„Die Vereinigten Staaten sind auf dem besten Weg, zu einem Problem für die Welt zu werden. Dabei waren wir daran gewöhnt, dass sie die Lösung verkörperten… aber heute erscheinen sie immer mehr als ein Faktor der internationalen Unordnung, und wo sie können, fördern sie Instabilität und Konflikte.“ So lauteten die ersten Sätze Emmanuel Todds in seinem Weltbestseller „Weltmacht USA. Ein Nachruf“. Erscheinungsjahr: 2002. Vor 16 Jahren also war der absteigende Hegemon USA schon in einem vergleichbaren Sinn zum Problemfall der Weltpolitik herangereift. Damals hieß der Präsident George W. Bush. Heute, mit Donald Trump im Weißen Haus, scheint die verbleichende Weltmacht in ein weiteres Reife- oder vielleicht Fäulnisstadium übergegangen. Nikolaus Piper urteilt für die Süddeutsche Zeitung zu Strafzöllen der USA auf Stahl und Aluminium: „Die Europäer müssen die Tatsache akzeptieren, dass der amerikanische Präsident keine Verbündeten mehr kennt. Handelspartner behandelt er wie Gegner, wenn nicht gar Feinde.“ Die „Zeit“ sorgt sich, ob Deutschlands Wirtschaftsmodell, das auf Exportüberschüssen basiert, am Ende sei.
Wenden wir uns folgenden Fragen zu: Hat Trump mit seiner Klage recht, dass die Handelspartner die USA übervorteilen? Welche Konsequenzen haben die Strafzölle – welche Auswirkungen hätten die angedrohten Maßnahmen? Wie wird die internationale Organisation der Handelsbeziehungen der Zukunft aussehen? Was wird aus dem „deutschen Wirtschaftsmodell“?
Werden die USA in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen übervorteilt?
Trump kritisiert, dass die USA im Wirtschaftsverkehr mit großen Partnern weniger Einkommen erwirtschaften als diese. Dies ist im Verhältnis USA-EU in der Tat eindeutig der Fall, wenn man nur die Handelsbilanz, also den Austausch von Gütern und Dienstleistungen, anschaut. 2017 hat die EU gegenüber den USA beim Güterhandel einen Überschuss von 153 Milliarden Euro erzielt. Bei den Dienstleistungen – Software, Daten in sozialen Medien, Suchmaschinen – lagen die USA mit 51 Milliarden $ vorne. Bleibt ein Überschuss in der Handelsbilanz von rund 113 Milliarden Euro zugunsten der EU (Euro : Dollar = 1,2).
Der Gesamtaustausch zwischen Volkswirtschaften bezieht sich aber über die Handelsbilanz hinaus auf die gesamte Leistungsbilanz, wo zu den Gütern und Dienstleistungen auch die sogenannten Primäreinkommen treten, das sind vor allem die im Ausland erzielten Unternehmensgewinne. Und hier haben die US-Firmen in der EU weit höhere Gewinne erzielt als umgekehrt die EU-Firmen in den USA. Der US-Überschuss in dieser Sparte betrug nach den Berechnungen des ifo-Instituts im vergangenen Jahr 106 Milliarden $. In der gesamten Leistungsbilanz betrug das Defizit der USA also rund 28 Milliarden Euro. Das ist immer noch beachtlich, aber weit weg von den 153 Milliarden Euro, die Trump als Defizit der Güterbilanz ins Feld führt.
Anders sieht die Lage im Verhältnis USA-China aus. Hier betrug 2017 das gesamte Leistungsbilanzdefizit der USA 358 Milliarden $. Bei den Gütern hat China einen Überschuss von 376 Milliarden $ und bei den Unternehmensgewinnen von 17 Milliarden $. Bei den Dienstleistungen liegen die USA mit 38 Milliarden $ vorne. Die USA und auch die EU-Größen pochen auf die „Marktöffnung“ Chinas, eben um die Investitionen ihrer Unternehmen in China anzukurbeln und um ihre Dienstleistungen – „geistiges Eigentum“ – noch profitabler zu machen.
Wie wirken sich die Strafzölle aus – wie geht der Handelskrieg weiter?
Die ab dem 1.6. wirksamen US-Zölle auf Stahl (25%) und Aluminium (10%) haben für Deutschland eine zunächst begrenzte Wirkung. Nach Ifo-Zahlen kommen die volkswirtschaftlichen Kosten für Deutschland im Jahr auf 0,01 % des Bruttoinlandsprodukts (37 Millionen Euro). Schon anders sind die Zahlen für Mexico (991 Millionen Euro) und Kanada (2,9 Milliarden). Dementsprechend heftig sind die Reaktionen aus diesen Ländern und entsprechend abwiegelnd die Haltung der deutschen Regierung. Doch liegt die Gefahr in der Eigen-Dynamik des Konflikts: „Es droht ein Sog von Sanktionen und Gegensanktionen, der alle in den Abgrund reißen könnte“ (Süddeutsche Zeitung).
Machen die EU und andere ihre Ankündigungen wahr, was sie schon bei der WTO beantragt haben, und verhängen Strafzölle auf Whisky, Jeans, Motorräder usw., dann werden die USA mit großer Sicherheit ihre Drohung realisieren und einen Zoll von 25 % auf Autos erheben. Dann wäre Deutschland mit jährlich 5 Milliarden Euro Verlusten getroffen, Japan mit 4,3 Milliarden, Mexico mit 3,7 Milliarden, Kanada mit 3,3 Mrd, Süd-Korea mit 2,3 Mrd, China mit 1,7 Mrd.
Schwerwiegend sind auch die indirekten Folgen der US-Zölle. Zwar sind direkt „nur“ 3% der deutschen Gesamtproduktion von den Strafzöllen betroffen (1,3 Millionen Tonnen Stahl werden jährlich aus Deutschland in die USA exportiert). Doch sind ja auch andere Produzenten betroffen, wie insbesondere die Chinesen. Die weltweite Überproduktion an Stahl liegt bei 600 Millionen Tonnen, einem guten Viertel der Kapazitäten. Der überschüssige, billige Stahl aus China, Russland, der Türkei und Indien wird jetzt vor allem auch auf den EU-Markt drängen, wenn der US-Markt über die Zölle verknappt wird.
Heißt die Zukunft des internationalen Handels: -krieg?
Trump ist dabei, die bestehende Struktur der Welthandelsbeziehungen einzureißen. An die Stelle der – völlig unzureichenden – internationalen, multilateralen Gestaltungsprinzipien will er bilaterale setzen, die vom jeweils stärksten bilateralen Partner, den USA, bestimmt werden. Das ist der Trumpsche Weg zur Weltmacht USA, zu America first. Das Problem besteht vor allem darin, dass der größere Teil des Welthandels vom Handel innerhalb globaler Wertschöpfungsketten herrührt, wo Produktionsteile, nicht mehr ganze Produkte, von Land zu Land exportiert und importiert werden. Zwei Drittel des globalen Handels entspringen diesen globalen Wertschöpfungsketten. Eine solche globale Verzahnung schon der Wertschöpfung setzt einen multilateral akzeptierten und verlässlichen Rahmen voraus. Trump will die Partner zwingen, einen Rahmen auf US-Diktat zu akzeptieren. Auf die alte Legitimationsformel, im Sinne von Freiheit and Democracy akzeptieren wir alle die US-genehme Version, pfeift er. Trump genügt, wenn die US-Kassen klingen und die US-WählerInnen ihm zujubeln. Wer seinen Imperativen nicht folgt, den will er in die Knie zwingen.
Mit Deutschland und der EU scheint ihm dies zu gelingen. Amerika ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands, fast 10% der Exporte gehen dorthin. Wirtschaftsminister Altmaier spricht von „einer Todesspirale aus Strafzöllen“, die es zu vermeiden gelte. Deutschland zuckt im Gegensatz zu den Franzosen vor entschlossenen Anti-US-Maßnahmen zurück. Hätten sie solche wirklich vor, müssten sie nur an Zölle oder Steuern auf Dienstleistungen und Unternehmensgewinne denken. Hier sind die weichen Stellen der USA-Exporteure, von denen aber kaum die Rede ist. Deutschland will die Flammen möglichst klein halten und das Feuer stattdessen auf China richten. Ifo-Chef Clemens Fuest: „Wenn die Amerikaner ihre Verhandlungsmacht gegenüber China einsetzen, um das Land zur Marktöffnung zu bewegen, könnten davon am Ende alle Beteiligten profitieren.“ Auch EU-Juncker betont, dass die EU nicht nur gegen die USA vorgeht – ein Beschwerdeverfahren vor der WTO- sondern dass die EU auch gegen China wegen dessen angeblicher Verletzung von Urheberrechten europäischer Unternehmen klagen werde.
Die Chinesen haben auf den Druck der USA bisher zurückhaltend reagiert. Während Trump ankündigt, am 15.6. eine Liste chinesischer Produkte für Strafzölle über 50 Milliarden $ vorzulegen und diese „kurz danach“ um weitere 25 Milliarden auszuweiten, hat China die Importzölle auf fast 1500 Konsumgüter von durchschnittlich 15,7 auf 6,9 % gesenkt. Die Chinesen wollen den Zeitpunkt des offenen Konflikts offenbar hinauszögern, vereiteln werden sie ihn nicht können.
Die „Königsidee“ der deutschen Regierung scheint zu sein, im Rahmen der WTO ein Freihandelsabkommen light EU-USA auszuhandeln. Ein solches wird nur zustande kommen, wenn die EU den Vorgaben aus Washington nachkommt. Wenn die EU sich nicht unterwirft, bleibt ihr nur der „Krieg“.
Ist das deutsche Wirtschaftsmodell am Ende?
Das Wirtschaftsmodell Deutschlands beruht auf Export und Exportüberschüssen. Die Hälfte der deutschen Wertschöpfung geht in den Export. Ins Ausland werden 9% des BIPs mehr an Werten verkauft, als wir vom Ausland beziehen. Ohne die Kaufkraft des Auslands würden die deutschen Anbieter auf 9% ihrer Produkte sitzenbleiben. 30% der deutschen Arbeitsplätze hängen am Export. Wenn Trump nun mit Macht und viel ökonomischem Druckpotential auf den Abbau des Handelsdefizits pocht: Bedeutet dies, dass das deutsche Wirtschaftsmodell am Ende ist?
Man darf sagen: Auf längere Sicht ist das so, und es ist auch gut so. Selbst die EU-Kommission wertet Exportüberschüsse von mehr 6 % als „stabilitätsgefährdend“. Exportüberschüsse bedeuten stets, dass sich andererseits die Defizitländer verschulden müssen. Und zwar bei den Export-Meistern. Auf diese Art ist Deutschland zum Weltmeister des Exportüberschusses geworden und logischerweise zu einem der großen Gläubiger auf dem Globus. Nun hakt es an beiden Seiten. Die Defizitländer wollen nicht länger ständig weniger an Wert produzieren als ihre produktiv überlegenen „Partner“. Und sie wollen und können nicht länger mehr ihre wachsenden Schulden bedienen, immer kräftiger in die Armut hineingestoßen werden.
Es kommt noch eine dritte Seite hinzu. Dass nämlich Deutschland und seinesgleichen so überlegen an der Handelsfront ist, hat mit dem Fakt zu tun, dass die Menschen im Land zwar hochproduktiv sind, aber im Verhältnis dazu wenig verdienen. Die Produktivitätszuwächse fließen in die Profite, nicht in die Einkommen der Arbeiter und Angestellten. Auch damit sollte Schluss sein. Das deutsche Wirtschaftsmodell hat es verdient, endlich zum Ende gebracht zu werden.
Das wird nicht von heute auf morgen passieren. Die deutsche Politik und der Mainstream der Publizistik arbeiten hart daran, das Exportmodell als besonderes deutsches Gütesiegel wertzuschätzen und beizubehalten. Eher wird man sich an Unterwerfungsexerzitien unter Trump gewöhnen als den Export in die USA zu gefährden. Dass es schön wäre,
- alle Menschen hätten Arbeit –
- alle Menschen hätten sinnvolle, nützliche Arbeit –
- alle Menschen könnten die von ihnen hergestellten Werte auch selbst nutzen –
- und die eigene Tätigkeit ginge nicht zu Lasten derer anderswo –
- und unser Tausch mit diesen wäre gerecht –
- dass dies alles möglich ist und notwendig, muss erst noch in die Köpfe und in die Gemüter.