Vor allem Grüne und SPD sprechen gerne davon, eine soziale Politik machen zu wollen. Dazu gehört auch: Geringverdienende entlasten, Wohlhabende eher stärker zur Kasse bitten. Die Realität zum Jahresbeginn 2024 ist dagegen eine ganz andere: Menschen mit geringen und mittleren Einkommen werden stärker belastet, Spitzenverdiener dagegen entlastet.

"Die neuen Maßnahmen der Finanzpolitik der Bundesregierung für 2024 haben eine erhebliche soziale Schieflage: Menschen mit geringen und mittleren Einkommen werden stärker belastet, Spitzenverdiener dagegen entlastet."

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW.

Nachdem die Finanztricks der Ampelregierung geplatzt sind (https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5170-es-geht-nicht-mehr-alles-ausser-bei-der-ruestung) fährt die Bundesregierung jetzt einen Kürzungskurs bei den Sozialausgaben. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) soll 1,5 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt einsparen. Auch der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung wird um 600 Millionen Euro reduziert. Zugleich hat sich die Regierung darauf verständigt, dass der sogenannte Bürgergeldbonus zurückgenommen werden soll. Den erst 2023 eingeführten Bonus von 75 Euro im Monat erhalten Leistungsempfängerinnen und -empfänger, wenn sie an einer Weiterbildung teilnehmen. Allerdings: Diesen zu streichen, bringt laut Angaben des Bundesarbeitsministeriums lediglich Einsparungen in Höhe von 250 Millionen Euro. Außerdem ist eine Verschärfung der Sanktionen für »Arbeitsverweigerer« angekündigt.

Höhere Sozialbeiträge und eine Erhöhung des CO2-Preises belasten vor allem kleine und mittlere Einkommen. Das Tanken sowie das Heizen mit Gas oder Öl noch einmal teurer. Eine Milliarde soll durch eine deutlichere Anhebung des Kohlendioxidpreises zum 1. Januar 2024 (von 30 auf 45 Euro) eingenommen werden. Der Liter Benzin wird damit 4,5 statt drei Cent teurer. Beim Heizöl liegen die Mehrkosten für einen Durchschnittshaushalt (20.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch) bei 100 Euro, bei Gasheizungen sind es ungefähr 60 Euro. Oben drauf kommen noch die von den Öl- und Gasmonopolen erhobenen Preissteigerungen.

Die Liste der vorgesehenen Kürzungen hat eine soziale Schieflage, Menschen mit wenig Einkommen werden insgesamt stärker belastet. Zwar werden dieses Jahr durch die Anpassung der Einkommenssteuer zunächst alle Steuerpflichtigen entlastet. Dem gegenüber stehen neben den oben aufgeführten Belastungen auch höhere Netzentgelte und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer beim Gas. Am stärksten belastet werden Alleinerziehende mit einem eher geringen Einkommen von 30.000 bzw. 36.000 Euro.

Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft


Milliardenschwere Steuergeschenke für Spitzenverdiener und Unternehmen bleiben hingegen unangetastet. Es bleibt auch beim "Wachstumschancengesetz" (Steuergeschenke für Unternehmen in Höhe von rund acht Milliarden Euro im Jahr) und bei Milliardensubventionen für Weltkonzerne wie Intel oder TSMC.

Unangetastet bleiben auch die derzeit für die Ukraine vorgesehenen 17 Milliarden Euro - "und das ist auch im Haushalt abgebildet", so Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Vor allem Spitzenverdiener profitieren ab 1. Januar von Steuerentlastungen. Im Bundeshaushalt schlagen diese Entlastungen bei Lohn- und Einkommenssteuer mit 15 Milliarden zu Buche. Damit hätte sich das Loch stopfen lassen, das das Karlsruher Haushaltsurteil in den Bundesetat 2024 gerissen hat.

"Die Bundesregierung belastet mit dem Sparhaushalt vor allem Menschen mit wenig Einkommen. Dabei könnten höhere Steuern für Hochvermögende 100 Milliarden Euro bringen."

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW.

Aber nicht nur bei den Sozialleistungen wird gekürzt, auch in Klimaschutz, Transformation und Bildung werden weiter ausgehöhlt. Fast zwei Milliarden Euro sollen bis 2027 beim Meeresschutz sowie dem natürlichen Klimaschutz eingespart werden. Dazu kommen geplante Privatisierungen von Teilen der Bahn, Telekom und Deutsche Post – das Urteil des Bundesverfassungsgerichts spielt den Privatisierungsanhängern in die Hände.

"Dabei läge eine gute Lösung auf dem Tisch, wie der Staat notwendige Einnahmen für Zukunftsinvestitionen mobilisieren könnte", schreibt der Präsident des DIW Fratzscher. "Indem er Hochvermögende so besteuert, wie andere Industrieländer dies auch tun. Als Hochvermögende gelten Menschen, die über ein Nettogeldvermögen von mindestens einer Million Euro verfügen." [1]

So nimmt der deutsche Staat jedes Jahr nur knapp ein Prozent der Wirtschaftsleistung, oder knapp 40 Milliarden Euro, an vermögensbezogenen Steuern ein. Im Vergleich: Die USA, Frankreich oder Großbritannien haben drei- bis viermal so hohe Steuereinnahmen auf Vermögen. Wenn Deutschland private Vermögen genauso stark besteuern würde wie diese drei Länder, dann hätte der Staat jedes Jahr 100 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen.

Deutschland liegt weltweit bei der Anzahl von sehr Wohlhabenden – hier definiert als Personen mit einem Vermögen von umgerechnet mehr als 50 Millionen US-Dollar – hinter den USA und China an dritter Stelle. Auch gibt es ungewöhnlich viele Milliardäre in Deutschland, nämlich 109 im Vergleich zu 34 in Frankreich.

Doch auf das Vermögen dieser Menschen sind zum Einen die Steuersätze sehr niedrig, zudem ist es für diesen Personenkreis in Deutschland sehr einfach Steuern zu vermeiden – wie in der ZDF-Dokumentation gezeigt, mit Beratung von Spitzenbeamt:innen des Finanzministeriums.

Die geheime Welt der Superreichen - Das Milliardenspiel   https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzeit/zdfzeit-die-geheime-welt-der-superreichen-100.html

 

Marcel Fratzscher schlussfolgert: 

"Die Politik sollte, anstatt die verletzlichsten Gruppen für das Stopfen der Löcher im Bundeshaushalt heranzuziehen, die Hochvermögenden zur Kasse bitten, die sich durch die vielen Steuerprivilegien häufig kaum an der Finanzierung von der staatlichen Daseinsfürsorge, von Infrastruktur und Bildung beteiligen. 'Eigentum verpflichtet', heißt es im Artikel 14 des Grundgesetzes, und weiter: 'Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.' Die Bundesregierung wäre klug beraten, diesen Vorsatz in ihrer Haushaltsplanung ernst zu nehmen und auf soziale Ausgewogenheit und Glaubwürdigkeit ihrer Politik zu achten."

 

Fußnoten

[1] Marcel Fratzscher, 22.12.2023: "Superreiche könnten leicht die Haushaltslücke schließen"
https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-12/steuern-superreiche-haushaltskrise-finanzierung