Es geht um Milliarden und Abermilliarden. Die Coronahilfen in Deutschland und in der EU summieren sich zu schwindelerregenden Beträgen. In Deutschland wurden bereits Hilfsprogramme im Umfang von rund 1.200 Milliarden vereinbart, nach den Beschlüssen vom 03. Juni kommen noch einmal 130 Milliarden für ein Konjunkturpaket dazu. Die EU stellt nach dem Merkel / Macron Vorschlag derzeit weitere 750 Milliarden in Aussicht, die EZB erweitert ihr Ankaufprogramm auf sagenhafte 1.350 Milliarden Euro.

Und da fragen sich nicht nur einige Bedenkenträger: Wer soll das alles denn bitteschön bezahlen?

Clemens Fuest, Chef des ifo-Instituts, sagt bereits jetzt vorsorglich Steuererhöhungen für die Zeit nach der Coronakrise vorher, der „Spiegel“ und viele Fernsehkommentatoren sorgen sich rührend um die junge Generation, („Generation Corona“) die ihrer Meinung nach für die „aufgetürmten Staatsschulden“ geradestehen muss.

Werden wir also in einer Flut von Coronaschulden ertrinken? 

Bedarf

Zunächst einmal ist die Diskussion ein wenig abgehoben: Wenn man die Coronahilfen nicht leisten würde, hätten wir in Deutschland und Europa eine dramatische Verschärfung der ohnehin schon dramatischen Krise, einen nie dagewesenen Wirtschaftszusammenbruch und eine explodierende Massenarbeitslosigkeit. Dass die europäischen Staaten und die EU dagegen Geld in die Wirtschaft pumpen, muss sein.

Allerdings kann man sich darüber streiten, wie und wohin das Geld fließen soll. Deshalb scheint derzeit wieder einmal eine große Zeit für Lobbyisten zu sein, die in den vergangenen Wochen beispielsweise Kaufprämien für Autos durchsetzen oder anderweitig Großkonzerne alimentieren wollten, die gleichzeitig dicke Dividenden zahlen.

Die Hauptrichtung müsste eine andere sein: Die ökonomischen Corona-Probleme resultieren aus durchaus notwendigen, staatlich verordneten Produktionseinstellungen. Wenn Menschen aufgrund staatlicher Anordnung ihren Lebensunterhalt nicht mehr verdienen können, ist es nur logisch, dass eben derselbe Staat einspringen und den Verdienstausfall kompensieren muss. Demzufolge sind im Prinzip alle Vorschläge sinnvoll, die schlichtweg einen Ausgleich sämtlicher Einkommens- und Ertragseinbußen sicherstellen wollen („monetäre Brücke“) und weder teure, lobbygetriebene Subventionen für Konzerne noch einen Flickenteppich völlig unterschiedlicher Maßnahmen beinhalten.

Woher kommt das Geld?

Aber natürlich stellt sich die Frage, woher das Geld für all diese Programme kommen soll. Anders als oftmals suggeriert, stammt es nur geringfügig aus Steuergeldern. Womit auch die  beispielsweise bei der AfD beliebte Behauptung unsinnig ist, “wir“ würden in den EU-Hilfsprogrammen mit unseren Steuern Italiener oder Griechen dafür bezahlen, dass sie früher in Rente gehen oder sich teure Wohnungen kaufen können.

Letztlich werden die Mittel überwiegend durch Kreditaufnahme erbracht. Zu einem Teil werden diese Gelder von den Staaten auch nicht einmal direkt aufgenommen, sondern, wie etwa im Fall der KfW-Hilfen für den Mittelstand, nur verbürgt. Die Kredite an die Unternehmen selbst werden von den Banken vergeben und stehen in den Büchern der Kreditinstitute.

Doch natürlich erhöhen die vom Staat direkt finanzierten Maßnahmen die Staatsschulden.

Entscheidend für die Beurteilung dieser Verbindlichkeiten ist aber, wer sie hält, wer also die Gläubiger sind.

Nun sollte es sich herumgesprochen haben, dass die Finanzierung der EWU-Länder bereits seit Ausgang der „Eurokrise“ Großteils durch die EZB erfolgt. Die EZB hat in den vergangen Jahren Staatsschulden von etwas über 2.000 Milliarden € aufgekauft und das neue 1.350 Milliarden € schwere Ankaufprogramm steht schon bereit.

Das Geld für diese Aufkäufe produziert die EZB selbst. Zentralbanken haben die Kompetenz und die Aufgabe der Geldschöpfung. Sie schaffen also Geld und Kredit aus dem Nichts.

Durch diese Kaufprogramme stieg beispielsweise der Anteil der EZB an den gesamten emittierten deutschen Staatspapieren zwischen 2013 und 2019 von Null auf 27,6 %. Ein Betrag von nicht ganz 530 Milliarden, der zeigt, dass in den letzten Jahren große Teile der neu aufgenommenen öffentlichen Kredite bei der EZB gelandet sind. Und damit ist die Frage „Wer soll das bezahlen“ im Prinzip bereits gelöst: Die Zentralbank, aufgrund ihrer Geldschöpfungskompetenz!

Was ändert das?

Aber halt, kommt da der Einwand: Was ändert das? – wir alle müssen dann die Schulden eben an die Zentralbank zurückzahlen. Verschuldung bleibt doch Verschuldung, der Schuldenberg muss abgetragen werden!

Eben nicht! Die Zentralbank gehört letztlich den Staaten. Die „Schulden“ an die Zentralbank sind Schulden der Staaten an sich selber – und damit keine. Und schon gar nicht müssen sie zurückgezahlt werden. Die EZB kann die Staatspapiere auf unbegrenzte Zeit in der Bilanz halten, sie könnte sie formell auch ausbuchen oder langfristig abschreiben, ohne dass irgendetwas passieren würde. Die gerade in Deutschland verbreitete Schuldenphobie ist damit weitgehend grundlos.

Dass neoliberale Wirtschaftspolitiker und Regierungen, Wirtschaftsforschungsinstitute und Ökonomieprofessoren immer wieder den Abbau von Staatschulden fordern, Schuldengrenzen definieren oder die „schwarze Null“ erfinden, hat ganz andere Gründe. Sie wollen die Staatsfinanzierung durch die Zentralbank verhindern, um die Staaten „marktkonform“ den Finanzmärkten und deren Profitmaximierung zu unterwerfen.

Müssen Staaten ihre Schulden abbauen? 

Aber natürlich ist die Wirklichkeit etwas komplizierter. Die EZB kauft ja nun nicht alle Staatschulden auf. Es bleibt also ein Teil, der über die Geschäftsbanken und die Kapitalmärkte finanziert wird. Und die Kredite von Geschäftsbanken müssen natürlich irgendwann zurückgezahlt werden. Allerdings bedeutet auch das nicht, dass die Staaten zwingend ihre Verschuldung insgesamt reduzieren müssen. Sie können revolvieren, das heißt einen Kredit dadurch zurückzahlen, dass sie einen neuen in selber Höhe aufnehmen. Der Schuldenstand bleibt damit unverändert.

Nun wird vor allem in Deutschland seit Jahren das Mantra von den stets zu hohen Staatschulden ständig wiederholt und „Schuldenabbau“ ist ein zentraler Bestandteil allen konservativen wirtschaftspolitischen Denkens. Wenn man reale ökonomische Zusammenhänge betrachtet, muss man sich allerdings fragen, wie man derartige Positionen ernsthaft vertreten kann.

Stellen wir uns vor, alle Euroländer würde ihre Staatsschulden abbauen, jedes Jahr also Milliarden an die Sparer und Investoren zurückzahlen. Was macht der „deutsche Sparer“, wenn er sein Geld zurückbekommt und es nicht mehr neu in Bundespapieren oder in all den Fonds anlegen kann, die auf Staatspapieren beruhen? Was machen Versicherungen oder Rentenkassen, wenn sie keine Anlagemöglichkeiten mehr haben, weil die Staaten kein Geld mehr annehmen? Kurzum: Würden alle Länder ihre Schulden abbauen, würde vermutlich das gesamte Geld- und Finanzsystem zusammenbrechen.

Dazu kommt außerdem noch, dass dieser Abbau eine massive Reduzierung der Staatsausgaben voraussetzt. Damit würde ein Teil der staatlichen Nachfrage wegbrechen und die Wirtschaft in eine Dauerkrise verfallen.

Letztlich gilt: Jedem Sparer muss ein Kreditnehmer gegenüberstehen, sonst funktioniert das System nicht. Dass sich niemand mehr verschulden darf, aber alle sparen sollen, ist ein merkwürdiger Gedanke.

Fazit: Die Coronalasten lassen sich durch die EZB finanzieren, ohne dass dadurch eine reale Verschuldung der Staaten entstehen muss. Ein (rascher) Abbau von Staatsschulden nach der Coronakrise würde die Wirtschaft und das Geldsystem in eine existenzielle Krise führen.

Null Problemo?

Aber noch ein Hinweis für Skeptiker: Natürlich sind Verschuldung und EZB-Finanzierung nicht völlig problemfrei.

  • Die Höhe der Staatsschulden wird dann zu einem Problem, wenn die Zinsen auf kapitalmarktfinanzierte Anleihen wieder steigen und damit höhere Zinsbelastungen der Haushalte entstehen würden.
  • Permanente Staatsfinanzierung über die Notenbank kann inflationär wirken. Diese Wirkung ist an den Gütermärkten derzeit allerdings so gut wie ausgeschlossen.
  • Staatsfinanzierung durch die Zentralbank kann zu einer Inflation der Vermögenswerte führen, also zu Blasen an den Finanzmärkten. Ob und in welchem Umfang sich solche Blasen gebildet haben, kann der Autor dieser Zeilen nicht seriös einschätzen. Jedenfalls waren die Finanzmärkte in den vergangenen Monaten der Coronakrise erstaunlich robust.
  • Die mit den Aufkaufprogrammen der EZB zusammenhängende Nullzinspolitik hat massive negative Auswirkungen für die private Vermögenssicherung.
  • Staatsfinanzierung durch die Notenbank ändert wenig an den grundlegenden ökonomischen Problemen der Eurozone, die sich beispielsweise in einer steigenden Divergenz der Mitgliedsländer, also im Auseinanderfallen in Verlierer und Gewinner der Wirtschafts- und Währungsunion ausdrücken. Und sie ändert erst recht nichts am ständigen Marktversagen marktwirtschaftlich-kapitalistischer Ökonomien.

Aber trotz dieser „Warnhinweise“: Die ständige Behauptung die Coronahilfen kämen „uns“ irgendwann furchtbar teuer zu stehen und das ökonomische Hauptproblem unserer Zeit seien explodierende Schulden, ist meistens Propaganda von Leuten, die entweder den deutschen Nationalismus anheizen, oder die Staaten Europas völlig den Kapitalmärkten unterwerfen wollen.

Die Verschuldung wird nur dann zu einem Problem für die Menschen in Deutschland und Europa, wenn neoliberale Wirtschaftspolitiker den Abbau von Schulden erzwingen, die gar nicht abgebaut werden müssen.