Die deutsche Ökonomie ist gekennzeichnet durch intensive internationale Verflechtungen. Ein Merkmal dieser besonderen außenwirtschaftlichen Beziehungen ist seit Jahren der Außenhandelsüberschuss.



Bei der Betrachtung des Offenheitsgrades (Summe von Exporten und Importen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung) weist Deutschland eine erheblich größere Offenheit aus als vergleichbare andere Industrieländer wie Frankreich, Vereinigtes Königreich, China oder die USA (vgl. hierzu Prognos 2024, 2). Dabei weist die Verflechtung weit über die in den Handelsstatistiken ablesbaren Größen hinaus. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, der Aufstieg Deutschlands zu einer führenden Industrienation ist eng mit diesen internationalen Verflechtungen verbunden, ja wäre ohne sie kaum vorstellbar. Sie sind ein besonderes Charakteristikum der wirtschaftlichen Ausrichtung in diesem Land.

Ein Merkmal dieser besonderen außenwirtschaftlichen Beziehungen ist seit Jahren intensiv in der Debatte und in der Kritik: der Außenhandelsüberschuss (vgl. hierzu beispielhaft neben ganz vielen anderen Veröffentlichungen: Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2017). Deutschland produziert seit Jahrzehnten mehr Waren, als es im Inland verbraucht. Dieser oft als »Exportorientierung« bezeichnete Tatbestand war lange Zeit der wichtigste Wachstumstreiber der deutschen Wirtschaft. Der Schwerpunkt der deutschen Warenausfuhren liegt dabei bei wenigen Industriebranchen. Die Autoindustrie, der Maschinenbau, die Chemische Industrie, DV-Geräte, Elektronik, Optik und die Elektrischen Ausrüstungen machten im Jahr 2023 55 Prozent der gesamten Ausfuhren aus.

Deutschland ist einer der wenigen klassischen Industrieländer, wo die Be- deutung der Industrie (Anteil an Bruttowertschöpfung und an der Beschäftigung) für die gesamte Wirtschaft seit langem stabil ist. Fast alle anderen Länder hatten mehr oder weniger ausgeprägte Deindustrialisierungen zu verkraften. Ohne erhebliche Exportquoten wäre diese Entwicklung in Deutschland nicht möglich gewesen. Einen so großen Bedarf an industriellen Produkten gibt es inländisch schlicht nicht. Allerdings sind die Zeiten stark steigender Außenhandelsüberschüsse vorbei. Der Höhepunkt war bereits 2016 erreicht, als der Überschuss einen Wert von fast 250 Milliarden Euro erreichte. Seitdem war er bis 2022 kontinuierlich gesunken. Im letzten Jahr stieg er wieder an, blieb aber mit 225 Milliarden Euro deutlich unter den früheren Spitzenwerden. Zudem sind diese Daten aus der Handelssta- tistik nicht preisbereinigt. Real ist der Rückgang in den letzten Jahren damit noch viel größer gewesen.

Während die Exportorientierung immer Gegenstand intensiver Debatten war, ist ein anderes Merkmal der internationalen Verflechtungen lange Zeit unbeachtet geblieben: die Importorientierung. Erst in den Zeiten der Corona-Krise, als internationale Lieferketten gerissen sind und Produktion deshalb nicht mehr stattfinden konnte, rückte auch dieser Aspekt in den Blickpunkt. 2023 betrugen die Warenausführen knapp 1,6 Billionen Euro, die Einfuhren beliefen sich aber ebenfalls auf gigantische 1,4 Billionen Euro. Angesichts dieser Summen relativiert sich sogar der enorme Außenhandelsüberschuss. Bis 2019 waren sowohl die Exporte als auch die Importe kontinuierlich angestiegen, mit Ausnahme der Krisenjahre 2009/10. Der Rückgang 2020 war ebenfalls krisenbedingt, durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie waren die Außenhandels- beziehungen stark eingeschränkt. Der starke Anstieg der Einfuhren 2022 beruht ausschließlich auf Preiseffekten, weil die Importpreise für Gas und Öl und auch einige andere Rohstoffe förmlich explodierten. Das hat sich im letzten Jahr wie- der normalisiert.

Von dem Muster, das Rohstoffe eingeführt und dann industrielle bearbeitet werden und diese Produkte dann ausgeführt werden, haben sich die deutschen Ein- fuhren schon lange entfernt. Natürlich werden auch weiterhin Rohstoffe impor- tiert, da Deutschland als rohstoffarmes Land darauf angewiesen ist. Das ist aber nur ein relativ kleiner Teil. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Rohstoffe zu relativ niedrigen Preisen gehandelt werden und deshalb – in Werten ausgedrückt – in der Handelsbilanz unterrepräsentiert sind, machen sie nur einen kleinen Teil der Importe aus. Die Struktur der Güter unterscheidet sich nicht wesentlich von der Struktur der Exportgüter. Gut die Hälfte der importierten Waren sind Produkte der wichtigen Industriebranchen DV-Geräte, elektrische und optische Erzeugnisse, Autoindustrie, elektrische Ausrüstungen, Maschinenbau und chemische Erzeugnisse.

Auch von den Ländern unterscheiden sich die Warenein- und Ausfuhren nicht besonders stark. Wichtigster Handelspartner ist in jedem Fall die EU. 54 Prozent der Exporte gingen und 52 Prozent der Importe kamen 2023 aus der EU. Nach einzelnen Ländern sortiert gehen die Exporte vor allem in die USA, nach Frankreich, die Niederlande, China und Polen. China ist das einzige Land, bei dem sich die deutschen Handelsbeziehungen deutlich von den anderen unter- scheiden. Aus China beziehen wir viel mehr Waren, als wir dorthin verkaufen. So ist die Rangfolge der wichtigsten Importstaaten China, die Niederlande (das ist ein Sonderfall, weil ein großer Teil der Ölimporte der Niederlande zugerechnet wird), Polen und Italien.

Zu den Importen gehören neben Gas, Öl, Metallen und landwirtschaftlichen Er- zeugnissen auch Konsumgüter. Große Teile der heimischen Konsumgüterindus- trie wurden in den letzten Jahrzehnten von den Importeuren verdrängt. So gibt es beispielsweise praktisch keine Produktion von Unterhaltungselektronik oder von Textilien mehr in Deutschland. Diese Branchen haben dem Kostendruck mit Ländern, die mit erheblich geringerem Lohnniveau fertigen, nicht standgehalten. Auch viele gängige Medikamente kommen mittlerweile fast ausschließlich aus dem Ausland. Doch die Einfuhren spielen auch für die hiesige Produktion eine ganz wichtige Rolle. Es werden in großem Maße industrielle Vorprodukte eingeführt, die in Deutschland weiterverarbeitet werden.

Mit der Osterweiterung der EU wurde die dortige Industrie zu einer verlän- gerten Werkbank der hiesigen Unternehmen entwickelt. Viele neue Fabriken entstanden auch auf der grünen Wiese. Teile der vorher in Deutschland statt- findenden Produktion wurde in diese Länder verlagert, was zu einer erheblichen Kostensenkung führte. Eine weitere wichtige Vorleistungsgruppe, die importiert wird, sind Güter, die in Deutschland nicht in ausreichender Menge und/oder in ausreichender Qualität zur Verfügung stehen. An erster Stelle sind hier die Halb- leiter zu nennen, die in vielen Branchen benötigt werden. Im Ergebnis ist in der deutschen Industrieproduktion ein bedeutender Teil ausländischer Wertschöp- fung enthalten.

»Der überdurchschnittlich hohe Offenheitsgrad liegt unter anderem am ho- hen deutschen Importbedarf an Vorleistungsgütern für die weitere Verarbeitung in den industriellen Wertschöpfungsketten. Ein erster Überblick zeigt, dass einige Branchen besonders viele Vorleistungsgüter aus dem Ausland beziehen, die dann in ihren jeweiligen Produktionsprozessen weitere Verwendung finden. An der Spitze steht hier der Kraftwagenbau mit Vorleistungsimporten im Wert von mehr als 60 Mrd. Euro.« (Prognos 2024, 2)

In den zentralen deutschen Industriebranchen wie Auto, Chemie oder Maschi- nenbau stammen 30–40 Prozent der Wertschöpfung aus dem Ausland. Das gilt in etwas abgeschwächter Form nicht nur für die Produktion, sondern auch für die deutschen Ausfuhren. »Etwa 30 Prozent der Exporte des Verarbeitenden Gewerbes enthalten importierte Vorleistungen und Rohstoffe. … In der Automobilindustrie macht ausländische Wertschöpfung etwa 28 Prozent des Wertes der Exporte aus. Das liegt etwas unterhalb des Durchschnitts des Verarbeitenden Gewerbes. Die Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten hat über die Zeit zugenommen« (SVR 2022, 375).

Damit wird der Umriss des deutschen »Geschäftsmodells« deutlich. Mit dem Import günstiger Konsumgüter und günstiger Energie wurde der Lebensstandard gesichert. Gleichzeitig haben niedrige Energie- und Rohstoffpreise sowie die Ein- fuhr von industriellen Vorleistungsgütern aus Staaten mit erheblich niedrigerem Lohnniveau die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gesteigert. Das hat zu den großen Exporterfolgen beigetragen und somit relativ gut bezahlte industrielle Arbeitsplätze gesichert und den exportierenden Konzernen hervorragende Profite beschert. Doch dieses Modell stößt schon seit längerem an seine Grenzen. Die unmittelbaren Wachstumseffekte aus den vielfältigen Außenhandelsverflechtungen lassen sich am Außenbeitrag ablesen. Diese Größe aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung beschreibt den Anteil des Wachstums (oder des Schrumpfens), die sich aus den Exporten minus der Importe ergeben.

Zuletzt waren es die Jahre 2010 bis 2012, in denen es der deutschen Ökonomie gelungen war, einen nennenswerten Außenbeitrag zu erwirtschaften. Damals haben die Exporte wesentlich dazu beigetragen, die Wirtschafts- und Finanzkrise schnell zu überwinden, was als V-förmiger Krisenverlauf bezeichnet wur- de. Die Industrie hatte dabei stark von den weltweiten Konjunkturprogrammen profitiert, die zur Überwindung der Krise aufgelegt wurden. In den Jahren 2013 bis 2018, die von einem mäßigen konjunkturellen Aufschwung geprägt waren, traf das nicht mehr zu. Auf den gesamten Zeitraum betrachtet gab es überhaupt keinen positiven Außenbeitrag mehr. Die Außenhandelsverflechtungen hatten das Wachstum vermindert und keineswegs gepusht. Der Aufschwung war aus- schließlich binnenwirtschaftlich getragen. 2020 setzte dann eine Phase multipler Krisen mit vielfältigen Ursachen ein.

Die Phase der De-Globalisierung

Die große weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/09 war nicht nur für die deutschen Außenhandelsbeziehungen eine tiefgreifende Zäsur. Zu- mindest was den Welthandel betrifft brach der Prozess der fortschreitenden Globalisierung, bei dem der Welthandel schneller zunahm als die Wirtschaftsleistung, ab. Eine neue Phase der Wirtschaftsbeziehungen brach an, die viele als De-Globalisierung charakterisierten. Es waren aber nicht nur die realen Handelsbeziehungen betroffen, auch die ideologischen Debatten verschoben sich. Wurden die »Schatten der Globalisierung« (Stiglitz) wie die Deregulierung der Finanzmärkte, die Folgen des Freihandels und die immer ungleichere Verteilung bisher von linker Seite intensiv kritisiert (was auch zur Gründung von ATTAC führte), so kam die Globalisierung jetzt von rechts, von nationalistischer Seite, immer stärker unter Beschuss.

»Der Trend geringerer Wachstumsraten und stagnierender Globalisierung ist Folge der Krisen der letzten Jahre sowie der zunehmenden Widerstände ge- gen eine voranschreitende Öffnung der Märkte. Seit vielen Jahrzehnten war die Grundhaltung neo-liberaler Ökonomen das herrschende Paradigma. Dazu gehörte auch die auf Adam Smith und David Ricardo zurückgehende Überzeugung, dass der Handel und die Spezialisierung der Länder auf die Waren, die sie we- gen einer besseren Verfügbarkeit von Produktionsfaktoren zu (vergleichsweise) geringeren Kosten herzustellen vermögen, den Wohlstand mehren.« (Kurtzke/ Scheidt 2023, 3)

Dieses Paradigma wich immer stärker den Forderungen nach nationaler Ab- schottung. Politisch setzte sich dieser nationalistische Kurs mit der Wahl von Donald Trump (Amtszeit 2017–2021) vor allem in den USA durch. Der wirtschaftliche Konflikt mit China wurde weiter zugespitzt, aber auch gegen andere Länder wie die EU wurden Strafzölle eingeführt. Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der EU (TTIP) wurden abgebrochen. Der nordamerikanische Freihandelspakt NAFTA wurde ebenfalls ausgesetzt und durch das neue Abkommen United States-Mexico-Canada Agreement (USMCA) ersetzt, in dem es beispielsweise umfangreichere Local Content Bestimmungen gibt. Obwohl dieser neue Kurs die selbst gesteckten Ziele, wie eine Verringerung des US-Amerikanischen Leistungsbilanzdefizits, klar verfehlte (siehe hierzu Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2023, 85f), wurde die Zollpolitik unter Joe Biden praktisch unverändert fortgeführt, die Sanktionspolitik gegenüber China sogar verschärft. Die Politik der Abschottung ist offensichtlich in den USA zu populär um geändert zu werden.

Eine ganz neue Qualität der Störung internationaler Wirtschaftsverflechtun- gen entwickelte sich ab 2020. Zunächst brach im Frühjahr die Corona-Pandemie aus. Die Staaten versuchten, durch Abschottungen, Grenzschließungen, Betriebsschließungen und vielen Einschränkungen für die Bevölkerung die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Das hat die wirtschaftlichen Aktivitäten erheblich eingeschränkt. Die Welt geriet in eine schwere Wirtschaftskrise. Noch stärker waren die internationalen Beziehungen betroffen. Einzelne Länder wie China fuhren mit einer null-Covid-Strategie einen noch härteren Kurs. Ganze Städte (oder auch Häfen) wurden abgeriegelt, wenn einzelne Infektionsfälle auftragen. Die internationalen Lieferketten brachen zeitweise zusammen. Deutschland war davon besonders stark betroffen, die ganz große Mehrheit der Unternehmen litten wie die Befragungen des ifo-Instituts ergaben unter Materiamangel. Die Produktion musste häufig eingeschränkt werden. Besonders prominent in der öffentlichen Wahrnehmung war der Mangel an Mikrochips in der Automobilindustrie, doch es fehlte an vielen Rohstoffen und Vorprodukten und das in praktisch allen Branchen.

»Bei näherer Betrachtung der großen europäischen Industrien fallen zwei Dinge ins Auge. Erstens kämpfte Frankreich historisch mit einer hohen Materialknappheit. Diese zeigte sich insbesondere Anfang der 1990er und 2000er Jahre. Die Werte für Deutschland, Spanien, Italien und Österreich lagen vor der Pandemie im Schnitt bei 4,6 %. Zweitens litt besonders Deutschland unter den jüngsten Materialengpässen. Ende 2021 und Anfang 2022 berichteten in Deutschland mehr als 80 % der befragten Unternehmen von Engpässen. In Irland, Schweden und Dänemark – die neben Deutschland am stärksten betroffen waren – klagten 71 %, 67 % beziehungsweise 65 % der Unternehmen über einen Materialmangel« (Licht/Wohlrabe 2024, 60f).

Nachdem die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abklangen und die Lage sich beruhigte, begann der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die EU und viele westliche Staaten reagierten mit umfassenden Sanktionspaketen, mit denen die russische Ökonomie in die Knie gezwungen und damit Kriegsuntüchtig gemacht werden sollte. Vor allem für die weltweite Energieversorgung erwiesen sich der Krieg und die Sanktionen als verheerend. Aber auch bei einigen Metallen, bei Lebens- und Düngemitteln gab es Versorgungsengpässe, die zu stark steigenden Preisen führten. Die unmittelbaren Handelsverflechtungen Deutschlands mit Russland waren nicht sehr ausgeprägt, doch die explodierenden Energiepreise haben die deutsche Ökonomie stark beeinträchtigt. Auch wenn die Energiepreise inzwischen fast wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben, die Zeiten der sehr billigen Energie ist wahrscheinlich endgültig vorbei. Und es ist der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik unbedingt zuzustimmen, wenn sie in diesem Krieg einen Brandbeschleuniger für die Krise der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sieht.

»Der Krieg hat auch die geopolitische Spaltung der Welt vorangetrieben. Schon vorher entfaltete sich der Machtkampf um eine dominierende Stellung in der Welt zwischen den USA und China. Jetzt droht zunehmend eine Blockbildung, bei der China und Russland auf der einen Seite, Europa, die USA und Japan auf der anderen Seite stehen. Als Konsequenz werden in Deutschland die engen wirtschaftlichen Beziehungen zu China deutlich kritischer gesehen. Konzerne geraten in eine Zwickmühle zwischen der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China und den Risiken ihres Engagements bei feiner Zuspitzung des Konflikts.« (Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik 2023, 85)

In der schwierigen geopolitischen Situation, in der wir uns gegenwärtig be- finden, gibt es mit dem notwendigen ökologischen Umbau und der fortschrei- tenden Digitalisierung zwei weitere Mega-Themen, die auch das internationale Wirtschaftsgeflecht massiv verändert. Die Umstellung auf erneuerbare Energien ist langfristig nicht nur aus ökologischen Gründen vorteilhaft. Zwar fallen enor- me Investitionsaufwendungen an, aber für die laufende Stromproduktion gibt es keine zusätzlichen Rohstoffkosten. Auch die Abhängigkeiten von Energieimpor- ten nehmen ab. Zwar wird Deutschland auch mit erneuerbaren Energien nicht Energieautark und wird weiter auf Einfuhren angewiesen sein. Die Anteile der inländischen Erzeugung fallen bei Wind und Sonne deutlich höher aus als bei fossilen Brennstoffen. Zudem können die Importe leichter diversifiziert werden, weil relativ viele Länder klimatisch gute Voraussetzungen für erneuerbare Energien aufwarten.

Auf dem Weg dorthin gibt es aber neue internationale Abhängigkeiten. Das fängt aktuell bei den Solarpanels an, die nicht mehr in Deutschland produziert werden. Sie werden ausschließlich aus China importiert. Auch bei den Elementen für Windkraftanlagen wachsen die Anteile, die von ausländischen Zulieferern kommen. Wenn man nicht nur die Energieversorgung anschaut, sondern den gesamten ökologischen und digitalen Umbau, dann verändert sich der Bedarf an Rohstoffen. Nach der Definition der EU sind kritische Rohstoffe solche, die eine hohe geographische Konzentration und häufige Verwendung in Zukunftstechnologien aufweisen. Unter letzterem werden 3D Druck, Drohnen, Digitale Techno- logien, Li-Ionen Batterien, Robotik, Photovoltaik, E-Motoren und Windenergie gesehen.

Kritische Rohstoffe sind Cobalt, Bor, Silicium, Graphit, Magnesium, Lithium, Niob, Seltene Erden und Titan (siehe hierzu Flach u. a. 2022). Bei einigen dieser Rohstoffe wird in den kommenden Jahren ein gewaltig steigender Bedarf prognostiziert. Bei vielen ist China derzeit ein wichtiger Lieferant für den Weltmarkt. Mangelnde Investition in Förderstätten, sich zuspitzende Konflikte und Handelskriege können schnell zu Lieferproblemen und/oder stark steigenden Preisen führen.

Ein heikler Punkt in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind Sub- ventionen. Nach den Regeln der Welthandelsorganisation WTO sind sie norma- lerweise verboten, um international faire Wettbewerbsbedingungen zu garantie- ren. Es gab immer wieder Vorwürfe, Verdächtigungen und auch Verfahren vor den WTO-Schiedsgerichten wegen unerlaubter Subventionierung. Ein bekann- ter Fall, der sich seit vielen Jahren hinzieht sind die gegenseitigen Vorwürfe zwischen Boing und Airbus. Jetzt sind viele Staaten ganz offen dazu übergegangen, die WTO-Regeln nicht mehr zu beachten und mit massiven Subventionen um die Ansiedlung von Kapital zu buhlen. Ziel ist es, internationale Abhängigkeiten zu verringern, Arbeitsplätze im eigenen Land zu sichern und die industrielle Führerschaft in wichtigen Branchen zu erzielen.

China arbeitet mit einem vielfältigen Förderinstrumentarium daran, bis 2049 zur weltweiten führenden Industrienation aufzusteigen. Zwischenschritte dahin waren der fünf-Jahres-Plan 2021–2025 und die Made in China 2025 Strategie. »Das Handlungsmuster, wie in der 'Made in China 2025' Strategie vorgegangen wird, ist bei den unterschiedlichen Technologien ähnlich. Zuerst werden aus- ländische Investoren angeworben, Technologien übernommen und Nachfrage geschaffen. Danach entwickelt man sich selber Schritt für Schritt zum globalen Technologieführer.« (Kurtzke/Scheidt 2023, 16)

In den USA hat die Biden-Administration zur Ankurbelung der Wirtschaft einen »Built Back Better Plan« aufgelegt. Neben einem Programm für mehr In- frastrukturinvestitionen »Infrastructure Investment and Jobs Act« gehören dazu zwei große Förderprogramme zur Subventionierung der Industrie. Das ist der »Chips and Science Act« (Volumen 280 Milliarden US-Dollar) und der »Infla tion Reduction Act” (Volumen 550 Milliarden Euro) (Vgl. ausführlicher Kurtzke/Scheidt 2023, 10ff). Die Finanzvolumina sind nur erste Ansätze. Da die Fördermittel nicht gedeckelt sind, können die Beträge noch erheblich ansteigen.

Auch in der EU gibt es eine Vielzahl an industriepolitischen Initiativen und Förderprogrammen, um den ökologischen Umbau, die Digitalisierung und strategische industrielle Ziele finanziell zu unterstützen. Sie werden im »Green Deal Industrial Plan« gebündelt. Die möglichen Fördervolumina unterscheiden sich wahrscheinlich gar nicht so viel von den US-amerikanischen und den chinesischen Programmen. Doch die EU hat hier einen strukturellen Nachteil: Es dauert in der Regel sehr lange, bis entsprechende Initiativen das europäische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen haben. Dann müssen diese Richtlinien noch in nationales Recht überführt werden. Am Ende müssen die konkreten Fördermittel wieder von der EU genehmigt werden. Auch wird normalerweise nur die Erlaubnis zur Förderung erteilt, die Geldmittel kommen von den Nationalstaaten. Viele können sich entsprechende Förderungen gar nicht leisten. Deutschland hätte damit zwar grundsätzlich kein Problem, es schränkt sich aber selber durch die Schuldenbremse und keine ausreichende Besteuerung von Unternehmen, hohen Einkommen und großen Vermögen ein.

Grundsätzlich ist es zwar richtig, wenn Regierungen die wirtschaftliche Ent- wicklung nicht dem freien Markt überlassen, sondern selbst für die strategische Ausrichtung eingreift. Die Förderung ökologischer Produktion, die sich über Marktpreise noch nicht rechnet, kann auch sehr sinnvoll sein. Doch faktisch haben die vielen nationalen Initiativen zu einem Subventionswettlauf geführt, der sehr teuer ist und bei dem alle verlieren. Krätke beschreibt diese Entwicklung speziell für die Halbleiterbranche. Weil sie als strategisch sehr wichtig eingeschätzt wird, werden Investitionen praktisch überall gefördert. »Damit erleben wir den Beginn eines weltweiten industriepolitischen Wettlaufs, der die heutige internationale Arbeitsteilung zwangsläufig verändern muss. Denn alle wollen sich aus der Abhängigkeit von Zulieferern aus dem Ausland lösen.« (Krätke 2022, 101) Das ist in diesem Fall besonders ärgerlich, weil es sich um eine hochprofitable Branche handelt, die überhaupt keiner Förderung bedarf.

Die weltweite Aufstellung des deutschen Kapitals

Nicht erst, seit es für die Ansiedlung von bestimmten Industrien hohe staatliche Subventionen gibt, ist die Anlage des Kapitals im Ausland für deutsche Unternehmen ein Thema. Es ist ein langfristiger Trend und ein weiterer Faktor der internationalen Verflechtung der deutschen Ökonomie. »Deutsche Unternehmen partizipierten ebenfalls an der Globalisierung in Form von Direktinvestitionen. So schraubten hiesige Firmen ihren konsolidierten Bestand an Direktinvestitionen im Ausland von gut 120 Mrd € Ende des Jahres 1990 auf knapp 1,5 Billionen € Ende 2019 hoch.« (Deutsche Bundesbank 2021, 18) Die Motive für Direktinvestitionen sind vielfältig. Saldenmechanisch sind sie eine Gegenbuchung zu den Leistungsbilanzüberschüssen. Allerdings stellt der Bestand an Direktinvestitionen auch Vermögen dar, aus denen wieder Renditen erwirtschaftet werden. Wenn diese nicht vollständig wieder in dem Land investiert werden, steigern diese Einnahmen wiederum den Leistungsbilanzüberschuss.

»Die Primäreinkommensbilanz wies im Berichtsjahr einen massiven, praktisch unveränderten Aktivsaldo von 144 Mrd. € aus. Der Überschuss war nur etwa 2 Mrd. € höher als 2022, nachdem er in den beiden Jahren zuvor kräftig angestiegen war. Somit entsprachen allein die Nettoerträge der Primäreinkommen etwa 3,5 % des BIP.« (Deutsche Bundesbank 2024, 96) Zum Vergleich: der gesamte Überschuss in der Leistungsbilanz betrug 2023 243,1 Milliarden Euro. Aus den internationalen Vermögenseinkommen speist sich also ein erheblicher Teil des gesamten Leistungsbilanzüberschusses.

Den größten Bestand an deutschen Direktinvestitionen im Ausland hatte 2021 mit 489 Milliarden Euro die EU, knapp dahinter lagen die USA mit 409 Mil- liarden Euro. Der Bestand an deutschen Direktinvestitionen in China war mit 103 Milliarden Euro deutlich kleiner, wenn auch schnell zunehmend. Insgesamt sind die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland erheblich geringer. Der Be- stand an Direktinvestitionen aus der EU lag bei 380 Milliarden Euro. Aus den USA war der Bestand mit 67 Milliarden Euro relativ klein, aus China gab es gar nur einen Bestand von 4,6 Milliarden Euro (alle Zahlen Deutsche Bundesbank). Das in Deutschland manchmal der Eindruck vermittelt wird, es gebe einen Ausverkauf der deutschen Wirtschaft an das Ausland oder gar nach China, erscheint nach den Zahlen relativ absurd. Generell gibt es aber auf der Kapitalseite eine große internationale Verflechtung.

Aus der Sicht des einzelnen Unternehmens kann eine Direktinvestition eine reine Finanzanlage sein. Oft werden Beteiligungen aber auch aus strategischen Gründen getätigt. Kooperationen zu anderen Unternehmen im Ausland werden so aufgebaut. Mit der Mehrheitsübernahme anderer Unternehmen oder dem Aufbau von Produktionsstätten auf der grünen Wiese können aber auch die eigenen Produktionskapazitäten erweitert werden. Damit können Exporte ergänzt oder ersetzt werden. Dass die Direktinvestitionen auch in den Aufbau von Produktionskapazitäten geflossen sind, zeigt sehr deutlich die deutsche Automobilproduktion. 2023 produzierten die deutschen Autokonzerne im Inland 4,1 Millionen PKW (von denen 75,7 Prozent exportiert wurden), aber an ausländischen Fertigungsstätten 10,1 Millionen PKW. Die ausländischen Produktionskapazitäten sind also längst viel größer als diejenigen in Deutschland. An erster Stelle steht dabei China, wo die deutschen Konzerne (hier nur Zahlen für 2021) 4,36 Millionen PKW fertigten. Danach folgen die ausländischen Standorte in Europa mit 3,18 Millionen PKW und in Amerika mit 1,98 Millionen PKW. Der Anteil der inländischen Fertigung an der Gesamtproduktion hat gegenüber 2018 weiter abgenommen.

Als Motiv für die Produktion im Ausland gilt häufig die größere Marktnähe. In gewissem Maße können dann Direktinvestitionen im Ausland die heimische Produktion sogar stärken. Unternehmen die investieren tun dies häufig im Inland und im Ausland. Allerdings kann es auch zur Verlagerung der inländischen Produktion kommen, dann werden Exporte durch Auslandsproduktion ersetzt. Es spricht viel dafür, dass wir dieses gerade in China erleben. Die Exporte brechen ein, die Direktinvestitionen steigen weiter. »Der sprunghafte Anstieg der grenzüberschreitenden Primäreinkommen aus China sowie die reinvestierten Gewinne deutscher Unternehmen deuten darauf hin, dass deutsche Unternehmen zunehmend nicht mehr nach China exportieren, sondern direkt dort produ- zieren. Darüber hinaus erhöht China seinen heimischen Wertschöpfungsanteil an konsumierten, investierten und produzierten Waren, so dass die Importquote Chinas um etwa die Hälfte im Beobachtungszeitraum gesunken ist. Hierfür ist nicht zuletzt Chinas technischer Fortschritt verantwortlich.« (Stamer 2023, 11)

Was bedeutet es aus deutscher Perspektive, wenn Exportproduktion substi- tuiert wird? Hier muss man klar unterscheiden zwischen der Perspektive der Beschäftigten und des Kapital. Aus der Sicht der Beschäftigten gehen Arbeitsplätze verloren. Wenn diese nicht durch zusätzliche inländische Nachfrage ersetzt werden können, ist damit klar ein Wohlstandverlust verbunden. Allerdings ist damit für die – in diesem Fall chinesischen – Beschäftigten eine Zunahme an Arbeitsplätzen und damit an Wohlstand verbunden. Der Außenhandelsüberschuss geht zurück. Aus der Sicht des Kapitals kommt es nur auf die Renditen an. Da diese bei der chinesischen Produktion mindestens so hoch sind wie in Deutschland (siehe hierzu Bertelsmann Stiftung 2023), haben Vorteile. Denn sie können Einfuhrzölle oder Local Content Regelungen umgehen. Bei relativ offenen Handelsbeziehungen, wie etwa in der EU, erwächst ihnen ein weiterer großer Vorteil: Ausländische Standorte sind eine gute Möglichkeit, Belegschaften gegeneinander auszuspielen. Die internationale Solidarität ist meist geringer als die innerhalb eines Staates. Neue Aufträge bekommen die Standorte, die günstiger produzieren können. Es gibt die Gefahr eines Unterbietungswettlaufs.

Fazit: Strukturelle Krise des deutschen Wachstumsmodels

Deutschland steckt in der Stagnationsfalle. Ein Teil davon ist rein konjunkturell und wird auch wieder überwunden werden. Ein Teil ist aber auch strukturell: Das deutsche Geschäftsmodell, das auf einer großen internationalen Verflechtung bei Importen, Exporten und Direktinvestitionen angewiesen ist, stößt an seine Grenzen in einer Welt der Deglobalisierung. Die jüngsten Beispiele betreffen den Handel mit China: die Einführung von Einfuhrzöllen auf chinesische Elektro- autos und das Verbot von chinesischen Komponenten bei der 5G Technik in den Telekommunikationsnetzen. Es ist relativ unerheblich, ob die Vorwürfe, die zu diesen Regelungen geführt haben, berechtigt sind oder nicht. Sie werden auf jeden Fall Gegenreaktionen der chinesischen Seite hervorrufen, die wiederum den Handelsbeziehungen schaden werden.

Diejenigen, die eigentlich mit den Zöllen geschützt werden sollen, lehnen sie deshalb auch entschieden ab. »Grundsätzlich gilt: Ausgleichszölle für aus China importierte E-Pkw sind nicht geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie zu stärken. Die deutsche Automobilindustrie setzt sich für freien und fairen Handel ein. Jede protektionistische Maßnahme, dazu zählen zusätzliche Zölle genauso wie ungerechtfertigte und marktverzerrende Subventionen, schränkt freien Handel ein und birgt das Risiko von Handelskonflikten, die sich letztlich zum Nachteil aller Seiten auswirken.« (VDA-Präsidentin Hildegard Müller in einer Presserklärung vom 4.7.2024)

Die geopolitischen Spannungen fallen zudem in eine Zeit des notwendigen ökologischen Umbaus. Es ist völlig unklar, ob die deutsche Industrie ihre Wettbewerbsstärke auch bei einem Umstieg auf ökologische Produkte halten kann. Die derzeitige Situation bei E-Autos lässt daran zumindest Zweifel aufkommen.

Ein letzter Stabilitätsanker ist die EU, mit der die intensivsten Wirtschaftsbeziehungen bestehen. Hier gibt es stabile Rechtsbeziehungen. Doch auch an der Stelle wachsen die Risiken: der Brexit war eine erste Warnung und der Aufstieg rechtsradikaler Parteien verheißt nichts Gutes.

Klar ist nur: die Abhängigkeiten von Deutschland sind so groß, dass ein kurzfristigesDecoubling verheerende Konsequenzen hätte. Deutschland braucht langfristig einen neuen Entwicklungspfad. Vielleicht bietet der ökologische Umbau dabei sogar Chancen, weil alle Strukturen umgebaut werden müssen.


Literatur

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2017): Statt »Germany first«: Alternativen für ein solidarisches Europa, MEMORANDUM 2017, Köln.

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2023): Globalisierung am Ende – Zeit für Alter- nativen, MEMORANDUM 2023, Köln.

Bertelsmann Stiftung (2023): Gewinne deutscher Investoren in China – eine erste empirische Bestandsaufnahme, zusammen mit IW Köln, MERICS gGmbH, BDI.

Deutsche Bundesbank (2021): Grenzüberschreitende Unternehmensübernahmen: Auswirkun- gen der Internationalisierung auf Unternehmen in Deutschland, in: Monatsbericht Juli 2021.

Deutsche Bundesbank (2024): Die deutsche Zahlungsbilanz für das Jahr 2023, in: Monatsbe- richt März 2024.

Flach, L. u. a. (2022): Wie abhängig ist Deutschland von Rohstoffimporten? Eine Analyse für die Produktion von Schlüsseltechnologien, Studie des ifo-Zentrum für Außenwirtschaft für die IHK München und Oberbayern und den DIHK.

Krätke, Michael R., (2022): Chips: Wettlauf um die Schlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2022.

Kurtzke, W./Scheidt, B. (2023): Krise der Globalisierung, Ursachen und Folgen für die deut- sche Industrie, in: Wirtschaftspolitische Informationen der IG Metall, Juni 2023.

Licht, T, Wohlrabe, K. (2024): Materialengpässe in der Industrie: Ein Blick zurück, Status quo und ein europäischer Vergleicht, in: ifo Schnelldienst 3/2024.

Prognos AG (2024): Resilienz der deutschen und bayerischen Wirtschaft, Studie im Auftrag des vbw, Juli 2024.

Sachverständigenrat (SVR) (2022): Jahresgutachten 2022/23.

Stamer, Vincent (2023): Deutsche Exporte ausgebremst: China ersetzt »Made in Germany«, in: Kiel Policy Brief, September 2023.

 

Erstveröffentlichung Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 139, September 2024