Kürzungen für Landwirtschaft bringen Bauern in Rage: 900 Millionen Euro einfach weg.
Die Bundesregierung ignoriert Vorschläge für "Gegenfinanzierungen".
Ein 6-Punkte-Plan für die sozial-gerechte Agrarwende und gutes Essen für alle.
Friedrich Engels schrieb am 8. Februar 1890 an Adolf Sorge: "Die Schleswig-Holsteiner und ihre Nachkommen in England und Amerika sind nun einmal nicht durch Dozieren zu bekehren, diese störrische und eingebildete Bande muss es am eigenen Leibe erfahren."
"Am eigenen Leibe erfahren" hat es Bundeswirtschaftsminister Habeck, aufgewachsen und wohnend in Schleswig-Holstein, zum Jahresbeginn, als er aus dem Urlaub auf der Hallig Hooge zurückkehrte. Knapp zwei Wochen vorher hat er, von sich selbst überzeugt, in einem Interview mit dem Handelsblatt, die von der Ampel-Regierung beschlossene Streichung von Subventionen für die Landwirtschaft verteidigt: "Als ehemaliger Landwirtschaftsminister weiß ich, unter welch hohem Druck Landwirte wirtschaften, wer an einer Stelle Änderungen wünscht, muss eine abgestimmte und für alle Seiten tragfähige Gegenfinanzierung anbieten."
Dies holte ihn wieder ein bei seiner Rückkehr von Hallig Hooge. Im Hafen Schlüttsiel wurde die Fähre von (ebenso) sich selbst überzeugten Landwirten empfangen. Sie forderten ein Gespräch mit dem Minister. Danach wundert sich Robert Habeck aus Schleswig-Holstein: "... dass sich die Stimmung im Land so sehr aufheizt".[1]
Am frühen Nachmittag des 4. Januar 24 wurde unter anderem über den (rechten) Telegram-Kanal "Freie Schleswig-Holsteiner" [2] geschrieben, Habeck wünsche sich einen Bürgerdialog bei der Ankunft in Schlüttsiel. Diesem Aufruf sind neben 250 Personen ca. 80 Treckerfahrer*innen gefolgt. Habeck bot den Landwirten ein Gespräch mit drei Personen auf der Fähre in Schlüttsiel an. Dies wurde abgelehnt, die Fähre kehrte um und Habeck konnte erst gegen Mitternacht das Festland betreten.
Habeck hat Friedrich Engels nicht gelesen, sonst wäre das Erstaunen über das nicht-von-Bord-gehen-können und über die barsch vorgetragenen Forderungen der Landwirte nicht so groß. Der Protest selbst hat weder mit Engels, dem großen Philosophen und Freund von Karl Marx, noch mit dem von Engels geschriebenen Werk "Der deutsche Bauernkrieg" zu tun.
900 Millionen Euro einfach weg
Was die Bauern in Rage bringt, ist das Vorhaben der Ampel-Koalition, den Bauern jährlich über 900 Millionen an Agrarsubventionen zu streichen.
Entfallen soll die finanzielle Förderung des Agrardiesels mit 21,48 Cent/Liter für die ca. 300.000 landwirtschaftlichen Betriebe, die im Bundeshaushalt mit rund 440 Mio. Euro pro Jahr zu Buche schlägt. Außerdem soll die Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge ("Grüne Nummer") gestrichen werden. Aus dem Finanzministeriums heißt es, dass dies 480 Millionen Euro jährlich einbringen soll.
Bauernvertreter warnen bereits vor einem "Höfesterben“, wenn auf die Landwirte diese Mehrkosten zukommen.
Nach Angaben des Umweltbundesamtes handelt es sich um "umweltschädliche Subventionen" – nach dem Motto "Was brauchen wir Landwirtschaft, Lebensmittel gibt es ja im Supermarkt".
Bio-Bauern stärker betroffen
Dabei sind kurioserweise Bio-Bauern von der Kürzung der Gelder stärker betroffen als konventionelle Landwirte. Da sie keine chemischen Pestizide verwenden, sondern das Unkraut mechanisch bekämpfen, müssen Bio-Bauern in der Regel häufiger auf ihre Äcker fahren als konventionelle Landwirte – und verbrauchen deshalb auch mehr Diesel. Pro Hektar und Jahr werden im Bio-Bereich deshalb 130 Liter Diesel benötigt – statt 100 Liter in der konventionellen Landwirtschaft. Da die Ampel auch die CO2-Steuer für fossile Energieträger erhöht, wird sich Diesel für Landwirte in den kommenden Jahren noch weiter verteuern.
Es liegt auf der Hand: Wenn die Erzeugerpreise steigen, weil den Landwirten die Subventionen gestrichen werden, dann wird das über kurz oder lang auch auf die Preise für Lebensmittel in den Supermärkten durchschlagen. Die Kritik daran würde dann wieder auf die Bauern abgeladen.
Bauernproteste
Die Proteste der Bauern laufen bereits seit Mitte Dezember, die Ankündigung von Straßenblockaden am 8. Januar 2024 werden seit Tagen in allen Medien publiziert und diskutiert.
Bereits nach der Ankündigung der Streichung im Dezember 2023 sind die Bauern mit 3.000 Traktoren durch Berlin gefahren. In der Regierung hat dies nur für ein Schulterzucken gesorgt. Sie hat durchgezogen und ihr Kürzungspaket beschlossen.
Habeck hat sogar die Stirn, den von Kürzungen betroffenen Landwirten über das Handelsblatt zu sagen: "Als ehemaliger Landwirtschaftsminister weiß ich, unter welch hohem Druck Landwirte wirtschaften, wer an einer Stelle Änderungen wünscht, muss eine abgestimmte und für alle Seiten tragfähige Gegenfinanzierung anbieten."[3]
Ampel ignoriert Vorschläge für "Gegenfinanzierungen"
Eine dieser Gegenfinanzierungen nennt ebenfalls im Handelsblatt der Ökonom Truger. "Die einseitige kräftige Belastung der Landwirtschaft ließe sich vermeiden, wenn man in den Abbau des Dieselprivilegs, also die Minderbesteuerung von Dieselkraftstoff gegenüber Benzin, einsteigen würde", sagte er. "Um die knappe Milliarde, die bei der Landwirtschaft erzielt werden sollte, einzubringen, würde eine Anhebung der Dieselsteuer um 2,5 Cent pro Liter schon ausreichen."[4]
Dies hätte sogar einen klimapolitischen Aspekt. Aber ein derartiger Eingriff in das "Autoland Deutschland" soll wohl vermieden werden – obwohl es der vollmundig versprochenen Klimapolitik im Koalitionsvertrag zugutekäme. Beim Diesel hat immer noch – E-Auto hin oder her – die Industrie ihre Finger im Spiel. Solange es keinen besseren Gütertransport auf der Schiene gibt, werden die Waren per LKW durchs Land gefahren. Deshalb kommt dieses Modell der Gegenfinanzierung auch bei einem grünen Wirtschaftsminister nicht an.
Die Bundesregierung hat nach heftigen Protesten des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft auch ihre Pläne für eine Kerosinsteuer auf Inlandsflüge wieder aufgegeben. Kerosin ist in der gewerblichen Luftfahrt gänzlich von der Mineralölsteuer befreit. Damit genießt ausgerechnet der besonders klimaschädliche Flugverkehr ein enormes Steuerprivileg gegenüber allen anderen Verkehrsträgern. Ein Ende der Kerosinsteuerbefreiung würde dem deutschen Staat laut Subventionsbericht der Bundesregierung rund 400 Millionen Euro an jährlichen Einnahmen bringen.
Noch weiter entfernt von grüner Denkpolitik wäre ein Stopp und eine Kürzung der Rüstungsausgaben, der Ausgaben für den Krieg in der Ukraine und eine Umwidmung der 100 Milliarden Rüstungs-Sonderschulden für sinnvolle Zukunftsinvestitionen und eine ökologische Wende in der Landwirtschaft.
Carola Rackete, Kandidatin der Linkspartei für die EU-Wahl, meint dazu:
"Statt jetzt sozial gerecht mit einer Vermögensabgabe anzufangen, Kerosinsteuer einzuführen, Inlandsflüge zu verbieten, SUVs zu begrenzen, Dienstwagenprivileg abzuschaffen, Tempo 130 festzulegen, den ÖPNV zukunftsfähig zu machen, fängt die aktuelle Bundesregierung aber bei den Falschen an. Grundsätzlich können die Landwirte schon seit Jahren von den Preisen ihrer Erzeugnisse nicht leben, sie werden stattdessen durch Steuervergünstigungen und Subventionen unterstützt. Für faire Preise müsste die Gemeinsame Marktordnung der EU geändert werden, um z.B. zu verhindern, dass Lebensmittel unter dem Erzeugerpreis gehandelt werden. Das geht auch auf nationaler Ebene, wie z.B. bereits in Spanien und Frankreich."
https://twitter.com/CaroRackete/status/1743337688537935945
Ampel spielt der AfD in die Hände
Der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow (DIE LINKE) wirft der Bundesregierung vor, der AfD in die Hände zu spielen. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagte er: "Das ist die CO2‑Bepreisung, die steigt. Das sind die steigenden Netzentgelte, die den Strompreis nach oben treiben. Das sind die Traktoren, die wieder in Richtung einer normalen KFZ-Besteuerung getrieben werden sollen. Dass wir jetzt Produktionsmittel besteuern, ist an Absurdität nicht zu überbieten. Und jetzt kommt die Agrardieselentscheidung noch hinzu. (…) Die europäischen Nachbarn besteuern den Berufsstand mit 10 Cent pro Liter, und wir steigern jetzt auf 47 Cent. (…) Und ich sehe die ersten Traktoren, an denen die Deutschland-Fahne verkehrt herum hängt." Ramelow weiter: "Das Gift der Rechtsradikalen dringt hier ein, weil die Sorge der Betroffenen unglaublich hoch ist. Und die Frage ist: Hört die noch jemand?" (rnd.de)
Rechte und "Heimattreue"- Gruppen und Organisationen nehmen tatsächlich den Protest der Bauern auf, verbreiten Bilder mit Traktorenkolonnen, die dekoriert sind mit Deutschland-Fahnen und markigen Slogans als Transparente. Nicht nur im Osten mobilisieren rechte Gruppen wie Freie Sachsen, die NPD versucht sich mit den Bauernprotesten zu stärken.
Die Bundesregierung und die sog. "Leitmedien" nehmen dies gerne auf, weil sie glauben, so die berechtigten Bauernproteste desavouieren und ins Abseits schieben zu können.
Ja zu bäuerlichem Protest, Nein zu rechter Hetze!
Das wird auch von den Landwirtschaftsverbänden erkannt, die den 8. Januar als Aktionstag ausgerufen haben.
Die Landwirtschaftlichen Jugendverbände erklären dazu auf ihrer Internetseite: Ja zu bäuerlichem Protest, Nein zu rechter Hetze!
Dabei weisen sie auf die Bedingungen ihrer Arbeit hin und stellen klar:
"Wir brauchen einen respektvollen und inhaltlich fundierten Diskurs innerhalb der gesamten Gesellschaft. Teilweise werden die bäuerlichen Sorgen und Proteste durch extrem rechte und antidemokratische Hetze und Parolen vereinnahmt. Das lenkt die Diskussion von den eigentlichen Problemen ab und gefährdet unsere Position."
Eine Junglandwirtin aus Bayern macht deutlich:
"Es reicht, dass die Politik uns nicht versteht. Es ekelt mich an, dass uns jetzt auch noch die Rechten für ihre Interessen vor den Karren spannen. Hetze und Hass sind so laut, dass unsere eigentlichen Probleme und Sorgen nicht mehr gehört werden.”[5]
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Nach den wachsenden Bauernprotesten hat die Bundesregierung die Kürzung teilweise wieder zurückgenommen: das Aus der Dieselförderung soll über mehrere Jahre gestreckt werden; die Streichung der Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge wurde zurückgezogen.
Bauernpräsident Joachim Rukwied meint zu den Änderungen: "Dies kann nur ein erster Schritt sein. Unsere Position bleibt unverändert: Beide Kürzungsvorschläge müssen vom Tisch." Es gehe auch um die Zukunftsfähigkeit der Branche und um die Frage, ob heimische Lebensmittelerzeugung überhaupt noch gewünscht sei. "An unserer Aktionswoche halten wir daher weiter fest."
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"Wir haben es satt": 6-Punkte-Plan für die sozial-gerechte Agrarwende und gutes Essen für alle.
Bäuerliche Betriebe begehren auf gegen eine Politik, die sich der industriellen Produktion von Lebensmitteln verschreibt und nicht die Nachhaltigkeit von gesundem Essen und Trinken sowie eine ökologische und klimaschützende Landwirtschaft fördert.
Am 20. Januar wird anlässlich der "Grünen Woche" in Berlin wie jedes Jahr seit 2011 eine Demonstration unter dem Motto "Wir haben Agrarindustrie satt" stattfinden. [6]
Gemeinsam mit über 100 Organisationen aus dem Sozialbereich, Gewerkschaften und Erwerbslosen-Initiativen fordert die Initiative "Wir haben es satt" in einem 6-Punkte-Plan von der Bundesregierung die sozial-gerechte Agrarwende und gutes Essen für alle. (https://www.wir-haben-es-satt.de/informieren/6-punkte-plan)
- Zugang zu gesunder und umweltgerechter Ernährung für alle Menschen!
Regelsatzlücke von über 250 Euro im Bürgergeld schließen, Sanktionen und Leistungskürzungen überwinden, Versorgung mit fair produzierten, umweltgerechten Lebensmitteln für alle Menschen umsetzen! Sozialleistungen müssen ökologischen Konsum ermöglichen. - Faire Erzeuger*innenpreise dauerhaft sicherstellen!
Preisdiktat der Supermarktketten stoppen, Einkauf unter Produktionskosten verbieten und regionale, bäuerliche und ökologische Strukturen (z.B. durch öffentliche Kantinen) stärken! - Gute Löhne für gute Arbeit!
Einen ausreichenden Mindestlohn und armutssichere Renten garantieren, Inflationsausgleich schaffen und eine stärkere Tarifbindung in Landwirtschaft, Nahrungsmittelverarbeitung und im Einzelhandel unterstützen! - Gesellschaftlichen Reichtum fair verteilen!
Übergewinnsteuer auch bei Agrar-, Lebensmittel-, Handels- und Düngemittelkonzernen erheben, Vermögenssteuer einführen und Kapitalerträge konsequent besteuern, niedrige und mittlere Arbeitseinkommen entlasten, Mehrwertsteuer auf klimagerechte Lebensmittel senken und umweltschädliche Subventionen stoppen! - Teller statt Trog, Tank oder Tonne!
Ackerflächen, wo möglich, für menschliche Nahrung statt für Futter- und Biosprit-Anbau nutzen und Lebensmittelverschwendung beenden! - Hungerkrise beenden!
Lebensmittelspekulation verbieten, Recht auf Nahrung durch freies Saatgut und gerechte Landverteilung unterstützen, gentechnikfreie Landwirtschaft sichern, mehr Entwicklungsgelder für die sozial-ökologische Transformation der Ernährungssysteme bereitstellen und unfaire Handelsabkommen stoppen!
Quellen
[2] Die "Freie Schleswig-Holsteiner" sind eine rechte Gruppe, die inzwischen unverhohlen auch mit und für die AfD Kundgebungen und Demonstrationen organisiert, auf deren Seite sich Kommentare von NPD-Mitgliedern finden. Sie versuchen Kritik und Aktivitäten gegen die Beschlüsse der Regierung zu vereinnahmen und zu steuern.
[5] https://www.junge-abl.de/details/ja-zu-baeuerlichem-protest-nein-zu-rechter-hetze
[6] https://www.wir-haben-es-satt.de/