Wo steht Europa?
Wohin treibt Europa?
Wie ist die geopolitische, wie die wirtschaftliche Lage?
Bricht es auseinander oder hält es zusammen?
Gib es noch eine fortschrittliche Leitidee?
Ein Welt- und Weitblick au
f die spezielle Konstruktion der EU, ihre Chancen und Hürden.

Leitmotive des Europa-Narrativs

Europapolitische Aussagen nehmen nicht selten Bezug auf den Philosophen Immanuel Kant. Erst kürzlich fanden Feierlichkeiten zu seinem 300-jährigen Geburtstag statt.  Er hat mehrere wichtige Kernelemente formuliert, die bis heute im europapolitischen Diskurs eine Rolle spielen. So heißt es bei ihm in einer Schrift mit dem bezeichnenden Namen Vom ewigen Frieden mit Bezug auf das Völkerrecht, die Beziehungen zwischen den Völkern sollen auf einen Föderalismus freier Staaten gegründet sein.


Und er schreibt dann weiter: „Der Gedanke ist, um Frieden zu schaffen.“ Der Frieden steht hier ganz an erster Stelle.  Und er sagt dann dazu, dass die Ausführbarkeit dieser Idee der Föderation, realistisch sei, die sich allmählich über alle Staaten erstrecken soll und so zum ewigen Frieden hinführt,

Kant schreibt das in seiner Sprache, die heute ungeheuer zu lesen ist. Also wichtig der Gedanke Frieden, den man sichern kann, indem sich Staaten zueinander in das Verhältnis einer Föderation begeben. Und Kant hat auch etwas gesagt, das jetzt natürlich leicht scherzhaft zum Binnenmarkt und zu Nordstream 2 passt, nämlich der Gedanke zum Zustandekommen dieser Gemeinschaft:
„Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volks bemächtigt. Weil nämlich unter allen, der Staatsmacht untergeordneten, Mächten (Mitteln), die Geldmacht wohl die zuverläßigste seyn möchte, so sehen sich Staaten (freylich wohl nicht eben durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, den edlen Frieden zu befördern, und, wo auch immer in der Welt Krieg auszubrechen droht, ihn durch Vermittelungen abzuwehren.“

Hier ist der Gedanke, dass wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten ein Element sind, um Frieden zu schaffen. Das heißt also, wenn man durch Nordstream 2 oder durch viele andere Möglichkeiten miteinander kooperiert, wie im europäischen Binnenmarkt, dann ist das ein Instrument, das friedensfördernd ist.
Und jetzt dieser Gedanke aus einer politisch anderen Richtung betrachtet, aber interessanterweise im Kern-gedanke von Kant gar nicht so weit entfernt ist.
Deutschlehrerinnen kennen vielleicht Novalis, ein Schriftsteller der deutschen Romantik, sehr konservativ, der aber einige sehr schöne Gedichte und auch Geschichten geschrieben zum Beispiel. aus dem Leben eines Taugenichts Und der schreibt in einer Schrift „Sie muss kommen, die heilige Zeit des ewigen Friedens. Die anderen Weltteile warten auf Europas Versöhnung und Auferstehung, um sich anzuschließen und Mitbürger des Himmelreiches zu werden. Die Christenheit, aber, und jetzt kommt das Interessante, muss wieder lebendig erscheinen, ohne Rücksicht auf Landesgrenzen.


Also auch hier der Gedanke des Friedens ganz an der Spitze und des Zusammenschlusses in einem nicht nationalen Zusammenhang.
Das Ganze war natürlich bezogen damals auf den Begriff des christlichen Abendlandes, den es heute in dieser Stärke nicht mehr gibt, aber durchaus vorhanden ist, wie zum Beispiel im Aachener Karlspreis. Jedes Jahr wird in Aachen dieser Karlspreis verliehen. Und der Hintergedanke dabei ist deswegen Karl, weil er sich auf Karl den Großen bezieht.   Karl der Große war Chef des Frankenreiches. Damals gab es die Trennung zwischen Deutsch und Frankreich. Ich war 12 Jahre alt, als ich das erste Mal in meinem Leben nach Frankreich kam und von Burgund aus mit einem Brieffreund nach Paris reiste.  Und da standen wir natürlich vor der großen Kathedrale Notre Dame und rechts daneben ein Reiterstandbild mit einem mittelalterlichen Reiter darauf, mit dem Namen Charlomanie, also Karl dem Großen, ein franz. bzw. deutscher Kaiser. Das reicht zwar 800 Jahre weit zurück, stellte damals aber den Bezug zu einem geeinten Europa dar. Selbstredend sollte man solche Dinge freilich mit Vorsicht genießen.
Aber, interessant das ist ein aktueller Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen mit dem Titel „Abendland“. Das ist natürlich Bestandteil des EU- Vorwahlkampfes in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und sie möchte mit diesem Artikel auf etwas verweisen, was sozusagen europäische Identität sei. Und die Kernbotschaft des Professors, der diesen Artikel geschrieben hat, lautet Demokratie und Menschenrechte sind auch die Substanz des Abendlandes und deswegen sei der Abendland-Gedanke aktuell.
Also hier sehen wir den konservativen Novalis und die Frankfurter Allgemeine Zeitung jeweils als Plädoyer für Frieden und europäischen Zusammenschluß, aus politisch ganz anderen Lagern kommend.
Interessant dabei ist zu bedenken, dass beides, Novalis als auch Kant auf dem Hintergrund der Kriegssituation nach der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege zu betrachten sind, das Europa wahnsinnig erschüttert hat und einen riesigen Blutzoll in Millionenhöhe gefordert hat. Es waren mehrere Feldzüge, darunter der große Feldzug Napoleons nach Moskau mit der Grande Armee, der dann allerdings in der Beresina gescheitert ist.

Ergänzend dazu die Aussage eines anderen Franzosen, etwas später als Novalis und Kant:

„Der Tag wird kommen, an dem der Krieg zwischen Paris und London, zwischen Petersburg und Berlin, zwischen Wien und Turin so absurd scheinen und unmöglich sein wird, wie er heute zwischen Rouen und Amiens, zwischen Boston und Philadelphia unmöglich sein und absurd scheinen würde.“   Hier also auch der Bezug zur Gründung eines nationalen, europäischen Staates. Und weiter: „Der Tag wird kommen, an dem Ihr Frankreich, Ihr Russland, Ihr Italien, Ihr England, Ihr Deutschland, ...  ohne Eure unterschiedlichen Eigenschaften und Eure glorreiche Eigenheit zu verlieren - Euch in einer höheren Einheit eng verschmelzen werdet ... genau so wie die Normandie, die Bretagne, Burgund, Lothringen, das Elsass, alle unsere Landteile sich in Frankreich verschmolzen haben.“

Auch hier der Gedanke des Friedens durch einen europäischen Zusammenschluss, vorgetragen um 1849 von Victor Hugo auf einem Kongress, einem Friedenskongress in Paris. Allerdings ist das dann etwas später sehr umstritten gewesen in der Linken. Hier ein Auszug aus der Position einer Person, die uns allen bekannt ist. Also im Grunde das, was Kant, Hugo und Novalis wollen, wird hier als reaktionäre Idee bezeichnet.

 

Eine linke Kontroverse

„Ebenso wie wir stets den Pangermanismus, den Panslawismus, den Panamerikanismus als reaktionäre Ideen bekämpfen, ebenso haben wir mit der Idee des Paneuropäertums nicht das geringste zu schaffen.“

„Nicht die europäische Solidarität, sondern die internationale Solidarität, die sämtliche Weltteile, Rassen und Völker umfasst, ist der Grundpfeiler des Sozialismus im Marxschen Sinne.“
„Jede Teilsolidarität aber ist nicht eine Stufe zur Verwirklichung der echten Internationalität, sondern ihr Gegensatz, ihr Feind, eine Zweideutigkeit, unter der der Pferdefuß des nationalen Antagonismus hervorguckt.“

Rosa Luxemburg, Friedensutopien, (1911) in: Gesammelte Werke, Band 2, 491-504. 

Hier zeigt sich, dass Rosa Luxemburg, die sich für Frieden ausspricht, aber die Idee des Panslawismus ablehnt. Eine Reihe anderer aus jener Zeit wie etwa Trotzki, Lenin und andere, waren ähnlicher Meinung wie Rosa Luxemburg.

Aber es gibt noch eine andere Variante, auch von links, die sich wiederum von Rosa Luxemburg absetzt:  das Manifest von Ventotene, das 1941 in Italien verfasst wurde.
Spinelli ist einer der bekanntesten Autoren. Es waren Antifaschisten, die in Ventotene in Haft saßen während des italienischen Faschismus. Und sie haben ein Manifest geschrieben zu Europa. Danach sei die erste Aufgabe nach dem Krieg, die angepackt werden muss, sei die endgültige Beseitigung der Grenzen, und ohne deren Lösung jeglicher Fortschritt nicht möglich sei.

 

Das ist im Schluss wieder die Kantsche Idee. Man fängt in einem Gebiet in Europa an, und am Schluss einigt man sich - Alle Menschen werden Brüder, wie es bei Schiller und Beethoven heißt, in der Einheit der Völker des Erdballs, also eine große Utopie.

Wir sehen hier, wie der Grundgedanke Frieden. Föderationsbildung, aber auch andere Elemente darin enthalten sind, wie zum Beispiel eine europäische Armee.

Und jetzt ein letztes Beispiel, quer durch das politische Spektrum, das diese Grundgedanken ebenfalls formuliert aus einem Memoire Memorandum des Auswärtigen Amtes unter dem Titel „Schaffung eines europäischen Staatenbundes.:
Die Einigung Europas, die sich in der Geschichte seit längerem abzeichnet, ist eine zwangsläufige Entwicklung. Es muss daher die Aufgabe der neuen europäischen Ordnung sein, die Ursachen zu beseitigen, die in der Vergangenheit zu innereuropäischen Kriegen Anlass gegeben haben. Es muss der Grundsatz gelten, dass einem Angriff auf Europa die solidarische Abwehr der europäischen Völker entgegengesetzt wird.
Nur sehr große Einheiten sind heute kriegstüchtig., um militärisch bestehen zu können.  
Und hier die Frage, war das unter der Außenministerin Baerbock, war das unter dem Außenminister Willy Brandt?  Ihr werdet vom Sockel fallen:  Das ist aus einem Memorandum des Auswärtigen Amtes 1943, und der Außenminister war Ribbentrop.
Um allen Mißverständnissen vorzubeugen, ich möchte heutige und bundesdeutsche Minister in keiner Weise mit denen gleichstellen.
Aber was ich damit zeigen will, ist, dass der Europagedanke in allen politischen Lagern für deren jeweiligen Interessen eingesetzt, benutzt, instrumentalisiert wird.

Man sieht hier im Folgenden ein Photo „Mit Adolf Hitler steht und fällt Europa.“


Das heißt, es ist also nicht nur in irgendwelchen esoterischen Kreisen der Naziverwaltung diskutiert worden, sondern zwar Bestandteil der offenen Propaganda.  Interessant dabei das Datum: Das war nach Stalingrad. Als die deutsche Führung gemerkt hat, dass ihnen die Felle davonschwimmen, haben sie plötzlich Europa entdeckt. Und es gibt zahlreiche Zeugnisse aus dieser Zeit, wo in der Propaganda der Europagedanke instrumentalisiert worden ist gegen die asiatischen jüdisch bolschewistischen Horden, die Europa vernichten wollen.
Also wie gesagt, es geht nicht um Gleichsetzung, sondern, und das ist sozusagen das Fazit dieses Kapitels, der Europagedanke wird von allen politischen Lagern von links bis rechts außen benutzt, um eigene Interessen damit zu realisieren.

Die zentralen Leitmotive des Europa-Narrativs


Die zentralen Leitmotive, die wir jetzt aus diesem Ritt durch die Geschichte festhalten können, sind an erster Stelle das Thema Krieg und Frieden.

Ein zweiter Aspekt ist das Thema Nation und Supranationalität, Nationalstaat. Auch das historisch natürlich verständlich, weil die Französische Revolution den Gedanken der Nation sehr stark gemacht hat und danach ja auch in Europa der Nationalstaat zur dominanten Form der Vergesellschaftung wurde.
Dann schon bei Kant angefangen, Kapitalinteressen, so würde ich das heute nennen. Er hat das nicht so genannt, aber die Handelsinteressen, wie er sprach: Wirtschaftliche Integration als ein Element für Friedensstiftung und dann natürlich das Verhältnis Europas zum Rest der Welt.
Das sind die 4 Punkte, die im Narrativ zu Europa immer wieder auftauchen, eine Rolle spielen bis heute.

Wir haben es an manchen Formulierungen von der Kriegstüchtigkeit gemerkt, dass das alles Dinge sind, die eine Vorgeschichte haben. Ich will jetzt einen kurzen Blick darauf werden, wie diese Integration Europas stattgefunden hat bzw. umgesetzt worden ist, praktisch nach dem Zweiten Weltkrieg.

Wirtschaftliche Integration & Kapitalinteressen

 

Nicht das einzige, aber ein zentrales Element, wie es Kant ja auch schon vorgegeben hat, war die Idee der wirtschaftlichen und die Praxis der wirtschaftlichen Integration und Kapitalinteressen.
Und um das mal zu zeigen, wo die Attraktivität für das Kapital liegt, will ich 2, 3 Zitate von Hayek bringen.  Das ist einer der bedeutendsten Väter des Neoliberalismus, der bereits 1948 vor 76 Jahren schrieb:
 
„Der Wegfall von Zollmauern und die freie Beweglichkeit von Menschen und Kapital beschränken den Spielraum der Wirtschaftspolitik der einzelnen Staaten in sehr beträchtlichem Maß.“

Also weiter der Gedanke, dass der Eingriff des Staates in den freien Markt und seinen Austausch was Böses ist, ein Grundgedanke des Neoliberalismus, wird hier klar formuliert, und er ist ja dann auch in der europäischen Integration ganz an der Spitze gestanden.

Und jetzt kommt die Währungsfrage:

„Mit einer gemeinsamen Währungseinheit wird die Handlungsfreiheit der nationalen Zentrale, die den nationalen gegeben ist, zumindest so stark beschränkt sein wie unter einer strengen Goldwährung. „

Wer an die Eurokrise denkt, an Schäuble, an die Sparpolitik und die Rolle der EZB, der weiß, wovon Hayek gesprochen hat und umgekehrt.

Ein drittes Element dabei, wo bleibt das Soziale unter diesen Bedingungen? Da schreibt er auch ganz knallhart und offen „… für einen Einzelstaat schwer, selbst Gesetze wie das der Beschränkung der Kinderarbeit oder Arbeitszeit allein durchzuführen.“

Das ist schwer unter Bedingungen eines freien, handelsfreien Binnenmarktes. Heute haben wir das Thema Mindestlohn, Entsendungsrichtlinie. Das sind ähnliche Themen, und die haben es genauso schwer. Ich will das vertiefen. Gewerkschafter kennen das genauso schwer, wie Hayek das sagt.

Und last but not least Hayeks Auffassung zu den Staatsfinanzen. Wenn dem einen oder anderen jetzt das Wort Schuldenbremse einfällt, dann ist das kein Zufall:

„ Auch im rein finanziellen Bereich wären die Methoden zur Erhöhung der Staatseinkünfte für den Einzelstaat einigermaßen beschränkt. Das also knallhart die Logik der Schuldenbremse. Da also auch das ein zentrales Element und das hat Hayek, also deswegen war er ein Befürworter europäischer Integration nach diesem Muster sozusagen in den Vordergrund gestellt. siehe oben.

Mit anderen Worten, die Montanunion, die 1951 gegründet worden ist, war der Zusammenschluss der Schwerindustrie in den 6 Gründungsländern und danach auch die EWG, die die Fortsetzung war und die Erweiterung von dem war, ging es also darum, günstige Akkumulationsbedingungen des Kapitals der Mitgliedsländer zu schaffen, also die europäische Integration, ganz wie Kant es geschrieben hat.
Es ging also nicht um Moral, sondern das Geld ist eine wichtige Triebkraft gewesen. Eine zweite Säule dieser Integration war die Tatsache, dass diese 6 Länder im Kalten Krieg die zivile ökonomische Komponente oder Säule der NATO waren, sozusagen in Ergänzung komplementär zur NATO. Allerdings hatte das sicherlich auch positive Nebeneffekte, einen Kollateralnutzen.

Die Funktionen der Integration nach dem 2. Weltkrieg


Es gab unter diesen Bedingungen seither keinen Krieg mehr in den eigenen Reihen. Innerhalb der Wagenburg wird nicht gekämpft. Und die deutsch französische Erbfeindschaft zum Beispiel, die über 150 oder 200 Jahre lang zu 3 Kriegen geführt hat, darunter 2 Weltkriege., Das ist natürlich vorbei. Also hier bestätigt sich bis zu einem gewissen Grade Kants Argument von der Rolle der Handelspolitik.
Das waren also die Funktionen der europäischen Integration. Es war also nicht, wie es auch heute, jetzt in den Medien immer dargestellt, eine Periode der unbefleckten Empfängnis, wo es nur um Frieden, um Verständigung ging, sondern eben auch um andere Interessen. Übrigens geht es auch nicht nur um NATO, also Geopolitik, sondern auch um Kolonialismus. Kaum jemand weiß. dass Algerien Bestandteil der EWG war und in den Verträgen ausdrücklich erwähnt ist? Der Grund ist folgender: Frankreich war damals vom Status her seiner Kolonialmacht definiert als integraler Bestandteil Frankreichs. Es waren 15 Departements. Und offiziell war das Frankreich, und eben auch Algier usw.  Die Deutschen haben das akzeptiert. Allerdings 2 Ausnahmeklausel hat Adenauer durchgesetzt, nämlich erstens, bei der Migration nach Westdeutschland in die BRD sollten Algerier nicht behandelt werden wie Franzosen. Und zweitens sollten sie, falls sie doch kommen, nicht in den Genuss des deutschen Sozialsystems kommen. Ähnlichkeiten mit heute lebenden Personen sind völlig zufälliger Art. Ja, also es ist keine Ruhmesgeschichte, sondern es ist ambivalent und höchst widersprüchlich. Gut ist das Ende der deutsch französischen Erbfeindschaft, aber andere Komponenten sind eben nicht die unbefleckte Empfängnis.

Die nächste Etappe beginnt dann 1993 mit dem Binnenmarkt mit der einzigen da ist der Euro ist dann 2000 erst eingeführt worden und dann die Osterweiterung, die in mehreren Wellen damals begonnen hat. Davor waren nur Dänemark, Griechenland, Großbritannien und noch 2, 3 andere eingetreten, Spanien und Portugal. Und es war die Phase des sogenannten neoliberalen Konstitutionalismus, also die verfassungs- quasi verfassungsmäßige Verankerung des Neoliberalismus, von dem Hayek geschwärmt hat, in den Verträgen von Maastricht.
Und die EU hat dann auch in ihrer praktischen Politik bis 2008 diese Politik als Vorreiter in Handelsverträgen mit anderen Ländern oder Ländergruppen mit dem globalen Süden durchgesetzt.  
Allerdings von nun an ging es bergab. Es gab der Finanzcrash 2008, darauf die Eurokrise, der Brexit, Corona, Aufstieg der Neuen Rechten und die immer stärker sichtbar währende internationale Wettbewerbsschwäche. Also ein Krisenzusammenhang, der bis heute nicht aufgehört hat.

Von Masstricht nach Lissabon


 Das heißt, und das war auch der Titel des Buches, das ich mit Thomas Sablowski herausgegeben habe, “Europäische Integration in der multiplen Krise.“ (VSA Verlag)

dass die EU in multiplen Krisen drinsteckt und bisher nicht herausgekommen ist. Das ist diese Epoche gewesen und wäre das, was ich jetzt gesagt habe für typische Meckerer, Kritiker Linker usw. hält, möchte ich an dieser Stelle ein paar völlig unverdächtige Zeugen für diese Aussagen zitieren.
 „Lassen Sie uns eine ganz ehrliche Diagnose stellen.
Unsere Europäische Union befindet sich – zumindest teilweise – in einer existenziellen Krise. Jean--Claude Juncker,
Rede zur Lage der Union Sept. 2016 Vorgänger von Uschi von der Leyen. Das war so am Höhepunkt der Eurokrise. Das ist die Kommission der letzten Chance, war ein geflügeltes Wort von Juncker aus dieser Zeit über die Perspektiven der Krise. Aber er ist nicht der Einzige.  Ich habe Zitate von mindestens 20 solcher Zeugen, die ganz bestimmt nicht links sind.
„Wir müssen heute zugeben, dass der Traum von einem gemeinsamen europäischen Staat mit einem gemeinsamen Interesse, mit einer gemeinsamen Zukunft, Vorstellung einer gemeinsamen Nation eine Illusion war.“  Das war der Donald Tusk. Der war zu jener Zeit, 2016, Ratspräsident, Präsident der EG des EU- Rates. Der ist heute Ministerpräsident in Polen.
Also man sieht, dass das Krisenbewusstsein jetzt keine linke Nummer ist, Show, Propaganda oder sonst etwas, sondern dass das auch von den Vertretern der EU selbst so gesehen wird.

Sehnsucht nach Großmacht

Wir kommen jetzt in die aktuelle Zeit hinein. Zeitenwende Ist auch etwas, was die EU betreibt. Das ist nicht nur eine Sache von dem Scholz und da steht an erster Stelle die Sehnsucht nach Großmacht. Und auch hier. Ein Zitat Das ist vom EU- Parlament 2016, also 6 Jahre vor Beginn des Ukrainekriegs. Also für alle, die der Meinung sind, dass die Notwendigkeit einer Großmacht Rolle der EU am 24. Februar 2022 begonnen hat, müssen das jetzt mal zur Kenntnis nehmen.

„Das Europäische Parlament betont, dass die EU ihre Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeiten stärken muss, die sie ihr, da sie ihr volles Potenzial als Weltmacht nur nutzen kann, wenn sie ihre einzigartige Soft Power im Rahmen eines umfassenden EU -Ansatzes mit Hard Power kombiniert.
EP- Resolution, 14.12.2016

Der französische Finanzminister, der uns jetzt gerade besucht, Bruno Le Maire drückt es folgendermaßen aus:

„Europa muss ein Empire werden, ich rede von einem friedlichen Empire, das ein Rechtsstaat ist. Ich benutze den Begriff, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass es in der Welt von morgen um Macht gehen wird.

Macht wird den Unterschied ausmachen: Technologische Macht, wirtschaftliche, finanzielle, monetäre, kulturelle Macht werden entscheidend sein.

Europa darf nicht länger davor zurückschrecken, seine Macht auszuspielen und ein Empire des Friedens zu sein.“                                                             

Es war und es ist schon immer um Macht gegangen. Aber weil ja, die offizielle Erzählung Friedenspolitik, Friedensmacht Europa ist, muss natürlich die öffentliche Meinung jetzt auf die harten, knallharten Tatsachen eingestellt werden.  Bruno le Maire wird auch als denkbarer Nachfolger, zumindest in der Kandidatur für Macron bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Also hier die Sehnsucht nach Großmacht, nach Weltmacht, nach Supermachtstatus regelrecht. Oder noch mal Ursula von der Leyen „Europa muss auch die Sprache der Macht lernen.“

 Um das in etwa zusammenzufassen, hier ein Zitat aus dem strategischen Kompass der EU: „Es geht darum, die volle Bandbreite der EU-Politik und ihre Hebel als Machtinstrument zu nutzen“.
 Also, dass Bruno Le Maire gesagt hat, Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, Handelspolitik usw. und sofort als Machtinstrumente zu nutzen.

 

Artikel 52 des EU-Vertrages

Und wie soll das laufen?  
Dazu der Artikel 52, der einschlägig ist aus dem EU- Vertrag
 
Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen und Sicherheitspolitik. Sie sichert der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Operationsfähigkeit.
Das wissen die wenigsten Leute, steht seit 20 Jahren oder mehr im Lissabon-Vertrag. Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates schulden die anderen Mitgliedsstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung im Einklang mit Artikel 51 der Charta demnach. Das ist eine Beistandsklausel, die im Grunde verbal zumindest schärfer als Artikel 5 der NATO ist. Bei Artikel 5 der NATO kommt nämlich erst eine Vorstufe. Man muss sich konsultieren und beraten, und so weiter.  Beim EU-Vertrag geht es gleich zur Solidarität in dem Sinne, wie sie hier verstanden wird. Der Rat kann zur Wahrung usw. eine Mission, also einzelne Mitgliedsstaaten zu einer Mission im Rahmen der Union beauftragen. Das war der Fall jetzt mit der Fregatte Hessen, die ins Rote Meer geschickt worden ist. Es war sozusagen ein Auftrag der EU, und man könnte sich solche Missionen in vielfältiger Form auch zukünftig vorstellen. Es ist nicht die EU, also Brüssel selbst, sondern diese beauftragt dann Frankreich, Deutschland, Italien oder Malta zu einer Militäroperation und solche, die anspruchsvollere Kriterien erfüllen, also Panzer, Kampfflugzeuge oder womöglich Atombomben herstellen.
Diese Mitgliedstaaten sollen sich zusammenschließen für solche Projekte in der sogenannten Permanenten Strukturierten Zusammenarbeit. PESCO ist die englische Abkürzung.  2 sehr bekannte Projekte in diesem Rahmen sind das deutsch- französische und spanische Kampfflugzeug der nächsten Generation und ein Kampfpanzer, bei dem Frankreich und Deutschland und noch ein dritter Partner beteiligt werden soll.  Das heißt, es werden nicht alle 27 Mitgliedsstaaten beteiligt, sondern solche, die wollen und können. Das ist integrationspolitisch hoch interessant.  Bei anderen Themen ist das ja nicht erlaubt, dass 2 oder 3 machen können, was sie wollen, wenn sie wollen, sondern die müssen das machen, was sozusagen von oben vorgegeben ist. Allerdings ist einschränkend dazu zu sagen, dass dies nicht gut klappt.  Die Polen machen da nicht mit. Die beziehen ihre Kampfflugzeuge aus USA, aus Südkorea und Italien, kooperieren sogar mit Großbritannien, das nicht EU- Mitglied ist und mit Japan ebenfalls. Solche Rüstungsprojekte also macht jeder nach eigenem Gusto. Und weiterhin heißt es dann, dass ein sehr wichtiger Absatz in diesem Artikel 42 Die Verpflichtung und die Zusammenarbeit in diesem Bereich bleiben im Einklang mit den im Rahmen des Nordatlantikvertrags Organisation die NATO also eingegangenen Verpflichtungen, die für die ihr angehörenden Staaten weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung und das Instrument für deren Verwirklichung ist.

 


Also hier zeigt sich, ein grundsätzliches Problem, nämlich das Verhältnis der EU als Militär- Macht und der NATO. Auf dieser Grundlage wurden sogenannte Battle Groups gegründet mit 1.500 Hanseln, vor denen der Chinese um der Russe bestimmt nicht zittert. Eine Eingreiftruppe von 5000, womit ich das nicht gerechtfertigt haben wollte. Ein Oberkommando wollen sie machen und die genannten Kampfflugzeug-, Panzerprojekte Interoperable Fähigkeiten der nächsten Generation Zusammenarbeit, Weltraum und Kommunikationstechnik Cyberspace.
Das heißt, wenn man genau hinschaut. Supranational ist die EU-Kampfkraft unter Brüsseler Kommando militärisch bedeutungslos.



Militarisierung

 

Relevanter ist aber die Entwicklung einer EU-Rüstungsindustrie. Da wird sehr stark die Kooperation gefordert. Und natürlich das ökonomische Potenzial der EU ist sehr relevant. Ökonomisch ist die EU eine Weltmacht. Das muss man klar so festhalten und das sieht man jetzt an der Politik der Sanktionen, wie sie dieses Potenzial ausspielt und nutzt, unterhalb der Schwelle von Schießerei und Toten, oder zumindest direkten Toten.
Das Ganze ist jetzt nicht nur eine Frage militärischer Hardware, sondern es hat auch noch bestimmte Begleiterscheinungen. Was hier an Militarisierung gefordert wird, gehorcht der Logik Kanonen statt Butter. Das heißt also, die sozialen und Verteilungsaspekte von Rüstung und Krieg werden in den nächsten Jahren dramatisch spürbar sein. Das ist der eine Aspekt, den viele wahrscheinlich als Problem kennen. Ich komme zu einem zweiten, der nicht so häufig erwähnt wird, aber sehr wichtig ist. Das ist ein Superprioritätsdenken, zugegeben jetzt ein bisschen vornehm ausgedrückt. Vorhin hatten wir deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein, also dass das eigene besser ist als das der anderen.

Da haben wir hier unsere Soft Power, nochmal die Soft Power, die beste der Welt. Doch die Idee, dass Europa eine ausschließlich zivile Macht ist, wird der sich abzeichnenden Realität nicht gerecht.

2016, die damalige Außenbeauftragte, also die Vorgängerin von Borrell und ehemalige Juso-Vorsitzende Italiens. Mogherini, oder Martin Schulz „Die EU - das größte Zivilisationsprojekt der Menschheitsgeschichte.“

Und daraus ergibt sich dann auch, was gerade für die Deutschen wichtig ist. Die Franzosen sind französisch patriotisch und die Italiener italienisch patriotisch und erst recht die Polen. Aber die Deutschen brauchen, nach ihrer Geschichte, den Euro-Patriotismus. Patriotismus muss europäisch sein, laut Robert Habeck, oder „Es geht heute nicht mehr um eine deutsche Leitkultur, sondern um eine europäische Leitkultur. „, Manfred Weber von der CSU.
Also hier sieht man diese Begleiterscheinung von Militarisierung Großmacht. Dazu gehört auch der ideologische Überbau. Aber, das sind alles Vorstellungen, die zum Teil in der Mache sind. Aber ich werfe jetzt mal die Frage auf, was davon realistisch ist. Und da gibt es einige Hindernisse. Die erste ist, die EU ist kein Staat.

Man muss es immer wieder sagen, auch zum fünf hundertsten Mal, auch wenn es einem wie Asche im Munde vorkommt. Aber die meisten Leute vergleichen die EU mit China, mit Russland, mit Nigeria, mit Brasilien. Und das ist grundfalsch, staatstheoretisch. Und das hat viele Konsequenzen.
Die EU ist kein Staat, sondern eine Hybridkonstruktion, und zwar eine Allianz von Nationalstaaten, kombiniert mit Elementen von Supranationalität.  Allianzen gibt es viele, wie z.B. die NATO oder Mercosur oder ASEAN. Das sind alles Allianzen von Nationalstaaten. Die EU ist aber insofern einmalig, als da noch obendrauf Elemente von supranationalem Charakter obendrauf kommen wie der Binnenmarkt, wie der Europäische Gerichtshof, die EZB und anderes, die EZB, zumindest für die Eurozone, nicht aber für die Nicht -Eurozonenmitglieder. Das ist also sehr wichtig, und daraus folgt, dass die Handlungsfähigkeit dieses Spielers EU viel geringer ist als die der USA, Chinas, Russlands, Nigerias, El Salvador oder Brasiliens.
Und als zweites Element kommt dazu, dass diese ohnehin komplizierte Konstruktion jetzt belastet ist durch eine Überdehnung. Diese 27 Mitgliedsstaaten sind einfach so heterogen, dass es sehr schwer ist, ein Konsens zu finden.

Und wer derzeit in die Zeitung schaut, sieht am Beispiel Gaza, Rafah Politik, dass die EU-Staaten im Augenblick sozusagen bis aufs Messer gegeneinandergestellt sind.
 Das ist also das erste Element, die Konstruktion und das staatstheoretische Konstrukt.
Der EU ist einmalig, besonders und eben besonders handlungsunfähig.
Das zweite Element. Und da ist da noch die NATO. Ich habe das schon angedeutet, wie die beiden miteinander harmonieren. Und da muss man auch das etwas, was ich bei jedem Vortrag zu dem Thema immer wiederholen muss:
Die NATO ist kein eigenständiger Akteur, sondern die NATO ist eine Veranstaltung der USA.

 

Auch das ist kein links-radikales Postulat, sondern ich zitiere eine autoritative Quelle. Der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses bringt immer nach Neuwahlen ein Paper heraus mit laufenden updates. Für die neuen Abgeordneten, in denen erklärt wird, auf 12 bis 15 Seiten, wie die Außenpolitik der USA funktioniert. Und hier wird deutlich:  Während traditionelle Beschreibungen der traditionellen US-Rolle in der Welt seit Ende des Zweiten Weltkriegs in ihren spezifischen Zügen sich unterscheiden, kann sie aber aus 4 Schlüsselelementen bestehend in allgemeinen Begriffen beschrieben werden.
 Man kann sich dieses übrigens aus dem Internet runterladen. Ich empfehle das jedem, der sich damit befasst. Man spart sich dabei halbe Bibliotheken über die US- Außenpolitik, wenn man das Ding kennt.
Erstens Global Leadership, also globale Führung, deren Anspruch,
zweitens Verteidigung und Förderung der internationalen liberalen Ordnung, vulgo Verteidigung und Förderung des Kapitalismus, drittens Verteidigung und Förderung von freedom and democracy, so wie sie das verstehen. Und die sind alle relativ, auch unter Linken, gängig und bekannt. Aber das vierte ist relativ unbekannt, nämlich die Verhinderung der Entstehung eines regionalen Hegemons in Eurasien. Das ist das vierte Prinzip und das wird dann erläutert an Beispielen US-Aktionen, die in diesem Sinne verstanden werden können, um einen regionalen Hegemon in Eurasien zu verhindern, umfasst unter anderem, wenn auch nicht nur, die US Teilnahme im Ersten Weltkrieg, die US- Teilnahme im Zweiten Weltkrieg, Koreakrieg, Vietnamkrieg. Also das da ging's nicht um Faschismus, Demokratie oder sonst etwas, sondern es war, wie sie selbst darstellen, die Verhinderung eines Hegemons in Eurasien. Das war zeitweise die Sowjetunion, Deutschland stand in der Nazizeit unter Verdacht, was ja auch der erklärte Versuch war und insofern die Verhinderung auch moralisch durchaus im Bereich des Legitimen liegt. Es ist nicht alles böse, was sie gemacht haben, es zeigt aber das Selbstverständnis ihrer Außenpolitik.

Und dann kommen wir zum Thema NATO als Instrumente:  US- Sicherheits- Allianzen, Bündnisse und Partnerschaften einschließlich der NATO, die zum großen Teil etabliert worden ist, um die Sowjetunion abzuschrecken und heute Russland und damit die Entstehung eines Hegemons in Europa zu verhindern.
Also das ist das Selbstverständnis, was die NATO ist , und das muss man, wenn man über die spricht, immer im Kopf haben.
Mit anderen Worten, solange die NATO so ist, wie sie jetzt ist, wird aus einer militärischen Großmacht EU nichts werden.
Aber da ist nicht nur das Problem mit der NATO und Washington, da gibt es andere.

 

Auch innerhalb der EU gibt es ein Haufen Länder, die transatlantisch orientiert sind, den Deutschen und oder den Franzosen nicht trauen. Darunter gehören Polen, Estland, Lettland, Litauen. Die verlassen sich lieber auf die USA als auf Deutschland oder Frankreich.
Dann gibt es als Problem, dass die EU auch Mitglieder noch hat, die noch nicht in der NATO sind. Österreich, Irland, Zypern, Malta, Finnland und Schweden sind ja jetzt beigetreten. Also auch das ist ein Problem.
Und dann kommt als großes Problem, das im Augenblick heiß diskutiert wird, dass Frankreich zwar strategische Autonomie predigt, d.h. EU als weltpolitischer Groß Machtfaktor betont, aber hinter dem Begriff strategische Autonomie steckt, und wer die französische Außenpolitik kennt, weiß, das heißt immer auch unter französischer Führung. Und bei Macron ist das so klar wie möglich. Und damit hängt nämlich die Nuklearfrage zusammen. Frankreich ist die einzige Nuklearmacht, und die wird nicht europäisiert werden. Die wird französisch bleiben unter französischem Kommando.
Das Maximale, was vorstellbar ist, ist ähnlich wie die sogenannte nukleare Teilhabe zwischen USA und Deutschland und ein paar anderen. Das heißt, in Büchel sind Kampfbomber stationiert, die US-Atombomben auf Moskau oder so weiter schmeißen können, aber unter US-Kommando und unter dem Code der USA. Das heißt mit anderen Worten, aus der Idee, Weltmacht zu werden, wird so schnell nichts.


Das bedeutet nicht, dass man sich nicht gegen Militarisierung und gegen Großmachtwenden muss, sondern es bedeutet nur, dass man realistischerweise die Perspektiven dieser Politik. klar aufzeigen muss und auch als Argument für uns benutzen kann.


Warum ist das alles so, woher kommt das? Sind die jetzt plötzlich alle midas-mäßig großmachtsüchtig geworden? Das hat natürlich Hintergründe, und zwar grundlegende tektonische Verschiebungen in der Welt.
Die Anteile der Weltbevölkerung 2015 und 2050 im Vergleich.

Hier sehen wir die EU hat im Jahre 2015 7 % Anteil an der Weltbevölkerung.
Und jetzt fragt man sich, wieso müssen 7 % Großmacht und Supermacht sein? Indien hat viel mehr. Oder China. Es ist eine Frage, die man stellen kann, aber es wird noch besser. Im Jahre 2050 wird das geschmolzen sein auf 4,5 %. Also wir Europäer sind, wenn man es mal ein bisschen überspitzt formuliert, eine Minderheit auf dem Planeten.
 Und das ist im Besonderen interessant Im Jahre 1900 betrug der Anteil Europas an der Weltbevölkerung 1/4, fast 25 %. Das muss man sich mal vorstellen. Also hier gibt es historische Prozesse, die man mal sich in den Kopf tun muss, auch wenn es unserem Selbstwertgefühl nicht sehr schmeichelt und erst recht nicht dem Selbstwertgefühl schmeichelt der politischen Eliten.
Warum Europa übrigens 1900 so bevölkerungsreich war, hängt natürlich damit zusammen, dass durch den technologischen Fortschritt, Gesundheitswesen, Medizin usw. die Lebenserwartung damals sehr hoch im Vergleich im Vergleich zu Asien oder Afrika war. Aber immerhin, das ist ein wichtiges Faktum. Mindestens genauso wichtig ist die ökonomische Seite. Hier sehen wir eine Prognose von PricewaterhouseCoopers, derzufolge wird Chinas Anteil, wenn das nicht vorher zum Krieg oder sonst irgendwo im großen Knall kommt, von 18 % auf 20 anwachsen. Der Anteil der USA wird sinken auf 12 und der der EU sogar auf 9 % runtergehen und der Indiens von 7 auf 15, also mehr als sich verdoppeln.

Also das sind alles Dinge, die der Otto- Normalverbraucher und die Anita Normalverbraucher ihn hier nicht im Kopfe haben. Aber unsere politischen Strategen wissen das natürlich und planen auf solche Verhältnisse hinaus. Also es ist der relative Abstieg Europas und generell des Westens. Die Verlagerung des Schwerpunktes der Weltwirtschaft steht fast heute überall in der Zeitung, weg vom transatlantischen Raum, hin nach Asien. Und das gilt übrigens auch im Verhältnis zu den USA. Auch da wird die EU inzwischen abgehängt. Wir haben hier die Zahlen aus 2008, da war das EU-Bruttoinlandsprodukt größer als das der EU, der USA und 14 Jahre später. Umgekehrt ist das der USA deutlich größer als das der EU. 25 Billionen gegen 19,8 Billionen. Also auch hier ein abgehängt werden usw. Mit anderen Worten aus europäischer oder E-U Sicht, besser gesagt erleben wir so etwas wie eine Entwestlichung der Welt, einen historischen Umbruch und das ist die eigentliche Zeitenwende, finde ich, dass die eigentliche Zeitenwende. Nach 500 Jahren Dominanz Europas und seines nordamerikanischen Ablegers über den Rest der Welt dazu gehört.

Ncht nur, aber auch der Aufstieg Chinas, die Renaissance Russlands als Großmacht, der Aufstieg Indiens, der Aufstieg der Schwellenländer, BRICS usw. sehen wir gerade. An dem Gaza oder Nahostkrieg wie die USA nicht in der Lage sind, Israel so zu zügeln, wie sie es gerne hätten und in der dann im Rest der Welt außer in Deutschland und noch ein paar umliegenden EU- Staaten ist das genauso oder wird das nicht gesehen oder es wird verdrängt und man will es nicht wahrhaben, dass diese 7 % die wir jetzt sind, weltweit zum Beispiel beim Thema Gaza inzwischen total isoliert sind und eine kleine radikale Minderheit eine kleine extremistische Minderheit sind. Und das führt zu Abstiegsängsten.
Und ein schönes Zitat von Steinmeier, als er zum Grundgesetz Geburtstag geredet hat:
„Selbstbehauptung ist die Aufgabe unserer Zeit selbst.“  Siehe oben.
Wir müssen uns selbst behaupten, wir sind bedroht. Es geht uns an den Kragen. So die Wahrnehmung von Steinmeier.
Ich will nicht sagen, dass ich das teile.

 

Was wird aus dieser EU in der nächsten Zeit?

Was sind sozusagen alternative emanzipatorische Richtungen, in die man denken und Politik machen könnte? Also, die EU ist in einer Krise. Sie ist im Augenblick nicht dazu in der Lage, die zu lösen, sondern macht ein permanentes Durchwursteln oder postmodern muddling through. Ja, sie wurschteln sich durch, irgendwie im Krisenmanagement. Aber die Krisen kann sie nicht lösen, die Eurokrise nicht, die Probleme des Euros, die Wettbewerbsschwäche, die geschildert worden ist, die Herausforderung durch die technologischen Umbrüche bei der KI, bei Quantencomputer sind inzwischen die Chinesen besser als in der EU usw.
All das sind Dinge, wo dieses Abstiegsmoment spürbar ist.
Und das nach einer Epoche, nach dem 500 Jahre der weiße Mann, und Hallo Annalena, auch die weiße Frau glaubte, sozusagen die Krone der Menschheit zu sein. Eine Lösung gibt es nicht. Wie das ausgeht, hierzu werde ich keine Prognosen trefen. Ich werde nur ein paar Elemente sagen, wie wir als emanzipatorische Akteure darauf reagieren können.


Da ist das erste Element das Wichtigste, was schon für Kant das Wichtigste war, dem Novalis das Wichtigste war, dem Victor Hugo das Wichtigste war und für mich das Wichtigste war und ist,

Die Militarisierung und das Großmachtstreben stoppen.
Das muss das Zentrum der Politik werden beim Thema EU.


Zweitens, strategische Autonomie von USA ja, aber nicht, wie Macron sich das vorstellt, nicht als militärische Großmacht, sondern auf friedenspolitischer Grundlage.
Das heißt, die EU als diplomatische Brücken und Friedensmacht etablieren, und nicht als militärische Großmacht. Und da kann sie sich durchaus von den USA abkoppeln. Und sollte sie sich. Das sollte man tun, und das ist kein Antiamerikanismus.
Drittens Was die Grundfragen der Integration angeht Wir haben die Vereinigten Staaten von Europa als Idee schon bei Kant und bei einigen anderen später auch. Davon muss man sich verabschieden, auch wenn der Tusk nicht zu meinen liebes Lieblingspolitikern gehört. Aber er hat recht, dass das eine Illusion ist. Die Heterogenität, die Widersprüche intern sind zu groß und das muss man sich abschminken und muss damit leben und sollte stattdessen einen dritten Weg integrationspolitisch ins Auge fassen, der weder Nationalismus ist noch in den Euronationalismus a la Habeck oder Weber führt, sondern da gibt es im Jargon einen schönen Begriff differentielle und flexible Integration.
Das Max Planck-Institut für Politikforschung in Köln hat dieses Konzept sehr stark entwickelt und befürwortet es. Es bedeutet im Grunde folgendes: Nicht den Vereinigten Staaten von Europa nachjagen, sondern nach innen flexibilisieren, Sachen machen mit Partnern, wo man was gemeinsam machen kann, was man zum Beispiel friedenspolitisch machen will. Aber mit Macron und seiner Truppenstationierung in der Ukraine macht man nix.
Das ist ja auch so im Augenblick, aber man muss es betonen und klarmachen, dass das nicht antieuropäisch ist, sondern im Gegenteil, also eine variable Geometrie betreibt, dass man auf bestimmten Gebieten miteinander zusammenarbeitet, für mich völlig vernünftig und richtig.
Dass man mit Frankreich, mit Österreich und mit Dänemark bei der Entwicklung der Eisenbahn und der Energiepolitik zusammenarbeitet, ist vollkommen vernünftig, dagegen kann man nicht sein. Aber, ob man dann wieder bei der Außenpolitik und bei bestimmten Handelspolitiken gegenüber Afrika an einem Strang zieht, oder ob man die Politik Macrons in Neukaledonien unterstützt oder nicht unterstützt, das sollte man differenziell machen, so wie es ja jetzt auch geschieht bei Gaza.
Das sollten wir für uns nutzen. Sachen, die wir für grundsätzlich falsch halten, nicht unter dem Vorwand, wir brauchen europäische Zusammenarbeit und Solidarität, zu schlucken, sondern klipp und klar Nein zu sagen.
Und es bedeutet auch eine gewisse Öffnung nach außen. Das heißt: Zusammenarbeit mit umliegenden Ländern und Regionen, natürlich auch mit der Ukraine. Dagegen spricht prinzipiell nach der Logik, die ich hier entwickelt habe, nichts. Ich würde zwar nicht mit ihr militärisch zusammenarbeiten, aber energiepolitisch kann man zusammenarbeiten oder möglicherweise auch auf anderen Gebieten, aber eben auch mit Marokko und mit Algerien und mit Belorussland, und in der Perspektive möglicherweise auch mit Russland selbst.
Also diese Öffnung, diese Flexibilisierung ist ein anderes Konzept als das Starre, zwanghafte meinen, Vereinigte Staaten von Europa machen zu wollen.
Wir haben ja schon Vereinigte Staaten, einmal reicht.


Anmerkungen:

Vortrag von Peter Wahl bei  attac, München, am 27.5.2024

 

“Europäische Integration in der multiplen Krise.“ (VSA Verlag)