Mitte des 16. Jahrhunderts kam die Tulpenzwiebel von Konstantinopel nach Holland, und bald hatten die tüchtigen Kaufleute Hollands gelernt, dass eine Tulpenwiebel auf einem tulpenverrückten Markt mehr einbringen kann als Produkte, die erst durch Fahrten um das Kap der Guten Hoffnung oder Kap Horn herum heimgebracht wurden. Eine Tulpenzwiebel von heute brachte morgen den doppelten und dreifachen Gewinn. Der Wert der Zwiebel lag nicht in ihr – sie hatte also keinen intrinsischen Wert – sondern er lag in den Erwartungen auf zukünftige Gewinne. Die erste große Spekulationswelle war losgedonnert und brach erst mit dem Crash Anfang der 1630er Jahre ab und hinterließ eine Schar von Pleitiers, die ihren realen Reichtum hingegeben hatten gegen ein Versprechen auf zukünftige Profite, das dann nicht eingehalten wurde.
An dieses klassische Spekulationsmuster fühlt man sich erinnert, wenn einem die aktuellen Zahlen auf dem Markt der digitalen Währungen vor Augen kommen, allen voran der Bitcoin-Wert. Ein Bitcoin erzielte zu seinem Start 2012 2 US-Dollar, sechs Jahre später das Zehntausendfache, um im Mai 2020 auf 10.500 zurückzufallen, nur um Anfang 2021 auf 40.000 $ hochzuschießen, das 20.000fache des Basisjahres 2012. Bitcoin, das über zwei Drittel des Kryptomarktes ausmacht, hat die Gesamtheit aller mittlerweile über 6000 Krypto-Marken mitgezogen. Deren Gesamtkapitalisierung beläuft sich Anfang 2021 auf eine knappe Billion US-$[1]. Beim vorletzten Bitcoin-Hype 2017 hatte Heiner Flassbeck ex cathedra, soweit die linke Schul-Ökonomie einen solchen Katheder vorzuweisen hat, barsch verfügt: „Bitcoin steht für nichts.“ Es stünde keine wirtschaftliche Kapazität dahinter, „die der Rede wert wäre“. Ähnlich qualifizierte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann die Krypto-Werte (kryptein = geheim) ab, die nur einen Bruchteil der von der Zentralbank emittierten Geldmenge darstellten. Um diese Gewichtungen – die ZEIT teilt in ihrem Blatt für die gehobenen Stände jetzt kurz und bündig mit: „Bitcoin? Kann weg!“ – beurteilen zu können, fragen wir zuerst einmal nach, was Kryptowerte überhaupt sind. Im deutschen Kreditwesengesetz heißt es:
Kryptowerte im Sinne dieses Gesetzes sind digitale Darstellungen eines Wertes, der von keiner Zentralbank oder öffentlichen Stelle emittiert wurde oder garantiert wird und nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder von Geld besitzt, aber von natürlichen oder juristischen Personen aufgrund einer Vereinbarung oder tatsächlichen Übung als Tausch- oder Zahlungsmittel akzeptiert wird oder Anlagezwecken dient und der auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert oder gehandelt werden kann. § 1, Abs. 11 Satz 4 KWG
In der Gesetzesdefinition sind die beiden Hauptelemente des neuen Geldes festgehalten. Erstens handelt es sich um die digitale Darstellung eines Wertes, womit hier die Blockchain-Technologie gemeint ist, eine digitale Datenbank, die den Teilnehmern eines Netzwerks eine gemeinsame Schreib-, Lese- und Speicherberechtigung erlaubt, und in der sie die Transaktionen mit dem gemeinsamen „Token“, einem digitalen Lesezeichen abbilden und sichern können. Zweitens geht es darum, dass der Wert nicht von der Zentralbank ausgegeben wurde, sondern dass es sich um eine Vereinbarung unter natürlichen oder juristischen Personen handelt, die den Wert untereinander als Geld und Währung akzeptieren. Ob das „kann weg “, wie der Zeit-Redakteur meint, hängt sehr davon ab, wie viele Personen sich auf ein solches Token geeinigt haben und womit sie es gesichert haben – mit offiziellen Währungen, mit Wertpapieren oder sonstigen Werten. Davon hängt auch ab, wieviel mehr als Nichts die Kryptowährung wert ist. Auch das zentrale Manko wird festgehalten: dass keine gesetzliche Ermächtigung für die Kryptowerte vorliegt. Wer im Rahmen eines Kryptosystems aktiv wird, handelt auf eigenes Risiko, ob das, was er als Geld annimmt, auch von anderen in derselben Höhe angenommen wird.
isw-pezial 34: KRYPTO-Geld. Die totale Ausspähung der BürgerInnen
Die Erfinder von Bitcoin sahen dies - die private Natur des Systems, seine Unabhängigkeit von Zentral- und Privatbanken - gerade als sein Vorteil. Bitcoin entstand in den Jahren 2008 bis 2010 als unmittelbare Reaktion auf die durch den Zusammenbruch des New Yorker Bankhauses Lehman Brothers ausgelöste Finanzkrise. Unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto kündigten sie ihr neues Produkt an: „Das Kernproblem konventioneller Währungen ist das Ausmaß an Vertrauen, das nötig ist, dass sie funktionieren. Der Zentralbank muss vertraut werden, dass sie die Währung nicht entwertet, doch die Geschichte des Fiatgeldes (der Geldschöpfung per Kredit, CS) ist voll von Verrat an diesem Vertrauen. Banken muss vertraut werden, dass sie unser Geld aufbewahren und es elektronisch transferieren, doch sie verleihen es in Wellen von Kreditblasen mit einem kleinen Bruchteil an Deckung.“ Das neue System, sagt der Anonymus, ermöglicht die direkte Kooperation zweier bereitwilliger Parteien, „ohne dass eine vertrauenswürdige dritte Person benötigt wird“. Das mache die Transaktionen nicht nur verlässlicher und anonymer, sondern auch preiswerter.
Wenn Flassbeck meint, hinter Bitcoin stünde nichts, und der frühere Bundesbankchef Axel Weber wie der jetzige Jens Weidmann meinen, es fehle an gesetzlicher Legitimität, alles sei „Spuk und Irrsinn“ (Flassbeck), so drehen die Bitcoin-Erfinder das Argument geradezu um: Die staatlichen Herrscher und Schöpfer der Währung fahren diese in Komplizenschaft mit den Geschäftsbanken in regelmäßigen Abständen an die Wand. Diesen gewissenlosen Banken habe man seine Privatsphäre anvertrauen müssen, um an Geld zu kommen. Nun aber sei eine elektronische Verschlüsselung für die Masse der Nutzer verfügbar. „Mit einer elektronischen Währung, die auf einem kryptografischen Beweis beruht und keinen Mittelsmann benötigt, ist Geld sicher und kann mühelos transferiert werden.“
Nakamotos Vision trifft aber die heutige Realität nicht. Der Bitcoin-Preis heute hat so gut wie nichts mit der Werthaltigkeit des Bezahlsystems zu tun, es ist die Spekulation, die Geldgier, die ihn hochtreibt. Dass aber elektronischen Zahlsystemen die Zukunft gehört und endlich auch die Schöpfung und Verteilung des Geldes unter demokratischer Kontrolle der Nutzer – also von uns allen – gehört, ist ebenso kategorisch. Der aktuelle Hype um Bitcoin wird dabei wenig von Belang sein. Bei den Kryptowerten wird die angekündigte Schaffung des Diem/Libra-Systems von Facebook eine ebenso wichtige Rolle spielen wie das noch nicht angekündigte Eingreifen der großen Plattformen des Silicon Valley – neben Facebook vor allem Google, Amazon, Apple und Twitter (das soeben die erste elektronische Amtsenthebung eines US-Präsidenten durchgeführt hat).
Noch bedeutsamer wird die Einführung eines Digitalen Zentralbankgeldes sein, das derzeit von allen wichtigen Zentralbanken der Welt erwogen wird. Eine aktuelle Untersuchung des Internationalen Währungsfonds kommt zu dem Ergebnis, dass von untersuchten 174 IMF-Mitgliedern vierzig bereits das Recht haben, eine digitale Währung auszugeben. Allerdings ist nur zehn Zentralbanken erlaubt, digitale Zentralbankkonten für das allgemeine Publikum einzurichten, bei den übrigen könnte nur die sog. Wholesale-Alternative zum Zuge kommen, die Zentralbank gibt digitales Geld nur an die Geschäftsbanken, die es dann weiterverleihen könnten an Private.
Die um den Krypto-Komplex kreisenden Fragen betreffen zentrale Elemente unserer Gesellschaft. Es geht um die Kontrolle und Verfügung auch der persönlichsten aller Daten (die Facebook-Datei spendiert dann ein lückenloses Kauf- und Behördenverhalten inklusive sexueller, politischer oder kultureller Orientierung von heute 2,7 Milliarden Nutzern, andere Plattformen sind kaum weniger leistungsfähig); und um die Frage, ob und wie wir neben den immer noch defizitären Ebenen Legislative, Exekutive und Judikative endlich auch die „Monetative“, das Schöpfen und Verteilen des Geldes, unter demokratische Kontrolle bekommen (vgl.: isw-spezial 34: KRYPTO-Geld. Die totale Ausspähung der BürgerInnen).
[1] CoinmarketCap Daily Newsletter, 16.12. 2020; 03.01.2021; 15.01.2021