In Ergänzung zu den bisherigen Ausführungen zu der existierenden Altersarmut in Deutschland und insbesondere in Bayern soll im vorliegenden Teil auf der Grundlage von Daten und Fakten eine weitere Vertiefung erfolgen. Als Anknüpfungspunkt bietet sich die im vorausgegangenen Teil II beschriebene Eigenbeteiligung bei einem Aufenthalt im Altenheim an:
Der Einrichtungsbetreiber erhöht zum 1.6.2023 die Pflegesätze und die zu zahlenden Kosten für Unterkunft und Verpflegung bei Pflegegrad 2 um 450,22 € monatlich. Damit steigt unmittelbar der selbst zu tragende Anteil um 16,4% auf 1450 €. Es stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung handelt: Ab dem 1.1.24 ist eine Erhöhung des Pflegegeldes im Bereich der Pflege um gerade mal + 5% vorgesehen (PUEG-Entwurf).
Ca. 21 Millionen RentnerInnen erhalten ab dem 1.7.23 eine Bruttorentenerhöhung von 4,39% im Westen und 5,86% im Osten; eine wohlklingende Ankündigung, faktisch bleibt die Erhöhung aber weit hinter der aktuellen Inflationsrate von 7,4% im März 2023 zurück, d. h. es gibt neben dem Reallohnverlust also auch einen gleichlautenden Renten-Realverlust.
Ende 2022 bezogen dem Statistischen Bundesamt zufolge 660.000 RentnerInnen die Grundsicherung, das entspricht einem Anstieg um + 12% im Jahresvergleich, 2017 waren es noch 544.000.
Zur aktuellen Situation
Grundrente
Es gibt in Deutschland keine Mindestrente. Die sogenannte Grundrente – es handelt sich um einen Zuschlag zur gesetzlichen Rente – erhält nur, wer
- mindestens 33 Jahre Grundrentenwartezeiten zusammenbringt, nicht dazu zählen z.B. Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld II, Arbeitslosenhilfe und
- genügend Entgeltpunkte aus dem eigenen Erwerbsleben zusammenbringt.
Darauf basierend werden die durchschnittlichen Entgeltpunkte ermittelt und mit dem Höchstwert verglichen, und somit der Grundwert ermittelt und um 12,5% gekürzt.
Im nächsten Prüfschritt werden die Zuschlagsentgeltpunkte ermittelt und danach der Zuschlagsbetrag in € berechnet.
Und zum Schluss kommt es zur Einkommensanrechnung und das des Partners/der Partnerin, soweit Freibeträge überschritten werden. Diese Überprüfung erfolgt jährlich zum 1.1. und bezieht sich jeweils auf das Vorvorjahr.
Schon dieser hier vereinfacht dargestellte Verfahrensablauf verdeutlicht die verbürokratisierte Komplexität – wer blickt da durch und kann es nachvollziehen – und verweist auf die weitgehende Verfehlung der Bekämpfung von Altersarmut in Deutschland.
Dazu erneut ein Beispiel aus der Praxis:
- Betroffene, die die 396 Monate (= 33 Jahre) „Wartezeiten“ nicht zusammenbringen, erhalten nichts
- Betroffene, bei denen der Mindestwert unterschritten wird, erhalten nichts. Wer z.B. Jahrein, Jahraus einen Minijob hat (einschließlich derer, die unter die seit dem 1.10.2022 gültigen 520 €-Regelung fallen), geht leer aus.
- Betroffene, bei denen der Höchstwert überschritten wird, erhalten ebenfalls nichts
- Betroffene, deren zusammengerechnetes Einkommen zu hoch ist bekommen nichts.
Statt wie ursprünglich für ca. 3,5 Millionen Menschen geplant, von der CDU/CSU aber verhindert, erhalten aktuell nur ca. 1,1 Millionen Menschen Grundrentenzuschläge in Höhe von durchschnittlich 86 Euro ausbezahlt.
Grundsicherung im Alter
Die Grundsicherung im Alter ist keine Rente, sondern Sozialhilfe. Sie ist einkommens- und vermögensabhängig. Der Regelsatz für Nahrung, Kleidung, Hausrat, Körperpflege und Strom beträgt im laufenden Jahr 2023 für eine alleinstehende Person pauschal 502 Euro pro Monat. Zusätzlich werden die Kosten für Unterkunft und Heizung, sofern diese angemessen sind, übernommen. Hinzu kommen Kranken- und Pflegeversicherung sowie gegebenenfalls ein Mehrbedarf für Menschen mit Schwerbehinderung. Die Zusammensetzung, Berechnung und Höhe des Regelsatzes wird seit seinem Bestehen letztendlich immer politisch entschieden und umstritten - faktisch mit aktuell 502 € pro Monat viel zu niedrig angesetzt. Zunehmend verschärft sich die soziale Situation durch die Probleme bei der Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft (Miete) einschließlich der darin festgelegten Stromkostenanteile (aktuell 40,74 € in der Regelleistung enthalten) und den notwendigen Gesundheitsausgaben im Alter (aktuell 19,16 € in der Regelleistung enthalten).
Die Statistik liefert dazu ein trügerisches Bild: Im Dezember 2017 erhielten 544.000 Menschen Grundsicherung im Alter, sozusagen Hartz IV für Rentner. … 544.000 arme, alte Menschen, das sind 90 Prozent mehr als noch 2003 – aber nur gut 3% der heute 65-Jährigen und Älteren.
Tatsächlich hätten allerdings mehr als 1 Million Menschen im Rentenalter Anspruch auf die staatliche Leistung, schätzt Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). …“ Mehr als 70% würden aus verschiedenen Gründen die staatlichen Hilfen nicht beantragen. Und weiter, „In 15 Jahren, also ca. 2030 und folgende dürften bereits 7% der Neurentner auf die Grundsicherung angewiesen sein. [1]
Bundesweit haben knapp 1,2 Millionen Personen im Dezember 2022 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bezogen.
Für Bayern ergibt sich für die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Zeitverlauf folgendes Bild:
Quelle: Statistischen Bundesamt, Abruf am 5.4.2023: https://www.destatis.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Servicesuche_Formular.html?nn=2110&resourceId=2414&input_=2110&pageLocale=de&templateQueryString=Grundsicherung+im+Alter&submit.x=0&submit.y=0
Innerhalb von sechs Monaten ein Anstieg der insgesamt Betroffenen um + 2,7%; Nimmt man als Vergleichsmonat März 2022 mit 131.495 Menschen, ergibt sich eine Zunahme innerhalb von 9 Monaten um +7,2%. Altern macht immer mehr Menschen arm.
Minijob im Alter
Die Anzahl der Minijobber ab dem 65sten Lebensjahr im gewerblichen Bereich lag in Deutschland im Dezember 2021 bei 1.014.090, im Vergleichsmonat im Jahr 2022 bei 1.082.593; das entspricht einer Zunahme von 68.503 oder +6,8%.
Im gewerblichen Bereich sind die über 65jährigen die alterskohortenmäßig stärkste Altersgruppe, 506.127 Männer und 576.466 Frauen.
In Bayern waren Ende 2022 1.195.524 Menschen auf Minijob-Basis tätig, in Privathauhalten waren es 51.851. [2]
Die Anzahl der MinijobberInnen ab dem 65sten Lebensjahr in Privathaushalten betrug in Deutschland im Dezember 2021 49.350, im Vergleichsmonat in 2022 52.140, was einer Zunahme entspricht von 2790 oder +5,7%. In den Privathaushalten sind die über 65jährigen die alterskohortenmäßig stärkste Altersgruppe, 43.323 Frauen und 8817 Männer.
Die Antwort auf die Frage, weshalb es zu diesen Zuwächsen kommt im Verlauf der Corona-Pandemie, des wirtschaftlichen Abwärtstrend, der Kostensteigerungen und der Mindestlohn-Situation (2021 – 2022) ist zweifelsfrei auf die Notwendigkeit von Menschen zurückzuführen, die in Altersrente gehen, und deren Rentenhöhe nicht ausreichend ist, um ihren bisherigen Lebensstandard einigermaßen aufrecht erhalten zu können.
Hierzu ein praktischer Beleg:
Eine alleinstehende Person geht in Altersrente, der tatsächliche monatliche Netto-Auszahlungsbetrag liegt bei 1290 €. Zusätzliche Einnahmen sind nicht vorhanden, auf dem Sparbuch liegen 4.500 € als Notreserve. Die Warmmiete beträgt für eine Zweizimmer- Wohnung 830 €. Ein Anspruch auf den Grundrentenzuschlag besteht nicht.
Es verbleiben 460 € zum Leben. Und schon naht – wenn es gesundheitlich noch irgendwie geht - der Minijob, zunehmend auch in der bisherigen Firma – hinzukommende 520 € monatlich und die Lebensperspektive sieht schon wieder anders aus.
Diese „Lösung“ (müssen) immer mehr RentnerInnen wählen.
Die Einführung einer erhöhten Midijob-Grenze, sie liegt seit 1.1.23 bei 2.000 € brutto, bringt zwar für Betroffenen aktuell mehr netto vom brutto – bezogen auf die Alterssicherung aber nur minimale zusätzliche Anwartschaften, die selbst bei einem dauerhaften Minijob Altersarmut nicht verhindern.
Ver- und Überschuldung im Alter
Der im Oktober 2022 veröffentlichte Creditreform Schuldner-Atlas weist für die Gruppe der älteren Personen eine unterdurchschnittlich gesunkene Überschuldungsquote - minus 1,8 Prozent auf. Dagegen gibt der langfristige Anstieg in dieser Altersgruppe zu denken: Zwischen 2013 und 2022 nahm die Überschuldung alter Menschen um 270 Prozent zu. Während es Jüngeren relativ leichter gelingt, aus der prekären wirtschaftlichen Situation herauszukommen, wird es für ältere Menschen umso schwieriger. Aktuell stellen die unter 60 Jahre Volljährigen rund 80 Prozent der Überschuldungsfälle, bei den über 60-Jährigen sind es rund 20 Prozent. Über einen längeren Zeitraum wird das Ausmaß der Problematik deutlicher: 2004 betrug der Anteil der „Alten“ nur rund 8 Prozent, bei den unter 60-Jährigen lag er entsprechend bei 92 Prozent. Die besondere Problematik bei den Rentnern liegt darin, dass sie nicht mehr kreditwürdig sind und dass sie dann in der Folge wenig Chancen haben, die einmal aufgetürmten Schulden noch abtragen zu können. Es kommt somit in vielen Fällen zum „Nachlasskonkurs“, den die Erben dann ausschlagen werden. [3]
Inflation und Alter
Von den inflationären Preissteigerungen bei Energie und Nahrungsmitteln sind besonders ärmere Haushalte betroffen, nachdem diese einen wesentlich größeren Anteil des verfügbaren Einkommens für diesen Bereich ihres Alltagskonsums aufwenden müssen. [4] Davon waren im Jahr 2022 ärmere Rentnerhaushalte nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (DIW) stärker betroffen: Sie konnten nur wenig auf günstigere Heizsysteme zurückgreifen, hatten dabei aber einen tendenziell höheren Wärmebedarf. Dieses Problem verstärkt sich zusätzlich bei Rentnern im ländlichen Raum, die nicht nur höhere Kosten bei der Energie, sondern auch für den Verkehr hinzunehmen haben. Lag im Durchschnitt der Haushalte mit gesetzlichem Rentenbezug die Inflationsrate bei 8,3 Prozent, so fiel sie bei der anderen Gruppe mit 9,2 Prozent deutlich höher aus. Den größten Zuwachs bei den Tafeln haben neben Kindern ältere Menschen, rund jede/r vierte Kunde/in der Tafeln ist heute RentnerIn.
Bezahlbares Wohnen im Alter
„Insgesamt führt Wohnungsmangel zu einer Ausgrenzung von Randgruppen in der Wohnungsnachfrage.“ [5] Zu diesen Gruppen gehören zunehmend auch ältere Menschen. „Wenn heute rund jeder fünfte im Seniorenalter weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens hat, werden damit auch Grundbedürfnisse wie das Wohnen und der Nahrungskauf für diesen Teil der Senioren tangiert. Die Dringlichkeit der Schaffung von sozialen und bezahlbaren Wohnungen hat angesichts der demografischen Entwicklung und der Einkommensentwicklung nochmals zugenommen. Die Gefahr des sozialen „Abrutschens“ vieler Haushalte ist akut und die Versorgung mit Wohnraum nicht mehr zu gewährleisten, wenn sich der Staat – und damit sind Bund, Länder und Kommunen gemeint – nicht stärker engagieren. Das Dach über dem Kopf ist zentral für gesellschaftliche Teilhabe und diese ist vom Staat für alle hier lebenden Menschen sicherzustellen.“ [6] In eher städtischen Bereichen nimmt selbst der Bedarf an Formen der Wohngemeinschaften zu, weil sich ältere Menschen nur noch so die Kosten der Unterkunft leisten können.
Der aktuelle Hype um das Gebäudeenergiegesetz (GEG) verteuert gerade auch für viele RentnerInnen das Leben in den Mietwohnungen zusätzlich. Zum einen ist die Anwendung des Gießkannenprinzips, also die Ausschüttung von Fördermitteln, egal über wieviel Einkommen man tatsächlich verfügt, falsch und macht die soziale Blindheit dieser Regierung deutlich; zum anderen haben MieterInnen keinen Einfluß auf mögliche Modernisierungsmaßnahmen im Bereich Energieeffizienz durch VermieterInnen. Für sie gibt es keine Alternative, die danach präsentierten Rechnungen einfach zu zahlen oder auszuziehen. Eine gerechtere Förderung müsste einkommensabhängig gestaltet sein, den Verbrauch und damit die Heizkosten tatsächlich gesenkt und die dadurch entstehenden Kosten von den Vermieterinnen getragen werden.
Ein weiteres Zwischen-Fazit und Ausblick
Die Verknüpfung der demografischen Entwicklung mit dem Bestand der sozialen Sicherung ist eine Herausforderung, der sich der Bund, die Länder und die Kommunen stellen müssen, um nach der Analyse Handlungsschritte nicht nur zu entwickeln, sondern regionalspezifisch zeitnah auch umzusetzen.
Dabei müssen die Konglomerate[7] der in unterschiedlichen Perspektiven handelnden Leistungsträger, die in einem Finanzierungssystem aus vielen Ebenen unterwegs sind aufgebrochen werden. Ein einheitliches bundesweites Leistungssystem aus einer Hand in öffentlicher Verantwortung mit weitgehender beteiligungsgerechten Beantragung (Auflösung des Bittstellertums) ist sozialpolitisch ein Gebot der Stunde.
Zu der auch immer wieder aufgeworfenen Grundfrage, ob man sich die gesetzliche Rente überhaupt leisten könne, gibt es eine einfache zutreffende Antwort: Ja, denn entscheidend ist nicht das Verhältnis von Rentenbeziehenden zu Renteneinzahlenden, sondern die erzielte Wirtschaftsleistung, sprich Produktivitätssteigerungen, zu der die RentenbezieherInnen beigetragen haben. Anzumerken bleibt, ohne weitere Ausführungen, dass es sehr viel besser und gerechter wäre, alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen.
Im vierten Teil dieser Reihe wird es um die Frage nach Lösungen gehen. Was sagen Akteure aus dem soziapolitischen Bereich wie z.B. die Paritäter, Diakonie, Gewerkschaften, VdK, DKSB, Attac zum Thema Armut, welche Vorschläge und Forderungen erhoben werden.
Anmerkungen
[1] Süddeutsche Zeitung vom 9./10.2.2019, S. 2.
[2] https://www.minijob-zentrale.de/DE/service/minijob-statistik/minijob-statistik_node.html
[3] https://www.creditreform.de/neustadt/aktuelles-wissen/pressemeldungen-fachbeitraege/news-details/show/inflation-trifft-alte-menschen
[4] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/video-radio/5080-inflation-wer-sind-die-gewinner-und-wer-die-verlierer
[5] Bauen und Wohnen in der Krise - Aktuelle Entwicklungen und Rückwirkungen auf Wohnungsbau und Wohnungsmärkte; Pestel Institut, Januar 2023, S. 16.
[6] Ebd. S. 42
[7] Unter dem Begriff Konglomerate ist das Konstrukt zu verstehen, daß auf der einen Seite alle Gesetz-, Satzungs- und Verordnungsbefugten Stellen wie der Bund, die Länder, die Bezirke in Bayern, die Kommunen und die Kranken- und Pflegekassen sowie auf der Seite der Leistungserbringerlandschaft bestehend aus sogenannte gemeinnützigen Organisationen, Körperschaften und Privaten Anbietern ihre jeweils eigenen Vorstellungen, Ziele und Umsetzungsschritte versuchen durchzusetzen und es dabei zu vielen Disparitäten kommt, wobei die Betroffenen, also diejenigen die Leistungen brauchen in der Praxis oft an letzter Stelle kommen.