Jeder Krieg ist auch ein Krieg der Informationen. Das sehen wir täglich in den Nachrichten. Ob Israel und Gaza oder Russland und die Ukraine; wir werden mit Schlagzeilen und Bildern von Blut, Tod und Zerstörung bombardiert.
Oft gibt es klare Täter-Opfer-Zuschreibungen. Gleichzeitig fallen andere Kriege aus den Medien. Beispiel Sudan: Seit einem Jahr herrscht im nordostafrikanischen Land Krieg. Über sieben Millionen Menschen sind auf der Flucht; die Vereinten Nationen sprechen von einer der größten Flüchtlingskrisen weltweit. In den deutschen Medien erscheint diese Krise kaum. Warum?
Laut dem Nahost-Korrespondenten Tilo Spanhel ist der Krieg im Sudan „vom Kopf her sehr weit weg“, die Lage komplex und ohne klare Frontlinie. Anders als im Gazakrieg gebe es auch keine „spektakulären Bilder“, sagte er dem Deutschlandfunk. Das heißt, im Nachrichten-Stakkato der Kriegsberichterstattung kann der Sudan nicht punkten. Denn medial lebt ein Krieg von Bildern und Polarisierung, Komplexität und Hintergründe helfen kaum. Allerdings fehlt dem Krieg im Sudan ein weiterer wichtiger Medien-Faktor: Lobbygruppen. Das sind beispielsweise Krieg führende Regierungen, die für Unterstützung werben und entsprechend Informationen streuen. Diese Propaganda-Strategie ist weder neu noch ein Privileg bestimmter Parteien.
Universitätsprofessor Kai Hafez unterstreicht diesen Punkt unter anderem im Medienpodcast „quoted“. In Bezug auf die Israel/Palästina-Berichterstattung stellte der Nahost-Experte klar, zu Kriegszeiten verbreiten alle Gruppen Informationen. Die Frage ist, welche schaffen es in unsere Medien, welche nicht und warum?
Im Fall Israel/Palästina sind es fast ausschließlich die Informationen der israelischen Regierung. Intern sprechen JournalistInnen etablierter deutscher Medien über Redaktionstreffen mit der israelischen Botschaft. Auch deshalb sehen wir medial, laut Hafez, eine starke Emotionalisierung mit einem grundsätzlich starken „proisraelischen Bias“. Diese Verzerrungen, wie auch die Zuspitzung von Israelkritik zu Antisemitismus-Vorwürfen, sind nicht neu. Seit Jahrzehnten gibt es diese Muster, teils berechtigt. Zu Kriegszeiten treten sie besonders hervor. Eine Folge sind Informationslücken – auch die sehen wir im Fall Israel/Palästina.
In einem Interview mit der Leipziger Zeitung meinte Hafez kürzlich
Es werde beispielsweise „kaum beachtet, dass in der israelischen Regierung rechtsextreme Koalitionäre sitzen, die in rassistischer Weise anti-arabisch und anti-muslimisch sind“. Gleichzeitig werden Bilder palästinensischer Opfer kaum gezeigt. Auch deshalb seien palästinensische Positionen in Deutschland medial „komplett unterentwickelt“. Diese Art der kritischen Analyse über die Folgen „kritikloser Solidarität“, wie Hafez es nennt, ist selten. Denn auch Wissenschaftler:innen fürchten um Ruf, Job und Karriere.
Mittlerweile hinterfragen aber auch Journalisten die Israel/Palästina-Berichterstattung, denn kein Krieg ist schwarz-weiß. Laut Hafez braucht es vor allem einen humanitären Journalismus. Der müsse alle Opfer zeigen, egal welcher Seite. Das heißt, die israelischen Opfer des 7. Oktober und die palästinensischen Opfer seither. Vielleicht schaffen es so auch die Menschen des Sudan in die deutschen Medien. Denn Opfer sind Opfer, mit oder ohne Lobbygruppe.
Erstveröffentlichung berliner-zeitung. 29.4.2024