Die digitale Transformation hat ein Marktgefüge hervorgebracht, das von einigen wenigen Plattformen dominiert wird. Plattformunternehmen wie Alphabet (Google, YouTube), Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp), Amazon, Apple und auch Microsoft kontrollieren heute zentrale Infrastrukturen des globalen Wirtschaftens. Während Microsoft vor 20 bis 30 Jahren als der übermächtige Akteur galt – mit Windows als quasi unverzichtbarem Betriebssystem und Office als Standardsoftware –, steht das Unternehmen heute zwar immer noch für zentrale Basis-Infrastruktur (Betriebssysteme, Cloud-Dienste), aber weniger im Zentrum der plattformgetriebenen Monopolstrukturen.
Einst galten all diese Big Tech Konzerne als Wegbereiter für Innovation, Teilhabe und offene Märkte. Heute ist die Realität durch extreme Konzentrationsprozesse geprägt. Empirische Messungen belegen, dass die Nutzung des deutschen Internets mit einem Gini-Koeffizienten von 0,988 nahezu vollständig ungleich verteilt ist – ein Wert, der faktisch einem Monopol gleichkommt (1). Das bedeutet nicht, dass fast alle denselben Browser nutzen, sondern dass sich der gesamte Datenverkehr (Traffic, also die Ströme an Abrufen und Zugriffen im Netz) auf wenige Domains konzentriert: Mehr als 99 Prozent der registrierten Domains in Deutschland verzeichnen keinerlei nennenswerte Nutzung (2).
Diese Machtkonzentration stellt eine demokratiepolitische Bedrohung dar, da zentrale Mediengattungen in der Hand weniger Akteure liegen. Zugleich hat sie tiefgreifende ökonomische Implikationen, denn das Fundament digitaler Marktkonzentration bilden Netzwerkeffekte. Je mehr Nutzer:innen eine Plattform anzieht, desto wertvoller wird sie für weitere Nutzer:innen und Anbieter:innen. Google ist hierfür das Paradebeispiel: Mit einem Marktanteil von 88 Prozent bei Suchmaschinen (3) bietet es den umfassendsten Index, wodurch alternative Anbieter wie Ecosia oder DuckDuckGo faktisch kaum relevant bleiben.
Die Plattformen nutzen diese Mechanismen gezielt, indem sie zunächst mit niedrigen Preisen oder kostenlosen Diensten locken, um später nach Erreichen einer kritischen Masse die Konditionen sukzessive zu verschlechtern. Amazon etwa akzeptierte in den Anfangsjahren massive Verluste, um Händler und Kunden zu binden. Mit wachsender Dominanz erhöhte das Unternehmen Gebühren, bevorzugte systematisch eigene Marken und machte Sichtbarkeit im „Marketplace“ von kostenpflichtigen Zusatzleistungen abhängig. (4) Cory Doctorow beschreibt diesen Prozess als „Enshittification“: Plattformen beginnen nutzerfreundlich, verschlechtern dann das Angebot für Produzent:innen und am Ende auch für Konsument:innen. Am Ende bleibt für alle (außer Amazon) nur noch das Schlechte. (5)
Der digitale Werbemarkt als ökonomisches Nadelöhr
Besonders gravierend zeigt sich die Machtstellung von Big Tech im digitalen Werbemarkt. Alphabet, Meta und Amazon vereinen zwischen 80 und 90 Prozent der Werbeeinnahmen auf sich. (6) Für tausende übrige Medienunternehmen bleiben lediglich 10 bis 20 Prozent. Dementsprechend kontrollieren Plattformen nicht nur Inhalte, sondern auch den Zugang zu Märkten. Der gesamte digitale „Sales Funnel“ – von der Aufmerksamkeit (Social Media, YouTube), über die Suche (Google), bis zur Transaktion (Amazon) – ist von Monopolen besetzt. (7) Diese Stellung erlaubt es den Plattformen, Preise und Konditionen nahezu beliebig zu diktieren.
Hinzu kommt die Praxis der Selbstbevorzugung. Messungen zeigen, dass Alphabet-Dienste doppelt so häufig auf eigene Angebote verweisen, wie es einem fairen Marktanteil entspräche; bei Meta ist der Effekt noch ausgeprägter. (8) Anstatt Traffic neutral zu verteilen, leiten die Plattformen ihn systematisch in ihre eigenen Ökosysteme. Amazon bevorzugt seine Eigenmarken und zwingt Händler:innen in ein undurchsichtiges System von Gebühren und Werbezuschlägen. Ein vergleichbarer Mechanismus zeigt sich bei Google, das seine eigenen Dienste in den Suchergebnissen systematisch bevorzugt. Für diese Form der Selbstbevorzugung wurde das Unternehmen von der Europäischen Kommission bereits mit milliardenschweren Kartellstrafen belegt.
Dementsprechend wirkt die Dominanz von Plattformunternehmen in doppelter Richtung: als Monopol gegenüber Konsument:innen und als Monopson gegenüber Produzent:innen. Monopson bedeutet: ein Markt mit nur einem dominanten Nachfrager. Anbieter:innen, Autor:innen oder Musiker:innen stehen also einem „Ein-Abnehmer-Markt“ gegenüber. YouTube etwa schüttet nur 55 Prozent der Werbeeinnahmen an sogenannte Content-Creator (Personen, die Inhalte für Plattformen produzieren, z. B. YouTuber:innen) aus, während klassische Vermarkter im Rundfunk mit 10 bis 20 Prozent auskommen. (9) Autor:innen oder Musiker:innen sind noch stärker von wenigen Gatekeepern (Torwächtern, die den Zugang zu Nutzer:innen kontrollieren) abhängig, etwa Amazon im Buchmarkt oder Spotify im Musikmarkt. Mit der Einführung generativer Künstlicher Intelligenz (KI) verschärft sich diese Asymmetrie zusätzlich: Plattformen können künftig Inhalte selbst erzeugen und damit die Rolle externer Produzent:innen weiter marginalisieren. (10)
Dieses Zusammenspiel aus Monopol- und Monopsonmacht ermöglicht es den Plattformen, sowohl auf der Nachfrageseite (durch schlechtere Konditionen für Konsument:innen) als auch auf der Angebotsseite (durch niedrige Vergütung für Produzent:innen) überproportionale Gewinne abzuschöpfen.
Der Mythos der Effizienz und wirtschaftspolitische Konsequenzen
Vertreter:innen der Chicago School wie Robert Bork haben Monopole traditionell verharmlost: Solange Verbraucher:innen von niedrigeren Preisen profitieren, seien sie ökonomisch unproblematisch. (11) Auf den ersten Blick scheinen digitale Dienste wie Google oder Facebook diesem Kriterium zu entsprechen, da ihre Nutzung kostenlos ist. Doch dieser Eindruck täuscht.
Tatsächlich zahlen die Nutzer:innen nicht mit Geld, sondern mit ihren Daten und ihrer Aufmerksamkeit. Ökonomisch betrachtet handelt es sich um mehrseitige Märkte, in denen die scheinbare Gratisnutzung durch eine extreme Preissetzungsmacht auf der anderen Seite kompensiert wird. (12) Digitale Plattformen behalten zwischen 45 und 100 Prozent der Werbeerlöse ein, während klassische Vermarkter lediglich 10 bis 20 Prozent beanspruchen. (13) Von Effizienz kann hier keine Rede sein – vielmehr zahlen Unternehmen und Produzent:innen im digitalen Ökosystem erheblich höhere Preise.
Die daraus resultierenden Dynamiken machen deutlich: Digitale Netzwerkeffekte führen systematisch zu Konzentration und verhindern faktisch Markteintritt. Klassische Instrumente des Kartellrechts greifen hier kaum. Eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik müsste deshalb konsequent auf strukturelle Regulierung setzen. Dazu gehören: die Durchsetzung von Interoperabilität (technische Anschlussfähigkeit unterschiedlicher Dienste) und offenen Standards – ähnlich wie im E-Mail-Markt, der trotz dominanter Anbieter bis heute Vielfalt ermöglicht (14); ein Verbot der Selbstbevorzugung in Suchmaschinen und digitalen Marktplätzen; die Regulierung von Plattformen als Inhalteanbieter:innen, anstatt sie weiterhin als „neutrale Intermediäre“ zu behandeln; sowie die Einführung von Obergrenzen für Marktanteile, wie sie das Rundfunkrecht mit einer 30-Prozent-Schwelle bereits vorsieht. (15)
Plattformunternehmen haben Strukturen geschaffen, in denen Wettbewerb systematisch blockiert wird. Die Folgen reichen weit über einzelne Branchen hinaus: Sie betreffen den Journalismus ebenso wie die Kreativwirtschaft und führen zu einer gefährlichen Abhängigkeit der Gesamtökonomie von wenigen privaten Akteuren. Die Kritik an Big Tech ist daher keine theoretische Debatte, sondern eine fundamentale Frage nach der Zukunft unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
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Literatur
- Andree, Martin / Thomsen, Timo (2020): Atlas der digitalen Welt. Frankfurt a.M.: Campus.
- Andree, Martin (2023): Big Tech muss weg! Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft – wir werden sie stoppen. Frankfurt a.M.: Campus.
- Bork, Robert H. (1993). The Antitrust Paradox (zweite Ausgabe). New York: Free Press.
- Doctorow, Cory (2023): „Tiktok’s enshittification“. In: Wired, 23. Januar 2023.
- Morozov, Evgeny (2011): The Net Delusion: The Dark Side of Internet Freedom. New York: PublicAffairs.
- Calvano, Emilio / Polo, Michele (2021): „Market Power, Competition and Innovation in Digital Markets: A Survey“. In: Information Economics and Policy 54, 1–18.
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(1) Andree/Thomsen 2020; vgl. auch Andree 2023, S. 96.
(2) DENIC 2022, zitiert in Andree/Thomsen 2020.
(3) Andree/Thomsen 2020, S. 29ff.
(4) Andree 2023; vgl. Fallstudie Amazon in Das Internet der Monopole.
(5) Doctorow 2023.
(6) Hagey/Vrancia 2021; Adgate 2021; Ebiquity 2022, zitiert in Andree 2023.
(7) Andree/Thomsen 2020, S. 200–230.
(8) Andree 2023; empirische Nachweise in The Hunger Games.
(9) Andree 2023, S. 149ff.
(10) Andree 2023; vgl. Diskussion in Das Internet der Monopole.
(11) Bork 1993,
(12) Anderson, Simon P. / Jullien, Bruno (2016): „The advertising-financed business model in two-sided media markets“. TSE Working Paper 16–632.
(13) Andree 2023; empirische Analysen in Das Internet der Monopole.
(14) Andree/Thomsen 2020; vgl. auch The Hunger Games.
(15) Rundfunkstaatsvertrag, § 26. https://lxgesetze.de/rstv/25