Im Oktober 2019 stellte ein Forschungsteam die 18. Shell-Jugendstudie mit dem Titel „Eine Generation meldet sich zu Wort“ der Öffentlichkeit vor. Unter der Leitung von Prof. Dr. Mathias Albert (Universität Bielefeld), Prof. Dr. Gudrun Quenzel (Universität Vorarlberg), Prof. Dr. Klaus Hurrelmann (Hertie School of Governance), sowie einem Expertenteam des Münchner Forschungsinstituts Kantar um Ulrich Schneekloth erstellte das Forschungsteam die Studie im Auftrag der Deutschen Shell. Die Deutsche Shell beauftragt und finanziert, mit wenigen Unterbrechungen, die Jugendstudie bereits seit 1953. „Mit diesem Engagement für die Jugendforschung untermauern wir nicht zuletzt unsere Bereitschaft, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen“, sagt der Vorsitzende der Deutsche Shell Holding GmbH, Dr. Thomas Zengerly.

Auftragsgemäß richtete sich das Interesse der Wissenschaftler und Institute bei der Erstellung der Studie auf die Ermittlung und Beschreibung von Sichtweisen, Stimmungen und Erwartungen von Jugendlichen in Deutschland. Die Shell Jugendstudie dokumentiert, auf welche Weise junge Menschen mit aktuellen Herausforderungen umgehen und welche Verhaltensweisen, Einstellungen und Mentalitäten sie dabei herausbilden.

Das forschungspolitische Interesse richtete sich dabei u. a. darauf, empirisch zu belegen, ob sich das zunehmende politische Interesse der Jugendlichen in einem gestiegenen Engagement für politische und soziale Themen äußert.

Neben einer repräsentativen Sicht auf die Jugend von heute soll die Studie, gesellschaftspolitische Denkanstöße für Politik, gesellschaftliche Verbände und Unternehmen als potentielle Arbeitgeber liefern. Dabei soll die Studie aufzeigen, unter welchen politischen und sozialen Bedingungen Jugendliche heute aufwachsen, wie sie agieren, ihre persönlichen Interessen und ihre Haltung gegenüber Politik und Gesellschaft äußern und in welcher Form sie zum Handeln bereit sind.

Zur Methodik

Die 18. Shell Jugendstudie ist eine repräsentativ zusammengesetzte Stichprobe von 2.572 Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren, die vom Forschungsinstitut Kantar, München -Interviewern zu ihrer Lebenssituation und ihren Einstellungen und Orientierungen persönlich befragt wurden. Die Erhebung fand auf Grundlage eines standardisierten Fragebogens im Zeitraum von Anfang Januar bis Mitte März 2019 statt. Im Rahmen der qualitativen Studie erfolgte die Durchführung von Interviews mit 20 Jugendlichen dieser Altersgruppe.

Politisches Interesse der Jugend

Die Ergebnisse der Shell Jugendstudie 2019 bestätigen nach den Ergebnissen von 2015, dass Jugendliche ihre Anliegen deutlicher zum Ausdruck bringen als je zuvor. Schon im zurückliegenden Forschungsjahr 2015 hatten viele Jugendliche ein größeres Engagement für politische und gesellschaftliche Themen gezeigt.

Dieses Engagement verstärken sie inzwischen durch ein zunehmendes Umwelt- und Klimabewusstsein sowie eine generelle Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber. Sie erkennen, dass es Zeit ist zu handeln, obwohl die Jugendlichen optimistisch in ihre persönliche und gesellschaftliche Zukunft blicken. Sie äußern Ihre Botschaft an ältere Generationen:

„Wir bleiben zuversichtlich, aber hört auf uns und achtet jetzt auf unsere Zukunft!“ so die Kommentierung des Studienleiters Prof. Dr. Mathias Albert der Universität Bielefeld (1, 2). Gemäß der Studie wird das politische Engagement für Jugendliche wichtiger. Insgesamt bezeichnen sich 4 von 10 Befragten (41 Prozent) als politisch interessiert. Die Bedeutung politischen Engagements nimmt weiter zu: 2019 liegt der Anteil der Jugendlichen, die es wichtig finden, sich persönlich politisch zu engagieren, bei 34 Prozent (2010: 23 Prozent). Weibliche Jugendliche holen dabei gegenüber männlichen Jugendlichen auf. Es wäre vermessen zu erwarten, dass die Heranwachsenden als Gruppe über-durchschnittlich politisch denken und eigenes gesellschaftlich motiviertes Handeln als Mittelpunkt ihrer Interessen bekunden würden. So belegt die Studie, dass sich nicht alle Jugendlichen gleichermaßen für Politik und Zukunft interessieren.

Ein Teil von ihnen engagiert sich zwar mittlerweile auch politisch, obwohl der größere Teil der Jugend nicht politisch interessiert ist. Das läßt sich durch ein hohes Maß an Verdrossenheit mit Politikern erklären.

Mit anderen Worten, Jugendliche zeigen sich zu einem erheblichen Teil mit der herrschenden Demokratie in Deutschland zwar zufrieden, aber nicht mit der herrschenden politischen Elite. So glauben 71 Prozent von ihnen nicht, dass sich „Politiker darum kümmern, was Leute wie ich denken“. Diese Verdrossenheit ist bei niedriger Gebildeten stärker verbreitet als bei höher Gebildeten, sie betrifft aber über alle demografischen Merkmale hinweg deutliche Mehrheiten. Entsprechend stimmen 84 Prozent der Jugendlichen der Aussage zu, dass junge Leute in der Politik mehr zu sagen haben sollten.

Mehrheitlich sind Jugendliche nicht populistisch ausgerichtet, aber sie zeigen sich aufgrund ihrer Offenheit durchaus empfänglich für populistische Aussagen. Etwa ein Drittel der Jugendlichen stimmt laut der Shell Jugendstudie populistischen Aussagen zu. „Affinität zum Populismus geht häufig einher mit dem Gefühl geringerer Kontrolle über das eigene Leben. Solche junge Menschen sehen auch Vielfalt dann meist kritischer“, erklärt dazu Prof. Albert. „Es ist für diese Generation ein Markenzeichen, dass sie Vielfalt positiv sieht – auch weil sie in sich äußerst vielfältig ist“, so Albert. Die AutorInnen der Jugendstudie fassen hierzu zusammen, dass die Studie ein differenziertes Bild einer Generation zeichnet, die in einer Zeit voller Umbrüche ihre Anliegen so vernehmbar vertritt wie schon lange nicht mehr. Die junge Generation verschafft sich Gehör. Nun müsse man ihre Anliegen ernst nehmen und sie in die Gestaltung der Gesellschaft einbinden.

Klimawandel und Umweltprobleme bewegen die junge Generation

Die Studie belegt einerseits die Zunahme einiger Ängste im Hinblick auf Zukunft und Zukunftsgestaltung, andererseits zeigt sich aber eine auffällige Zunahme von Umwelt-Bewusstsein. So machten sich 71 Prozent (2015: 66 Prozent). der jungen Menschen Sorgen wegen der Umweltverschmutzung und 65 Prozent hätten Angst vor dem Klimawandel – deutlich mehr als jeweils noch vor vier Jahren. Jugendliche Protestbewegungen wie Fridays for Future, aber auch die zuletzt gestiegenen Wahlbeteiligungen junger Menschen deuten auf eine zunehmende Politisierung der jungen Generation hin. Ein Befund, den Prof. Albert wie folgt erklärt: „Diejenigen, die bereits politisch interessiert waren, setzen sich noch intensiver mit Politik auseinander und engagieren sich intensiver.“ Auch für den Bereich des politischen Engagements belegt die aktuelle Studie eine außergewöhnlich hohe Zunahme an Relevanz.

Selbst ein hoher Lebensstandard und die Durchsetzung eigener Bedürfnisse verlieren vergleichsweise an Bedeutung. Tendenziell wenden sich viele Jugendliche eher den idealistischen, postmaterialistischen Einstellungen zu. Hierbei sind sich offenbar die männlichen und die weiblichen Jugendlichen einig. Ko-Autorin Sabine Wolfert fügt hinzu an, dass man auch Unterschiede nach Geschlecht erkennen könne: „Wir sehen eine deutliche Zunahme der Politisierung bei jungen Frauen. Sie haben Umweltthemen stärker im Blick und sind generell wertebewusster.

Ko-Autorin Ria Schröder merkt hierzu an: „Das Engagement vieler junger Menschen findet momentan aber eher auf der Straße statt als in den Parteien.“ Sie verbindet ihre Aussage mit einer direkten Ansage an die politische Elite und die Parteien, dass die Angebote der Parteien für junge Menschen stärker genutzt werden sollten, da die verschiedenen Formen des politischen Engagements sich letztendlich ergänzen würden.

Toleranz und Vielfalt bestimmen die Einstellung der Jugendlichen. Jugendliche zeigen sich aufgrund ihrer kommunikativ-medialen Affinität einem nicht geringen medialen Einfluss ausgesetzt, demzufolge, wie bereits angemerkt, auch einige populistische Aussagen Zustimmung finden. Je höher die Bildungsposition, desto geringer die Affinität zu populistischen Sprüchen. Von den Jugendlichen mit höherer Bildungsposition gehört jeder zweite zu den Weltoffenen oder zu den Kosmopoliten, während es bei Jugendlichen mit niedriger Bildungsposition entgegengesetzt ist: Hier gehört weit mehr als jeder zweite zu den Populismus-Geneigten oder zu den Nationalpopulisten. Die Ablehnung von Geflüchteten fällt bemerkenswerterweise mit einem Fünftel der Jugendlichen, die nicht neben einer geflüchteten Familie wohnen wollen, relativ hoch aus. Ostdeutsche Jugendliche lehnen Geflüchtete, Türkischstämmige, Afrikanisch-stämmige und Juden – auf allerdings relativ niedrigem Niveau – stärker ab als westdeutsche. Bei Jugendlichen aus muslimisch geprägten Herkunftsländern ist die Ablehnung von homosexuellen und jüdischen Menschen höher als im Durchschnitt.

Dennoch sind die Jugendlichen überwiegend sehr tolerant. Sie akzeptieren verschiedene gesellschaftliche Gruppen bzw. Minderheiten mit Toleranzquoten von 80 bis 95 Prozent. Die jungen Menschen in Deutschland werden auch selbst vielfältiger. Der Anteil der nicht-deutschen Jugendlichen nahm gegenüber 2015 um fünf Prozentpunkte auf 15 Prozent zu. Insgesamt sind 30 Prozent der Jugendlichen entweder nicht-deutscher Nationalität oder haben einen Migrationshintergrund.

Freunde, Partnerschaft und Familie bestimmen die Werteorientierung für eigenes Handeln

Für die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen bilden nach wie vor gute Freunde (97 Prozent), eine vertrauensvolle Partnerschaft (94 Prozent) und ein gutes Familienleben (90 Prozent) die wichtigsten Werte. Tugendhaftigkeit und Tüchtigkeit sind für nahezu alle Jugendlichen positiv besetzt – und zwar in allen Schichten. Respekt vor Gesetz und Ordnung oder Fleiß und Ehrgeiz gehören für alle jungen Menschen zu den wichtigen Leitbildern.

Bildung und soziale Herkunft

Nach wie vor lässt sich ein starker Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft feststellen. Bei Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern ist es nur halb so wahrscheinlich, dass sie das Abitur erreichen wie bei Jugendlichen aus gebildeten Elternhäusern. Allerdings ist die Bildungspolitik der letzten Jahre insofern erfolgreich, als auch Jugendliche aus bildungsfernen Schichten das Abitur mittlerweile deutlich häufiger anstreben bzw. erreichen als früher.

Optimismus als Prädikat der Jugendlichkeit

Eine klare Mehrheit der Jugendlichen sieht optimistisch in die eigene Zukunft (58 Prozent). Jugendliche aus höheren Schichten sind deutlich optimistischer als Jugendliche aus niedrigeren Schichten; die sozialen Unterschiede haben sich hier seit 2015 allerdings deutlich verringert. Zum ersten Mal seit 2006 sind die ostdeutschen Jugendlichen genauso optimistisch wie die west-deutschen (je 60 Prozent). Zu der positiven Grundstimmung passt, dass 59 Prozent der Jugendlichen finden, dass es in Deutschland alles in allem gerecht zugeht. Außerdem glauben 84 Prozent der jungen Menschen, dass sie ihre beruflichen Wünsche werden verwirklichen können. Jugendliche geben sich heute zufrieden mit ihrer Situation, die sich mit zuversichtlich, vielfältig und kritisch-fordernd beschreiben lässt. Sie blicken optimistisch in ihre persönliche und auch die gesellschaftliche Zukunft. Sie haben dabei aber einen scharfen Blick für gesellschaftliche Missstände, prangern diese an und fordern Veränderungen ein. Sie wollen ernst genommen werden und an der Gestaltung ihrer Zukunft mitwirken.

Übereinstimmend legen die Autoren der diesjährigen Shell-Jugenstudie nahe, sich stärker an der jungen Generation zu orientieren. Aufgrund ihres relativ geringen Anteils an der Bevölkerung hätten junge Menschen de facto wenig Einfluss auf die Politik, so die Mit-Autorin Ria Schröder. „Es braucht ein Umdenken in der Politik, um den Jugendlichen das Gefühl zu geben, dass sie gehört werden.“ Sie sehe aber, dass in letzter Zeit langsam eine Bewusstseinsänderung eingetreten sei: „Es ist schwieriger geworden, die Anliegen junger Menschen zu ignorieren.

Das Forschungsdesign der Studie ist dennoch nicht so angelegt, um eine Aussage über Wissen und Haltung der Jugendlichen zu den ursächlichen Zusammenhängen wie beispielsweise zum Verursacherprinzip der drohenden Klimakatastrophe oder der Ungleichverteilung von Reichtum in Deutschland zu erfahren.

Das dürfte auch nicht das Anliegen der Auftraggeber der Studie sein. Es scheint den Auftraggebern und den politischen Nutzern der Studienergebnisse primär darauf angekommen zu sein – wie sich auch an den Schwerpunktthemen vergangener Shell-Studien nachvollziehen lässt – eine Bestätigung zu bekommen, dass Jugendliche alles in allem eher konform und strebsam sind. Das zunehmend kritische Jugend-Potential hingegen scheint aus Forschersicht und Empfängern der Studie letztlich keine ernste Bedrohung von etablierten Strukturen in Politik und Gesellschaft darzustellen.