Die Bundesregierung versteht bereits seit Ende der neunziger Jahre den Schutz kritischer Infrastrukturen als Kernaufgabe. Angetrieben wurden die Arbeiten durch Computerprobleme beim Übergang von 1999 auf das Jahr 2000, den verheerenden Anschlag im Jahre 2001 auf das World Trade Center in New York und die Jahrhundertflut der Elbe in 2002 mit Kosten von fast 12 Mrd. Euro.
Die verschiedenen Handlungsfelder zum Schutz kritischer Infrastrukturen (KRITIS-Strategie) wurden dann seitens der von CDU/CSU und SPD geführten Bundesregierung im Sommer 2009 zur bislang gültigen nationalen Strategie des Bundes zusammengeführt. Im Zuge internationaler Zusammenarbeit auf diesem Feld wurde damals bereits die NATO eingebunden. Diese sog. KRITIS-Strategie formuliert das Ziel, „gravierende Störungen und Ausfälle von wichtigen Infrastrukturleistungen“ möglichst schon vorbeugend zu vermeiden und falls das nicht möglich ist, sollen ihre Folgen möglichst minimiert werden. Unter den Begriff „kritische Infrastrukturen“ und ihren Schutz fallen Gesundheit, Ernährung, Trinkwasser, Abwasser, Abfall, Energie, Transport und Verkehr, Informationstechnik und Telekommunikation (IT-/Cyber-Sicherheit). Dabei kommt der Zusammenarbeit zwischen Behörden und größtenteils privatwirtschaftlich organisierten Betreibern kritischer Infrastrukturen besondere Bedeutung zu. Beim Schutz Kritischer Infrastrukturen ist von einem breiten Gefahrenspektrum auszugehen. So kann allein der Ausfall einer kritischen Infrastruktur große gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Auswirkungen nach sich ziehen. In der KRITIS-Strategie wird deshalb von einem All-Gefahren-Ansatz gesprochen. Einzelne, gefahrenspezifische Maßnahmen sollen sich diesem Ansatz nach also in ein übergreifendes Schutzkonzept einfügen.
Inzwischen hat die KRITIS-Strategie ihre Erweiterung gefunden durch die "EU-Richtlinie über die Resilienz kritischer Einrichtungen" (CER), die am 14. Dezember 2022 von der EU verabschiedet wurde. Diese Richtlinie wird derzeit – ein Entwurf liegt vor – in einem Gesetz, dem sog. KRITIS-Dachgesetz, umgesetzt. Durch diesen Gesetzesentwurf werden – so das BMI – „erstmals kritische Infrastrukturen auf Bundesebene identifiziert und Mindeststandards für den physischen Schutz für Betreiber Kritischer Infrastrukturen festgelegt. Bisher gab es solche Bundesregelungen nur für die IT-Sicherheit kritischer Infrastrukturen“. Damit wird es in absehbarer Zukunft eine gesamtstaatlich angelegte strategische Handlungsgrundlage geben.
Ergänzt wird die nationale KRITIS-Strategie durch das Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) aus dem Jahre 1997 (zuletzt geändert 2020), mit dem der Bund „die Länder im Rahmen seiner Zuständigkeiten beim Schutz kritischer Infrastrukturen“ berät und unterstützt. Dabei stellt die Konzeption Zivile Verteidigung (KZV, 2016) „jene Gefahren in den Mittelpunkt, die im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten auftreten können. Die Notfallvorsorge im Rahmen der zivilen Verteidigung baut dabei auf dem fortlaufenden Schutz Kritischer Infrastrukturen auf“.
Der Schutz kritischer Infrastrukturen im Wandel durch zunehemende Kriegsvorbereitungen
In hochindustrialisierten Staaten ist der Schutz kritischer Infrastrukturen notwendig. Sei es um großräumige Überflutungen rasch zu beheben, die Trinkwasserversorgung im Klimawandel sicherzustellen, die Auswirkungen schwerer Industrieunglücke in dicht besiedelten Gebieten so gering als möglich zu halten oder den Ausfall großer Strom- und Telekommunikationsnetze (Zusammenbruch durch Netzstörungen inclusive Cyber-Angriffe) so rasch als möglich zu beheben.
Inzwischen vermischt sich der notwendige Schutz kritischer Infrastrukturen zunehmend mit Aufgaben zur Vorbereitung auf künftige Kriege. In diese Aufgaben sind die Bundesländer und Kommunen eingebunden. Insgesamt wird so der Boden zur gesamtgesellschaftlich angelegten Militarisierung und für ein autoritäres Staatswesen bereitet. Und von einem ist sicher auszugehen: Im Krisen- und Kriegsfall wird die Verquickung von militärischer und ziviler Schutzplanung zu Ungunsten der Zivilbevölkerung ausgehen. Soweit erforderlich, wird der Schutz der Zivilbevölkerung militärischen Erfordernissen geopfert. Sei es, dass z. B. Brücken vermint und gesprengt werden müssen oder ein Krankenhaus zugunsten des Militärs zu räumen ist. Und eine Sicherstellung zentraler Einrichtungen wie Talsperren zur Wasserversorgung, Energiegewinnung und zum Hochwasserschutz sind vor der Zerstörung durch feindliche Raketen auch durch eine noch so ausgefeilte zivil-militärische Zusammenarbeit nicht zu gewährleisten. Allein die Zerstörung der zehn größten Stauseen in Ost-, Nord-, West- und Süddeutschland würde zu katastrophalen Folgen für Zivilbevölkerung, Wirtschaft und Energieversorgung führen.
Stopp den Kriegsvorbereitungen – für eine friedliche Zukunft
Nachstehend wird eine Reihe von Möglichkeiten aufgezeigt, sich Militarisierung, Aufrüstung und wachsender zivil-militärischer Zusammenarbeit entgegenzustellen:
- Zivil-militärische Zusammenarbeit:
- Ablehnung des von der Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag geplanten und derzeit in Arbeit befindlichen, mit hohen Kosten verbundenen Gesundheitssicherstellungsgesetzes. Damit sollen insbesondere „die effiziente und dezentrale Bevorratung von Arzneimittel- und Medizinprodukten sowie regelmäßige Ernstfallübungen für das Personal für Gesundheitskrisen sichergestellt“ werden. Dabei geht es auch um Einsatz und Verteilung von medizinischem Personal im Krisenfall. Die mangelnde Bevorratung ist das Ergebnis einer verfehlten jahrzehntelangen Gesundheits- und Arzneimittelpolitik. Dafür braucht es kein Gesundheitssicherstellungsgesetz, sondern eine am Gemeinwohl orientierte Gesundheits- und Arzneimittelversorgung. Für die große Mehrheit der gesetzlich Versicherten hat hier der DGB in 2023 richtungsweisende Vorschläge unterbreitet.
- Keine Indienstnahme ziviler öffentlicher und privater Einrichtungen des Gesundheitswesens – ob stationär oder ambulant – für Vorbereitungen auf kommende Kriege. Keine Verankerung von militärischen Sicherheitsthemen in der medizinischen Ausbildung.
- Keine zusätzlichen, zweckgebundenen Landesgelder für das Rote Kreuz, damit für den Kriegsfall notwendige medizinische Mittel, Materialien und Ausrüstungen vorgehalten und eingelagert werden können;
- Keine Finanzierung des Katastrophenschutzes in den Ländern über notwendige Vorsorge hinaus beispielsweise im Falle von Großschäden wie Bränden, Unwettern oder Industriehavarien. Keine Finanzierung von Bunkerbauten, keine Finanzierung von Notfallreserven für Lebensmittel. Keine Teilnahme an Kriegsvorbereitungen wie Übungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und den dafür zuständigen Behörden einschließlich Ausbildung und Rekrutierung von Fachpersonal.
- Infrastrukturausbau:
- Keine Ausrichtung des großräumigen Landesplanungsrechts (Raumordnungsrecht) und regional und lokal raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zur Kriegsvorbereitung. Dazu zählen der Ausbau von Wasserwegen, Häfen, Straßen, Autobahnen, Brücken, Schienenwegen, Ausweisung oder Erweiterung von Flächen für Munitions- und Rüstungsbetriebe, für neue Kasernenanlagen, Logistikareale, Schießplätze.
Hinweis:
Seitens des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist mitgeteilt worden, das „nach dem 2008 neu gefassten Raumordnungsgesetz (kurz: ROG) dem „Schutz kritischer Infrastrukturen […] Rechnung zu tragen“ ist. Dies bedeutet, bei Abwägungs- und Ermessensentscheidungen auch Belange des Schutzes Kritischer Infrastrukturen im Kontext raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zu berücksichtigen (§ 2 Absatz 2 Nummer 3, § 4 ROG)“. Die Raumordnung ist demnach angehalten, sich mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln am Schutz Kritischer Infrastrukturen zu beteiligen. Soweit sich dieser Schutz auf militärisch bedeutsame Infrastrukturen richtet, ist das abzulehnen.
Literatur:
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: https://www.bbk.bund.de/DE/Themen/Kritische-Infrastrukturen/Strategien-und-rechtlicher-Rahmen/Rechtlicher-Rahmen/rechtlicher-rahmen_node.html; Abruf: 12.09.2024;
- Bundesministerium des Innern und für Heimat: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/DE/KRITIS-DachG.html; Abruf: 12.09.2024
- Das Gesundheitswesen muss sich besser auf Krieg, Terror und Katastrophen vorbereiten, in: aerzteblatt.de vom 15.03.2024
- Lauterbach bereitet Gesundheitswesen auf „militärische Konflikte“ vor, in: ZEIT ONLINE vom 02.03.2024
- Tagesschau: Kriegstreiber-Vorwürfe gegen Lauterbach; https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/lauterbach-gesundheitssystem-100.html; Abruf: 13.09.2024