Das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) blickt auf ein 30-jähriges Bestehen. Die isw-Redaktion spricht mit langjährig aktiven Autor*innen, die den Werdegang des Instituts durch Analysen und Recherchen begleitet und geprägt haben, erläutern ihr persönliches Engagement für die alternative Darstellung gesellschaftspolitischer Zusammenhänge.
isw-Redaktion: „Was hat Euch vor dreißig Jahren bewogen, das isw zu gründen?“
Fred Schmid: Flapsig gesagt: Zorn, Trotz und ein Schuss (Über-)Mut. Ausbuchstabiert und genauer: Das isw wurde im Jahr 1990 gegründet, mitten in der sogenannten Wende-Zeit: Gekennzeichnet durch die Implosion des realen Sozialismus in der DDR und in Osteuropa, Siegeszug des Neoliberalismus, die kapitalistische Marktwirtschaft wurde zum „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) proklamiert, selbst einige Linke entdeckten die „unsichtbare Hand des Marktes“ - links sein war nicht gerade „in“, Resignation lähmte viele demokratische und fortschrittliche Menschen und Bewegungen - magere Zeiten für alternative Kräfte. In dieser Situation sagten wir uns, „das kanns ja wohl nicht gewesen sein!“ - haben sich etwa die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse grundlegend geändert? Gibt es keine Ausbeutung und Profitmacherei mehr - alles Friede, Freude, Eierkuchen? „Wir“, das war ein kleines Häuflein Gewerkschafter, Betriebsräte und Jugendvertreter, kritische Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler – allesamt abzählbar an zwei Händen. Wir trafen uns damals schon seit einiger Zeit in einem „Wirtschaftspolitischen Arbeitskreis“, diskutierten „linke Strategien“ und ökonomische Zusammenhänge. Bei einer Zusammenkunft sagte dann plötzlich ein Gewerkschaftskollege: „Wir brauchen ein linkes Institut“. - Ungläubiges Staunen in der Runde: Ja, schon, aber woher nehmen und nicht stehlen? - „Wir müssen es selber machen“, so der Gewerkschafter. - „Ja, träum weiter“! - Da der Kollege aber nicht lockerließ, andere ihn nach und nach unterstützten, drehte sich die Stimmung und frei nach Oskar Maria Graf gabs den Konsens: „Nacha gründ‘ ma halt a Institut, damit a Ruah is“. Mitte 1990, machten sich dann neun Gründungsväter, leider keine einzige Gründungsmutter, auf zum Notar und ließen das isw ins Vereinsregister eintragen, mit dem hochtrabenden und etwas sperrigen Namen: „Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) e.V“. In der Tat mutig! Denn ja, auf dem Papier hatten wir nun ein Institut, mehr ein virtuelles, denn Räume gab´s schon mal keine, wir entdeckten schon damals das Home-Office mit eigenem PC für unsere Arbeit und Kommunikation; die Instituts-Finanzen bestanden aus ein paar Scheinen, die wir selbst in die Kasse eingelegt hatten. Und „sozial-ökologische Wirtschaftsforschung“? Das war vorerst nur ein großer Anspruch, schwer zu erfüllen, denn die Kräfte waren gering. Zudem waren wir alle berufstätig und direkt vom Ökonomiefach waren nur zwei studierte Wirtschaftswissenschaftler unter uns. Unsere erste „Studie“, die wir veröffentlichten, war ein Referat von mir, das ich vor verschiedenen Gremien gehalten und ergänzt hatte: „Die Schlacht um den Weltmarkt – Thesen zur Globalstrategie bundesdeutscher Konzerne“. Die 12 Seiten nudelten wir eigenhändig im Copy-Shop ab und hefteten sie samt rotem Deckblatt mit dem Klammeraffen. Dann verschickten wir die Exemplare an die etwa 400 Adressen, die wir zusammengetragen hatten.
Und nun geschah etwas, womit wir so nicht gerechnet hatten und was die weitere Entwicklung des isw entscheidend beeinflusste. Fast alle Empfänger der Broschüren bezahlten uns die entstandenen Unkosten, meist verbunden mit einer kleinen Spende. Aber noch wichtiger: Etwa die Hälfte der Bezieher füllte den Vordruck zur Bestellung möglicher weiterer Publikationen aus. Dieses tolle Feedback ermunterte und verpflichtete uns zum Weitermachen. Uns wurde klar, dass Konzernanalysen, Kritik der neoliberalen Globalisierung, Aufklärung über die Rolle und Macht der Multis, Themen waren, für die offenbar ein Interesse und eine „Marktlücke“ bestand. Konzernanalysen, das war dann auch unser Beitrag zu einer kritischen Wirtschaftswissenschaft. Als 1991 im zweiten Golfkrieg die USA unter Bush sen. in den Irak einmarschierten, ging es wieder um die Rolle der Konzerne, in diesem Fall der treibenden Öl-Multis in diesem Krieg. Wir analysierten das in zwei Folge-Studien „Der Krieg ums Öl“, und „Der Krieg ums Öl und Dollar-Herrschaft“, wovon wir insgesamt – größtenteils auf den zahlreichen Protest-Kundgebungen über 4.000 Stück absetzten. Auch referierten wir zu diesem und anderen Themen bei einer Reihe von Veranstaltungen, wodurch sich der Bekanntheitsgrad des isw erhöhte und auch neue Mitstreiter zu uns kamen. Ein zweites wichtiges Arbeitsgebiet, das uns von Anfang eine Verpflichtung war, ist mit dem Wort „sozial“ in unserem Instituts-Namen gekennzeichnet: Gemeint sind Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialpolitik im engeren Sinne. Wir bemühten uns, Analysen, Fakten und Argumente, alternativ zum neoliberalen Mainstream, für die betriebliche und gewerkschaftliche Arbeit und für soziale Bewegungen zu entwickeln und in unseren „wirtschaftsinfos“ und ergänzenden „Grafikdiensten/Grafikreports“ verständlich aufzubereiten, meist versehen mit Karikaturen und Grafiken. Bei gewerkschaftlichen Schulungen und Seminaren erhielten wir dann auch direkte, meist positive Rückmeldungen, vor allem weil isw-ReferentInnen wirtschaftliche Zusammenhänge in der Regel in verständlicher Form darstellen konnten. „Wissenschaft zum Anfassen“ nannten wir das. Und die Kolleginnen und Kollegen aus den Betrieben, die häufig einen Horror vor der Ökonomie hatten, machten die Erfahrung, dass polit-ökonomische Zusammenhänge auch ohne Studium zu erklären sind. Und sie gewannen die Erkenntnis dazu: Entreißt man der herrschenden Wirtschaftswissenschaft ihre Geheimsprache und ihre scheinwissenschaftliche Begrifflichkeit, dann erweist sie sich meist als Humbug; als bloße Rechtfertigung und Verbrämung bestehender Besitz- und Machtverhältnisse.
isw-Redaktion: „Gab es für das isw von Anfang an eine spezielle Ausrichtung?“
Fred Schmid: Ich meine, eine gute Kompassnadel für das isw-Schiffchen ist der Fingerzeig von Marx und Engels im Kommunistischen Manifest, in allen Bewegungen die „Eigentumsfrage … als die Grundfrage der Bewegung“ zu stellen. Das verpflichtet uns vor allem zur Analyse des Eigentums an den entscheidenden Produktionsmitteln, des strukturbestimmenden Kapitals; z.B. gegenwärtig die Analyse der Digital- und Internetkonzerne. Und im Zusammenhang damit geht es auch heute um neue Fragen der Internationalisierung von Kapital und Konzernen. Das isw hat sich seit Beginn mit der kapitalistischen Globalisierung auseinandergesetzt, hat versucht, aus marxistischer Sicht eine Theorie der Globalisierung zu entwickeln. Heute ist viel die Rede von Deglobalisierung, Ende der Globalisierung, Decoupling und Reißen der Wertschöpfungsketten, aber auch von Handels- und Wirtschaftskrieg, Sanktionen, Systemkonkurrenz – bis hin zur Gefahr eines Schießkrieges zwischen den beiden Wirtschafts-Supermächten USA und China. Zu diesen Themen wird das isw weiterhin aufklärende und alternative Beiträge leisten.