Die „rentrée“, die traditionelle Rückkehr aus den Sommerferien und der Wiederbeginn der Arbeit in vielen Betrieben, der Schule und des politischen Lebens zu Herbstbeginn, war diesmal in Frankreich mit einer politischen „Bombe“ verbunden: Nicolas Hulot, Staatsminister und Minister „für den ökologischen und solidarischen Übergang“, das grüne Aushängeschild in der neoliberalen Rechtsregierung, verkündete am 28. August vor laufenden Kameras des TV-Sender „France Inter“ seinen Rücktritt.

Dieser Schritt kam insofern überraschend, als er vorher weder Staatspräsident Macron noch Regierungschef Philippe oder seine Mitarbeiter im Ministerium noch sonst jemand davon informiert hatte. Es ´gab allerdings schon seit mehreren Monaten Gerüchte, dass er einen solchen Schritt überlege. Hulot selbst sagte, sein Entschluss dazu sei in diesem Sommer „gereift“.

„Ich will mich nicht länger belügen. Ich will nicht die Illusion verbreiten, dass meine Präsenz in der Regierung bedeutet, dass man den Herausforderungen in diesem Bereich gerecht würde“, erklärte der 62-jährige Ex-TV-Journalist und Gründer der französischen „Stiftung für die Natur und den Menschen“, der seit 13 Monaten im Amt war. Hulot kritisierte „die Gleichgültigkeit“, mit der die Umweltfragen behandelt werden: „Der Planet ist dabei, sich in einen Schwitzkasten zu verwandeln, unsere Naturressourcen versiegen, die Biodiversität (Artenvielfalt) schmilzt wie der Schnee in der Sonne. Und man bemüht sich, ein Wirtschaftsmodell wiederzubeleben, das die Ursache aller dieser Fehlentwicklungen ist“, sagte er. Statt diese Fragen anzugehen, werde das Thema „immer unter die letzten Prioritäten abgeschoben“. Hulot verwies dabei auf das Einwirken von mächtigen Lobbyisten in den „Zirkeln der Macht“, was die Frage aufwerfe: „Wer hat die Macht? Wer regiert?“ Es sei eine Kette von Enttäuschungen, die ihn zu seinem Entschluss gebracht habe. Er habe sich schließlich selbst dabei „ertappt, zu resignieren, mich mit kleinen Schritten abzufinden, obwohl die Situation verlangt, die Maßstäbe zu ändern“.

Der Rücktritt von Hulot ist eine erste größere Regierungskrise seit dem Amtsantritt von Präsident Macron, dem er übrigens trotz der Enttäuschung über die Geringschätzung der Ökologie- und Klimafragen weiterhin seine persönliche „Freundschaft“ bekundete. Hulot, Absolvent katholischer Privatschulen, war schon früher sowohl unter konservativen wie unter sozialistischen Staatschefs als Ökologie-Berater tätig und immer bemüht gewesen, eine Art „überparteiliche Haltung“ deutlich zu machen. Er war, obschon er 2012 an den Vorwahlen der Grünen für die Präsidentenwahl teilgenommen hatte, aber dabei nur auf Platz 2 kam, nie ein aktiver Mitstreiter der grünen Partei (EELV) und schon gar kein linker Grüner. Mit einem deklarierten Vermögen von 7,3 Millionen € war Hulot der zweitreichste Minister in der Regierung Philippe.

Ökologie und Liberalismus unvereinbar

Der Vorgang sei „ein ‚Erdbeben und ein Alarmsignal“ hinsichtlich der „rigoros gegensätzlichen Orientierungen von Macron und Philippe“ in Sachen Ökologie, erklärte der Sprecher der Grünen zu dem Rücktritt. Für die französischen Kommunisten (PCF) kündigt Hulots Rücktritt „das Ende jeder ökologischen Ambition der Regierung“ an. Dies sei „ein Eingeständnis der Machtlosigkeit Innerhalb einer Regierung und einer Mehrheit, die die Dringlichkeit einer anderen Art von Entwicklung, Produktion und Konsum nicht begreifen“ und „ein „Eingeständnis des Scheiterns gegenüber den ökologischen Herausforderungen“. Die Politik von Macron habe sich für die Privilegien der „Ersten am Seil“ entschieden, „jene, die sich am wenigsten um die Zukunft des Planeten sorgen – zum Schaden der Bevölkerungsschichten, die unter der Verstärkung der sozialen und ökologischen Ungleichheiten leiden“. „Der Liberalismus hat sich als unvereinbar mit der ökologischen Dringlichkeit erwiesen“, brachte ein Leitartikel der „Humanité“ es auf den Punkt.

Egal, wer sich der Rechtsregierung künftig als grünes Feigenblatt zur Verfügung stellen wird, hat Regierungschef Philippe aber bereits klargestellt, dass Umweltschutz und Klima trotz des ‚“Pariser Abkommens“ auch in Zukunft nicht zu den vorrangigen Themen der Macron-Philippe-Regierung gehören werden.

Neue Welle des Sozialabbaus

Pünktlich zur „rentrée“ hat Philippe in einem Interview mit der Sonntagszeitung „Journal de Dimanche“ vom 26.8. für die nächsten Monate eine ganze Kaskade neuer Maßnahmen zum Abbau von Sozialleistungen angekündigt, als Fortsetzung der 2018 gegen heftigen Widerstand der Gewerkschaften durchgesetzten „Liberalisierung“ des Arbeitsrechts und der Deregulierung des staatlichen Eisenbahnunternehmens SNCF.

Zu den Regierungsplänen gehört nach Philippes Interview u. a. ein de-facto-Einfrieren der Renten und Sozialleistungen für die nächsten zwei Jahre 2019 und 2020, der weitere Stellenabbau im öffentlichen Dienst um 4500 Arbeitsplätze 2019 und 10 000 Stellen 2020, Maßnahmen zur „Eindämmung“ des „Krankenurlaubs“ sowie die Absenkung der Arbeitslosenunterstützung je nach Dauer der Arbeitslosigkeit.

Das Ganze soll der rigorosen Einsparung von Ausgaben im Staathaushalt um mindestens 3 Milliarden € im Haushalt 2019 dienen, um der von der EU vorgeschriebenen „Haushaltskonsolidierung“ näher zu kommen. Entgegen den wohltönenden Ankündigungen Macrons, er werde die französische Wirtschaft endlich von belastenden Fesseln befreien und damit wieder in Gang bringen, ging seine Regierung für den Haushaltsplan 2019 nämlich von einem prognostizierten Rückgang des Wirtschaftswachstums auf nur 1,7 % (gegenüber mehr als 2 % 2018) aus. Das hat geringere Einnahmen im Staatshaushalt zur Folge, die durch Sparmaßnahmen ausgeglichen werden sollen. Gekürzt wird im sozialen Bereich, Unverändert beibehalten werden im Haushalt 2019 aber eine Erhöhung der Militärausgaben im Namen der Annäherung an das NATO-Kriterium von 2 % BIP sowie die Steuergeschenke an die Unternehmen zur Förderung der Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Erhöhung ihrer „Wettbewerbsfähigkeit“ in Höhe von insgesamt etwa 30 Milliarden € pro Jahr.

Selbst die führende bürgerliche Tageszeitung „Le Monde“ sprach bei den Ankündigungen Philippes von einem „Angriff auf die Ärmsten“. De facto sollen, nachdem die Renten schon in den letzten drei Jahren blockiert waren, 2019 alle Renten und Sozialbeihilfen (Familien- und der Wohnungsbeihilfe) nur um 0,3 % angehoben werden, während die Inflationsrate in den letzten 12 Monaten bei 2,3 % lag. Also ein klarer Kaufkraftverlust. Laut Berechnung der Gewerkschaft „Force Ouvrière“ (FO) wird einem Rentner oder einer Rentnerin, der/die 1200 € pro Monat erhält, durch das de-facto-Einfrieren der Renten bei anhaltender Inflation sowie die Ende 2017 beschlossene Erhöhung des Allgemeinen Sozialbeitrags (CSG) um 1,7 % ein Verlust von rd. 500 € pro Monat zugemutet.

Weithin auf Ablehnung stieß Philippes Versuch, das Anwachsens von anfallenden Krankheitstagen von Beschäftigten als „Krankenurlaub“ zu diskreditieren, als ob diese Menschen, ohne wirklich krank zu sein, sich auf diese Weise zusätzliche Urlaubstage verschaffen würden. Noch unklar blieb, in welcher Weise diese Zunahme der Krankmeldungen „eingedämmt“ werden soll. Philippes Idee, die Auszahlung des Krankengelds für die ersten acht Tage von der staatlichen Sozialversicherung auf die Unternehmen abzuwälzen, wird bei den Unternehmern nicht auf viel Gegenliebe stoßen. Von Gewerkschaftsseite wurde darauf hingewiesen, dass die Zunahme der Krankheitstage in starkem Maß damit zusammenhängt, dass die Erhöhung des Renteneintrittsalters zur Folge hatte, dass die erzwungen länger arbeitenden älteren Beschäftigten über 60 auch häufiger krank sind, was natürlich nichts mit „zusätzlichem Urlaub“ zu tun hat.

Pascal Pavageau, Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes FO, fasste die Ankündigungen Philippes mit dem Satz zusammen: „Diese neuen Maßnahmen kennzeichnen einen Willen, das Sozialmodell zu zerschlagen“. Die Regierung greife damit nicht nur die Kaufkraft an, sondern zugleich „die Überlebensfähigkeit derjenigen, die am wenigsten haben, der Schwächsten, der ärmsten Rentnerinnen und Rentner, der schwächsten Beschäftigten, derjenigen, die eine Beschäftigung suchen“. Es zeige sich darin, dass die Regierung die Finanzierung der Sozialversicherung generell abschaffen wolle, um dem Solidarsystem, das den Betroffenen kollektiv abgesicherte Rechte gewährt, ein Ende zu machen und generell auf ein System auf der Grundlage von Versicherungsleistungen umzustellen, das durch „Sozialhilfe“ abgefedert wird, die an individuelle Anträge und die Erfüllung bestimmter Vorbedingungen durch die Antragsteller gebunden ist.

Erneuter Widerstand formiert sich

Es steht allerdings bereits fest, dass diese Fortsetzung von Macrons Politik der „wirtschaftlichen Erneuerung Frankreichs“ in diesem Herbst nicht ohne Widerstand über die Bühne gehen wird.

Bereits am 30. August traf sich die „Intersyndicale“ der Gewerkschaftsbünde CGT, FO, Solidaires und der Studenten- und Schülergewerkschaften UNEF und UNL, die die Hauptträger der großen Streikaktionen und Demonstrationen im Frühjahr gewesen waren, zu einer ersten Beratung nach der „rentrée“. In einer gemeinsamen Erklärung stellten sie fest, dass man mit einer „ideologie-gebundenen Politik“ konfrontiert sei, „die auf die Zerstörung unseres Sozialmodells abzielt und insbesondere die Explosion der Ungleichheiten fördert und die Kollektiv-Rechte zerstört“. Die unterzeichneten Organisationen fordern im Gegensatz dazu die Regierung auf, „den vielfältigen sozialen Erwartungen Gehör zu schenken“ und „nicht einzig und allein von der zwanghaften Verringerung der öffentlichen Ausgaben“ geleitet zu sein. In einem Augenblick, da „wieder einmal eine Explosion der Dividenden in Frankreich und der Welt angekündigt“ wird, sei es „Zeit, eine Politik des Teilens der Reichtümer zu verfolgen, um die Löhne, die Pensionen und die Sozialminima zu erhöhen“. Angesichts der angekündigten rückschrittlichen Entscheidungen sei „die Stunde der Verteidigung der Grundlagen unseres Sozialmodells und die Eroberung neuer Rechte“ gekommen.

Deshalb beschlossen die unterzeichneten Organisationen (CGT, FO, Solidaires, UNEF und UNL), den kommenden 9. Oktober zu einem „ersten Tag der Mobilisierung und branchenübergreifender Streiks einschließlich von Studenten und Schülern“ zu machen. Die Unterzeichner laden alle anderen Gewerkschafts- und Jugendorganisationen ein, sich anzuschließen und am Prozess der Mobilisierung zu beteiligen.

Für den gleichen 9. Oktober haben bereits die Rentnervereinigung in der CGT und acht weitere Rentnerorganisationen die Rentnerinnen und Rentner zu einem Aktionstag mit Demonstrationen und Kundgebungen in ganz Frankreich aufgerufen, „um ihre Stimme zu Gehör zu bringen und ihre Unzufriedenheit und Wut gegenüber der Regierung und ihrem Präsidenten zum Ausdruck zu bringen“. Bereits am 5. Oktober werden Delegationen der Rentnervereinigungen aus dem ganzen Land Petitionen mit vielen Unterschriften beim Fraktionsvorsitzenden der Regierungsmehrheit der „Macronisten“ (La République en marche – LREM) im Parlament übergeben.

Auch bei Air France-KLM kündigt sich ein neuer Streik an. Die „Intersyndicale“ der in dem Unternehmen vertretenen neun Gewerkschaften hat am 30. August in einem gemeinsamen Kommuniqué die „total unverantwortliche Haltung“ der Firmenleitung bedauert und eine „starke Verhärtung des Konflikts“ angekündigt. Fast vier Monate lang sei, obwohl nicht gestreikt wurde, die Diskussion um die anstehende Gehaltserhöhung nicht wieder aufgenommen worden. Die Gewerkschaften fordern eine generelle Erhöhung der Gehälter um 5,1 %, was der Inflation der Jahre 2012-2017 entspricht, in denen die Gehälter eingefroren waren. Die Air-France-Beschäftigten hatten schon im Frühjahr insgesamt 15 Tage für diese Forderung gestreikt, mit erheblichen Folgen im Flugverkehr. Doch auch die Ernennung eines neuen Generaldirektors, des Kanadiers Benjamin Smith, der im September sein Amt antreten soll, habe keinerlei Aussicht auf eine baldige Regelung der offenen Gehaltsfrage gebracht. Sein Vorgänger Jean Marc Janaillac hatte im Mai zurücktreten müssen, nachdem er darauf gesetzt hatte, dass die Gehaltsforderung der Gewerkschaften bei einer Urabstimmung der Beschäftigten nicht bestätigt werde und er diese „Wette“ prompt verloren hatte. Die neun Gewerkschaften wollen sich nun nicht länger mit der mit dem Führungswechsel verbundenen Hinhaltetaktik abfinden. „Entweder die Direktion gibt starke Signale, oder man geht wieder zum Konflikt über“, erklärte ein Mitglied der Intersyndicale.

Auch im staatlichen Eisenbahnunternehmen SNCF könnte in diesem Herbst der Konflikt neu aufflammen. Die „Reformgesetz“ für dieses Unternehmen ist zwar trotz der Gegenwehr der Gewerkschaften mit einem drei Monate anhaltenden „Perlenstreik“ mit erheblichen Auswirkungen im Nah- und Fernverkehr im Juli beschlossen und in Kraft gesetzt worden. Doch mindestens zwei Gewerkschaften, die CGT und SUD, wollen sich damit nicht abfinden. Die CGT, die stärkste Gewerkschaft unter den Eisenbahnern, hatte die übrigen Gewerkschaftsbünde zu einer gemeinsamen Beratung Ende August eingeladen. Der Generalsekretär der Eisenbahnergewerkschaft in der CGT, Laurent Brun schlug vor, an „gezielten Tagen“ im September erneut zu streiken, und zwar sowohl gegen konkrete nachteilige Auswirkungen der Umsetzung des beschlossenen „Eisenbahnpakts“ für die Beschäftigten wie auch für die Rücknahme des Gesetzes insgesamt. „Wir können, wenn das Kräfteverhältnis erlaubt, den Eisenbahnpakt aushebeln, erklärte Laurent Brun, das sei „immer noch möglich“.