz warnt: „Digitaler Journalismus braucht mit den zunehmenden Verbreitungswegen mehr Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen, und nicht weniger. Der Einsatz von KI kann nicht die menschliche Kreativität, Einordnung von Recherchen und publizistische Verantwortung übernehmen, für die Journalistinnen und Journalisten stehen.“

Verdi macht deutlich, wie KI in den Betrieben derzeit eingesetzt wird: Es geht nicht um die sinnvollste Einsatzmöglichkeit, vielmehr wird Technik zur Einsparung von Personalkosten genutzt. Ob KI bessere Überschriften für Texte findet als ausgebildete Journalistinnen, spielt dabei keine Rolle. Nicht Qualität, sondern Kosten sind entscheidend.

Die Hoffnungen, dass durch Datenschutzrechte bei der zunehmenden Digitalisierung von Arbeitsplätzen ein Gegensteuern möglich ist, werden zunehmend enttäuscht. So sorgte die Einführung der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bei vielen Unternehmen für Aufregung. Auch warnt das Handelsblatt „Datenschutz: Deutsche Wirtschaft steckt in Cloud-Dilemma“ und meldet „Die Milliardenstrafe für Meta ist eine Warnung: Wenn Unternehmen nicht die Datenschutzgrundverordnung einhalten, kann es teuer werden.“  Aktuelle Entwicklungen zeigen aber, dass dies den Planungen von Unternehmen, den „gläsernen Mitarbeiter“ durchzusetzen, keine hohen Hürden setzt.

Dazu passt ein Skandalurteil aus Niedersachsen: Das Verwaltungsgerichts Hannover lässt die »ununterbrochene Erhebung« von Leistungsdaten der Arbeiter zu, so das Urteil vom 09.02.2023 (AZ: 10 A 6199/20). Ein Ausliefer-Lager eines amerikanischen Online-Unternehmens setzt Handscanner ein, die ununterbrochen die Wege der Beschäftigten verfolgen und begründet dies mit der Steuerung der Logistikprozesse. Die Datenschutzbehörde hielt den Einsatz für datenschutzwidrig und untersagte die minutengenaue Überwachung. Gegen den Bescheid klagte das Unternehmen – und bekam vom Gericht Recht.

Angesichts der Datenmengen, die als „Big Data“ heute eine Kontrolle pur ermöglichen, ist diese Urteil ein Skandal, der in den Medien kaum thematisiert wird. Die Arbeit mit mobilen Endgeräten führt zu einer enormen Verschärfung des Arbeitsdrucks. Jeder Schritt kann überwacht werden, Arbeiter sind stets lokalisierbar und beobachtbar. Dies alles erfolgt vor dem Hintergrund zunehmender Kontrolle der Beschäftigten. Wenn die Produktion der Industrie 4.0 als großes Netzwerk organisiert wird, wirkt das direkt auf die Beschäftigten. Die Vernetzung der IT-Systeme ermöglicht den Unternehmen eine dauernde Überwachung der Arbeitsleistung und des Verhaltens der Beschäftigten.

Wie diese Überwachungsmöglichkeit konkret aussehen können, zeigt das Programm Workforce Management.
„Das Ziel von umfassenden Workforce-Management-Lösungen ist es, Personalressourcen intelligenter und effizienter einzusetzen“
erläutert Gunda Cassens-Röhring Geschäftsführerin der Gesellschaft für Organisationsberatung und Softwareentwicklung mbH: https://zeitschriften.haufe.de/ePaper/personalmagazin/2017/68F278B7/files/assets/basic-html/page60.html.

Mithilfe von Algorithmen soll der Arbeitsanfall und das Kundenverhalten prognostiziert und stundentaktgenaue Vorgaben des Arbeitsvolumens ermittelt werden, um Personalkapazitäten und die Verteilung der Arbeitszeiten bis hin zur Lage der Pausen vorschreiben zu können. „Ausgehend von Vergangenheitsdaten zur Prognose des künftigen Arbeitsvolumens wie Aufträge, zu produzierende Stückzahlen, Kassentransaktionen, prognostizierte Planumsätze, Calls oder Ergebnisse von Kundenfrequenz-Messungen entsteht ein Forecast, der die Basis für die Personaleinsatzplanung bildet“. Die Folge sind standardisierte Prozesse, d.h. die konkrete Vorgabe von Arbeitsschritten für Bildschirmarbeitsplätze. „Routinetätigkeiten können und müssen standardisiert beziehungsweise automatisiert werden“, lautet die Vorgabe. Der Geschäftsprozess beginnt mit der Kundenanfrage und reicht bis zur Feststellung der Kundenzufriedenheit. Gemessen werden etwa die Bearbeitungsdauer, Gesprächsdauer, Wartezeiten oder Antwortzeiten. Auf dieser Basis werden die Prozesse ständig gemessen, standardisiert und die Beschäftigten durch Zeitvorgaben kontrolliert.

Aber während immer mehr einfache Arbeit von Computern übernommen wird, bleibt die komplexe Arbeit oft beim Menschen.
„Die Gefahr ist, dass sich die Arbeit noch mehr verdichtet, weil diese einfachen Arbeiten uns Möglichkeiten gegeben haben, auch mal abzuschalten in der Arbeit und nicht mehr konzentriert an dem einen zu arbeiten, sondern sich auch ein bisschen zu erholen“, sagt Prof. Renate Rau, Arbeitspsychologin, Universität Halle http://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/wie-digitalisierung-krank-macht-100.html.

Die Sorge der Kapitalvertreter, dass die Belegschaften diese Ungerechtigkeiten und ein Hoffen auf bessere Gesetze leid sind und mit Streiks die passende Antwort geben, zeigt sich auch in den Gerichten. Im Mai argumentierte das Arbeitsgericht Frankfurt so weitgehend im Sinne des Vortrages des Bahn-Vorstandes, dass die EVG auf den angekündigten Streik verzichtete und durch einen Gerichtsvergleich eine Entscheidung zum Streik-Verbot vermied. Unternehmenslobbyisten und CDU-Abgeordnete fordern weitere Einschränkungen des Streik-Rechtes.