Save our Standort – fordert die IG Metall von den Unternehmern.
Aber: Nichts bleibt, wie es ist.
Ohne einen kritischen Blick auf unsere Produktions- und Lebensweise, ohne linke, alternative Industriepolitik sind progressive Veränderungen nicht möglich.

 

Am 2. Mai 2024, war „Erdüberlastungstag“, mit dem Tag hat Deutschland sein jährliches Budget an nachhaltig nutzbaren Ressourcen und ökologisch verkraftbaren CO2-Emissionen aufgebraucht. Ab heute leben wir auf Kosten der Menschen im Globalen Süden und auf Kosten unserer Kinder. Und das so früh wie noch nie!

Ein Tag, an dem wir uns daran erinnern, dass unser hoher Rohstoffverbrauch konkrete Auswirkungen auf Menschen überall auf der Welt, die Umwelt und die Verschärfung der Klimakrise hat. Darin steckt eine besondere Ungerechtigkeit: Denn gerade die Menschen im Globalen Süden verbrauchen viel weniger Rohstoffe, verursachen weniger Emissionen und leiden schon jetzt stärker an den Folgen der Klimakrise und den furchtbaren Bedingungen, unter denen Rohstoffe abgebaut werden.

Besonders beim Abbau von Rohstoffen wie Kupfer oder Gold, die am Ende in unseren elektronischen Geräten landen, sind Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen allgegenwärtig. Verunreinigtes Trinkwasser, abgeholzte Wälder, Vertreibung von Anwohner*innen für neue Minen und katastrophale Arbeitsbedingungen im Bergbau gehören für Menschen in den Abbauregionen zum täglichen Leben. Doch auch in der Produktion der Geräte und sogar bei deren Entsorgung als Elektroschrott werden Menschenrechte verletzt und die Umwelt verschmutzt.

Das sagt der Redakteur der IG Metall

Gestern, am Erdüberlastungstag, schrieb ein Redakteur des Newsletters der IG Metall: „Eigentlich kennt es jeder: SOS ist DAS Notsignal seit mehr als 100 Jahren. Es wird gesendet, wenn es um Leben und Tod geht. SOS Kugellagerstadt – dieses Notsignal wurde am 18. April in Unterfranken ausgesendet: 5.000 Metallerinnen und Metaller waren in Schweinfurt auf der Straße.“

Weiter schreibt der Redakteur: „Sie wollen retten, was zu retten ist: Ihre Stadt und ihre Region, die an guter Industriearbeit hängen. Save our Standort – vom Main bis hoch in die Rhön, von Schweinfurt bis nach Bad Neustadt an der Saale; die Zulieferindustrie erstreckt sich über die gesamte Region. Der Wohlstand hängt von ihr massiv ab.“ Er beschreibt dann ähnliche Aktionen der Beschäftigten bei Bosch und bei Thyssen-Krupp. Das Zeitalter der Umstellung in der Industrie sei jetzt bei uns spürbar angekommen. Schließlich garniert er den SOS-Ruf mit einer kleinen biografischen Geschichte:

„Während ich mir in den Semesterferien hier meine Studienkosten erarbeitet habe, haben meine Fußball-Kumpels Häuser gebaut, Familien gegründet, sind mehrmals im Jahr in den Urlaub gefahren. Das machen die heute immer noch so und wünschen sich das gleiche für ihre Kinder.“ Die Menschen, die in Schweinfurt, Stuttgart, Duisburg, Zwickau und Saarlouis, die bei ZF, Kugelfischer, Bosch, Thyssen-Krupp, Volkswagen und Ford arbeiten, haben ein Recht auf soziale Sicherheit, haben ein Recht darauf, ohne Angst zu leben. Aber anlässlich von Erderschöpfungstag und Klimakatastrophe bedeutet das, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Angesichts der Profiterwartungen der großen Aktionäre bedeutet das, dass es nicht so weitergehen wird. Appelle an die Unternehmen werden definitiv nicht helfen, „es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun, uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun“.

Im Newsletter weist der Redakteur jedoch auf eine gemeinsame Erklärung der IG Metall und des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall zum „Sozialpartnersymposium 2024“ hin und darauf, dass das SOS sich an die Unternehmen richtet und deren Willen zu bleiben. „Die Sozialpartner haben eine gemeinsame, auch gesamtgesellschaftliche Verantwortung“, heißt es in der Erklärung. „Abschließend bekräftigen die Sozialpartner der M+E-Industrie 75 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes und Wiedereinführung der Tarifautonomie ihre gesellschaftliche Verantwortung und ihren gemeinsamen Beitrag für den Erfolg der Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft1.“ Keine Rede von der Spaltung unserer Gesellschaft in arm und reich, in Arbeiter*innen und Erwerbslose, in teils gut bezahlte Fachkräfte und mies entlohnte Verkäuferin, keine Rede vom Elend der Leiharbeiter*innen, der LKW-Fahrer aus Rumänien oder der Frauen aus Polen, Thailand oder Mexiko, die als Pflegerin für unser Wohlergehen sieben Tage die Woche schuftet.

Das SOS wird gesendet, wenn es um Leben und Tod geht. Aber es geht in Deutschland im Zusammenhang der Veränderungen in der industriellen Produktion nicht um Leben und Tod, sondern auch, wie der Redakteur schreibt, „mehrmals im Jahr in den Urlaub zu fahren“. Ein frommer und völlig unrealistischer Wunsch, dass alles bleiben soll, wie es gerade ist.

Das gute Leben für alle

Kein kritischer Blick auf das, was mit der Lebens- und Produktionsweise in unserem Land für ausgelagerte Kosten, für das Leben und Leid von Menschen im globalen Süden und für die Beschleunigung der Klimakatastrophe verbunden ist. Kein Gedanke an die unterschiedlichen, sich widersprechenden Interessen von abhängig Lohnarbeit leistenden Menschen einerseits und nur am Profit orientierten Unternehmen und Aktionären andererseits. Verschämt schreibt der Redakteur von „Umstellungen in der Industrie“. Tatsächlich geht es um Dekarbonisierung, um die Klimakatastrophe nicht weiter zu befeuern und das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen – wirklich ein gigantisches Vorhaben. Damit ist die industrielle Produktionsweise, wie wir sie bisher kennen, unmöglich geworden. Die Erdüberlastung zu beenden und den Klimakollaps zu vermeiden führt zwingend zu weniger Profit. Da ist es sinnlos, an die Unternehmen und die Sozialpartnerschaft zu appellieren – den großen Aktionären geht es im Kapitalismus systembedingt nur um maximale Profite. Erforderlich ist eine andere Produktion und eine andere Produktionsweise: nachhaltige, langlebige und bedarfsgerechte Güter und Dienstleistungen in einer mitbestimmt und demokratisch organisierten Wirtschaft.

Wenn ein solcher Umbau der Wirtschaft gelingt, wird das Kapital andere Anlagemöglichkeiten suchen und eventuell in autoritär regierten und noch nicht hoch entwickelten Ländern auch finden. Ein solcher Umbau der Industrie bedeutet keine Deindustrialisierung unseres Landes, sondern eben weniger und eine andere Produktion – Windkraftanlagen, Wärmepumpen, bezahlbare Wohnungen und Schienenfahrzeuge statt Büropaläste, Shoppingmalls, Kohlekraftwerke und Millionen Autos. Das bedeutet wohl auch, nicht mehrmals im Jahr Fernreisen machen zu können – aber es wäre der Beginn von gutem Leben für alle. Es wäre der Beginn von weniger Stress durch zu viel Arbeit oder durch zu geringe Löhne, es wäre der Beginn von mehr Zeit für die Familie, für die Gemeinschaft, für Natur und Kultur, für die Beteiligung und für die Demokratie. „Und wünschen sich das gleiche für ihre Kinder“ – schreibt der Redakteur. Wenn ein solcher Umbau allerdings nicht gelingt, dann nimmt die Klimakatastrophe ihren Lauf – und in der Konsequenz wird es auf der Erde, auch in Deutschland und auch für unsere Kinder, sehr ungemütlich.

Es liegt im wohlverstandenen Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter, ihrer Familien, eigentlich aller Menschen und künftiger Generationen, zu retten, was wirklich zu retten ist: Ein ungeteilt gutes Leben für alle – ob jung oder alt, Frau oder Mann, schwarz oder weiß, im Norden wie im Süden.

1https://www.igmetall.de/download/20240412_Gemeinsame_Erklaerung_von_Gesamtmetall_und_IG_Metall_Sozialpartner_Symposiums_2024.pdf