Gewalt ist konstituierender Bestandteil der Menschheitsgeschichte über alle Gesellschaftsformationen, Macht- und Herrschaftsverhältnisse hinweg und in all ihren Formen gegen seinesgleichen und die Natur.
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Wachsender Holzeinschlag und Holzverbrauch im Frühkapitalismus (Merkantilismus) für die Gewinnung und Verhüttung von Eisenerz im sächsischen Bergbaurevier führte durch den Niedergang der Wälder zur Entwicklung des Nachhaltigkeitsgedankens (Hans Carl von Carlowitz). Es sollte fortan nur so viel Holz verbraucht werden, als nachwächst. Das war die Geburtsstunde des Begriffs der „Nachhaltigkeit“ und entsprechenden Wirtschaftens im Forstbereich mit neuen Formen des Umgangs mit der Natur.
Denken und Handeln von Herrscherhäusern, Adel und des entscheidenden Teils der Forstleute in Verwaltung und Wissenschaft war bestimmt von dem mechanistischen Leitbild der Naturbeherrschung in Wissenschaft und Technik. In technischen und natur-wissenschaftlichen Berufen herrscht weltweit bis heute ein Weltbild vor, nach dem die Natur dem Menschen untertan zu sein hat. Die Komplexität der Abläufe in der belebten und unbelebten Natur wird nur zu häufig – um ein Bild zu gebrauchen - mehr oder weniger als ein schlichtes mechanisches System miteinander kommunizierender Röhren begriffen, wo sich schon alles mit Grenzwerten, technischen Lösungen und wachsendem Erkenntnisfortschritt regeln lässt. Die Wurzeln für dieses mechanistische Weltbild wurden bereits im Mittelalter mit Kopernikus, Kepler und Galilei gelegt und speisten sich aus ihrer Entdeckung, dass sich die Erde um die Sonne dreht.
Grundlage für die Realisierung der Naturbeherrschung im Wald waren Nadelholz-Reinbestände. Damit entstanden naturferne Altersklassenforste, deren Bestände in voneinander getrennten Altersstufen bis heute angebaut werden. Nadelholz hat technologische Eigenschaften, die es unverzichtbar machten für Bergbau, Hausbau, Schiffsbau etc. Bis heute noch ist Nadelholz bis auf weiteres unverzichtbar, braucht dafür aber keinen naturfernen Nadelholzanbau, sondern einen naturnah angelegten Waldbau.
Mit dem Übergang vom Merkantilismus zum Industriekapitalismus nahm der Staatswerdungsprozess Preußens Gestalt an. Mit den Stein-Hardenbergschen Reformen wurde in den Jahren 1807–1815 die Grundlage für den Wandel Preußens vom absolutistischen Stände- und Agrarstaat zum National- und Industriestaat gelegt, der 1866 im Westen eine bedeutende Erweiterung nahm und 1871 zum Deutschen Reich führte.
Mit dem Aufstieg des Industriekapitalismus und seiner Entfaltung wurden immer größere Holzmengen gebraucht. Damit wuchs der Umfang naturferner Altersklassenforste und mit ihnen entstand eine große, mit Herrschaft, Macht- und fiskalischen Interessen des Staates verbundene Forstverwaltung und Forstwissenschaft.
Im Zuge des Staatswerdungsprozesses von Preußen gewann das „Landeskulturedikt“ von 1811 besondere Bedeutung für die Wälder des Landes, dessen Grundlagen von Albrecht Thaer (Begründer der „rationellen Landwirtschaft“) entwickelt wurden. Die Trennung von Staats- und Privatwald wurde eingeleitet. Forstgesetzliche Regelungen für die zumeist adligen Privatwaldbesitzer beschränkten sich erst später auf allgemeine Rahmensetzungen.
Im Staatswald wurde analog der rationellen Landwirtschaft konsequent der Ausbau naturferner Altersklassenforste betrieben und das Kahlschlagprinzip für die Holzernte eingeführt. Es entstand der „Holzackerbau“. Da in den Privatwäldern anfangs keine Festlegungen für die Bewirtschaftung getroffen wurden, kam es vielerorts zu ungeregeltem Holzeinschlag im Wald. Allerdings folgten die Privatwaldbesitzer zum Erhalt ihrer Einkommen bald der staatlichen Waldbaupraxis.
Mit der Umwandlung der Wälder in naturferne Nadelholz-Reinbestände wuchsen die Probleme durch Schädlingskalamitäten, Windbruch, Schneebruch etc. mit strecken- und gebietsweise sehr großen Schäden. In der Praxis tätige Forstleute und einzelne Wissenschaftler wiesen spätestens ab 1850 daraufhin. Der Münchener Waldbauprofessor Karl Gayer plädierte bereits 1880 für einen gemischten Wald mit ausreichend Laubholz und gegen einförmige Reinbestände. In Sachsen erhoben sich vor dem I. Weltkrieg Stimmen gegen die weit verbreitete Kahlschlag- und Nadelholz-Reinbestandswirtschaft.
Alfred Möllers revolutionäre Dauerwaldidee löste in den Jahren 1920 bis 1922 im Forstbereich eine noch bis heute beispiellose Debatte pro und kontra naturferne Forsten aus. Es offenbarte den Gegensatz zwischen beharrenden und reformorientierten Forstleuten. Die Dauerwaldidee ist Waldwirtschaft mit der Natur, nicht gegen sie, umschließt ungleichaltrige Wälder, ist Waldbau mit standortheimischen Baumarten, bedeutet einzelstammbezogene Holzernte und keinen Kahlschlag. Die Befürworter des naturfernen Altersklassenforstes setzten sich zwar durch, aber die Diskussionen zum Dauerwald und für eine naturgemäße Waldwirtschaft verstummten ebenso nicht wie praktische Ansätze zur Umsetzung. Eine kleine Schar von Befürwortern des Dauerwaldes arbeitete weiter in der Praxis anhand dieses Konzepts. Sie konnten auf Erfolge einzelner Privatwaldbesitzer verweisen, die bereits vor oder in der Zeit der Erarbeitung der Dauerwaldidee und danach (so Waldgut Sauen) in diesem Sinne praktisch tätig geworden waren. Besonders umstritten beim pro und kontra Dauerwald war das Revier Bärenthoren im Fläming, dessen ertragskundliche Ergebnisse konnten damals nichts schlüssig beweisen, später vergleichend wiederholt auch nichts schlüssig widerlegen.
Im Nationalsozialismus wurde die Dauerwaldidee ideologisch und propagandistisch missbraucht. Die Waldarbeit in diesem Sinne war nur begrenzt erfolgreich, auch weil sie fundamental den Zielen der Kriegsvorbereitung (hoher Holzeinschlag im Rahmen der NS-Autarkiepolitik zur Rohstoffbeschaffung) und der Jagdpolitik Görings widersprach. Sie wurde bereits 1937 beendet zugunsten naturferner Waldbewirtschaftung mit Dauerwald nur in der Verpackung. Mit neuer Begriffsdefinition wurde Möllers Grundanliegen völlig verwässert. Dauerwaldvertreter konnten aber die begonnene Arbeit in einer Reihe von Versuchsrevieren in den sächsischen Staatsforsten fortsetzen. Vier von ihnen wurden im Jahre 1943 ihrer Ämter enthoben, weil sie sich nicht den Jagdinteressen des NS-Gauleiters beugen wollten. Willy Wobst wurde des Landes Sachsen verwiesen und Hermann Krutzsch musste bis zum Kriegsende in der Rüstungsindustrie arbeiten.
Nach dem II. Weltkrieg wurde in ganz Deutschland die Linie der Naturbeherrschung in der Forstwirtschaft weiterverfolgt. Allerdings gelang es in Ostdeutschland dem Dauerwaldvertreter Krutzsch, insbes. unterstützt von Blanckmeister und Heger - zwischen 1951 und 1961 den Weg einer „vorratspfleglichen Waldwirtschaft“ auf politischer Ebene durchzusetzen. Dieser Weg wurde dann wieder zugunsten naturferner Altersklassenbewirtschaftung verlassen. Der Waldbau wurde über Jahre sogar industriemäßig intensiviert betrieben. Die damit einhergehenden Probleme wurden bis zum Beginn der achtziger Jahre immer sichtbarer. Kurskorrekturen begannen. In Westdeutschland setzte sich von Beginn an die naturferne Altersklassenforstwirtschaft durch.
Nach dem Ende der Teilung Deutschlands ist gemeinsam der Weg der naturfernen Altersklassenforste weiter beschritten worden. Bereits seit den achtziger Jahren sind deren Probleme angesichts Schadstoffeinträgen, Sturmwürfen, Schädlingskalamitäten, zunehmender Hitze und Trockenheit etc. unübersehbar geworden. Sie drohen die Produktionsgrundlage Wald zu untergraben. Deshalb ist damit begonnen worden, einen naturnäheren Umbau der Wälder in Angriff zu nehmen, die Reinbaumbestände mit Laubbäumen beispielsweise anzureichern. Allerdings geschieht im Verhältnis zur Größenordnung der Probleme viel zu wenig und damit werden sie auch nicht hinreichend gelöst. Ein konsequenter Neubeginn auf Grundlage der Dauerwaldidee wird nicht in Erwägung gezogen. Es wird aber durchaus gesehen, dass der kleine Kreis der Dauerwaldvertreter mit ihrer Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW) in der Praxis die Probleme besser meistert. Ungefähr 200 Betriebe wirtschaften auf Grundlage des Dauerwaldkonzepts. Es sind zumeist Privatwaldbetriebe, viele davon mit adligem Hintergrund.
Von einst bis heute geht mit der Naturbeherrschung die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft einher. Elende Löhne und harte Arbeits- und Lebensbedingungen waren das Los der Holzfäller und Waldarbeiter. Egal, ob sie in Staats- oder Privatwäldern arbeiteten. Erst im Zuge der erstarkenden Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung konnten gegen Ende des 19. Jahrhunderts etwas bessere Löhne und Versicherungsschutz errungen werden.
Nach dem II. Weltkrieg gingen Ost- und Westdeutschland getrennte Wege. In der DDR entstand eine staatlich gelenkte Planwirtschaft, in der der Staat in die Rolle des Produzenten trat und die Produktionsbedingungen diktierte und regelte. Sie war ineffektiv und scheiterte letztlich, besaß aber weitreichende soziale und materielle Absicherungen für die arbeitende Bevölkerung. In der BRD wurde der kapitalistische Entwicklungsweg fortgesetzt und wohlfahrtsstaatlich ausgebaut, nicht zuletzt auch Ausdruck der Systemkonkurrenz. Nach dem Ende der Teilung und dem Abriss des Sozialstaates ist die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft auch für die im Wald Arbeitenden wieder in verschärften Formen zurückgekehrt.
Das mechanistische Weltbild ist durch ein neues Weltbild abzulösen. Es geht weniger um Naturbeherrschung als vielmehr darum, ein partnerschaftliches Zusammenspiel von Selbsttätigkeit der Natur und menschlicher Nutzung zu ermöglichen. So sollte künftig beispielsweise Fehlerfreundlichkeit als evolutionäres Prinzip den Maßstab für Forschung, Entwicklung und Einsatz von Technologien, technischen Verfahren und Stoffen bilden.
Der Kapitalismus ist durch eine demokratische und sozialistische Gesellschaftsordnung abzulösen. Ohne sie wird der Neubau einer regional orientierten, solidarischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht gelingen, die Arbeit, Soziales und Natur zusammenführt und die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft aufhebt.
Die bisher rein ökonomisch geprägten Beziehungen zwischen Mensch und Natur müssen durch eine umfassend reproduktive Orientierung abgelöst werden, in der Erhalt und Verbesserung des Naturhaushalts und der Naturressourcen sowie der menschlichen Gesundheit und Arbeitskraft die gleiche Bedeutung wie der Ökonomie zukommt. Die naturgemäße Waldwirtschaft mit Mischwald anhand des Dauerwaldkonzepts von Alfred Möller bildet eine wesentliche Grundlage auf diesem Weg.
Literatur:
(*) Bimboes, Tjaden, 1992; Scheidler, 2018
- Bimboes, Detlef; Tjaden, Karl Hermann: Stoff- und Energieflüsse und ihre Bedeutung für die Gesellschaftswissenschaften, in: Industrialismus und Große Industrie, Hrsg. Lars Lambrecht und Karl Hermann Tjaden (Dialektik; 1992,2), Meiner Verlag, Hamburg 1992;
- Scheidler, Fabian: Das Ende der Megamaschine – Geschichte einer scheiternden Zivilisation, Promedia Verlag, 10. Auflage, Wien 2018;
- Thomasius, Harald: Geschichte, Theorie und Praxis des Dauerwaldes, Veröffentlichung des Vortrags aus dem Jahre 1996 durch den Landesforstverein Sachsen-Anhalt e.V.
- Bode, Wilhelm (Hrsg.): Alfred Möllers Dauerwaldidee, Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021.
Zum Autor: Dr. Detlef Bimboes ist Diplombiologe, Mitglied der NaturFreunde Berlin