Während die Klimakatastrophe unübersehbar geworden ist (außer Markus Söder wussten alle, dass Starkregen zu Überschwemmungen führt), bahnt sich eine klimapolitische Rolle rückwärts an.

 

Nachdem in Deutschland und anderen Ländern der EU die Diskussion losgetreten wurde, das Verbrenner-Aus zu kippen, nährt nun auch der Betriebsratschef von Audi die Hoffnung, dass es so weitergehen kann wie bisher.
Die IG Metall steht zwar zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens, ist dennoch– trotz guter gemeinsamer Positionen mit Umwelt- und Sozialverbänden – ziemlich ratlos in der Debatte und den Aktionen um die Verkehrswende.

„Ich glaube, dass die Gewerkschaften sich überlegen müssen, ob sie beim Thema Klimawandel vorneweg marschieren wollen oder das anderen überlassen. Ich wünsche mir, dass wir uns mehr mit außerparlamentarischen Bewegungen verbünden. Das betrifft nicht nur die Klimabewegung, sondern auch die Antikriegsbewegung. In Kassel gibt es Rheinmetall, wo abhängig Beschäftigte Rüstungsgüter herstellen. Es geht um Arbeit, klar. Aber dennoch muss man fragen, ob wir als Gewerkschaft akzeptieren wollen, dass in Kriegen Waffen eingesetzt werden, die aus Deutschland kommen. Immerhin setzt sich die IG Metall laut Satzung für Frieden ein. Ich finde, dass wir auch da die Speerspitze der Bewegung bilden sollten,“
so der VW-Betriebsrat Bilal Sahin im Interview mit dem nd1.

Die Schließung des Ford-Werkes in Saarlouis wurde ausgespielt gegen das Ford-Werk in Valencia. Eine internationalistische, europäische Strategie dagegen ist bei der IG Metall so wenig wirksam wie beim europäischen Betriebsrat. Die Konkurrenz zu akzeptieren kann nicht zum Erfolg führen – das ist das gewerkschaftliche Dilemma, auch im Fall Tesla.

Verzweiflung in Zwickau, Emden und Brüssel

In Zwickau, Emden und Brüssel werden in vergleichbaren Fabriken Autos gebaut, Elektroautos. Aber die Autos finden keinen Absatz, weil fast nur große und teure Autos gebaut werden und weil deren Förderung am 18. Dezember 2023 durch die Bundesregierung abrupt beendet wurde. Seit Beginn der Förderung vor sieben Jahren wurden 10 Milliarden Euro dafür ausgeschüttet – überwiegend für Unternehmen, die ihre Flotte von Geschäftsfahrzeugen erweitert haben. Die Steuerfreiheit von E-Autos, ca. 100 Mio. Euro pro Jahr gegenwärtig, bezahlt gleichermaßen der ärmere Teil der Bevölkerung.
Ein wichtiger Grund für den Absatzeinbruch sind die Behauptungen von CDU/CSU, FDP, BSW, AfD und von der Leyen, wir können so weitermachen wie bisher. Den Arbeiterinnen und Arbeitern in den Fabriken von VW und Audi, in denen hauptsächlich E-Autos gebaut werden, geht es schlecht, wenn sie an die Zukunft denken. Immer wieder wird tage- oder wochenweise die Produktion gestoppt, um nicht noch mehr Autos „auf Halde“ zu produzieren. Ford schließt seine Fabrik in Saarlouis, bei BMW und Mercedes sieht es wegen der reichen Luxus-Kunden weltweit etwas besser aus. In Zwickau, Emden und in Brüssel hoffen sie darauf, dass der Kelch der Werksschließung an ihnen vorübergeht, dass eher das jeweils andere Werk geschlossen wird. Der Ingolstädter Betriebsratsvorsitzende von Audi, Jörg Schlagbauer, fordert auf der jüngsten Betriebsversammlung einen Kurswechsel hin zu mehr Verbrenner-Autos über den bisherigen Zeithorizont (2033) hinaus, um aus dem aktuellen „Krisenmodus“ wieder herauszukommen. Die Herren von VW freuen sich über diese Wendungen und die konstruierte Spaltung – verschonen vielleicht die größeren Standorte und machen als erstes die Fabriken in Dresden, Osnabrück und Brüssel dicht.

Verfehlte Produktstrategie

Die eingebrochene Nachfrage nach Elektroautos lässt nun Zweifel an dem Ziel der Klimaneutralität aufkommen – nicht jedoch an der Produktionsstrategie der Autokonzerne. BMW-Boss Zipse hat kein Datum für ein Aus von Benzinern und Diesel gesetzt und will weiter in die Technik investieren. Der Plan von Mercedes, ab 2030 nur noch Elektroantriebe anzubieten, ist gestrichen. Der Klimawandel soll anderswo gestoppt werden, argumentiert das Handelsblatt (14.6.2024): „Aktuell könnte das in Indien der Fall sein, wo gut drei Viertel des Strombedarfs durch das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl gedeckt werden. Würde der Westen Indien und andere Schwellenländer mit Geld und Technologie stärker als bisher dabei unterstützen, zügig von der Kohleverstromung wegzukommen – dann wäre das ein sehr effizienter Weg zu mehr Klimaschutz,“ – und die deutschen Autokonzerne könnten so weitermachen wie bisher.
Die Verkehrswende mit einem kräftigen Ausbau des ÖPNV könnte ebenso ausbleiben wie die Umstellung auf Wärmepumpen, kleine, sparsame und preiswerte E-Autos kämen aus China (falls die EU das durch den Handelskrieg nicht auch noch versaut). Der klimapolitische Backlash wäre vollkommen, die Klimakatastrophe nähme mit allen fürchterlichen Folgen ihren Lauf und die soziale Katastrophe wäre nur um kurze Zeit verschoben und in andere Weltregionen ausgelagert.

Schützt das VW-Gesetz?

Bei VW wird inzwischen offen über massenhaften Personalabbau und über Werksschließungen gesprochen. Tausende Leiharbeiter*innen in Hannover, Emden und Zwickau werden vor die Tür gesetzt, wie unter anderem der NDR berichtet2. Im Rahmen des aktuellen Sparprogramms sollen 20 Prozent Personalkosten im indirekten Bereich eingespart werden, die Arbeit also mit rund 10.000 Angestellten weniger geleistet werden. Mit der Debatte um Werksschließungen ist die Frage aufgeworfen, welche Möglichkeiten die besondere Mitbestimmung bei VW nach dem VW-Gesetz hat. Im VW-Gesetz heißt es u.a.: (§4.2) „Die Errichtung und die Verlegung von Produktionsstätten bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats. Der Beschluss bedarf der Mehrheit von zwei Drittel der Mitglieder des Aufsichtsrats.“ Mit dem Anteil des Landes und den zwei Mitgliedern der Landesregierung sowie den 10 Vertreter*innen der Beschäftigten im Aufsichtsrat wäre die „Verlegung von Produktionsstätten“ zu verhindern – aber auch die Schließung? Es gibt da noch die Satzung der Volkswagen AG, in der es konkreter formuliert ist, in § 9.1: „Der Vorstand bedarf der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats zur Vornahme folgender Geschäfte: 1. Errichtung und Aufhebung von Zweigniederlassungen; 2. Errichtung und Verlegung von Produktionsstätten.“

Wenn, wie Klaus Dörre bei dem Mobilitätsratschlag angeregt hat, die Aufgabe darin besteht, den Rückschritt hin zum Verbrenner zu verhindern, muss doch um den Umfang und die Funktion von Autos mit E-Antrieb gestritten werden.
Denn es geht am Ende um weniger privat genutzte Autos und um wesentlich mehr öffentlichen Verkehr – sowohl wegen des Klimas als auch wegen der weniger werdenden Erwerbsarbeit, wie an Personalabbau und Werksschließungen sichtbar ist.
Wir brauchen weniger Autos, andere Autos und viel mehr öffentlichen Verkehr.
Das Aus des Verbrenner-Aus ist eine Rolle rückwärts, die die getätigten Investitionen und die industriellen Cluster insbesondere in Ostdeutschland gefährden – das wäre eine soziale und politische Katastrophe.
In der aktuellen Auseinandersetzung muss Die Linke für den Green Deal und gegen das Aus des Verbrenner-Aus kämpfen.
Verzögerungen bei der Verkehrswende führen entweder zum Verfehlen der Klimaziele oder sind, soll Klimaneutralität trotzdem bis 2045 erreicht werden, mit höheren Kosten verbunden. Strukturbrüche und Entwertung von Investitionen sind dann unvermeidlich. Beginnt das Umsteuern der Klimapolitik im Verkehr erst 2030, drohen bis 2045 Mehrkosten von rund 500 Milliarden Euro3.

Elon Musk heizt die Konkurrenz an

Gegen Tesla und Elon Musk oder gegen E-Autos? Bei Tesla in Grünheide erzählen Arbeiter, weil das Unternehmen sich strikt weigert, mit der Gewerkschaft überhaupt zu reden, von der „Produktionshölle“, von mangelnder Arbeitssicherheit, von hohem Arbeitsdruck und ebensolchem Krankenstand, von willkürlichen Entscheidungen betrieblicher Vorgesetzter und kaum Möglichkeiten zusammenhängender Urlaubsentnahme.
Der Widerstand gegen Tesla im Klimacamp oder in der Waldbesetzung in Grünheide ist deshalb kein Kampf gegen das Elektroauto an sich, kein Blitzableiter, schon gar keine „Querfront“ mit den Apologeten des Verbrenner.Motors, wie Timo Daum und Andreas Knie befürchten und argumentieren4.
Es geht dabei um die Mobilitätswende insgesamt, um die geschaffenen Überkapazitäten, die angeheizte Konkurrenz zwischen den Arbeiter*innen der verschiedenen Standorte, für Umwelt- und Ressourcenschutz, Gewerkschaftsrechte und die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter. Und es geht um Demokratie: Wenn der Gemeinderat von Grünheide sich über den Bürgerentscheid gegen die Erweiterung von Tesla hinwegsetzt, so ist das in höchstem Maße undemokratisch und führt zu weiterer Politikverdrossenheit.

Der Kampf bei Tesla wird für das Recht auf Tarifverträge in ganz Europa geführt! Arturo Vasquez Sandoval, Mitglied der schwedischen Linkspartei (Vänsterpartiet) und Sekretär der Gewerkschaft IF Metall in Stockholm, hat jüngst beim Mobilitätsratschlag in Kassel mit Kollegen von der IG Metall gesprochen, die ebenfalls Schwierigkeiten haben, Tesla zu Verhandlungen zu bewegen. Was verbindet die Kämpfe und wie kann die gegenseitige Unterstützung gestärkt werden?

Arturo antwortet im Interview mit dem nd:

„Wir kämpfen nicht nur für das skandinavische Modell. Es ist ein Kampf für das Recht auf Tarifverträge für Arbeiter in ganz Europa. Falls wir verlieren, würde das ein Erdbeben für den Rest des Kontinents bedeuten. Glauben Sie, dass es für die IG Metall leichter wird, einen Tarifvertrag für das Berliner Werk zu unterzeichnen, wenn wir den Kampf in Schweden verlieren? Ein Vorschlag, den ich in Deutschland vorgebracht habe, ist, dass wir ein Netzwerk bilden müssen, damit wir direkt miteinander reden können. Wir müssen eine Verbindung zwischen den Beschäftigten in Berlin und in Schweden herstellen, damit sie sehen, dass sie ähnliche Probleme haben und anfangen können, einander zu unterstützen. Wir werden als Gewerkschaft dabei sein und helfen.“

Beteiligung der Arbeiterinnen und Arbeiter in Transformationsräten und Transformationsnetzwerken, wirtschaftliche Mitbestimmung über die Branche und darüber hinaus gehende Strukturpolitik sind notwendig in der Transformation, sonst kommen die Interessen der Beschäftigten unter die Räder. Wir brauchen öffentliche Investitionen, wenn privates Kapital wegen Konkurrenz und Wachstumszwang nicht richtig angelegt oder gar abgezogen wird. Die Schuldenbremse ist das Haupthindernis, entwickelt sich so zu einer Zukunftsbremse.

Beim Mobilitätsratschlag der RLS in Kassel wurde eine Erklärung dazu beraten, die auf der WebSite der Stiftung dokumentiert ist5:
 „Die Lage ist dringlich“. Und sie wird jeden Tag dringlicher!

 

Personenkraftwagen

Mai 2024

Veränderung 24/23 in %

Neuzulassungen in Deutschland

236.400

-4

davon

   

dt. Marken inkl. Konzernmarken

166.400

-6

ausl. Marken

70.000

0

darunter

   

Elektro

43.760

-23

BEV

29.710

-31

PHEV

14.040

2

Produktion in Deutschland

307.500

-18

darunter: Export

249.400


-16

Daten des VDA, https://www.vda.de/

1https://www.nd-aktuell.de/artikel/1182713.automobilindustrie-vw-betriebsrat-man-hat-die-entwicklung-verschlafen.html

2https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Hannover-VW-Nutzfahrzeuge-laesst-rund-900-Zeitvertraege-auslaufen,vwn116.html

3https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/verkehrswende-als-mehrwert/

4https://www.ipg-journal.de/rubriken/wirtschaft-und-oekologie/artikel/blitzableiter-7496/

5https://www.rosalux.de/dokumentation/id/52186/nach-links-abbiegen-spurwechsel-fuer-eine-gerechte-mobilitaetswende