Das Votum war eindeutig und ein Riesenerfolg: 56,4% der Wähler, über eine Million Menschen, stimmten für die Enteignung der Deutschen Wohnen & Co, nach Artikel 15 Grundgesetz; nur 39% waren dagegen. Einmalig in der Geschichte der BRD. Die hohe Zustimmung widerspiegelt, wie sehr das Problem der horrenden Mieten den Berliner*innen, wie auch anderen Großstädtern auf den Nägeln brennt, weil dadurch buchstäblich ihr schwer verdientes Geld verbrannt wird. Die designierte Senatsführung juckt der Volkswille wenig. Entgegen dem Willen der LINKEN, die den Volksentscheid per Gesetz schnell durch- und umsetzen wollen, schiebt die Senatsmehrheit die Umsetzung auf die lange Bank: Eine Expertenkommission soll nach einem Jahr Vorschläge machen. Ein Gesetz soll „gegebenenfalls“ 2023 vorgelegt und dann diskutiert werden, die Sache soll planvoll vertagt werden. Die künftige Regierende Bürgermeisterin Giffey hatte bereits im Vorfeld erklärt, eine Enteignung sei mit ihr nicht zu machen. Sie erklärte das zur „roten Linie“, die sie nicht übertreten werde. Mit ihrer roten Linie streicht sie gewissermaßen den demokratischen Bürgerwillen und das Grundrecht der Menschen auf bezahlbaren Wohnraum durch. Zudem betete sie mehrmals runter, dass durch Enteignung „keine einzige neue Wohnung entstehe“. Ihr Plagiat ist diesmal von den Wohnungskonzernen abgeschrieben und beweist nur, dass sie nichts von BWL und Wohnungswirtschaft versteht. Es ist erstens falsch und zweitens gar nicht das Ziel des Volksentscheids, neue Wohnungen zu schaffen, sondern die betreffenden Wohnungen bezahlbar zu machen und damit ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Über eine Million Menschen fordern die Überführung in „Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft“ (Art. 15 GG). Das bedeutet primär, dass in Berlin 240.000 Wohnungen, die in den Händen von Vonovia/Deutsche Wohnen und anderen Wohnungsgesellschaften mit mehr als 3000 Wohnungen sind, aus der Markt- und Profitlogik herausgenommen werden, nicht mehr als Ware fungieren, mit der spekuliert, geschachert und Mietwucher getrieben werden kann. Eine Form der Gemeinwirtschaft im Wohnungswesen wären z.B. die Wohnungsgenossenschaften, die aufgrund ihres Gemeinnützigkeitsstatus gar keine Gewinne machen dürfen, dafür eine Reihe von Steuerprivilegien genießen. Anders die zu enteignenden Wohnungskonzerne, wie Vonovia, Deutsche Wohnen, LEG, Adler usw., deren primäres Ziel es ist, einen möglichst hohen Profit aus den Mietern herauszuschlagen. Und nicht zu wenig, wie der im DAX, dem deutschen Leitindex gelistete Vonovia-Konzern zeigt, aber auch der anderen börsennotierten Wohnungskonzerne. Allein mit den Milliarden-Gewinnen von Vonovia könnte man sehr wohl Wohnungen bauen, jährlich Tausende, statt die von den Mietern eingetriebenen Gelder an die Aktionäre auszuschütten oder für Übernahmeschlachten zu verwenden. Frau Giffey muß Farbe bekennen, was ihr wichtiger ist. Die Deutsche Wohnen – Slogan: „Für Menschen“ - fuhr im Corona-Jahr 2020 einen Nettogewinn (nach Steuern) von 1,543 Milliarden Euro ein. Vonovia - „Slogan: Wohnen innovativ denken“ - im gleichen Jahr 3,340 Milliarden – ein Plus von 158%. Zusammen also 4,883 Milliarden Euro. Mit dem Geld könnte man im Mietwohnungsbau rund gut 25.000 neue Wohnungen schaffen (Geschoss-Wohnung mit 70 qm).
Jeder Miethaushalt zahlt im Durchschnitt 190 Euro Dividende an die Aktionäre
Was aber machen die Immobilienkonzerne mit den Milliarden-Profiten? Einen Teil schütten sie an die Shareholder aus – Menschen oder Fonds, die „das Geld für sich arbeiten lassen“. Deutsche Wohnen schüttete 23 Prozent des im Geschäftsjahr 2020 erzielten Gewinns im Jahr 2021 als Dividende an die Aktionäre aus. Pro Aktie um 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Vonovia beglückte die Aktionäre mit fast einer Milliarde (972 Millionen) Euro an Dividenden. Rechnet man die Dividendenzahlungen direkt auf die einzelnen Mietverträge um, dann hat im Durchschnitt jede Mietpartei monatlich bei Deutsche Wohnen 190 Euro und bei Vonovia 195 Euro an die Aktionäre gezahlt. Andersherum: Würden keine Dividende bezahlt, könnte man die Mieten sofort um durchschnittlich 190 Euro senken. Wer aber sind die Aktionäre? Die Shareholder sind größtenteils Institutionelle Anleger – Fonds, Versicherungen, Vermögensverwaltungsgesellschaften, allen voran der weltgrößte Multi-Millionärs-Vermögensverwalter BlackRock; er ist an den vier größten börsennotierten Wohnungskonzernen beteiligt, als größter oder zweitgrößter Einzelaktionär; an Vonovia 7,3%, Deutsche Wohnen 6,83%, LEG 9,4%, TAG 8,1%. Bei Vonovia beträgt der BlackRock-Anteil 8,9%; nur getoppt von der Norges Bank mit 6,3%, die den norwegischen Staatsfonds managt. Etwas absurd, dass die Mieter in Deutschland für die Rendite eines norwegischen Altersfonds blechen, der aus Öl- und Gasprofiten aufgebaut wurde. Nur 8,6% der Vonovia-Aktien sind in Deutschland deponiert, 24,2% werden von britischen Shareholdern, 29,9% von US-amerikanischen gehalten, 31,1% weitere Kontinentaleuropäern, 6,2% vom Rest der Welt. Die Mieter sind so die Melkkühe, die Vermögende in aller Welt noch reicher machen.
Monopoly im Mietwohnungssektor
Was ein Grundrecht sein sollte, wird im Kapitalismus zur Ware: Vier Wände mit einem Dach darüber. Eine Ware, die sich aufgrund der Knappheit besonders gut verwerten und mit der sich hervorragend spekulieren lässt. Privatwirtschaftliche Wohnungskonzerne sehen keinen Grund Wohnungen zu bauen, wenn sie diese billig kaufen können. Am liebsten im Zehntausender-Pack, indem sie kleinere Wohnungsunternehmen übernehmen oder ehemalige staatliche und städtische Wohnungsgesellschaften oder auch ehemalige Werkswohnungen einsammeln. Sie schaffen in der Tat keine neuen Wohnungen. Um sein unsoziales Image aufzupolieren, seinen parasitären Charakter zu kaschieren, hat Vonovia jetzt bekannt gegeben, dass man in Zukunft auch Wohnungen bauen werde. Augenwischerei! Es steht aber in den Sternen, wann diese Zukunft beginnt. Die Vorliebe von Immo-Konzernen für die Übernahme oder Beteiligung an ganzen Wohnungskonzernen und -unternehmen, hat auch einen steuerlichen Grund. Beim Erwerb eines Hauses oder Wohnung wird Grunderwerbsteuer fällig, je nach Bundesland/Kommune zwischen 3,5 und 6,5%. Wer allerdings Immobilien nicht direkt kauft, sondern „nur“ Anteile an einem anderen Wohnungsunternehmen erwirbt, zahlt überhaupt keine Grunderwerbsteuer. Einzige Bedingung: Der Käufer darf nicht mehr als 95% der Anteile übernehmen. Am aggressivsten expandiert der Vonovia-Konzern, der Weiße-Hai im Miet-Haifischbecken 2013, kurz vor dem Börsengang hatte Vonovia – damals noch als Deutsche Annington – 180.000 Wohnungen im Portefeuille. 2021, vor der Übernahme von Deutsche Wohnen, war dieser Bestand auf knapp 416.000 Einheiten angewachsen. Bereits 2016 wollte Vonovia die gesamte Deutsche Wohnen schlucken, was zunächst misslang. Auch ein zweiter Versuch scheiterte. Erst im dritten Anlauf klappte die Übernahme des ebenfalls im Dax notierten Konzerns, mit einem Bestand von 155.000 Wohnungen der zweitgrößte deutsche Wohnungskonzern. Vonovia hat bis Ende November 87% der Deutsche-Wohnen-Aktien eingesammelt. „Damit entsteht ein Immobilienriese mit rund 568.000 Wohnungen, die einen Verkehrswert von nunmehr 95,4 Milliarden Euro haben“. Es ist der mit Abstand größte Immobilien-Konzern Europas. In acht Jahren hat sich sein Wohnungs-Pool mehr als verdreifacht. Vonovia streckt seine Fangarme immer stärker nach Europa aus: In Österreich erwarb der Konzern 22.153 Wohnungen, in Schweden 38.248, wo er inzwischen Marktführer ist.
Aktionärsstruktur Vonovia & Deutsche Wohnen nach der Übernahme
Vonovia – größte Aktionäre
BlackRock | 7,3% |
Norges | 6,3% |
Fidelity | 3,3% |
DWS | 3,2% |
APG | 3,0% |
Streubesitz: | 76,9% |
Vonovia-Zwischenmitteilung Q1 / 2021 |
Kennzahlen Vonovia
Umsatz | 4,4 Mrd. € |
Börsenwert | 30,3 Mrd. € |
Nettoergebnis | 3,3 Mrd. € |
Dividendenrendite | 2,83 % |
Eigenkapitalrendite | 15,21 % |
Die Übernahme der Deutsche Wohnen kostet 17 - 19 Milliarden Euro; womit sich zugleich die Frage beantwortet, was Vonovia mit dem Teil des Gewinns macht, den der Konzern nicht als Dividende ausschüttet: 71 Prozent: weiter Wohnungen aufkaufen! Für die jetzige Großfusion reichen die angesammelten Gewinne nicht ganz, weshalb der Immobilienkonzern auf dem Kapitalmarkt acht Milliarden Euro einsammeln will. Kein Problem, hat man doch die Mieter als zuverlässige Melkkühe in Reserve. So will das Vonovia-Management den Expansionskurs trotz Kreditaufnahme zur Finanzierung der Deutsche Wohnen Übernahme unvermindert fortsetzen. Als jetzt der angeschlagene - im S-Dax notierte Adler-Wohnungskonzern (Sitz: Luxemburg) - bekanntgab, dass er zum Schuldenabbau Tausende von Mietwohnungen verhökern will, war Vonovia sofort wieder zur Stelle. Etwa 1,5 Milliarden Euro sollen die 14.300 Wohnungen Adler einbringen. Es scheint aber so, dass im Haifischbecken der drittgrößte Wohnungskonzern LEG Immobilien (M-Dax) die Schnauze vorne hat und seinen Wohnungsbestand aufstocken kann. Vonovia scheint dagegen bei Adler auf´s Ganze zu gehen. Es hatte sich im Gegenzug für ein Darlehen an den Adler Großaktionär Aggregate eine Option zum Kauf von 13,3 Prozent an Adler gesichert. Sollte Aggregate das Geld nicht zurückzahlen können, erhielte Vonovia sogar dessen gesamtes Aktienpaket von 26,6%. Zur Imagepflege und als Baldriantropfen für die Öffentlichkeit machte Vonovia (damals noch mit Deutsche Wohnen) eine Reihe von Vorschlägen: 14.750 Wohnungen und 450 Gewerbeeinheiten in der Hauptstadt sollen für 2,46 Milliarden Euro an das Land Berlin verkauft werden. Außerdem gibt es konkrete Zusagen für die Mietentwicklung: Sie sollen in den nächsten drei Jahren jeweils nur um jeweils ein Prozent steigen, in den beiden folgenden Jahren nicht stärker als die Inflationsrate. Nach energetischen Sanierungen verpflichten sich die Unternehmen, die Miete nur um 2 Euro pro Quadratmeter zu erhöhen – erlaubt sind drei Euro. Zudem sollen in einem noch nicht näher definierten Zeitraum, also am Sankt Nimmerleinstag, 13.000 neue Wohnungen gebaut werden. Diese Blendgranaten sollen davon ablenken, dass aus den Mietern nach wie vor „Soviel herausgeholt (werde), wie gerade noch möglich ist“, wie es der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten formulierte. „Und nach Möglichkeit noch etwas mehr“.
Börsennotierte Wohnungskonzerne nach Wohnungsbestand
Quelle: Statista, HB, Stand 31.12.2020; bei Vonovia Nov. 2021
Ziel des Volksentscheids: Mietstopp und bezahlbarer Wohnraum
Die Wohnungskonzerne gestehen damit ein, dass sie bislang trotz horrender Profite „keine einzige neue Wohnung“ geschaffen haben. Sie schütteten die Milliardengewinne an die Aktionäre aus, kauften Tausende Wohnungen zu und haben bestenfalls Gebäude renoviert, die Wohnungen aufgemöbelt und luxussaniert und die bisherigen Mieter mit horrenden neuen Mietzinsen hinausgedrängt. Ziel des Berliner Volksentscheids ist nicht primär neue Wohnungen zu bauen. Es geht vornehmlich darum in Berlin 240.000 Wohnungen aus der Mietpreis- und heiß laufenden Profitspirale herauszunehmen: überhöhte Mieten zu senken oder wie beim „Mietendeckel“ einzufrieren; also bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu erhalten. Das ist der Grund, weshalb über eine Million Berlinerinnen und Berliner die Eigentumsfrage mit der Enteignungsforderung beantwortet haben. Rolf Buch, Vorstandsvorsitzender von Vonovia gesteht das Problem ein, zieht aber groteske Schlussfolgerungen daraus: „Der Volksentscheid für die Enteignung von Wohnungs-Unternehmen in Berlin hat den Druck auf die politischen Entscheider noch mal verstärkt. Klar ist: Die Politik muss die Sorgen der Menschen, ob sie ihre Miete künftig noch bezahlen können, ernst nehmen und Lösungen erarbeiten. Eine Enteignung allergings ist kein geeigneter Weg, die Ursachen der Wohnungsnot zu beheben. Der Zusammenschluss von Vonovia und Deutscher Wohnen bietet eine Chance, die Herausforderungen besser zu meistern“ (HB, 26.1021). Das hieße, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Eine Konzentration von Wohnungen in der Verfügung eines Superkonzerns als Garantie für ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum! Verarschen können sich die Mieter selbst. Die Politik aber spielt auf Zeit, in der Hoffnung, dass das Anliegen von 56,4 Prozent der Berliner Bürger im Sand verläuft und in Vergessenheit gerät. Gut ein Jahr soll die „Expertenkommission“ Zeit bekommen, erste Vorschläge vorzulegen und die Verfassungsmäßigkeit des Volksentscheids zu prüfen. Dabei ist die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit bereits von sieben Gutachten (darunter des Senats und des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags) positiv bescheinigt worden. Die Enteignung ist rechtlich möglich und politisch gewollt. Der Bau- und Zivilrechtler Volkert Vorwerk sieht einen Eingriff des Gesetzgebers zur Sozialisierung von Wohnraum als möglich an, um bei ständig steigenden Mieten und angespanntem Wohnraumangebot einer „Verarmung von Mietern entgegenzuwirken“.