"Der Dax wird militärischer“ titelte die SZ ihren Wirtschafts-Teil am 6. März, 2023. Anlass war der Beschluss der Deutschen Börse, den Rüstungskonzern Rheinmetall am 20. März d. J.  in die Premium-Liga Dax-40 aufzunehmen. Der Leitindex weist die 40 „wertvollsten“ börsennotierten Konzerne in Deutschland aus. Nach mehreren Anläufen ist dem Kanonen-, Panzer- und Munitionskonzern im ersten Ukrainekriegsjahr – der Aufstieg in den Elite-Klub gelungen. Weichen musste dafür der Medizinkonzern Frisenius Medical Care (FMC), Hersteller von Dialyse-Geräten. Er rutscht in den M-Dax (Mid-Cap-Dax), der 50 „Nebenwerte“ ab. Waffen gegen Gesundheit!

Soldaten fallen – Aktien steigen!

Wollt Ihr wieder fallen,
Fotomontage Heartfield: „Wollt Ihr wieder fallen, damit die Aktiensteigen“?

Ausschlaggebend war der stark gestiegene Aktienkurs von Rheinmetall seit Beginn des Krieges in der Ukraine. Während die Aktie des Düsseldorfer Waffenkonzerns vor dem Krieg mit einem Kurs zwischen 70 und 90 dahindümpelte, schoss dieser mit den ersten Kanonensalven in die Höhe. Gemäß der alten Börsenweisheit: ´Kaufen, wenn die Kanonen donnern`. Am 8. März, 2023 lag der Kurs mit 257 Zählern um 180 Prozent höher als zu Kriegsbeginn. Der größte deutsche Rüstungskonzern hatte binnen eines Jahres seinen Börsenwert von gut drei Milliarden Euro auf 11 Milliarden Euro gesteigert – zur Freude seiner Großaktionäre, fast ausschließlich US-amerikanische Vermögens-Fonds (siehe https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5016-das-siebte-fette-jahr-der-welt-ruestungsindustrie). Reiche Rentner und Rentiers vorrangig in den USA profitieren also, wenn tief in der Ukraine die Menschen „aufeinander schlagen“. Und auch Konzernboß Papperger kassiert einen satten Zusatzverdienst: Mit seinen 157.000 Aktien, die er 2017 erworben hatte, machte er 2022 über 20 Millionen € Börsengewinn.

Die hohen Aktienkurse widerspiegeln die Gewinnerwartungen der Aktionäre. Und sie werden nicht enttäuscht. Seit Kriegsbeginn befindet sich Rheinmetall Rüstung in einem wahren Höhenrausch von Waffen-Aufträgen, Umsatz und Gewinn. Vier Tage vor der Aufnahme in den Dax-40 verkündete Konzernchef Papperger auf der Bilanz-Pressekonferenz (16.3.) einen „Rekordgewinn“ und eine Mords-Rendite:

 

Rheinmetall-Rüstungs-Rekorde
Die von Konzern-Chef Armin Pappberger auf der Bilanz-Pressekonferenz erläuterten Rekordzahlen für das Geschäftsjahr 2022:

  • Umsatz: 6,4 Mrd. Euro: + 13 %;
  • EBIT (Operatives Ergebnis vor Zinsen und Steuern: 754 Mio. Euro: + 27 %;
  • Netto-Gewinn: 469 Mio. Euro: + 61 %;
  • Dividende: 4,30 Euro je Aktie: + 30 %;
  • Auftragsbestand: 26,6 Mrd. Euro; = vierfache Jahresproduktion;

Rheinmetall rechnet bis Ende 2023 mit einem Auftragsbestand von über 30 Milliarden Euro. Denn: „Rheinmetall übernimmt Verantwortung in einer sich verändernden Welt“ (Papperger).

Rheinmetall ist nicht der einzige Kriegsgewinnler, der an der deutschen Börse notiert ist. Auch der bisher im S-Dax (Small Caps = small capitals) rangierende Rüstungselektronik-Produzent Hensoldt rückt in eine höhere Liga auf - in den M-Dax (Mid-Cap-Dax). Auch bei Hensoldt war der Aktienkurs explodiert und hatte sich binnen eines Kriegsjahres verdreifacht. Größte Anteilseigner sind hier der Bund (25,1%), der italienische Rüstungskonzern Leonardo mit ebenfalls 25,1 % (Platz 12 in der Weltrangliste der Waffenschmieden; hierbei ist der  italienische Staat Großaktionär mit 30,2% Anteil). Weitere knapp 20 Prozent sind in der Hand von Finanzinvestoren. Auch dieser Wechsel entbehrt nicht einer gewissen Symbolik: Für die Aufwertung von Hensoldt musste der Bio-kraftstoff-Hersteller Verbio Platz machen und in den S-Dax absteigen.

Rüstungsmanager und Regierung: „Kapazitäten hochfahren“!

„Handschlagqualitäten“ verspricht sich Rheinmetall-Chef Armin Papperger vom neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius. Bei der Waffenbeschaffung für die Bundeswehr soll es also künftig zugehen wie am Viehmarkt: Rasche Auswahl, „schnelle Beschaffungswege“ und „schnelle Genehmigungsverfahren“ - Einigung per Handschlag! Der neue Kriegsminister signalisierte gleich bei Amtsantritt, er habe „keine Berührungsängste“ mit den Rüstungsindustriellen, es müsse alles nur schnell gehen: Munition und neue Panzer. Schnell die „Kapazitäten hochfahren“ ist seitdem der Schlüsselbegriff von Rüstungsmanagern und Regierung. Von einem Spitzengespräch mit dem Kanzler nimmt Hensoldt-Boss Thomas Müller den Auftrag mit: „Wir sollen die Kapazitäten hochfahren und so schnell wie möglich liefern“.

Bei Rheinmetall werden die Rüstungsgeschäfte mordsmäßig aufgestockt. Der Umsatz soll sich bis 2025 auf 12 Milliarden € verdoppeln. Der Schwerpunkt liegt auf Panzer aller Raubkatzen-Arten (Leopard, Marder, Puma, Lynx, Panther) und Munition. Der Konzern lässt es krachen: Er hat jetzt für 1,2 Mrd. Euro den spanischen Munitionsproduzenten Expal übernommen, in Ungarn wird ein neues Munitionswerk gebaut, ein weiteres in Sachsen, und die Pulverfabriken in Unterlüß werden kapazitätserweitert. Bestärkt wurde der Konzern in seinen Vorhaben durch den „Munitionsgipfel“ im November im Kanzleramt. Wenn es noch einer Illustration des Militär-Industrie-Komplexes bedurfte, dann dieser: Die Spitzen von Politik, Militär und Rüstungsindustrie treffen sich im exklusivsten politischen Amtsgebäude, um zu beraten, wie man mehr Pulver, Patronen und Granaten beschaffen könne. Geht´s eigentlich noch!? Einkauf von Mords-Krachern als Top-Regierungsakt! Mit jeder abgeschossenen Artilleriegranate fliegen drei Kindergartenplätze durch die Luft. Mit jedem Schuss eines Pumas explodieren zwei Bürgergeld-Regelsätze. Für 20 Milliarden Euro will die Bundesregierung schnellstens Munition beschaffen, kaum weniger als im Bundesetat 2023 für das Ressort Bildung und Forschung vorgesehen sind (20,5 Milliarden Euro).

Auch im Panzergeschäft will die Düsseldorfer Rheinmetall nicht nur ihre „Kapazitäten hochfahren“ - z.B. durch 3-Schicht-Betrieb – sondern zusätzliche Produktionsmöglichkeiten schaffen. Denn nach Ansicht von Rüstungsboß Papperger „liegen vor uns Jahre des starken Wachstums“. Er gehe davon aus, dass der Krieg in der Ukraine „wahrscheinlich noch Jahre“ dauern werde. Im Einklang mit der Düsseldorfer Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Strack-Zimmermann komme es seiner Ansicht nach auf Angriffswaffen, wie Kampfpanzer an, wenn die Ukraine ihr Territorium zurückerobern wolle. 600 - 800 Panzer pro Jahr müssten es für den Endsieg schon sein. Papperger preist dafür die neueste Tötungsmaschine seines Hauses an: die Eigen-Entwicklung „Panther“ - angeblich die modernste Panzer-Wunderwaffe der Welt. Mit der 130-Millimeter-Kanone (Leopard-2: 120mm) weist sie in der Tat das größte Zerstörungspotenzial auf. Papperger will einen Teil der Super-Panzer unmittelbar dort produzieren lassen, wo sie gleich in die Schlacht geschickt werden, in der Ukraine. Auch spätere Exporte ließen sich von dort mit weniger restriktiven Ausfuhrbestimmungen bewerkstelligen. Für 200 Millionen € will Papperger in der Ukraine ein Werk mit einer Kapazität von 400 Panther-Panzern pro Jahr hochziehen. Sie könnten somit gewissermaßen gleich vom Werk nach der Endabnahme über die Straße ins Schlachtfeld rollen. „Marktnahe Produktion“ nennen Manager das.

Und in die Luftrüstung steigt Rheinmetall ein. Der weltgrößte Rüstungskonzern Lockheed Martin will Rheinmetall an der Produktion der F-35-Tarnkappen-Atombomber, die Deutschland zur Fortführung der atomaren Teilhabe bestellte, beteiligen. Für alle F-35, die außerhalb der USA bestellt werden, soll Rheinmetall das Rumpf-Mittelteil produzieren. Auch dafür wird in Deutschland ein neues Rheinmetall-Werk hochgezogen. Armin Papperger: „Die langjährige Partnerschaft zwischen Lockheed Martin und Rheinmetall sowie die seit Jahrzehnten bestehenden sehr engen Verbindungen zwischen der Bundeswehr und unserem Unternehmen führen zu einem echten Know-how-Transfer an den Standort Deutschlands“. Der deutsche MIK internationalisiert sich.

Kein Zweifel, es entstehen in nächster Zeit Rüstungskapazitäten in neuen Dimensionen. Rheinmetall sei hier nur als Beispiel angeführt. Und in Verbindung damit kommt es zu einer neuen Konzentrationswelle im Rüstungsgeschäft. Sie wird von den Rüstungsmanagern von der Politik offen eingefordert. Hensoldt-Boss Thomas Müller im SZ-Interview (28.2.23): „Wir haben viel zu viele Rüstungsunternehmen, auch viele kleine. Wir brauchen mehr Fusionen in Europa!“. Ein Hebel dazu wird die staatliche Auftragsvergabe sein; auch die EU-Kommission müsse strukturbereinigend und rüstungs-koordinierend auf europäischer Ebene tätig sein, so Müller. Er fordert dafür ein eigenes EU-Verteidigungsbudget in der Größenordnung von etwa „500 Milliarden Euro für die nächsten drei bis fünf Jahre“. Es dürften sich dadurch in absehbarer Zeit auch auf EU-Ebene Rüstungs-Großkonzerne herausbilden, die im globalen Ranking der Waffenschmieden unter den Top-20 landen.

Mit deutscher Beteiligung ist unter den Top 20 bislang nur die transeuropäische Airbus Defence & Space vertreten (Platz 15; die britische BAE- Systems ist auf Platz 6. Der größte deutsche Rüstungskonzern, Rheinmetall mit 30.000 Beschäftigten., rangiert auf Platz 31 der globalen Top 100 Rüstungskonzerne:Thyssen-Krupp (Platz 55), Hensoldt (69) und Diehl 99. Transeuropäische Gemeinschaftsunternehmen mit deutscher Beteiligung sind neben Airbus (deutscher und französischer Staat je 10,9%, spanischer Staat 4,1%, 11% US-Fonds/Vermögensverwalter) der Lenkwaffenkonzern MBDA (Platz 27), Airbus, BAE-Systems, Leonardo, KNDS (Krauss-Maffei-Wegmann und Nexter (Fr). Ansonsten ist die deutsche Rüstungsindustrie mittelständisch und in Familienbetrieben organisiert, enthält also großes Fusions- und Übernahmepotenzial.

„Zeitenwende in den Köpfen“

Mit den hochfahrenden Kapazitäten und den zu erwartenden Konzentrationsprozessen wird in der EU und respektive in Deutschland die Rüstungsindustrie als materielle Basis des Militär-Industrie-Komplexes (MIK) enorm ausgeweitet und gestärkt. Der Einfluss des MIK auf Politik und Gesellschaft, die Militarisierung aller Bereiche nimmt dadurch neue Dimensionen an.

Alle Fabrikanten des Todes und auch der Kriegsminister sind sich einig; Die 100 Milliarden „Sondervermögen“ für die Bundeswehr „reichen nicht“, auch der 2%-Anteil der Rüstungsausgaben am BIP nicht. Sie sind gerade mal der Einstieg in eine neue Rüstungsära. „Wir brauchen Aufträge und die notwendigen Mittel“, meint Hensoldt-Boss Müller. „Und das sind mittelfristig gesehen eher 300 als 100 Milliarden Euro“.

Aber nicht nur die neuen Dimensionen der Waffengeschäfte und die platzenden Rüstungsetats markieren den „Einstieg in die Kriegswirtschaft“. Auch die restliche Zivilwirtschaft kann unter die Dominanz und das Diktat der „Rüstungsindustrie“ geraten, weil diese bei Zulieferern, Lieferketten, wichtigen Komponenten (z.B. High-End-Chips) und strategischen Rohstoffen Vorrang hat; und auch Vorfahrt bei Fachkräften erwirkt. „Strategische Priorisierung“ nennt das der High-Tech-Waffenkonzern Hensoldt, wenn z.B. bestimmte Teile durch die Regierung als sicherheitsrelevant eingestuft werden. Nach Thomas Müller bedeutet dies, „dass die Rüstungsindustrie bei bestimmten Teilen priorisiert, also vor den anderen beliefert wird – und dass durch Anzahlungen die Lieferkette abgesichert wird. Die Überlegungen dazu sind recht weit fortgeschritten“.

Politiker wie der EU-Binnenmarktkommissar Breton sprechen sich offen für die ökonomische Mobilmachung aus: Es gehe darum „eine Kriegswirtschaft aufzubauen“ (HB, 9.3.23). Der CSU-Vize und Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europa-Parlament, Manfred Weber, fordert „eine Art Kriegswirtschaft, um Stabilität und Sicherheit gewährleisten zu können (SZ, 25.2.23). Ex-Siko-Chef Wolfgang Ischinger sagte   schon im November 2022, dass Deutschland eine Kriegswirtschaft brauche. Man dürfe „nicht kleckern, sondern klotzen, was das Hochfahren von Munitionsherstellung und Rüstungsproduktion betrifft. Es ist Krieg in Europa, und die Zeitenwende hat erst gerade begonnen“ (zit. nach HB,9.3.23).

Diese Priorisierung und Bevorzugung des Militärischen in Wirtschaft und Gesellschaft, wird ohne Gehirnwäsche der Bevölkerung, ohne politisches und mediales Trommelfeuer für Rüstungs- und Kriegsbereitschaft nicht zu erreichen sein. Ex-Bundeswehroffizier und jetziger Chef der Airbus-Rüstungssparte (Airbus-Defence and Space), Michael Schöllhorn, hat das klar erkannt: „Die eigentliche Zeitenwende ist die, die in den Köpfen der deutschen Bevölkerung stattfinden muss. Und ich hoffe, dass das passiert“, so der Rüstungsindustrielle. Und: „Ich glaube, die Politik hat erkannt, dass wir hier nachhaltig umsteuern müssen.  Ob ein verstärkter Fokus auf Verteidigung von der Bevölkerung getragen wird und ob das ...  auch  dauerhaft so bleibt, müssen wir sehen“ (SZ, 18.2.23). Insgesamt bedürfe es eines „Kulturwandels in Industrie und Gesellschaft“.